Widerstandsrecht und Gemeiner Mann im deutsch-britischen Vergleich, 1480-1669

(Tagung am Zentrum für interdisziplinäre Forschung, Bielefeld, 9.-11.9, 1999)

Programm

Tagungsbericht

Einleitung und Problemstellung

Es ist sicherlich erstaunlich, wie weit sich die Assoziationen mit dem Begriff des Widerstandes in der Öffentlichkeit und in der wissenschaftlichen Diskussion auseinanderentwickelt haben. Dolf Sternbergers Kritik an der mißbräuchlichen Verwendung des Wortes Widerstand, am "unzeitigen Widerstand" der Protestierenden von 1968, sein Diktum, im Nationalsozialismus habe es einen Tyrannen, aber keinen Widerstand gegeben, heute übe zwar jeder Widerstand, es gebe aber keinen Tyrannen, beantwortete Arthur Kaufmann seinerzeit mit seinem an antiken Vorbildern geschulten Entwurf des mündigen Bürgers, für den Widerstand Teil seines Lebens und der Artikulation seiner bürgerlichen Rechte und seiner bürgerlichen Tugend ist, eine Haltung im Alltag, die inzwischen als Geste der Selbststilisierung unterschiedlicher Interessengruppen geradezu ubiquitär geworden ist. Umgekehrt läßt sich angesichts des Standes der Forschung fragen, was eigentlich Widerstandsrecht sei - der Begriff hat sich in der Forschung zwar als Sammelbegriff etabliert, er bezeichnet aber so unterschiedliche Dinge wie Herrscher-verlassung und -ab-set-zung, ständi-sche Ver-trags-garantie zugunsten Drit-ter, unter-schiedliche Herleitun-gen von Not-wehrrecht und Recht der Gegenwehr und Aspekte der Ausübung der Majestätsrechte durch stän-dische Gruppierungen. Angesichts dieser grundsätzlichen Unschärfe muß das Problem, sich ihm für einen Zeitraum von rund 150 Jahren und dann auch noch in ganz unterschiedlichen Gemeinwesen widmen zu wollen, kaum lösbar zu erscheinen. Gleichwohl läßt sich am Verhältnis von historisch-kritischer Analyse und Traditionsstiftung im Medium des Begriffs rekapitulieren, warum sich in der Historiographie bestimmte Fragen und auf sie bestimmte Antworten ergaben zum Problem des Widerstandsrechts ergaben und zugleich umreißen, was heute als Forschungsstand und als Ausgangspunkt der Tagung erscheint. Das gilt umsomehr, als, von einer Reihe einschlägiger Spezialveröffentlichungen abgesehen, seit der Veröffentlichung von Arthur Kaufmanns Sammelband zum Problem im Jahre 1972 kein vergleichbarer Überblick erschienen ist.

