Call for Papers

Zwoelftes Polizeigeschichtliches Kolloquium

5. bis 7. Juli 2001, Erfurt

Veranstaltet von der Arbeitsstelle Historische Anthropologie des MPI fuer Geschichte an der Universitaet Erfurt, in Kooperation mit dem Interdisziplinaeren Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS)

Leitung: Prof. Dr. Alf Luedtke (/Erfurt/Goettingen), Dr. Herbert Reinke (Wuppertal/Koeln)


Das Thema weist in verschiedene Richtungen - diese Vielfalt soll untersucht werden. Einzelne Aspekte sind ebenso wie ihre Wechselwirkungen und Zusammenhaenge zu behandeln.

1.)In ,,westlichen" Gesellschaften gilt Polizei als Ausdruck des rechtlich ,,eingehegten" Gewaltmonopols des Staates. Diese Gewaltsamkeit wird in parlamentarisch-demokratischen (und marktwirtschaftlich-kapitalistischen) Gesellschaften weithin akzeptiert, sie gilt als legitime Staatsgewalt. Uebergriffe - deren Grenzen ebenso offen wie umstritten sind - loesen freilich Proteste, mitunter Widerstaende, aber auch "Gegengewalt" aus. Was markiert das "Ueber" - "ueber" das die Polizei hinausgreift? Welches waren und sind die historisch wie aktuell unterschiedlichen bzw. umstrittenen Formen legitimer Polizei- und damit Staatsgewalt? Konkret: Wer definiert die Grenzen der Legitimitaet polizeilicher Gewaltausuebung? Wer kontrolliert die Praxis vor wie waehrend der Gewalttat - wer untersucht und sanktioniert (gegebenenfalls) polizeiliche Gewalt, zumal wenn es ein "Uebergriff" war?

2.)In welcher Weise praegen Vorstellungen von und Erfahrung mit polizeilicher Gewalt die Imaginationen von Staatlichkeit bei den Buergern, bei den "Polizierten"? Welche Rolle z.B. hatte der "behaebige" Schutzmann, wie ihn Heinrich Zille immer wieder gezeichnet hat, fuer das Aufrechterhalten und auch das Neuformieren von Staat als Staatsgewalt in den mehrfachen Systemwechseln seit der Mitte des 19. Jahrhunderts?

3.)Die Art und Weise, in der sich Polizei als Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols praesentiert und verhaelt, reflektiert immer auch
gesamtgesellschaftliche Vorstellungen von Staatlichkeit (und deren Wandel). In West- und Mitteleuropa ist seit den 1970er/80er Jahren aus den Reihen der Polizei selbst eine Ruecknahme ihrer Rolle als Repraesentant und Akteur bzw. Inhaberin des staatlichen Gewaltmonopols zu beobachten. Ist damit der Staat der "harten Hand" an sein Ende gekommen? Inwieweit ist damit paralleles Aufruesten von Sondereinheiten, sind damit aber aber auch die Formen der Polizierung oeffentlicher Aktionen und Demonstrationen vereinbar?


4.)Polizeiliche Gewaltausuebung zeigt sich in ihren legitimen wie illegitimen Formen ueberwiegend als "maennliche" Gewalt. Obwohl die Zahl von Frauen in den deutschen, aber auch bzw. zum Teil noch staerker in den Polizeien anderer Laender in den letzten ca. 10 Jahren stetig gewachsen ist, ist die "cop culture" weiterhin maennlich bestimmt. Dazu gehoeren insbesondere spezifische Formen des Exponierens von Koerper und von koerperlicher Gewalt. Diese Maennlichkeits-Muster erfassen oder praegen auch die "andere Seite", bis zu deren "Gegengewalt". Hier zeigen sich offenbar aehnliche Formen, vom "Blaukoller" junger Maenner gegenueber blau uniformierten Polizisten in der Zeit von 1914, bis zu den Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Fussballanhaengern bzw. Rowdies oder Hooligans in den letzten Jahren.

5.)Polizei und Gewalt umfasst nicht nur punktuelle koerperliche Eingriffe und womoeglich Verletzungen - auch die massive oetungsgewalt einzelner Polizisten und vor allem von Polizeiformationen im Zweiten Weltkrieg ist hier wichtig; sie zeigt das Spektrum der Moeglichkeiten. Insbesondere an der Ermordung von Maennern und Frauen, von Alten, Jungen und (Klein-) Kindern,
die von den Nationalsozialisten als Juden markiert wurden, waren Polizeiformationen nachdruecklich beteiligt. Hat polizeiliches Training und polizeiliches Umfeld diesen Taetern bzw. "ordinary men" das Mitmachen bei massenhaften Toetungsaktionen erleichtert?

6.)Jene polizeiliche Gewalt, die kritisiert oder auch applaudiert wird, ist oeffentlich sichtbar. Welche Formen polizeilicher Gewaltausuebung sind aber zu erkennen, die unsichtbar sind, oder die der Sichtbarkeit moeglichst entzogen bleiben - gibt es hier Konjunkturen und Verschiebungen (z. B. die nachdrueckliche Zivilisierung seit den 80er Jahren, andererseits aber die
Aufruestung der Sondereinheiten und womoeglich verdeckte Gewalt bis hin zu Folter)? Welches sind die Konjunkturen und Schwellen?

7.)Polizei als alltaeglich sichtbarer Ausdruck von Staatsgewalt, zugleich Polizei als Akteur und Definitionsmacht im gesellschaftlichen Handlungsfeld ist das eine. Diese polizeiliche Aktivitaet richtet sich in den Rechtfertigungen wie auch in tatsaechlicher Praxis gegen die Gewalt Anderer, als Prophylaxe wie als direktes Einschreiten. Fuer die Durchsetzung und Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols ist dies sogar der zentrale Rechtfertigungstitel: Unterdrueckung und Verhinderung der Gewalt anderer macht "das Amt" der Polizei aus. Welches sind die Gewaltformen, auf die Polizei reagiert, die sie zu verhindern bzw. zu unterdruecken sucht - die sie aber womoeglich auch ignoriert oder zulaesst?


InteressentInnen sind herzlich eingeladen, ueber die hier skizzierten Fragestellungen hinaus weitere Aspekte des Themas vorzuschlagen und in das Kolloquium einzubringen.


(Der Beginn des Kolloquiums ist fuer den Donnerstagnachmittag (5.7.2001) vorgesehen; wie in den vorausgegangenen Jahren auch wird die Tagung am Samstagmittag (7.7.2001) schliessen.

(Anfragen, Anmeldungen bzw. Vorschlaege fuer Referatsbeitraege sind zu richten an: Alf Luedtke (Alf.Luedtke@uni-erfurt.de) und/oder an Herbert Reinke (reinke@uni-wuppertal.de).



Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Alf Luedtke" <Luedtke@mpi-g.gwdg.de>
Subject: CfP: "Polizei und Gewalt", Erfurt, 5.-7.6.2001
Date: 21.3.2001




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