CALL FOR PAPERS

Von der Barmherzigkeit zur Versicherung - Armenfuersorge im Wandel vom Spaetmittelalter zur Fruehen Neuzeit.

Kolloquium der Schweizerischen Gesellschaft fuer Wirtschafts- und Sozialgeschichte (SGWSG)
18. Mai 2001, Bern, Unitobler.

Im Spaetmittelalter ist ein Wandel in der Wahrnehmung der Randstaendigen, der Armut und des Bettels unverkennbar. Soziooekonomische Entwicklungen einerseits, aber auch innerkirchlicher Streit um Bettelorden und Beginen veraenderten den theologischen Diskurs ueber Arbeit, arbeitslose Existenz und Armut. Angesichts als krisenhaft empfundener oekonomischer Probleme uebertrugen breitere Kreise diesen Diskurs und die damit verbundene Deutung der Realitaet in den politischen Alltag. Dieser Vorgang ist insbesondere fuer Frankreich, Italien und das Reich schon in einigen Aspekten erforscht worden. Dabei wurde auch die Frage aufgeworfen, in welchem Verhaeltnis diese neue Wahrnehmung zu quantitativen und qualitativen Veraenderungen der Beduerftigkeit selbst stehen. In der neueren Literatur sind die aelteren Deutungen als Teil umfassenderer historischer Prozesse fragwuerdig geworden. Insbesondere sind Erklaerungen im Rahmen der Modernisierungstheorie unter starken Beschuss gekommen. Die Deutung der spaetmittelalterlichen und fruehneuzeitlichen Armenfuersorge unter dem Paradigma der Sozialregulierung bzw. der Sozialdisziplinierung (Gerhard Oestreich) hat dabei besonders viele und heftige Kritiker gefunden. Die Ambivalenz normativer und faktischer Komponenten des Begriffs, mangelnde Praezision der zeitlichen Struktur des Prozesses, ungeklärtes Verhältnis von Teilprozessen zum Vergesellschaftungsprozess insgesamt, Tendenz zur Verdinglichung von «Disziplinierung», tendenzielle Staatsueberschätzung und einseitige Deutung des historischen Disziplinbegriffs wurden bemängelt (Martin Dinges). Ein Perspektivenwechsel wurde vorgeschlagen: Selbsthilfe als lebensweltliche Strategie und philanthropischer Charakter eines grossen Teils der Armenfuersorge seien in den Mittelpunkt zu stellen. Die These, die Betroffenen hätten obrigkeitliche Armenfuersorge nach ihren Kalkuelen geschickt genutzt, koennte allerdings auch Sozialromantik foerdern. Wenn der langfristige Wandel seit dem Spätmittelalter eher in der Logik der Entwicklung zur Obrigkeit ueber Untertanen und der Ausbildung fruehmoderner Staatlichkeit lag, dann erscheint das in einzelnen Aspekten freilich zu revidierende Disziplinierungsparadigma wohl weiter von heuristischem Wert. Auch die Krisenthese, nach der die breite Verunsicherung aufgrund krisenhafter Entwicklungen in vielen Bereichen im Spätmittelalter zu zunehmender Kontrolle und Repression gegenueber allen Randständigen gefuehrt habe (Frantisek Graus), rechnet mit Disziplinierung, wenngleich aber eben gerade nicht nur von oben. Daneben lebt die alte, schon seit dem 19. Jahrhundert zunächst konfessionspolemisch umstrittene These eines grundlegenden Wandels der Fuersorge durch die Reformation in veränderter Form weiter. Da neuere Untersuchungen bei der Fuersorge zwischen reformierten und katholisch gebliebenen Städten und Ländern keine grundlegenden Unterschiede feststellen konnten, wurde eine gleichartige Entwicklung aufgrund konfessioneller Konkurrenz postuliert: die Konfessionalisierungsthese, die indessen gleichfalls den Begriff der Disziplinierung verwendet. Fuer das Gebiet der Schweiz ist der Wandel der Wahrnehmung der Armut und der Fuersorge in dieser Uebergangszeit noch kaum in dieser neuen Sicht problematisiert worden, obwohl hier auf kleinem Raum konfessionelle und sprachregionale Unterschiede zu untersuchen wären. Zu thematisieren wären insbesondere:

1. Der Wandel des Diskurses ueber die Armut und seine Ursachen. Literarisch-theologische Tradition und die Frage des Realitätsbezugs. 2. Die Realität der Armut: Schwankungen der Anzahl und Differenzierung der Armen. Gab es einen spätmittelalterlichen Pauperismus? Ist die städtische Armut zugewandert oder einheimisch? Professionalisierung des Bettels. 3. Kommunalisierung der kirchlichen Armenfuersorge und ihre Folgen. 4. Wandel der institutionellen Fuersorge (Funktionswandel von Spitälern, Leprosorien; Schaffung neuer Institutionen). 5. Philanthropische Fuersorge und Selbsthilfe. 6. Wandel der Fuersorge durch die Reformation?

Die Akten des Kolloquiums werden im Jahresband der Gesellschaft publiziert. Die druckfertigen Texte sind bis spätestens 30. Juni 2000 einzureichen.

Forscherinnen und Forscher, die an der Tagung einen Vortrag im Rahmen dieser Thematik halten moechten, sind gebeten, eine Skizze (ca. eine Seite) bis zum 30. November 2000 an die untenstehende Adresse zu senden. Die Akten des Kolloquiums werden im Jahresband der Gesellschaft publiziert. Die druckfertigen Texte sind bis spätestens 30. Juni 2001 einzureichen.

Hans-Joerg Gilomen
Historisches Seminar der Universität Zuerich
Karl-Schmid-Str. 4
CH-8006 Zuerich
Tel. 01/634 38 66 - 58
FAX 01/634 49 13
E-mail: gilomen@hist.unizh.ch


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Yvonne Leimgruber <yvonne.leimgruber@hist.unibe.ch>
Subject: CFP: "Von der Barmherzigkeit zur Versicherung ..." (Bern 18.5.2001)
Date: 15.05.2000


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