Visuelle Medien und Forschung. Über den wissenschaftlich-methodischen Umgang mit Fotografie und Film

Visuelle Medien und Forschung. Über den wissenschaftlich-methodischen Umgang mit Fotografie und Film

Veranstalter
Kommission Fotografie der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde; Kommission volkskundlicher Film der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde; Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität Berlin; Museum Europäischer Kulturen, Berlin
Veranstaltungsort
Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.10.2010 - 16.10.2010
Deadline
01.05.2010
Website
Von
Hägele, Ulrich

Bis in die 1970er/80er Jahre nutzte das Gros der ethnowissenschaftlich arbeitenden Forscherinnen und Forscher das Medium Fotografie wie auch den Film dokumentierend-illustrativ als hilfswissenschaftliches Mittel – die visuelle Anthropologie war als Subdisziplin noch nicht stark ausgeprägt. Zudem wurden die vermeintlich realgetreuen Abbildungsqualitäten der Fotografie und der Filmbilder kaum hinterfragt: Was hier zu sehen war, galt als wahr und objektiv und musste sich dementsprechend keiner weiteren Erläuterung oder Interpretation unterziehen. Der ungarische Ethnograph Ernö Kunt hat bereits in den 1980er Jahren auf diese Defizite am Beispiel der Fotografie-Rezeption hingewiesen, kritisierte aber gleichermaßen die wissenschaftliche und museale Praxis, die Beschreibung und Interpretation als Komponenten der forschungstechnischen Auswertung aufgegeben zu haben.

Die allgemeinen Ursachen des "visuellen Analphabetentums" sahen die Protagonisten der Neuen Fotografie Werner Graeff und László Moholy-Nagy als verbreitetes gesellschaftliches Phänomen in den 1920er Jahren. Die Unfähigkeit der Gelehrten, mit Bildern umzugehen und sie zu lesen, rührt wissenschaftshistorisch von text- und allenfalls objektzentrierten Prämissen in der Forschung her. Der Tübinger Kulturwissenschaftler Utz Jeggle bezeichnete dies als eine "verdinglichende Tendenz" in der wissenschaftlichen Praxis, wenn sie, wie etwa im Museum, "Gegenstände und Situationen aus dem Kontext ihres sozialen Gebrauchs herauslöst". Auch die Rolle der Forscherinnen und Forscher in Bezug auf ihre doppelte Praxis als Fotografen und Filmer sowie als Wissenschaftler, die sich mitunter im Feld mit Gegenständen und Personen ablichten lassen, ist ambivalent. Nicht nur in dieser Beziehung hat seit den 1980er Jahren eine Sensibilisierung stattgefunden im Diskurs von visuellem Medium, Feld, Methode und wissenschaftlicher Rezeption. Währenddessen setzte auch in den Sammlungen ein Umdenken ein: Archive sind aufgearbeitet, Inventare erstellt, Ausstellungen konzipiert und Forschungsvorhaben beantragt worden. Die fotografierenden und filmenden Ethnologen selbst gestatten Einblicke in ihr lichtbildnerisches Schaffen: Aby Warburg, Bronislaw Malinowski, Paul Scheuermeier, Claude Levi-Strauss, Pierre Bourdieu und Hermann Bausinger veröffentlichten Teile ihres fotografischen Werkes, nachdem die im Feld entstandenen Aufnahmen in der wissenschaftlichen Verwertung jahrzehntelang kaum eine Rolle gespielt hatten. Und auch kulturwissenschaftliche Filmemacherinnen und Filmemacher gingen mehr und mehr dazu über, selbstreflexiv ihr filmisches Tun im Feld offen zu legen, wie zum Beispiel die Arbeiten von Barbara Keifenheim oder Beate Engelbrecht zeigen.

