Kunstgeschichtliches Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas , Leipzig
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Seit der letzten großen politischen Wende 1989/90 erleben die Geschichts- und Sozialwissenschaften eine Phase der Selbstreflexion, die sich auf ihre theoretische Ausrüstung, ihren historischen Werdegang sowie auf ihre historischen Bedingtheiten und auf verschiedene Formen ihrer Instrumentalisierung richtet. Diese Reflexion rückt sämtliche unter dem Vorzeichen des nationalen Gedankens und des Nationalismus stehenden Geisteswissenschaften der letzten zwei Jahrhunderte ins Blickfeld des Interesses.
Im Unterschied zu anderen Disziplinen, insbesondere der Geschichtswissenschaft, hat die kunsthistorische Forschung Ostmitteleuropas keinen systematischen, die ganze Region übergreifenden Versuch unternommen, die Tradition der eigenen Forschung zu erfassen und einer ideologiekritischen und wissenschaftlichen Revision zu unterziehen. Mit dem Tagungsprojekt soll ein Schritt in diese Richtung gemacht werden.
Hauptthema der Debatte soll die Rolle der Kunsthistoriographie im Prozeß der Identitätsbildung der ostmitteleuropäischen Völker, Nationalitäten, Nationen und Staaten im 19. und 20. Jahrhundert sein. Die Kunstgeschichtsschreibung zur Geschichtsregion Ostmitteleuropa, deren Kern die böhmischen, polnischen und ungarischen Herrschaftsgebiete jeweils in ihren historischen Grenzen und ethnischen Zusammensetzungen bilden, wurde durch die unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen geprägt. Für diese Region bedeuten der Erste Weltkrieg, der zweite Weltkrieg und das Jahr 1989/90 schärfste Zäsuren zwischen der Zugehörigkeit in politisch differierende Organisationssysteme wie der Einordnung in Großreiche und der Nationalstaatlichkeit.
Die in der Kunstgeschichtsschreibung gebildeten Konzepte nationaler Kunstauffassungen und ihre entwicklungsgeschichtlichen Modelle sollen ebenso wie deren Bezüge zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen und der außerhalb der Wissenschaft geführten politischideologischen Diskurse erörtert werden. Beachtenswert sind dabei die vielfältigen Möglichkeiten der Funktionalisierung des nationalen Paradigmas durch die Wissenschaft, als Begründungslegitimation für das Fach, als Faktor im übergreifenden Prozeß der Nationenbildung, also Nährboden für die politische Instrumentalisierung des Faches. Eine besondere Herausforderung liegt in der Erkenntnis diverser "internationaler" Konfliktfronten und -Linien in einzelnen historischen Entwicklungsphasen der Kunthistoriographie Ostmitteleuropas. Ein eigener Themenbereich sind dabei die Perspektiven deutscher Kunstgeschichtsschreibung auf Ostmitteleuropa, die unter dem Stichwort Ostforschung zusammengefaßt werden können. Ebenso wäre die Frage nach den Gemeinsamkeiten ostmitteleuropäischer Kunsthistoriographien zu stellen, die sich aus der Zugehörigkeit zu gemeinsamer, politisch, sozial und ökonomisch wirksamen Organisationssystemen ergaben. Schließlich wären neue Forschungsansätze nach 1989/90 und Ziele der aktuellen Ostmitteleuropaforschung zu diskutieren.
WIR BITTEN UM REFERATVORSCHLÄGE MÖGLICHST
bis 20. Oktober 2000:
Humboldt-Universität zu Berlin Kunstgeschichtliches Seminar Herrn
Prof. Dr. Adam Labuda Unter den Linden 6 10099 Berlin Fax: 049 30 2093 4209
e-mail: barbara.lueck@rz.hu-berlin.de
oder:
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas,
Leipzig
Dr. Alena Janatková, Luppenstraße 1 B, 04177 Leipzig, Fax:
049/341/9735569
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