Krieg und Migration in der Frühen Neuzeit

Krieg und Migration in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit; Sonderforschungsbereiches 437 "Kriegserfahrungen - Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit", Tübingen
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.11.2005 - 19.11.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Daniel Krebs, McNeil Center for Early American Studies, University of Pennsylvania, Philadelphia

Diese Konferenz vereinte für drei Tage deutsche und europäische Militärhistoriker, Historiker aus dem Sonderforschungsbereich 437 Kriegserfahrungen an der Universität Tübingen und Vertreter der historischen Migrationsforschung. Gemeinsam wollte man sich dem bisher überraschend wenig untersuchten Themenfeld Krieg und Migration in der Frühen Neuzeit widmen. Unter Leitung und Organisation von Matthias ASCHE (Tübingen) und Michael HERRMANN (Potsdam) vom Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit sowie Anton SCHINDLING vom Sonderforschungsbereich in Tübingen konzentrierten sich die Konferenzteilnehmer einerseits darauf herauszufinden, was Militär und Krieg für den Mobilisierungsgrad der frühneuzeitlichen Gesellschaft bedeuteten. Andererseits sollte der Frage nachgegangen werden, ob und wie Methoden und Ideen der eigentlich für das 19. und 20. Jahrhunderts entwickelten Migrationsgeschichte auf die Frühe Neuzeit übertragen werden können. Die Vorträge unterteilten sich dabei in drei Schwerpunkte. Zunächst stand der 'Mobilisierungsfaktor' Militär im Zentrum des Interesses. Danach behandelte man Fragen von kriegsbedingter Migration der Zivilbevölkerung während und nach den zahlreichen Kriegen dieser Epoche.11

Zum ersten Themenbereich betonte Bernhard KROENER (Postdam) einleitend, dass zwischen erzwungener und freiwilliger Migration von Soldaten, einer staatlich ausgelösten Mobilisierung und der geographischen Mobilität der Beteiligten zu unterscheiden sei. In diesem Sinne gaben die ersten drei Vorträge Auskunft zur Rekrutierung und Zusammensetzung frühneuzeitlicher Heere. Ulrich KÖCHLI (Fribourg) legte eine Studie zum päpstlichen Heer des 16. und 17. Jahrhunderts vor, in der er die Folgen der Anwerbung Schweizer und Korsischer Söldner analysierte. Dariusz MAKILLA (Warschau) schilderte, wie das Allgemeine Aufgebot der Adelsrepublik im Polen des 16. und 17. Jahrhunderts zwar als politische Idee genutzt wurde, aber doch im engeren militärischen Sinne scheiterte. Martin WINTER (Berlin) betonte am Beispiel der 'wandernden Gesellen' des 18. Jahrhundert, wie wenig das preußische Kantonsystem auf die Mobilität seiner Kantonpflichtigen eingestellt war. Jenseits dieser Rekrutierungsproblematiken für einfache Soldaten konnte Vivien COSTELLO (Dublin), in Zusammenarbeit mit Matthew GLOZIER (Canberra), aufzeigen, wie sich französische Hugenotten nach 1685 als Offiziere auf dem besonderen Arbeitsmarkt der europäischen Heere dieser Zeit behaupteten, so z.B. in Preußen, oder scheiterten, z.B. in Großbritannien und Dänemark. Soldaten nach der Schlacht, als ehemalige Söldner und Invaliden, standen im Zentrum eines Vortrages von Hanna H. SONKAJÄRVI (Florenz). Im Straßburg des 18. Jahrhundert gelang es nicht, so betonte sie, die unerwünschten 'Fremden', wenn sie auch nur aus dem unmittelbaren Umland stammten, auszuschließen. Daniel KREBS (Philadelphia) stellte fest, dass sich kriegsgefangene Soldaten der deutschen Subsidientruppen im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg als potenzielle Einwanderer sowohl individuell, aber vor allem in der Gruppe, große Handlungsspielräume bewahrten. In diesem, wie vielen anderen Vorträgen, konnte man sehen, wie geographische Migration häufig zu sozialer Mobilität führte.

Im zweiten Schwerpunktthema, der kriegsbedingten Migration der Zivilbevölkerung während eines Krieges, leitete Frank KLEINEHAGENBROCK (Würzburg) die Diskussion mit einem Vortrag zu Einquartierungen von Soldaten in einem Amt des Fürstentums Hohenlohe während des Dreißigjährigen Krieges ein. Überraschenderweise, so stellte er fest, wurden diese immer wiederkehrenden Probleme in dem kleinen deutschen Territorium gut geregelt. Ähnliches stellte Shin DEMURA (Tübingen) fest, der Fluchtbewegungen der Landbevölkerungen in die Reichsstadt Ulm der gleichen Zeit untersuchte. Der Stadt gelang es mittels eines Quartieramtes diese durch den Kriegsverlauf erzwungene Migration der Zivilbevölkerung in relativ geregelte Bahnen zu lenken. Der Dreißigjährige Krieg beschäftigte auch Michael HERRMANN (Potsdam). Er präsentierte eine quantifizierende Untersuchung von kriegsbedingter und 'normaler' Migration in den drei brandenburgischen Kreisen Cottbus, Beeskow, und Prignitz vor und nach 1641. Erstaunlicherweise konnte er anhand verschiedener Daten zu Hofbesitzern konstatieren, dass hohe Kriegsverluste nicht sofort zu vermehrter Zuwanderung in diese Gebiete führten, sondern sich abnehmende Nahwanderung und zunehmende Fernwanderung in der Nachkriegszeit ausglichen. Dem Wiederaufbau zerstörter Gebiete widmete sich ebenfalls Márta Fata (Tübingen). Sie führte die Teilnehmer der Konferenz aus den unmittelbaren Reichsgrenzen hinaus an die habsburgische Militärgrenze zum Osmanischen Reich. Dort übernahm das habsburgische Militär nach 1686 eine herausragende Rolle in der Wiederbesiedlung der zurückeroberten Gebiete. Donatus DÜSTERHAUS (Tübingen) berichtete daraufhin in seinen Ausführungen über das Exil der im Zuge der Französischen Revolution von 1789 bis 1799 aus dem Elsass geflüchteten katholischen Geistlichen. Erneut wurde deutlich, dass in der gesamten Frühen Neuzeit Religion und Konfession fast immer zu den auslösenden Faktoren von jedweder Migration zählten. In einem beispielhaft quellennahen öffentlichen Vortrag zum Kontakt von schwedisch-finnischen 'Nationalvölkern' mit den Einwohnern Schwedisch-Pommerns während und nach dem Dreißigjährigen Krieg folgte Herbert LANGER (Greifswald) dem Aufruf von Anton SCHINDLING zu mehr komparativen Untersuchungen der bestimmenden Themenfelder Flucht, Exil, Wiederaufbau und frühneuzeitlicher Staatlichkeit. Unter der Perspektive einer historischen Migrationsforschung trat besonders in dieser Sektion zu Tage, wie unscharf die Grenzen zwischen Krieg und Frieden in dieser Epoche eigentlich waren.