Zwei Feststellungen stehen am Beginn, die sich beide aus dem Vergleich zu diesem von Arthur Kaufmann herausgegebenen Sammelband beziehen. Auf dieser Tagung stehen die vermeintlichen oder tatsächlichen Väter grundlegender religiöser Systeme und aus ihnen tatsächlich oder vermeintlich folgender Haltungen zu Obrigkeit und Widerstand - Luther, Calvin - wenigstens nicht im Mittelpunkt, bzw. werden durch Frau Schorn-Schütte und Herrn Wolfgang Sommer durch Beiträge vertreten, aus denen die ganze Spannweite sich beispielsweise auf Luther beziehender Argumentationen deutlich wird. Diese Entwicklung weg von der Konzentration auf in sich konsistente und dann verschiedene Kontexte formende Denksysteme zur stärkeren Kontextualisierung von Argumentationsstrategien steht zur Seite die anhaltende Problematisierung der vielleicht zentralsten Kategorie der Beschäftigung mit Widerstandsrecht seit Friedrich Murhards Buch "Über Widerstand und Zwangsübung gegen die bestehende Staatsgewalt" in Braunschweig aus dem Jahre 1832, der Kategorie des monarchischen Anstaltsstaates als Ausdruck eines abstrakten Prinzips von Herrschaft zur Durchsetzung zunehmend zentralisierter Befehlsgewalt, welches sich gerade im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts gegen alternative gesellschaftliche Organisationsprinzipien - beispielsweise das der Genossenschaft, durchgesetzt habe, und zwar ganz besonders in Deutschland und im Gegensatz zu England oder Schottland. Obwohl diese Sicht der Dinge im Umfeld der These vom "Kommunalismus" noch einmal aufgenommen wurde, kann sie wohl als überholt gelten. Die Forschung griff dabei auf die Begriffe "Staat" und "Herrschaft" zurück, soweit sie durch die Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts entwickelt worden waren, vor allem durch Georg Beseler und seinen Schüler Otto Gierke. Beide hatten versucht, mit der Dichotomie von Herrschaft und Genossenschaft die Auseinandersetzungen zwischen selbstverwalteter und selbstorganisierter Bürgergesellschaft, besonders im Rahmen der städtischen Selbstverwaltung, einerseits, und monarchischem Anstaltsstaat andererseits auf den Begriff zu bringen und mit historischer Tiefenschärfe zu versehen. Gierkes Entgegensetzung genossenschaftlicher und herrschaftlicher Strukturprinzipien in der deutschen Geschichte wurde von späteren Autoren aufgenommen, aber einseitig zugunsten der Annahme einer völligen Durchsetzung des monarchischen Prinzips während der frühen Neuzeit entschieden. Diese Entwicklung gipfelte in dem 1916 erschienenen "Staatsrecht und Naturrecht" von Kurt Wolzendorff. Widerstandsrecht wurde hier zum Ausdruck des "dualistischen Ständestaates" mit seiner auf Stände und Fürsten verteilten und zwischen beiden umkämpften Handhabung der Souveränitätsrechte. Während jedoch für Wolzendorf der monarchische rechtsstaatliche Konstitutionalismus des deutschen Kaiserreiches Widerstandsrecht unnötig machte, suchte der liberale Historiker Hans Baron vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Weimarer Republik dem totalitären Machtstaat widerstandsrechtliche Traditionen entgegenzuhalten. Die deutsche Geschichte der 30er und 40er Jahre warf dann einen langen Schatten auf die Geschichte des Widerstandsrechts. Wertungen wie die von 1974, daß die "Konsolidierung des protestantischen Obrigkeitsstaates nach den Religionskriegen des 17. Jahrhunderts hinsichtlich der gemeineuropäischen Lehre von Tyrannis und Widerstandsrecht...einen einzigartigen Traditionsbruch" verursacht habe, als dessen Folge "Deutschland unter den Nationen Westeuropas [zum] Land ohne Revolution" geworden sei, welches die "parlamentarische Demokratie" nurmehr als "gnädiges Schicksal" von den atlantischen Siegern habe empfangen können , stehen dabei für die Nachwirkung dieser Zeit auf die Forschung als auch für die Bedeutung der zentralen Kategorie des monarchischen Anstaltsstaates, aus dessen Integrität als historische Größe sich Sinn und Bedeutungsgehalt des Sammelbegriffs Widerstandsrecht erst ergab. Noch die Aufforderung von Gustav Heinemann an die Historiker, sich auf die Suche nach den demokratischen Wurzeln auch in der deutschen Geschichte zu begeben, eine Aufforderung, in deren Gefolge das Bild vom passiven Untertanen vom Rhein bis zur Oder, von Peter Blickles Kommunalismus bis hin zu Jan Peters' Resistenz in Gutsgebieten, völlig auf den Kopf gestellt wurde und Widerstand in der Vergangenheit zur ebenso ubiquitär verwendeten Kategorie wurde wie in unserer eigenen Gegenwart, ruhte nicht zuletzt auf der Perhorreszierung von Herrschaft als abstraktem Gegenbegriff zu tatsächlichen oder vermeintlichen Gegenentwürfen wenn nicht einer herrschaftsfreien Gesellschaft, so doch zum sich durchsetzenden monarchischen Anstaltsstaat.

