Call for Papers

fuer die geplante interdisziplinaere Arbeitstagung in der Werner-Reimers-Stiftung, Bad Homburg im Fruehjahr 2001

"Bestien" und "Befehlsempfaenger"

NS-Prozesse und ihre oeffentliche Resonanz aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive (im Vergleich zur Vergangenheitspolitik anderer postdiktatorischer Gesellschaften)

organisiert von: Dr. Ulrike Weckel, TU Berlin und PD Dr. Edgar Wolfrum, FU Berlin

In den NS-Prozessen standen in Deutschland wie im Ausland vor allem Maenner und nur wenige Frauen vor Gericht. Die Verbrechen von bisher unbekanntem Ausmass, die nach 1945 abgeurteilt wurden, waren schliesslich mehrheitlich von Maennern begangen worden: Vorbereitung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen, Verbrechen "gegen die Menschlichkeit", buerokratisch verwalteter und industriell betriebener Massenmord. Die Zugehoerigkeit zum maennlichen Geschlecht war eine zentrale Bedingung der Moeglichkeit gewesen, hatte ueber die Position der Angeklagten in einer Funktionselite des "Dritten Reiches" entschieden. Trotzdem sind etwa die Nuernberger Hauptkriegsverbrecher-Prozesse, der Eichmann-Prozess in Jerusalem oder der Auschwitz-Prozess 1963-65 in Frankfurt am Main bislang kaum einmal aus geschlechter- bzw. maennergeschichtlicher Perspektive analysiert worden. Fuer die Verfahren, in denen (auch) Frauen - ueberwiegend KZ-Aufseherinnen - angeklagt waren, scheint sich dies dagegen aufzudraengen, fanden diese doch regelmaessig gesteigerte Aufmerksamkeit bei Publikum und Medien - womoeglich nicht zuletzt, um das Bild vom Exzess maennlicher Gewalt waehrend Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg zu relativieren: An den Tagen, als im Bergen-Belsen-Prozess in Lueneburg 1945 gegen Irma Greese verhandelt wurde, standen Menschen Schlange, um einen Platz im Gerichtssal zu finden. Der Fall der beruechtigten und allseits gehassten Kommandanten-Ehefrau Ilse Koch schien der jungen Bundesrepublik geeignet, der Weltoeffentlichkeit eigenen Suehnewillen zu demonstrieren. Ihr Verfahren wurde 1950/51 vor einem deutschen Gericht noch einmal aufgerollt, nachdem die amerikanische Besatzungsmacht das Strafmass angesichts der unsicheren Beweislage nachtraeglich reduziert hatte. Die DDR-Presse stilisierte die mutmassliche KZ-Aufseherin Erna Dorn zur faschistischen Raedelsfuehrerin des Aufstands vom 17. Juni 1953. Sie wurde zum Tode verurteilt, und Stephan Hermlin setzte ihr 1954 in einer Novelle mit dem Titel "Die Kommandeuse" ein fragwuerdiges literarisches Denkmal. Hildegard Laechert ist spaetestens seit Eberhard Fechners Dokumentarfilm ueber den Majdanek-Prozess den Zuschauerinnen und Zuschauern als "Blutige Brigyda" im Gedaechtnis geblieben. Die historische Frauenforschung hat sich zwar in den letzten Jahren verstaerkt mit der Frage beschaeftigt, wie solche Frauen zu Taeterinnen wurden. Eine systematische Untersuchung ihres Auftretens vor Gericht, ihrer Behandlung durch die Juristen und der Resonanz der Oeffentlichkeit steht jedoch noch aus. Vor allem aber fehlt es an vergleichenden geschlechtergeschichtlichen Arbeiten, zu denen die geplante Tagung einen Anstoss liefern moechte.

