Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Gemeinsame Tagung des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit und des Teilprojektes B 10 des SFB 434 „Erinnerungskulturen“ (Gießen)

Von
Daniel Herbert

Erinnerungen an eine gemeinsame Geschichte, Vergangenheitsbezüge und Traditionsbildung stiften Gemeinschaft, sie verschaffen Kollektiven eine Identität und die Möglichkeit, sich gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppierungen abzugrenzen. Gerade für das Militär, wie es sich in der Frühen Neuzeit als eigene gesellschaftliche Formation ausdifferenzierte, lässt sich der Zusammenhang von kollektiver Identität und einer eigenen Erinnerungskultur besonders deutlich akzentuieren – noch die „Traditionserlasse“ der Bundeswehr verweisen darauf, welch hohe Bedeutung gerade in der gesellschaftlichen Gruppierung des Militärs Traditionsstiftungen für die Grundlegung einer eigenen Identität beigemessen wird.

Der Zusammenhang von kollektiven Identitäten und Erinnerungskulturen ist vor allem von der mediävistischen Memoria-Forschung früh herausgearbeitet worden; diese Interdependenz tritt in der Frühen Neuzeit noch deutlicher hervor, weil die identitätsstiftenden Erinnerungskulturen sozialer Gruppen sich der Dynamik einer sich im 18. Jahrhundert zunehmend ausdifferenzierenden Gesellschaft nicht entziehen konnten. Dies gilt auch für das Militär, dessen Angehörige mit der Herausbildung der Stehenden Heere sowie deren Monarchisierung und später Nationalisierung eine spezifische Gruppenidentität ausbildete – am ausgeprägtesten wohl in Preußen.

Die gesellschaftliche Dynamik der Sattelzeit ließ überkommene Vergangenheitsbezüge fragwürdig oder in zunehmendem Maße anachronistisch erscheinen. Angesichts der politischen Umwälzungen mussten auch neue Traditionen in Gestalt neuer Eigengeschichten konstruiert werden, in denen militärische Erinnerungskulturen eine bedeutende Rolle spielten. Dies betraf freilich nicht nur militärische Einheiten oder Organisationen, die sich im Rahmen einer verstärkten Professionalisierung auch zunehmend ihrer eigenen Traditionen und Vergangenheitsbezüge versicherten. Auch die Geschichtskonstruktionen übergreifender Kollektive, namentlich des zunehmend dominierenden Kollektivs der Nation, nahmen in ihre identitätsstiftenden Geschichtskonstruktionen bevorzugt prägende militärische Ereignisse oder spezifisch militärische Traditionsbildungen auf. „Militärische Erinnerungskulturen“ bezeichnen deshalb sowohl die Konstruktion von Eigenidentitäten des Militärs als spezifischer Gruppierung als auch den Stellenwert militärischer Vergangenheitsbezüge für einen allgemeinen Umgang der jeweiligen Gesellschaften mit Geschichte.

Das Thema „militärische Erinnerungskulturen“ schlägt einen Bogen vom Spätmittelalter bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Zugleich steht die Tagung des Arbeitskreises „Militär und Gesellschaft“ in der Kontinuität der vorherigen Tagungen, die jeweils spezifisch militärgeschichtliche Fragestellungen in den Kontext allgemeiner sozial- oder kulturgeschichtlichen Entwicklungen und Tendenzen der Geschichtswissenschaften gestellt haben. Angeknüpft wird an aktuelle kulturgeschichtliche Diskussionen um Gedächtnis und Identität, wie sie im Gießener SFB „Erinnerungskulturen“ vorangetrieben worden sind. In diesen Kontext gehören schließlich auch Repräsentationen frühneuzeitlicher Militärgeschichte und Traditionsbildung, wie sie gegenwärtig in Museums- und Ausstellungskonzeptionen zu Krieg und Militär in der frühen Neuzeit eine vor wenigen Jahren noch unvermutete Konjunktur erfahren.

Programm

Donnerstag, 10. 9. 2009

14.00–14.30
Eröffnung – Ute Planert, Horst Carl, Ralf Pröve

14.30 – 16.15 Uhr
Sektion I: Schlachtengedenken (Jörg Rogge)

Malte Prietzel (Berlin), Krieg als ritterliche Pflicht. Adlige Erinnerung an Feldzüge und Schlachten im Spätmittelalter
Oliver Landolt (Schwyz), Eidgenössisches „Heldenzeitalter“ zwischen Morgarten 1315 und Marignano 1515? Militärische Erinnerungskultur in der alten Eidgenossenschaft und im modernen Bundesstaat Schweiz
Sascha Möbius (Magdeburg), Die Schlacht von Bornhöved (1227) in der lübeckischen Erinnerungskultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit

16.45 – 18.30 Uhr
Sektion II: Schlachtengedenken, intermedial (Horst Carl)

Harriet Rudolph (Trier), Lepanto – die Ordnung der Schlacht und die Ordnung der Erinnerung
Thomas Weißbrich (Berlin), Gleitende Übergänge: Vom Medienereignis zur Erinnerungskultur: Die Schlacht von Höchstädt
Marian Füssel (Göttingen), Auf der Suche nach der Erinnerung. Zur Intermedialität des Schlachtengedenkens an den Siebenjährigen Krieg im 18. und 19. Jahrhundert

20.00 – Abendessen

Freitag, 11. 9. 2009

9.00 - 10.45 Sektion III: Schlachtengedenken intermedial II (Holger Thomas Gräf)

Klaus Graf (Aachen), „Nicht-schriftliche Medien des Schlachtengedenkens in Mitteleuropa in der Vormoderne“
Sabine Jagodzinski (Leipzig), Andenken an die Türkenkriege – Schlachtenmemoria des polnischen Adels im 17. und 18. Jahrhundert
Antje Kempe, Bilderkriege (Berlin/Wroclaw). Grabmäler als Repräsentationsmedien der militärischen Elite der Barockzeit in Schlesien

11.15 – 13.00 Sektion IV: Innermilitärische Erinnerungskulturen – Das Beispiel Preußen (Ralf Pröve)

Frank Zielsdorf (Gießen/Weimar), Militärische Sozialisation und militärische Gruppenidentität: Zur Erinnerungskultur der altpreußischen Regimenter
Carmen Winkel (Potsdam), Kriegserinnerungen preußischer Offiziere im Spiegel ihrer Bittschriften
Angela Strauß (Potsdam), Erinnern an den vergangenen, Beten für den gegenwärtigen Krieg – Kriegserinnerungen preußischer Militärgeistlicher

15.30 – 17.30: Sektion V: Militärische Erinnerungskulturen in der Praxis – Frühneuzeitliche Militärgeschichte im Museum (Winfried Speitkamp)

Hans-Ulrich Thamer (Münster), Frühneuzeitliche Militärgeschichte ausstellen: Der konzeptionelle Ort vormoderner Militärgeschichte im Deutschen militärgeschichtlichen Museum Dresden
Daniel Hohrath (Berlin), Die Sachen der Soldaten: Militärische Gebrauchsgegenstände und ihre historischen Bedeutungsgehalte zwischen praktischen und symbolischen Funktionalitäten

Carsten Lind (Gießen), Wie frühneuzeitliche Militärgeschichte im Kontext ausstellen? Die Konzeption eines Giessener Garnisonsmuseums

Samstag. 12. 9. 2009

Sektion VI:
9.00 – 10.45: Die napoleonischen Kriege als Zäsur in deutschen und europäischen Erinnerungskulturen I (Karen Hagemann)

Ruth Leiserowitz (Berlin):
Emigranten und Legionäre: Polnische und russische Legionäre aus der Zeit der Revolutions- und Napoleonischen Kriege in der Literatur des 19. Jahrhunderts (bis 1850)

Maria Schultz (Berlin):
"Für Gott, König und Vaterland? Die Darstellung von Kriegsfreiwilligen der napoleonischen Zeit in der deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts"

Leighton James (Swansea):
Kriegsgefangene: Kriegserfahrungen und -erinnerungen deutscher und österreichischer Offiziere in der Zeit der Napoleonischen Kriege im Vergleich

Sektion VII
11.15-12.45 Die napoleonischen Kriege als Zäsur in deutschen und europäischen Erinnerungskulturen II (Ute Planert)

Armin Owzar (Münster), Befreiung oder Besetzung. Die Einnahme Kassels im Oktober 1813 in den militärischen Erinnerungskulturen Deutschlands, Frankreichs und Russlands
Wencke Meteling (Marburg), „Der Ruhm verpflichtet!“ Regimenter als Agenten kriegerisch-vaterländischer Traditionsstiftung in Preußen (erste Hälfte 19. Jahrhundert)
Christian Koller (Bangor), „Fremdherrschaft“ und „Befreiung“ als nationale Sinnstiftung. Semantiken und Narrative der Memoria an die napoleonische Zeit in Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

12.45 – 13.00

Fazit und Abschluss der Tagung (Horst Carl/Ute Planert)

Kontakt

militaerische-erinnerungskultur@geschichte.uni-giessen.de

http://www.uni-giessen.de/cms/fbz/fb04/institute/geschichte/fruehe_neuzeit/aktuell http://www.amg-fnz.de/events/tagungen.htm
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Deutsch
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