Eine ganze Reihe von Entwicklungen haben dazu beigetragen, diese Konstruktion wenn nicht zu ersetzen, so doch in ihrer Dominanz als interpretatorischer Leitfaden zu relativieren. Die Wissenschaftsgeschichte hat sich in einer ganzen Reihe von Veröffentlichungen der Genese der Dichotomie von Herrschaft und Genossenschaft im Verlauf des 19. Jahrhunderts gewidmet, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Aber bereits 1982 konstatierte Manfred Hilger, daß Otto v. Gierke, indem er "so verschiedenartige historische Gegebenheiten wie...die Obrigkeit der frühen Neuzeit und den modernen, als Anstalt begriffenen Staat auf eine abstrakte 'Idee von Herrschaft' bezog", [den Weg freigab] für die nivellierende Deutung und unterschiedslose Diskriminierung grundverschiedener Erscheinungen als Herrschaft". Bereits seit dem Ende des Weltkrieges ist zweitens eine bis heute nicht völlig abgeschlossene Revision des Troeltschen Lutherbildes und eine damit zusammenhängende Neubewertung der lutherischen Orthodoxie des späteren 16. und 17. Jahrhunderts im Gange. Und schließlich, drittens, ist im Gefolge der jüngeren Forschung unsere Gewißeit über den Territorialabsolutismus im Reich, gerade auch im Hinblick auf das landesherrliche Kirchenregiment in den protestantischen Territorien, im Vergleich zu England und Schottland nicht zuletzt durch die Forschungen von Ronald Asch, Heinz Duchhardt und Georg Schmidt weitgehend erschüttert worden. Als Ergebnis dieser Forschungen verschob sich der Schwerpunkt der Untersuchungen zum Widerstandsrecht. An die Stelle der Rekonstruktion eines Systems von religiösen Ordnungs- und Verfassungsprinzipien trat die Untersuchung von Argumentationszusammenhängen und Topoi unter dem Druck verfassungs-, ereignis- und kirchengeschichtlicher Veränderungen und Konflikte.

Wir stehen also vor dem Problem einer Umbewertung zentraler Paradigmen, die selbst noch nicht völlig abgeschlossen ist, und gerade angesichts dieses Problems scheint eine Rückkehr von der Beschäftigung mit "Widerstand" im allgemeinen zur Beschäftigung mit "Widerstandsrecht" im besonderen angeraten. Folgende sechs Ausgangsüberlegungen lassen sich als Arbeitsgrundlage festhalten, ohne die Ergebnisse der Tagung vorwegzunehmen.

1. Die societas civilis als Herrschaftsordnung trat erst seit dem 18. Jahrhundert in bürgerliche Privatrechtsgesellschaft und öffentliche Staatsantalt auseinander, an die Stelle der Regierungsformenlehren der frühen Neuzeit trat erst dann der Streit um Verfassungsprinzipien, die konfessionellen Heilstheologien der christlichen Kirchen wurden zu Ethikreligionen umgeformt, Staat und Kirche traten auseinander, die Forderung nach verfassungsrechtlich verbürgten Rechten freier und gleicher Staatsbürger brach sich Bahn. Winfried Schulze hat in seinem Aufsatz zu "Zwingli" und dem lutherischen Widerstandsrecht von der grundsätzlichen Wertschätzung des Amts der Obrigkeit gesprochen. Diese Formulierung ist vielleicht sogar zu schwach gewählt. Angesichts der Verdorbenheit des gefallenen Menschen und der ganz konkreten Folgen eines Zerfalls obrigkeitlicher Autorität, wie im Verlauf der Bürgerkriege in den Niederlanden und Frankreich, der Untaten, die Nachbarn einander anzutun bereit waren, kam der Integrität obrigkeitlich geregelter Ordnung im Verlauf des 16. Jahrhunderts möglicherweise in den Augen aller Beteiligten, auch und gerade der Untertanen, ein sogar noch steigender Wert zu. Einerseits ist der Begriff des Anstaltsstaates für die Zeit vor dem Beginn der Aufklärung womöglich mit großer Vorsicht zu behandeln, jedenfalls dürfen nicht Annahmen über die Trennung von Staat und Gesellschaft, und daher auch nicht über eine vermeintliche Bevormundung des Staates über die Gesellschaft, die in der Aufklärung und im 19. Jahrhundert dem monarchischen Staat entgegengehalten worden sein mögen, auf die Zeit vor der Aufklärung zurückprojeziert werden. Das hat unmittelbare Folgen für die Beschäftigung mit dem Problem des Widerstandsrechts. Freiheiten der privaten Lebensgestaltung, für die im Rahmen des Problems "Widerstandsrecht" des späten 18. und 19. Jahrhunderts im Rahmen der Ausdifferenzierung einer dem Staat gegenübertretenden Privatrechtsgesellschaft gestritten wurde, zählten zu eben jenen Aspekten der Lebensgestaltung eines guten Lebens, für deren Normierung durch die Obrigkeit sich Widerstandsrecht einsetzte.

