Tagung in Wittenberg, 9.12. Juli 2001
"Vom Umgang mit (juedischen) Biographien. Beitraege zur juedischen
Gelehrtengeschichte"
Tagungsort: Stiftung LEUCOREA, Collegienstr. 62, 06886 Lutherstadt
Wittenberg
Veranstalter:
Prof. Dr. Giuseppe Veltri, Seminar fuer Juedische Studien (Halle) und
Leopold-Zunz-Zentrum zur Erforschung des europaeischen Judentums (Wittenberg)
Reinhard Markner, M. A., Interdisziplinaeres Zentrum zur Erforschung der
europaeischen Aufklaerung (Halle)
Information: Tel.: 0345-5524064, Fax: 0345-5527200,
E-Mail: <office@LZZ.uni-halle.de>.
TAGUNGSINHALT
Die Tagung dient als Pilotveranstaltung einer Projektgruppe, die sich der
juedischen Gelehrtengeschichte widmen will. Ziel ist die Abfassung einer
Reihe von Monographien zu diesem Komplex. Mit der Zusammenkunft ist beabsichtigt,
ueber den Stand der Forschung zu berichten und Theorie und Praxis der
Lebensbeschreibungen sowie gaengige Methoden in Frage zu stellen und neue
Ansaetze zur Erforschung und Beschreibung wichtiger Persoenlichkeiten zu
entwickeln.
Juengst wurde die israelische Schriftstellerin Michal Govrin in der FAZ mit
der Aussage zitiert, dass in ihrem Land das Genre der Biographie so
gut wie nicht existiere. Auf die Situation im deutschen Sprachraum
bezogen laesst sich festhalten, dass in der Regel nur solche juedischen
Persoenlichkeiten eine biographische Wuerdigung erfahren, deren Leistung
meist in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit ihrem Judentum steht. Dies
gilt nicht nur fuer Naturwissenschaftler wie zum Beispiel Einstein, sondern
auch fuer Philosophen, Philologen und Historiker. Kenntnisse ueber die juedische
Geistesgeschichte im engeren Sinne sind weiterhin wenig verbreitet.
Die literarische Komposition ist nicht nur in der Autobiographie entscheidend,
sondern ebenso fuer die Biographie. Im Unterschied zum Autobiographen, der
weiss, wo er die Bedeutung, die Wendepunkte und Hauptakzente im eigenen Leben
sehen moechte, muss der Biograph diese fuer seinen Gegenstand,
den zu Portraitierenden, erst aufsuchen. In diesem Zusammenhang stellt sich
die Frage, wie sinnvoll die Gattung der umfassenden, chronologisch erzaehlten
Biographie von der Wiege bis zum Grab fuer diese Aufgabe tatsaechlich
ist. Die Initiatoren des Gelehrtenbiographien-Projekts sind der Ueberzeugung,
dass die besondere Bedeutung einer Person auf besonders praegnante Weise
zu vermitteln und einzuordnen ist, wenn eine bestimmte Episode im Leben des
Portraitierten als Spiegel benutzt wird, um retrospektiv und prospektiv das
ganze Leben und Wirken in den Blick zu bekommen. Das Ungenuegen an der
gegenwaertigen biographischen Kultur wurde vor kurzem von Simon Jarvis im
Times Literary Supplement formuliert: One could wish that there were
fewer biographies and more partial lives published. The partial life, unable
to allow the false naturalness of biology and chronology to do the work of
establishing a form, is better able to begin from a drastically precise set
of questions and interests.
Die Teilnehmer dieser Tagung werden sich daher mit folgenden Fragen
beschaeftigen: Wie ist die Quellensituation, welche Schwierigkeiten ergeben
sich bei der Darstellung? Inwiefern sticht das Schicksal des Portraitierten
aus seiner Zeit heraus, oder steht es beispielhaft fuer viele? Ist das Denken
des Betreffenden Ueberhaupt nur aus seinen persoenlichen und aus den
Zeitumstaenden zu verstehen? Besonders aber: Welche Episoden aus der Biographie
erschienen als besonders geeignet, die geistige Entwicklung und Eigenart
des Gelehrten darzustellen? Die Zusammenkunft soll durch gemeinsam erarbeitete
Antworten auf diese Fragen zu einer Verfeinerung biographischer
Forschungsmethoden beitragen.
