Historische, kulturwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven auf die Globalisierung

Historische, kulturwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven auf die Globalisierung

Organisatoren
Geistes- und Sozialwissenschaftliches Zentrum im Zentrum für Höhere Studien der Universität Leipzig; Promotionsstudienganges "Regionalisierung und Transnationalisierung vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart"
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.09.2002 - 28.09.2002
Url der Konferenzwebsite
Von
Torsten Bathmann, Berlin

Sommerschule: "Historische, kulturwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven auf die Globalisierung"

„Globalisierung ist nicht, Globalisierung will gesucht und gewonnen sein.“ (nach Paul Celan, 1960)

Dieser Slogan schien für nahezu eine ganze Woche der Sommerschule „Historische, kulturwissenschaftliche und wirtschaftswissenschaftliche Perspektiven auf die Globalisierung“ am Zentrum für Höhere Studien der Universität Leipzig zugrunde gelegen zu haben, die im Rahmen des dortigen Promotionsstudiengangs „Transnationalisierung und Regionalisierung vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ vom 23. bis 28. September in Leipzig stattfand. Nachdem der Begriff der „Globalisierung“ inzwischen fast jeden Lebensbereich erobert hat, galt der Anspruch dieser Sommerschule dem herausfordernden Unternehmen, differenzierende Klärung in das immer noch recht diffuse Feld der Bedeutungen und Verwendungsweisen dieses Begriffs zu bringen und nach den Formen, Stadien bzw. Zäsuren und schließlich Folgen sowohl für die weltweit recht unterschiedlichen Gesellschaften als auch für die moderne Wissenschaft zu fragen (Matthias Middell/Leipzig). So wurden Ansätze zur Definition von „Globalisierung“ und „Transnationalisierung“ aus wirtschaftswissenschaftlicher, politologischer, soziologischer und sozialtheoretischer, historischer und in der Diskussion auch literaturwissenschaftlicher Sicht vorgestellt und in Hinblick auf Entwicklungen in unterschiedlichen Weltteilen wie Europa, Ostasien, Naher Osten und Amerika abgewogen.

Mit dem Eröffnungsvortrag fragte Robert Kappel (Leipzig) nach den „Gewinnern und Verlierern der Transnationalisierung“ und bilanzierte, dass aufgrund recht unterschiedlicher Faktoren und Bedingungen, vor allem aber aufgrund der überragenden Bedeutung des intraindustriellen Handels ein Großteil der heute existierenden Entwicklungsländer von den Gewinnen und Vorteilen der „Transnationalisierung“ auf Dauer ausgeschlossen bleiben wird. Allerdings gestand Kappel zu, dass sich dieses recht düstere Bild in Teilen wenigstens verändere, wenn der zentrale Indikator „Länder“ bei statistischen Erhebungen der UN oder OECD durch den Blick in diese einzelnen Länder wie z.B. China und Indien ergänzt wird.

Ein ähnlich negatives Ergebnis stellte den Ausgangspunkt von Theodor Leuenbergers (Zürich) Vortrag über „Globalisierung, regionale Milieus und Innovation“ dar. Die derzeitige Entwicklung der Weltwirtschaft sei durch die Expansion des US-amerikanischen Wallstreet-Modells gekennzeichnet und bewirke die Abkoppelung der Finanzströme von den realen wirtschaftlichen Bedingungen, was schließlich zum Platzen der New-Economy-Spekulationsblase geführt habe. Die Suche nach einer Antwort auf dieses globale Dilemma, so Leuenberger, müsse aber den Blick auf die Innovationskraft von Regionen hin lenken. An die Stelle einer Dominanz US-amerikanischer Wirtschaftsweise müsse ein „Wettbewerb der Regime“ treten, den nicht „Länder“, sondern „Regionen“ mit hoher Innovationsdynamik bestehen würden.