2. Wie läßt sich der Begriff dann aber fassen, wenn die Rechtswissenschaft des späten 18. und 19. Jahrhunderts nur unter Vorbehalt heranzuziehen ist? In dem unter dem Sammelbegriff Widerstandsrecht subsumierten Rechtsregeln und Überlegungen der beginnenden Neuzeit spiegelten sich die Spannung zwischen Norm und Verfahren in theoretischer Reflexion und tätiger Praxis. In der Verbindung antiker und mittelalterlicher Traditionen ging es um die Verteidigung allgemeinverbindlicher Normen, in erster Linie des christlichen Glaubens, denen alle zu dienen hatten, denen angesichts der Schlechtigkeit der Menschen aber nicht alle wirklich dienten. Weil das so war, bedurften diese Normen in der Praxis wie im reflektierenden Verständnis der Zeitgenossen der Verfahren zur Organisation guter Ordnung - dazu gehörten das Instrument der Obrigkeit und die Verfahren, wie Erbfolge, Wahl, gegebenenfalls auch Sieg im Krieg, durch die Obrigkeit eingesetzt werden mochte. Durch Menschen mißbrauchte Verfahren freilich, durch welche die Normen, zu deren Durchsetzung sie eigentlich eingesetzt worden war, vermeintlich verletzt wurden, war keine Unterordnung zu leisten. Um jedoch die Ordnung unter den menschlichen Sündern dieser Welt nicht zu gefährden, war auch solche Nichtbefolgung in Verfahren zu kleiden. Aus der immer reflektierteren Diskussion der Zeitgenossen zu diesem Problem ergab sich im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts ein Argumentationsgebäude, das den Zeitgenossen als Richtschnur für Verweigerung von Gehorsam oder, je nach Umstand, zur Anwendung rechtmäßiger Gewaltanwendung gegen ihre eigene, auch und gerade die verfahrensmäßig rechtmäßig eingesetzte, Obrigkeit diente, von dem aber nur, soweit ich sehe, einzelne Bestandteile tatsächlich auch als "Widerstandsrecht" bezeichnet wurden. Im hier interessierenden Zeitraum wog Widerstandsrecht ab zwischen der Verteidigung überpositiver Normen und der Gefährdung menschlicher Ordnung durch eben diese Verteidigung. Denn für das Widerstandsrecht zu Beginn der Neuzeit gab es immer zwei Tyrannen - den durch Verfahren eingesetzten Herrscher, der Unrecht statt Recht in die Wege leitete und dem daher Widerstand entgegenzusetzen war, und das aufbegehrende Volk, das sich um seiner Begierden willen der notwendigen Ordnung aller menschlichen Verhältnisse entzog, und dem kein Freibrief zur Auflehnung gegeben werden durfte, wohl aber ein Verfahren zur Verhinderung von Unrecht - eben ein Widerstandsrecht. In Verfahren und Recht gegossene Gewaltsamkeit sollten so wieder zum Schild für die Normen menschlichen Lebens werden, die gegen die Menschen und ihre Leidenschaften, ob Untertan oder Fürst, zu verteidigen waren. Widerstandsrecht spiegelte daher nicht das Aufeinanderprallen konkurrierender Machtansprüche, sondern das Abwägen zwischen der Bedrohung guter Ordnung durch den Tyrannen über uns und den Tyrannen in uns. Widerstand und Widerstandsrecht entstanden aus der Erfahrung des Aufeinanderpralls divergierender Auslegungen und Geltungsansprüche der gleichwohl von allen für verbindlich gehaltenen Normen, so des christlichen Glaubens und seiner seit der Reformation in Bekenntnissen gefaßten Deutung, und der Verfahren, die in den überwiegend monarchischen Gemeinwesen des mittelalterlichen Europa in die Neuzeit hinüberreichten und Ordnung im Gemeinwesen gewährleisten sollten, sei es die monarchische Erbfolge oder die ständische Repräsention des Volkes.