Die Tagung beginnt mit einem historisch-theoretischen Teil, in dem Reinhard
Markner sich das Thema Charakteristik oder Biographie stellt.
Ausgehend von den antiken Urtexten der Biographistik wird er das spannungsvolle
Verhaeltnis zwischen umfassend angelegten Lebensbeschreibungen einerseits
und auf die Herausarbeitung bezeichnender Charaktereigenschaften des
Portraitierten abzielenden Darstellungen andererseits untersuchen. Giuseppe
Veltri wird ueber Leopold Zunz als einem der Begruender der modernen juedischen
Biographien berichten. Christoph Schulte eroertert den Umschlag von den Toledot
Gedolej Jisrael (fruehe Rabbinerbiographien) zur modernen Biographie der
Haskalah (juedische Aufklaerung) und vergleicht insbesondere Isaak Euchels
Mendelssohn-Biographie mit Sabattia Wolffs Maimoniana. Die anderen Teilnehmers
widmen sich dem Problem der juedischen Biographie anhand konkreter
Einzelschicksale. Von ihnen wird eine Antwort aus verschieden Fachgebieten
auf die Frage erwartet, wie konkrete Einzelschicksale biographisch erfasst
werden koennen.
VORLAEUFIGES TAGUNGSPROGRAMM:
(Stand: Januar 2001)
(1) Leopold Zunzs Rashi-Biographie und die Geschichte der juedischen
Biographistik
(Prof. Dr. Giuseppe Veltri, HalleWittenberg)
(2) Charakteristik oder Biographie? (Reinhard Markner, HalleWittenberg)
Der Umschlag von den Toldot Gedolej Jisrael zur modernen Biographie
der Haskalah: Isaak Euchels Mendelssohn-Biographie und Sabattia Wolffs
Maimoniana im Vergleich (PD Dr. Christoph Schulte, Potsdam)
(3) Johanan Alemanno. Eine neue literarische Gattung in der juedischen
Literatur: die Autobiographie (Dr. Fabrizio Lelli, Florenz)
(4) Hermann Cohen (Dr. Hartwig Wiedebach, Potsdam)
(5) Rabbiner Nechemija Zwi Nobel (Rachel Heuberger, Frankfurt a. M.)
(6) Hannah Arendt (Dr. Annette Vowinckel, Berlin)
(7) Baruch Spinoza (Prof. Dr. Manfred Walther, Hannover)
(8) Leo Baeck (Dr. Christian Wiese, Erfurt)
(9) Manuel Joël (Dr. Dieter Adelmann, Bonn)
(10) Samuel Holdheim (Prof. Dr. Andreas Gotzmann, Erfurt)
(11) Gershom Scholem (Dr. Andreas Kilcher, Muenster)
(12) Maimonides (Prof. Dr. Friedrich Niewoehner, Wolfenbuettel)
(13) David Zwi Hoffmann (Dr. Hanna Liss, Heidelberg)
(14) Moses Mendelssohn (Dr. Daniel Krochmalnik, Heidelberg)
(15) Jacob Bernays (Prof. Dr. Anthony Grafton, Princeton)
(16) Jacques Derrida (Prof. Dr. Werner Stegmaier, Greifswald)
(17) Salomon Maimon (Hanno Birken-Bertsch, Berlin)
(18) Moritz Lazarus (Uffa Jensen, Berlin)
Vortrag ausser der Reihe in Halle: Moorish Style: Orientalism und and
the Jewis of Europe and North America in the Nineteenth Century (Prof.
Dr. Ivan Kalmar, Toronto)
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