Für Bourdieu nahm die Fotografie als zunächst "abseitiger Gegenstand" eine überbrückende Funktion in der wissenschaftlichen Biographie ein: Sie diente einem transdisziplinären Herangehen in Abkehr von seiner frühen, überwiegend strukturalistisch geprägten Positionierung. Mit dem Fotoapparat im Gepäck gelang ihm, wie er im Rückblick seiner Feldforschung in Algerien Ende der 1950er Jahre schreibt, "der Versuch (...) einer Überwindung der gegenseitigen Ausschließlichkeit von Objektivismus und Subjektivismus und der Rückgriff auf vermittelnde Konzepte" in theoretischer wie ethnographischer Hinsicht. Die Fotografie stellt sozusagen das Bindeglied zwischen dem Forschungsfeld und der theoretischen Ausarbeitung der Forschungsergebnisse dar und ist mit diesen als primäre Quelle – ähnlich dem musealen Objekt – untrennbar verknüpft.

In diesem Zusammenhang sind nicht nur die fotografierenden oder/und filmenden Ethnologen, sondern auch die Fotografen und Filmer, die als (Forschungs-) Reisende Land und Leute aufnehmen, von Bedeutung. In der Geschichte der wissenschaftlichen Institutionen und ihren Bildarchiven bilden diese Aufnahmen einen bedeutenden Fundus.

Die Kommission Fotografie der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (DGV) will sich gemeinsam mit der Kommission für den volkskundlichen Film der DGV diesem Thema widmen. Das Verhältnis von Wissenschaft und visuellen Medien vom 19. Jahrhundert bis heute bildet dafür den Rahmen. Der Call for Papers richtet sich interdisziplinär an Forscherinnen und Forscher aus Universität, Museum, Archiv, die sich mit den Medien Fotografie und Film in historischem und zeitgenössischem Kontext beschäftigen und an jene, die im Feld oder medial einschlägige Erfahrungen gesammelt haben, wobei die bildlichen Quellen und der Umgang mit ihnen im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen sollen. Ein Schwerpunkt ist die visuelle Selbstinszenierung von Wissenschaft. Folgende Fragen stehen im Vordergrund:

– Wie verändert sich das Selbstbild von Wissenschaft und Wissenschaftlern, die sich mit (Audio)Visualität auseinandersetzen?
– Welche Rolle nehmen die Forscherinnen und Forscher in ihrem Feld und welche das Forschungs“objekt“ ein?
– Ist in der wissenschaftlich-visuellen Selbstinszenierung zwangsläufig ein hegemoniales Verständnis von Kultur und Wissenschaft impliziert?
– Gibt es visuelle Unterschiede zwischen den Bildern fotografierender und filmender Ethnographen und ethnographierender Fotografen und Filmer, bedingt durch das methodische Selbstverständnis?

Interessentinnen und Interessenten werden gebeten, ihr Exposé mit maximal 3.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) bis zum 1. Mai 2010 an untenstehende Kontaktadresse (Dr. Irene Ziehe) zu schicken.

Dr. Irene Ziehe
Museum Europäischer Kulturen
Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
Im Winkel 6/8
D-14195 Berlin
Tel.: 0049-(0)30-266 42-6814
Fax: 0049-(0)30-266 42-6804
E-Mail: i.ziehe@smb.spk-berlin.de

Manuela Barth M.A.
Institut für Volkskunde/Europäische Ethnologie
Universität München
Ludwigstraße 25
80539 München
M.Barth@vkde.fak12.uni-muenchen.de

Dr. Ulrich Hägele
Medienwissenschaft/Neuphilologische Fakultät
Universität Tübingen
Wilhelmstraße 50
72074 Tübingen
ulrich.haegele@uni-tuebingen.de

Torsten Näser M.A.
Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie
Universität Göttingen
Friedländerweg 2
37081 Göttingen
tnäser@gwdg.de

Programm

Kontakt

Dr. Irene Ziehe
Museum Europäischer Kulturen
Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
Im Winkel 6/8
D-14195 Berlin
Tel.: 0049-(0)30-266 42-6814
Fax: 0049-(0)30-266 42-6804
E-Mail: i.ziehe@smb.spk-berlin.de