3. Die Glaubensspaltung und das Durchschlagen der Diskussionen zwischen den gelehrten Theologen bis auf die gesamte Bevölkerung, wenn man so will, die "Popularisierung" der Glaubensspaltung und ihre Folgen bis in die Gestaltung des Gottesdienstes in die letzte Gemeinde im Verlauf des 16. Jahrhunderts hinein, führte nicht nur dazu, daß in einer geradezu atemberaubenden Weise weltlicher Herrschaft die Legitimation entzogen werden konnte und wurde, sondern daß zugleich der Bedarf am ordnender Herrschaft ungemein stieg. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation, also zur Organisation komplementärer Herrschaft, von ständischen, städtischen und ländlichen Korporationen jenseits der Auseinandersetzungen im Hochadel über die Geschicke eines ganzen Landes wurden massiv durch das Aufeinanderprallenden sich gegenseitig ausschließender Wahrheitsansprüche der entstehenden Bekenntnisgemeinschaften vor Ort kompromittiert. Die Absetzung Wenzels durch die Kurfürsten 1400 oder die Erklärung Heinrich Tudors 1485, Richard III. sei ein Tyrann und könne daher durch ihn, Heinrich, den rechtmäßigen Anwärter auf den Thron, auch rechtmäßig bekämpft werden, mußten weder Herrschaftsgefüge noch Miteinander in Stadt und Land berühren. Bis zu den erfolgreichen Attentaten auf Wilhelm von Oranien 1584, Heinrich III. 1589 und Heinrich IV. 1610 war aber offenbar geworden, daß die Behauptung, gegen einen bestimmten Fürsten oder einzelne seiner Maßnahmen sei Widerstand möglich oder die Person des Fürsten müsse sogar bekämpft werden, ein ganzes Gemeinwesen ins Chaos reißen konnte. Die Folgen der Glaubensspaltung hatten den Argumenten des Widerstandsrechts, auch wo ihre Ursprünge vor der Glaubensspaltung lagen, eine ungeahnte Brisanz verliehen, weil sie Herrschaftsordnungen zu konterkarieren drohten, während zugleich der Befarf nach ordnender Herrschaft stieg.

4. Weder das Reich noch England oder Schottland erfuhren bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen in dem Umfang wie Frankreich und Holland oder vergleichbare erfolgreiche Attentate. Roger Mason und Glenn Burgess erörtern in ihren Beiträgen das Verhältnis von Monarchie und Widerstandsrecht in beiden Königreichen. Ein Grund, ganz bewußt die britische Insel und das Reich in den Blick zu nehmen, ist neben der "Meßlatte" Englands und Schottlands als vermeintlich freiheitlicheren Entwicklungen, daß zum einen Aufrufe zum Königsmord ausblieben, zum anderen ständische Gliederungen ihre Rolle als Auffangordnung nie völlig verloren.

5. Das erscheint auch deswegen als wichtiger Punkt, weil angesichts der Unausweichlichkeit einer normativ gestützten Herrschaftsordnung und ihrer Infragestellung durch die Glaubensspaltung nicht zuletzt die Möglichkeit der Regionalisierung des Konflikts und der Einziehung subsidiärer Ordnungen einen Weg aus dem Problemen bot. Was das im Einzelnen heißen mochte, ist freilich umstritten. Während Eike Wolgast den Augsburger Religionsfrieden 1555 als Trockenlegung der widerstandsrechtlichen Diskussion im Reich bezeichnet hat, hat Winfried Schulze auf den Fortgang der Diskussion auch nach 1555 hingewiesen, und wir wissen inzwischen, daß namhafte französische Calvinisten wie Hubert Languet sich in den späten 1560er und in den 1570er Jahren in den Wetterauer Grafschaften aufhielten und Zeuge der Formulierung von Thesen und Theorien wurden, die dort im Umkreis von Wilhelm von Oraniens Zug in die Niederlande für mindermächtige Reichsstände gestrickt wurden. Gleichwohl - einzelnen Untertanen sprach selbst das von Johannes Althusius entwickelte Widerstandsrecht gerade kein Recht auf die aktive Bekämpfung ihrer Magistrate zu. Vermeidung von Widerstand so weit irgend möglich war vielleicht, gerade angesichts der wirren Zeitläufte, ein Ziel jeder Argumentation, die sich selbst als politisch reflektiert verstand.