Ob dieser „Wettbewerb der Regime“ auf nationaler Ebene überhaupt noch bestritten werden kann, wurde mit den Beiträgen von Stefan Troebst (Leipzig) und Ulrich Schneckener (Berlin) zur Problematik von „transnationalen politischen Regimen“ hinterfragt. Dabei konzentrierte sich Stefan Troebst auf die Tätigkeiten der OECD, die nach 1990, obgleich personell ungleich schwächer als UN oder EU, erfolgreich Konfliktprävention und Krisenmanagement praktiziert habe, vor allem durch Kommunikation und Informationspolitik, ausgestattet mit dem Ruf, als Nachfolgeorganisation der KSZE nicht einem ideologischen Block in West und Ost angehört zu haben. Künftig wird die OECD jedoch an Bedeutung verlieren, laut Troebst wegen des stärkeren Engagements von EU und UN, vielleicht aber auch ob ihrer Aufgabe, „nationale Grenzen“ zu wahren und damit eine „internationale“ Friedensordnung zu sichern, die sich wohl in Zeiten der „Transnationalisierung“ transformiert.
Welche schwer faßbare Formen die Politik in diesem Transformationsprozess annehmen kann, zeigte Ulrich Schneckener mit seiner Analyse des „transnationalen“ Terrorismus. Das Neue dieses Terrorismus sei nicht seine Gewalttätigkeit, sondern vor allem seine Bindungslosigkeit an eine „Heimat“ und an damit verbundene politische Interessen. Während „nationaler“ Terrorismus (z.B. RAF, ETA, IRA) und „internationaler“ Terrorismus (z.B. PLO) immer noch politische Positionen für ein „Heimat“land durchzusetzen versuchen, ziele der „transnationale“ Terrorismus auf die Umwandlung ganzer regionaler Systeme und der internationalen Ordnung, operiere dabei mit einer universalistischen und gleichzeitig fundamentalistischen Ideologie, betreibe die Diversifikation von Führungszentren und Aktionsgruppen (Netzwerkbildung) und werde vor allem privat finanziert, speise damit seine personellen und finanziellen Ressourcen aus diffusen Quellen.

Den Folgen der „Globalisierung“ für die Sozial-, Kultur- und Geschichtswissenschaft gingen Andreas Reckwitz (Hamburg/Berlin), Siebo Sims (Hannover) und Julia Lossau (Glasgow) in ihren Vorträgen nach. Andreas Reckwitz konzentrierte sich auf Entwicklungen innerhalb der Sozialtheorie und auf den Erkenntnis-Anspruch, der sich mit einer neu entwickelnden Kulturtheorie verbinde. Die modernen Kulturtheorien suchten in vorsichtiger Distanz zur Modernisierungstheorie einen Erklärungsansatz für soziale Phänomene, der zwar über die Ansätze von Marxismus, Modernisierungstheorie und Strukturalismus hinausgehe, deren Errungenschaften aber nicht ignoriere, sondern integriere („Kultur als soziale Praxis“). Für eine „Theorie der kulturellen Globalisierung“ hieße dies in der Forschungspraxis, weniger auf Prozesse der Homogenisierung oder Heterogenisierung als vielmehr der Hybridisierung von Kulturen zu achten.

Siebo Sims (Hannover) nahm sich dem Problem der „kollektiven Identität“ an, die als Schlagwort aus den USA kommend vor allem seit 1990 in unterschiedlichen Äußerungsformen die bundespolitischen Debatten um Leitkultur und Vergangenheitsbewältigung mit bestimmt hätte. Die Rede um die „Kollektive Identität“ könne als ein Kompensationsphänomen einer Gesellschaft gedeutet werden, die im Prozeß der Globalisierung in Begriff sei, ihre „traditionale Identität“ (z.B. „Nation“ oder Konfession) zu verlieren.

Zwar nicht von Verlust der Tradition, wohl aber von „Verunsicherung des Westens“ sprach Julia Lossau (Glasgow) in ihrem Vortrag über die „Globalisierung aus postkolonialer Perspektive“. Ihr erschien die zunehmende Rede von der Globalisierung als ein Hinweis auf die zunehmende „kulturelle Verunsicherung“ der westlichen Welt, die sich im sprachlich und theoretisch vermittelten „Sichtbarwerden der Kontingenz westlicher Kultur“ ausdrücke. Dabei sei das Neue an der „Globalisierungs“-Debatte, daß sie ein Reden über Geschichte jenseits der bisher dominanten europäischen Parameter möglich mache und eine (wohl reziproke) Identifizierung von Zentrum und Peripherie erlaube.

