.hist2003: Vom Nutzen und Nachteil der Neuen Medien für die Historie

.hist2003: Vom Nutzen und Nachteil der Neuen Medien für die Historie

Organisatoren
Kooperationsverbund Clio-online
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.04.2003 - 11.04.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Peter Haber, Historisches Seminar, Universität Basel

I

Wieso eigentlich sollen sich Historiker mit Neuen Medien und dem Internet befassen? Mit dieser Frage waren wir konfrontiert, als wir im Frühjahr 2001 in Basel eine internationale Tagung mit dem Titel „Raumlose Orte – geschichtslose Zeit. Internet, Archiv und Geschichtswissenschaften. Standortbestimmungen und Ausblick“ organisierten.

Heute, nur zwei Jahre später, stellt sich diese Frage niemand mehr. Internetnutzung ist Teil des geschichtswissenschaftlichen Alltags geworden, sei es bei der Literaturrecherche, als Distributionsinstrument eigener Forschungsergebnisse, oder sei es als Unterstützung in der universitären Lehre.

Dies schien auch der Grundkonsens der .hist03-Tagung in Berlin gewesen zu sein. Die Befürchtung, die Uwe Jochum vor zwei Jahren in Basel noch formuliert hatte, „Das Ende der Geschichte im Internet“ 1 stehe uns nämlich bevor, scheint wiederlegt zu sein. Mit profundem technischen Sachverstand, aber auch viel Pragmatismus und Enthusiasmus ist seither im deutschen Sprachraum eine Reihe von spannenden, innovativen, aber auch frechen und gewagten Projekten lanciert worden. Die Berliner Tagung bot ihnen eine willkommene Gelegenheit, sich einem interessierten und kundigen Publikum zu präsentieren.

II

Das größte und wichtigste Projekt, das in den zwei vergangenen Jahren das Licht der Welt erblickt hat, stammt von den Organisatoren der Tagung: Clio-online. Clio-online ist – den Erfordernissen föderaler Geldverteilungspolitik entsprechend – ein „Verbundprojekt“. Es zeigt paradigmatisch die Möglichkeiten des Internet für die kulturwissenschaftliche Nutzung auf. Einerseits ist Clio-online eine mächtige Plattform für Recherche, Distribution und Selbstdarstellung im Feld der Geschichtswissenschaften. Andererseits widerspiegelt Clio-online auch das gegenwärtig konzeptionell Denkbare und technische Machbare im Bereich der historischen Informationsvermittlung. Projektmitarbeiter Thomas Meyer veranschaulichte in einem Workshop, wie intensiv die Geschichtswissenschaften sich in Zukunft mit technischen und bibliothekarischen Fragen werden auseinander setzen müssen.

Die Komplexität von Informationsvermittlung und von Information retrieval ist in den letzten Jahren in allen wissenschaftlichen Disziplinen enorm gestiegen. In den Kulturwissenschaften ist das Thema allerdings nicht reflektiert worden und auch die Informationswissenschaft hat sich bisher kaum der Besonderheiten des kultur- und geschichtswissenschaftlichen Wissensraumes angenommen. Die Stärke von Clio-online ist es, dass in diesem Projekt die Bibliotheken nicht nur Content-Lieferanten sind, sondern dass sie konzeptionell in das Gesamtsystem integriert wurden – ohne aber Clio-online zu einem reinen bibliothekarischen Projekt werden zu lassen.

III

Auch im Bereich der netz-gestützten Lehre hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Die anfängliche Skepsis, ob der traditionelle Präsenzunterricht sich durch eLearning substituieren lasse, ist geblieben. Gestiegen ist aber die Bereitschaft, Mischformen und neue Ansätze der historischen Wissensvermittlung zu erproben. Ein gutes Beispiel stellt pastperfect.at aus Wien dar. Es bietet eine interdisziplinäre Annäherung an die Geschichte Europas zwischen 1492 und 1558 und ist das Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit von Historikern, Mediengestaltern und Technikern. Entstanden ist eine virtuelle Zeitreise in die Welt der Renaissance – ein Hypertext mit über 600 Texten und einer beispielhaften Visualisierung komplexer historischer Zusammenhänge. pastperfect.at bewegt sich bewußt am Rande des akademischen Feldes, denn zum Zielpublikum gehören auch Schüler und interessierte Laien.

Ganz anders das Zürcher Projekt Adfontes. Es soll Studienanfängern den Einstieg in die Arbeit mit handschriftlichen Quellen erleichtern. Mit zahlreichen interaktiven Übungen lassen sich paläographische Grundfertigkeiten erlernen und verfeinern. In mehreren Selbstlernmodulen können angehende Archivbenutzer sich auf ihren ersten realen Archivbesuch vorbereiten. Adfontes setzt die technischen Möglicheiten des Web auf witzige und kreative Weise ein, klammert indes die Frage aus, wie sich ein solches Online-Tutorium sinnvoll in den Präsenzunterricht integrieren läßt.

Ein drittes interessantes eLearning-Projekt stammt ebenfalls aus Wien und nennt sich „Geschichte online“. Es setzt eine ganze Palette von hilfswissenschaftlichen und didaktischen Fragen in netzgerechte Module um. Die ersten Prototypen, die in Berlin vorgestellt wurden, weisen einen Weg auf, der sich in Zukunft im Bereich der virtuellen Lehre immer mehr durchsetzen dürfte: die Möglichkeit, den Präsenzunterricht gezielt mit einzelnen virtuellen Modulen zu ergänzen und zu vertiefen.