6. Die Bedrohung durch Herrn Omnes, durch das vielköpfige Ungeheuer des außer Rand und Band geratenen Volkes - das Band als Band der Ordnung ist hier wohl ganz wörtlich zu verstehen - wirkte aber womöglich nicht allein als Fessel der Argumentation, sondern auch als Anschub zur Kreation neuer Gemeinschaften, die dann ihrerseits als geordnete dem ungeordneten Gemeinwesen, dessen Magistrate gefehlt hatten, entgegengesetzt werden konnten. Im 16. und bis in das frühe 17. Jahrhundert entstanden Bünde unter den Menschen und mit Gott, Vaterländer, Neudeutungen der gegebenen Ordnung, die ermöglichen sollten, in ihrer jeweils neuen Deutung von Ordnung weiterhin rechtmäßig und innerhalb einer Ordnung zu handeln, auch wenn die Gegner dieser Argumente behaupteten, hier werde schlicht Recht gebrochen und schließlich alles in Unordnung gestürzt.

Geht man nämlich die drei bekanntesten dieser Gegner, William Barclay und sein De Regno von 1600, Henning Anrisaeus und sein "De Autoritate Principum" und schließlich Peter Garz Puritanischen Regimentsspiegel von 1650 durch, ist es bezeichnend, daß dort in erster Linie auf die vermeintliche Aufforderung zum Königsmord eingegangen wird - ohne das das in der Regel schlüssig nachgewiesen werden kann - nicht aber auf die Versuche, geordnete und rechtmäßige Herrschaft an dem betroffenen Magistrat vorbei zu organisieren, um ihn gegebenenfalls zu entfernen, ohne dadurch in jenes Chaos zu geraten, daß die antimonarchomachische Reaktion voraussagte und gegen das sie, angeführt von Jakob VI. von Schottland vor allem ein Heilmittel sah - die möglichst unangefochtene Monarchie.

7. Damit ist zugleich auch wieder der Ausgangspunkt dieser einleitenden Überlegungen erreicht. Vor rund einem Vierteljahrhundert, als Arthur Kaufmann seinen Band zum Widerstandsrecht edierte, begann die Destruierung der Vorstellung vom frühmodernen Fürstenstaat als zentralisiertem und alles überwältigenden Anstaltsstaat des 19. Jahrhunderts avant la lettre. Der Absolutismus als Ausdruck für eine Epoche unumschränkter Fürstenherrschaft ist inzwischen mindestens für das 16. und 17. Jahrhundert umstritten, mit Hinblick auf das Reich ebenso wie im Hinblick auf die britischen Inseln. Ein wesentliches Movens in dieser Entwicklung, nämlich die Aufweisung von Widerstand, von nicht auf den Ruf des Fürsten allein reagierender Ordnung, hat, so scheint es, zwar einen wichtigen Dienst erfüllt, in dem die Suche nach Widerstand diesen aber zugleich zur ubiquitären Größe geraten ließ, ihren analytische Kraft ein Stück weit verloren, ohne daß verlorengegangene Gewißheiten damit wieder gesichert wären. Die Relativierung der Bedeutung "absoluter" Fürstenherrschaft in der frühen Neuzeit darf nicht dazu führen, die normative und faktische Bedeutung und Effektivität von Herrschaftsordnungen überhaupt zu übersehen, die sich im Verlauf der frühen Neuzeit ausbildeten, in welchem Verhältnis zur monarchischen Spitze auch immer. Die Aufnahme der Erforschung von Widerstandsrecht gerade unter der Perspektive der Bewahrung von Ordnung und Gemeinwesen konnte auch dazu dienen, die Neuschöpfung oder Wieder-in-Dienststellung von Ordnungen und ihre Veränderung, mit Hilfe derer die Probleme des konfessionellen Zeitalters gelöst werden sollten, voranzutreiben. Widerstandsrecht sollte auch und gerade helfen, durch neues Überdenken der Grundlagen des Gemeinwesens Wege aus der zeitgenössischen Problematik der Glaubensspaltung zu weisen, die oben erörtert wurde. Widerstandsrecht stand insofern an der Spitze des zeitgenössischen Nachdenkens über die Einrichtung und Verteidigung guter Ordnung, und das heißt zugleich, guter Herrschaftsordnung, auch wenn der Platz und die Rolle von Fürst, Ständen und Gemeinem Mann dabei jeweils neu bestimmt werden konnte.