In der Kriminalitaetsforschung hat es sich als fruchtbar erwiesen, danach zu fragen, inwiefern die jeweilige Geschlechtszugehoerigkeit der Angeklagten in die Definition eines Delikts oder eines Straftatbestands eingeht. Beeinflusst die Tatsache, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelt, Ermittlungen, Verhoere und Protokolle? Folgt das Gericht in seiner Rechtsprechung explizit oder zumindest implizit und womoeglich unreflektiert einem doppelten Massstab? Übertragen auf die NS-Prozesse lassen sich moegliche leitende Fragestellungen folgendermassen praezisieren: Was wird Maennern und was wird Frauen zur Last gelegt? Inwieweit beruhen Anklagen, Aussagen von Zeuginnen und Zeugen, Schilderungen der Angeklagten in den Medien sowie literarische Taeter- und Taeterinnenbilder auf Geschlechterstereotypen? Warum loest es regelmaessig besonderes Entsetzen aus, wenn Frauen Kapitalverbrechen begehen? Wie kommt es, dass in solchen Faellen immer wieder der langlebige Topos bemueht wird, wonach Frauen, wenn sie denn erst einmal die fuer ihr Geschlecht verbindlichen Regeln der Sittlichkeit und Gewaltfreiheit ueberschreiten, mit besonders sadistischer Grausamkeit zu Werke gehen? Welchen Zwecken dient die bei weiblichen Angeklagten uebliche Kommentierung ihres Aussehens? Offenbar liegen fuer Frauen gleich diverse traditionelle Schreckbilder bereit - die Hexe, die Bestie oder Hyaene, die Kokotte oder Femme Fatale, die hemmungslos Ehrgeizige, die den naiven Mann zu Schandtaten anstachelt, etc. Hat von Maennern ausgeuebte Grausamkeit die Phantasie weniger befluegelt oder gibt es analoge, bislang von der Forschung lediglich weniger beachtete Stereotypen maennlicher Taeter: den eiskalten, akademisch geschulten Sadisten und Machtmenschen etwa, den dumpfen Totschlaeger, den wortgewaltigen Demagogen und Massenverfuehrer mit suggestiven Faehigkeiten? Auch die Verteidigungsstratgien der Angeklagten sollten auf Geschlechterbilder hin befragt werden: Warum hielten es so viele Maenner fuer erfolgversprechend, sich als blosse Befehlsempfaenger, Buerokraten und "Raedchen im Getriebe" darzustellen? Immerhin laeuft eine solche Selbstdarstellungen gaengigen Maennlichkeitsidealen zuwider. Lassen sich aequivalente Selbststilisierungen bei weiblichen Angeklagten und ihren Verteidigern finden? Und wenn ja, entwickelten sie vor Gericht oder in der Presse Überzeugungskraft?

Auf der Arbeitstagung soll erprobt werden, inwieweit solche Fragen die Forschungen zu justitieller Aufarbeitung, Vergangenheitspolitik sowie literarischen und filmischen Bearbeitungen der NS-Zeit bereichern koennen. Wir wollen dabei verschiedene Disziplinen zusammenfuehren und erhoffen uns Beitraege nicht nur aus Sicht der Geschichts- und Politikwissenschaft, sondern auch der Rechts-, Literatur- und Kunstwissenschaft sowie Philosophie. Im Mittelpunkt sollen die NS-Prozesse in Deutschland nach 1945 stehen. Nach Moeglichkeit wollen wir jedoch einen international vergleichenden Blickwinkel in die Thematik einfuehren und in einer Sektion nach kulturellen Unterschieden, aber auch nach Gemeinsamkeiten fragen. Zu denken waere etwa an den japanischen Umgang mit den Verbrechen des Zweiten Weltkrieges oder auch an das Konzept der suedafrikanischen Wahrheitskommission.

Bei entsprechender Resonanz soll die Arbeitstagung im Fruehjahr 2001 in der Werner-Reimers-Stiftung in Bad Homburg stattfinden. Wir moechten daher Wisschenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedene Fachgebieten, die Interesse an der Teilnahme an einer solchen Tagung haben, bitten, sich mit konkreten Themenvorschlaegen (1/2-1 Seite) sowie einem kurzen CV bis zum 15. August 2000 bei uns zu melden.

Dr. Ulrike Weckel,
Zentrum fuer Interdisziplinaere Frauen- und Geschlechterforschung, TU Berlin, TEL 20-1, Ernst-Reuter-Platz 7, D- 10587 Berlin, Tel. +49+30/314-26975 (Sekr.- 74), Fax: 314-26988, weckel@kgw.tu-berlin.de

PD Dr. Edgar Wolfrum,
Otto-Suhr-Institut fuer Politikwissenschaft,
FU Berlin, Ihnestr. 21, D- 14195 Berlin,
Edgar.Wolfrum@t-online.de


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Ulrike Weckel <weckel@kgw.tu-berlin.de>
Subject: Call for papers
Date: 29.06.2000


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