Der dritte auf dieser Tagung diskutierte Bereich war die kriegsbedingte Migration der Zivilbevölkerung in der Nachkriegszeit. Alexander SCHUNKA (Stuttgart) stellte dabei zunächst ein habsburgisch-mitteldeutsches 'Migrationsystem' des 17. Jahrhunderts zur Diskussion. Der Dreißigjährige Krieg hat hierin nur als einer von mehreren dynamisierenden Faktoren, zu denen z. B. auch die Rekatholisierung der böhmischen Länder gezählt werden müßte, zu gelten. Dagegen stehen schon lange existierende Sozial- und Kommunikationsbeziehungen zwischen beiden Auswanderungs- und Aufnahmegebieten. Eberhard FRITZ (Altshausen) beschäftige sich mit der noch wenig erforschten alljährlichen Arbeitsmigration aus der nördlichen Schweiz und Vorarlberg zwischen 1660 und 1715. Auch diese Wanderung, bei der viele Arbeiter im südwestdeutschen Raum verblieben, war offenbar Teil einer längeren Tradition. Den größeren wissenschaftlichen und staatstheoretischen Zusammenhang dieser Prozesse stellte daraufhin Hans-Christof KRAUS (Stuttgart) in seinen Überlegungen zum kameralistischen Diskurs im 18. Jahrhundert dar. Im Zentrum aller Ideen stand dabei die Frage, wie die Bevölkerungsverluste des Dreißigjährigen Krieges ausgeglichen werden konnten und die notwendige 'Peuplierung', die Bevölkerungsvermehrung, seitens des Staates am Besten durchzuführen sei. Ob und wie die Verbesserungsvorschläge allerdings tatsächlich in die Praxis umgesetzt wurden, ist noch weitestgehend unerforscht. Dennoch machte Matthias ASCHE (Tübingen) in seinem abschließenden Kommentar zu dieser Sektion deutlich, wie sehr durch Kriege entvölkerte Landstriche in der Frühen Neuzeit zu Experimentierfeldern der Bevölkerungspolitik wurden. Eigentlich noch 'unfertige' Staaten leisteten dabei viel in der Lenkung der Migrantenströme.

Jochen OLTMER (Osnabrück) bot danach zugleich eine Bilanz der Tagung wie auch einen besonders nachdenkenswerten Ausblick auf Entwicklungen in der Neuzeit. Kriege, so betonte er, verursachten immer Zwangsmigrationen. Bei der Diskussion dieser Probleme gilt es, sich auf Nötigungen, Umsiedlungen, Vertreibungen, Flucht, aber auch auf Rekrutierungen zu konzentrieren. Eine andere Interpretation könnte dabei der für die Frühe Neuzeit geradezu symptomatisch erscheinende Söldner erfahren. Diesen sollte man vielleicht als Migrantenberuf untersuchen. Das besondere Wissen existierte für den Söldner also nicht schon bevor er in die Armee eintrat, oder wurde nicht schon zuvor durch die jeweiligen Verhältnisse in den Ausgangsregionen bedingt, sondern entwickelte sich erst im Zielgebiet.

Abschließend muss nochmals betont werden, wie wichtig es ist, über Staats- und Herrschaftsgrenzen hinweg vergleichend zu arbeiten. Nur so kann verhindert werden, dass sich gerade für das Alte Reich bloße Aneinanderreihungen von Beispielen ergeben. Außerdem können nur so die meist überregionalen, länder- oder sogar kontinentübergreifenden Migrationsprozesse überhaupt adäquat erfasst werden. Kriege, ihre Vorbereitung und Folgen, um hier einen weiteren Punkt anzusprechen, lösten einerseits häufig Migrationen verschiedensten Charakters aus. Andererseits konnten dabei sowohl Soldaten, als auch die Zivilbevölkerung, auf lange bestehende, oft europaweite Netzwerke und Kommunikationswege zurückgreifen. Mehrmals wurde auf der Konferenz in diesem Zusammenhang deutlich, wie groß eigentlich die Mobilität der frühneuzeitlichen Bevölkerung war.

Alle Referate werden im kommenden Jahr in einem Sammelband der Schriftenreihe Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit erscheinen.

Anmerkung:
1 Siehe hierzu Matthias Asche und Michael Herrmann, Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 6 (2002), S. 208 - 215. Internetversion unter der URL http://www.amg-fnz.de/tagung.php?ID=6


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