IV

Die umfassendsten Ressourcen und die raffiniertesten Lernmodule nützen nichts, wenn weder Studierende noch Dozierende über die notwendigen Kompetenzen verfügen, diese Angebote sinnvoll einzusetzen. Auch wenn das Thema Medienkompetenz im Tagungsprogramm so nicht vorgesehen war, tauchte es in den einzelnen Diskussionen immer wieder auf. Die zunehmende mediale Vielfalt in Lehre und Forschung erfordert von den Hochschulen neue Konzepte zur Vermittlung von Medienkompetenz. Die Zeiten, als es reichte, Erstsemestrige durch Bibliothek und Archiv zu führen und ihnen die zentralen Arbeitsinstrumente zu zeigen, sind vorbei. Die Dynamik eines globalisierten Informationsmarktes und immer kürzer werdende Innovationszyklen im Bereich der Datenspeicherung und Archivierung verlangen nach neuen Schwerpunkten in der Ausbildung des Historikernachwuchses. Die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz muß integraler Teil der universitären Lehre werden. Jedes Fach hat dabei andere Bedürfnisse und andere Spezifika, die berücksichtigt werden müssen. Gerade in den Geschichtswissenschaften mit einem disparaten und stark alltagssprachlichem Textbestand ist die Gefahr, dem Google-Effekt zu erliegen, sehr groß. Die Tatsache, dass man nämlich mit Google immer irgend etwas findet, hat dazu geführt, dass die Notwendigkeit von Fachportalen sowohl potentiellen Nutzern als auch potentiellen Geldgebern sehr schwierig zu kommunizieren ist. Dies kam auch in den Diskussionen am Rander der Tagung immer wieder zur Sprache. Die „Ent-Googelung“ der wissenschaftlichen Internet-Nutzung ist aber ein langwieriger Prozeß und wird Geld kosten. Die Vermittlung von Medienkompetenz wird heute an vielen Universitäten an zentrale Dienste wie etwas die Rechenzentren delegiert. Das ist gerade für die kulturwissenschaftlichen Fächer der falsche Weg, wie auch entsprechende Studien gezeigt haben 2.

V

Die Tagung in Berlin war ein Spiegel der laufenden Diskussionen um Einsatz und Bedeutung Neuer Medien in den Geschichtswissenschaften. Der Fokus war dabei auf den deutschen Sprachraum ausgerichtet. Was fast vollständig gefehlt hat, war die Möglichkeit des internationalen Vergleichs. Wie sieht die Situation aus im angelsächsischen Raum, in Skandinavien, in den romanischen Ländern oder in Osteuropa? Die Geschichtswissenschaft war in den letzten Jahren einem starken Internationalisierungsschub ausgesetzt. Methodische Diskussionen können heute auch in Deutschland nicht mehr ohne Blick nach Princeton, Cambridge oder Paris geführt werden. Die Existenz einer internationalen Scientific Community ist – wenn auch nicht überall gerne gesehen – auch in den Geschichtswissenschaften zur Realität geworden. Der internationale Austausch wäre gerade zum Thema Neue Medien von großer Wichtigkeit. An mehreren ausländischen Universitäten wurden in den letzten Jahren Kompetenzzentren aufgebaut wie etwas das Center for History and New Media an der George Mason University in Fairfax, das Institute for Advanced Technology in the Humanities an der University of Virginia oder das Centre for Humanities Information Technologies in Bergen 3. Die Tagung .hist03 wäre ein geeignetes Forum gewesen, über den Tellerrand des deutschen Sprachraumes hinauszublicken und von Erfahrungen in anderen Kulturräumen zu profitieren.

Der Austausch zwischen den drei deutschsprachigen Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz scheint immerhin zu funktionieren. Es bleibt zu hoffen, dass die beiden ersten Tagungen in Basel 2001 und in Berlin 2003 spätestens im Jahre 2005 eine entsprechende Fortsetzung finden werden – zum Beispiel in Wien.

Anmerkungen
1 Jochum, Uwe: Das Ende der Geschichte im Internet, in: Haber, Peter et al. (Hrsg.): Geschichte und Internet. „Raumlose Orte - Geschichtslose Zeit“, Zürich 2002 (= Geschichte und Informatik; 12), S. 11-21.

2 Klatt, Rüdiger et al.: Nutzung elektronischer wissenschaftlicher Information in der Hochschulausbildung. Barrieren und Potenziale der innovativen Mediennutzung im Lernalltag der Hochschulen. Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Endbericht, Dortmund 2001 <http://www.stefi.de/download/bericht2.pdf>.
3 <http://chnm.gmu.edu/about/about. html>
<http://www.iath.virginia.edu/index.html>
<http://www.hit.uib.no/english>.

Kontakt

Informationen zum Autor:

Peter Haber ist Historiker und Lehrbeauftragter für Neue Medien in den Geschichtswissenschaften am Historischen Seminar der Universität Basel. Im Netz ist er unter http://hist.net/haber zu finden.


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