Die Sommerschule wurde durch eine ganztägige Konferenz am 27.9. beschlossen. Ihr Thema war die Frage nach „Zugängen zur Weltgeschichte“. Dabei wurde klar, daß die Geschichtswissenschaften sich auch mit dem neuen Thema „Globalisierung“ beschäftigen und „Weltgeschichte“ schreiben sollten. Matthias Middell (Leipzig) plädierte für die „globale Perspektive“, weil sie eine konzeptuelle und personelle Integration der Europa- und Außereuropa-Historie ermögliche. Peer Vries (Wassenaar/Nijmwegen) sprach sich pointiert für „Weltgeschichte“ als einer intellektuell anspruchsvollen, aber gerade deshalb interessanten Aufgabe für Historiker aus. „Globalisierung“ sei jedoch nicht originäre Motivation für die aktuelle „Weltgeschichtsschreibung“. Vielmehr gelte es stetig, den Historikern die Frage nach Relevanz ihrer Themen und Problemstellungen zu stellen. Er sehe eine Zukunft im systematischen, transkulturellen Vergleich und in der Geschichte von Ordnungen und Institutionen, die nach Organisationsprinzipen von Macht fragt. Diesem Plädoyer schloß sich Patrick O’Brien (London) an, der den „Metaerzählungen“ des materiellen Fortschritts in der Weltgeschichte nachging und schließlich die Frage nach dem Warum?, Wann? und Wo? der Entstehung der „Besonderheit Europas“ fragte, wo eben zuerst die Industrialisierung begann. Eine neu formulierte „Weltgeschichte“ habe hier mit Erstellung eines vergleichenden Forschungsgerüsts noch ein weites Feld vor sich.
Frank Hadler (Leipzig) stellte die Bemühungen der ostmitteleuropäischen Geschichtsschreibung um „Weltgeschichte“ seit den späten 1950er Jahren vor und machte deutlich, daß die in der CSSR, in Ungarn und Polen angegangenen Projekte einen eher konventionellen Zuschnitt hatten, vor allem aber mit der Problematik kämpften, „Nationalgeschichte“ und „nationale Verpflichtung“ der Geschichtsschreibung mit dem kosmopolitischen Blick der „Weltgeschichte“ in Übereinstimmung zu bringen. „Weltgeschichte“ blieb darum immer nationalhistorisch gefangen. Margarethe Grandner (Wien) präsentierte dagegen den aktuellen Versuch von Peter Feldbauer an der Universität Wien, den Studiengang „Globalgeschichte“ durch Pragmatismus und viel Engagement mit Leben und Forschungsarbeiten zu füllen. Ringvorlesungen und Sammelbände seien zentrales Medium, die thematische Zusammenführung von Großregionen (Ostasien, Afrika, Lateinamerika etc.) der Ausgangspunkt des heutigen Globalgeschichtsstudiums.
Ob es bei dem Versuch des Schreibens von „Weltgeschichte“ einen spezifisch europäischen Zugang gibt, fragte Edoardo Tortarolo (Turin). „Weltgeschichte“ sei in Europa seit der Aufklärung mit dem Anspruch geschrieben worden, die menschliche Natur interpretieren und erkennen zu können. Die universale Natur des Menschen sei jedoch nicht Erkenntnisziel, sondern Ausgangspunkt der „Weltgeschichte“. Sie solle nicht als Metaphysik, sondern als Geschichte von Weltsystemen, als ökologische Geschichte oder als Geschichte von Sprachsystemen geschrieben werden.
Daß diese unterschiedlichen Zugänge zur und Erkenntnisse der „Weltgeschichte“ vor allem auch Wege und Medien der Vermittlung in Zeiten knapper Kassen bedarf, machte Carol Adamson (Stockholm) bei ihrer Vorstellung des Tätigkeitsfeldes der World History Association (WHA; www.thewhao.org) klar. Die WHA, gegründet an der University of Hawaii als eine ehrenamtliche Initiative von Professoren und Lehrern in Reaktion auf die Forderung republikanischer Politiker nach Konzentration US-amerikanischer Curricula auf „good old American History (sic!)“ (Dick Cheney), bemüht sich durch Ausschreibung von Preisen, Publikation von Lehrmaterial und personelle Netzwerkbildung darum, den historischen Blick nicht an Landes- oder Staatsgrenzen enden zu lassen und sucht Verständnis für die Notwendigkeit der Beschäftigung mit Themen in einem weltumspannenden Rahmen zu wecken.

Die Diskussionen, die sich an die vielen Beiträge mit unterschiedlicher Lebendigkeit, aber immer mit viel Interesse anschlossen, machten die Probleme und Grenzen der vielfältigen positiven Anliegen deutlich. Ist das zentrale Problem nun die „Globalisierung“ oder die „Transnationalisierung“? Was ist mit „internationalen“, „multinationalen“ oder „supranationalen“ Institutionsbildungsprozessen? Welche historische Tiefe haben diese Prozesse? Oder beginnt „Globalisierung“ tatsächlich erst mit den 1960er, 1970er, 1980er Jahren? Ist das Konzept eher für Ökonomen operationalisierbar oder läßt es sich auch für die Humanwissenschaften nutzbar machen? Dann jedoch um den Preis, nur mehr von unterschiedlichen „Globalisierungen“ sprechen zu können. Für „Global History“ wie für die Kulturwissenschaft ist ein großes Stück konzeptioneller Arbeit zu leisten, um zusammenzubringen was bei Marxismus und Modernisierungstheorie zusammen gedacht war: „Gesellschaftsgenese“ und „Gesellschaftswissenschaftsgenese“. Ob diese Dialektik auch bei der „Globalisierung“ am Werk ist, muß die Zukunft zeigen. Die Sommerschule war bemüht, diese Zukunft zu eröffnen.