Programm

Widerstandsrecht und gemeiner Mann im deutsch-britischen Vergleich, 1530-1669
"Accounts of Resistance Theory and the Threat of the Common Man:
An Anglo German Comparison, 1530-1660"
9. – 11. September 1999

Wissenschaftliche Leitung: Robert Friedeburg (Bielefeld)

Geändertes Programm
Updated program

Donnerstag, 9. September:

Anreise

19.00

Begrüßung der Tagungsteilnehmer und Empfang durch den Rektor der Universität im ZiF

Freitag, 10. September:

Sektion I
Einungen, Gemeiner Mann und Widerstandsrecht

Diskussionsleitung: Winfried Schulze

8.30 –9.30 Antony Black

The Idea of the Common People and their Participation in Politics: Comparisons with the World of Islam

9.30 – 10.30 Horst Carl Landfriedensbund und Gegenwehr (Schwäbischer Bund) (Arbeitstitel)
10.30 – 11.00 Kaffeepause
11.00 - 12.00 Gabriele Haug-Moritz Schmalkaldischer Bund und Gewaltanwendung im Reich (Arbeitstitel)
12.00 – 13.00 Günther Lottes Einungen und Widerstandsrecht in England und im Reich
(Arbeitstitel)
13.00 – 15.00 Mittagspause

Sektion II
Reformation, Widerstandsrecht und Gemeiner Mann im 16. Jahrhundert

Diskussionsleitung: Martin Brecht
15.00 – 16.00 Christian Peters

Das Widerstandsrecht als Problem reformatorischer Theologie. Stimmen lutherischer Theologen aus dem Umfeld des Bauernkrieges

16.00 – 17.00 Hans-Dieter Metzger Martin Bucer und Kets Rebellion, 1549
17.00 – 17. 30 Kaffeepause
17.30 – 18.30 Luise Schorn-Schütte

Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht. Die politica christiana als Legitimitätsgrundlage

18.30 – 19.30 Abendessen im ZiF
ab 20.00 Get-Together in der Apfelstraße

Samstag, 11. September:

Sektion III
Politische Sprachen und Argumentationsweisen im Konfliktfall:
Vom Ende des 16. bis zum ersten Drittel des 17. Jahrhunderts

Diskussionsleitung: Günther Lottes.

8.30 – 9.30 Roger Mason George Buchanan on Popular Resistance
9.30 – 10.00 Kaffeepause
10.00 – 11.00 Wolfgang Sommer

Obrigkeitskritik und die politische Funktion der Frömmigkeit im deutschen Luthertum des konfessionellen Zeitalters. Eine Problemskizze

11.00 – 12.00 Glenn Burgess

Avoiding Resistance: The Absence and Troubled Reappearance of 'Resistance Theory' in England
c. 1590-1649

12.00 – 13.00 Mittagspause

Sektion IV
Krieg und Widerstandsrecht im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts

Diskussionsleitung: Barbara Stollberg-Rilinger

13.00 – 14.00 Georg Schmidt

"Absolutes Dominat" oder "deutsche Freiheit".
Der Kampf um die Reichsverfassung zwischen Prager und Westfälischem Frieden.

14.00 – 15.00 Robert Friedeburg Landespatriotismus und Notwehr: Rezeptionen und Konzeptionen bei Althusius, Arnisaeus, Steuart und Eliot
15.00 – 15.30 Kaffeepause
15.30 – 16.00 Conal Condren 'My intention is not to instruct the learned.'
Lawson's Politica as Casuistry for the Common Man


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Robert.Friedeburg@Geschichte.Uni-Bielefeld.DE
Subject: Widerstandsrecht und Gemeiner Mann
Date: 16.9.1999

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