„Völkisch und national“. Denktraditionen und Mythenbildungen im 21. Jahrhundert

„Völkisch und national“. Denktraditionen und Mythenbildungen im 21. Jahrhundert

Organisatoren
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg in Kooperation mit dem Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin
Ort
Nürnberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.11.2005 - 12.11.2005
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Von
Ingo Wiwjorra, Berlin

Die vom 10. bis 12. November 2005 in den Räumen des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg ausgerichtete öffentliche Tagung zum Thema „»völkisch und national«. Denktraditionen und Mythenbildungen im 21. Jahrhundert“ führte eine Reihe von ausgewiesenen Fachvertreterinnen und Fachvertreter zusammen, die sich großenteils seit mehreren Jahren intensiv für eine historische Aufarbeitung völkisch-nationalen Denkens engagieren.
Die Organisatoren der Tagung, Prof. Dr. G. Ulrich Großmann, Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums, und Dr. Uwe Puschner, Privatdozent am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, nahmen verschiedene Publikationen und subkulturelle Strömungen der Gegenwart zum Anlass, um nach historischen Vorbildern oder eventuell bestehenden Kontinuitäten zwischen der völkischen Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und möglicherweise vergleichbaren aktuellen Erscheinungen zu fragen. Hierbei sollten, so Puschner, leichtfertige Pauschalierungen nach Möglichkeit unterbleiben, mit denen Völkische Bewegung, Nationalsozialismus und Neonazismus häufig vorschnell gleichsetzt werden. Vielmehr müsse eine begriffsscharfe historische Differenzierung im Vordergrund stehen, die sich dabei einer politisch-ideologischen Bewertung keinesfalls enthält.
Um diesem Anspruch eine breitere Basis zu geben, bemühten sich die Organisatoren der Tagung um einen interdisziplinären Ansatz. Neben Mittelalter- und Neuzeit-Historikern waren Volkskundler, Kunsthistoriker, Religionswissenschaftler, Theologen, Germanisten und Prähistoriker eingeladen, das jeweils aus ihrer Sicht für das Thema relevante Quellenmaterial vorzustellen und historisch vergleichend nach völkisch-nationalen Denktraditionen zu befragen.

Rüdiger vom Bruchs (Berlin) einleitender Beitrag über „Amateure und Laien in den Wissenschaften“ widmete sich einem bislang weitgehend unbearbeiteten Forschungsfeld, das aber für den Prozess der Formulierung und Popularisierung völkischer Denkmuster von zentraler Bedeutung ist. Vom Bruch behandelte das Phänomen des wissenschaftlichen Dilettantismus von seinen Ursprüngen im 18. und 19. Jahrhundert und traf hierbei notwendige definitorische Unterscheidungen zwischen Amateuren, Laien, Dilettanten, Sammlern, Liebhaberforschern und Privatgelehrten, die in der Phase der akademischen Professionalisierung verschiedener Kulturwissenschaften jeweils Unterschiedliches bedeuteten. Er exemplifizierte das Eindringen völkischen Denkens in die Kulturwissenschaften anhand der Anthropologie und der prähistorischen Archäologie.
Wolfgang Brückner (Würzburg) bemühte sich in seinem Vortrag über „Denkmusterkritik: Volksmythos, Urzeitwahn, Kulturideologien“ um eine Definition des Völkischen aus volkskundlicher Perspektive. Er ordnete seine stark durchgliederten Ausführungen anhand der drei Grundprinzipien „Heiliger Boden“, „Heiligkeit der Nation“ und „heile Kulturprägungen“. Das spezifisch Völkische resultiere aus dem Zusammenwirken eines „naiven Glaubens an einen höheren Ursprung“ und des „Hochmuts kultureller Gewissheit“.
Gottfried Korff (Tübingen) ging in seinem Vortrag „Kontinuität im Gegensinn. Verstehen und vermeiden völkischer Symbole im Heimatmuseum der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ auf die sichtliche Überforderung von Gesellschaft und Wissenschaft ein, einen ‚normalen’ Umgang mit ideologisch kontaminierter Symbolik zu finden. Nach einer ängstlichen Symbolabstinenz und Versuchen, Symbole durch Verbote aus dem Blickfeld zu verbannen, plädierte Korff für eine offensive wissenschaftliche Erforschung von „Text und Kontext“ beispielsweise des Hakenkreuzes oder des modernen Runengebrauchs, um auf diese Weise einen wirksameren Beitrag zu deren Entmythologisierung zu leisten.
Caspar Ehlers (Göttingen) nahm in seinem Vortrag über „Wege und Abwege des gedachten Mittelalters“ einen aktuellen Spiegel-Artikel1 zum Anlass, popularisierte Mittelalterbilder auf deren Funktion als Ideologieträger zu befragen. Hinter der „Nebelbank aus Halbwissen“, die Ehlers anhand einer amüsanten Blütenlese eindrucksvoll dokumentierte, zeigten sich eine Fülle historischer Stereotype, die sich teils auf völkische Deutungsmuster beziehen. Da diese offenbar nicht bewusst, sondern in der Regel mutwillig oder leichtfertig aktiviert würden, handle es sich zumeist um „verdeckte Kontinuitäten“. Zu ergänzen wäre hier, dass der Spiegel mit seinem schnoddrigen Wissenschaftsjournalismus historische Stereotype nicht in einer bestimmten ideologischen Tendenz aktiviert, sondern diese offensichtlich je nach erwartetem publizistischen Effekt einsetzt. Erinnert sei an die vollkommen konträren Germanenbilder, die einerseits das Stereotyp des kulturlosen Barbaren2 bedienen, andererseits aber mit Verweis auf einen „Sternenkult der Ur-Germanen“ deren „versunkene Hochkultur“3 glorifizieren.
Ingo Wiwjorra (Berlin) widmete sich der Frage, in wie weit die „Ethnische Anthropologie im 21. Jahrhundert“ sich „zwischen scientistischer Innovation und völkischer Tradition“ einordnen lässt. Er problematisierte hierzu die heutzutage international betriebenen Genomanalysen, die, eingesetzt für die Bestimmung ethnischer Zugehörigkeit oder Herkunft, in den Kontext völkischer Deutungsmuster gestellt werden können. Diese den Genomprojekten selbst nicht unbedingt innewohnende Deutungsoption findet sich allerdings in zwei einander anschließenden Rezeptionsschritten umgesetzt. Zeigten sich zunächst in der Tagespresse und in populärwissenschaftlichen Magazinen häufige Bezugnahmen auf völkische Deutungstraditionen, werde auf das völkische Credo der Abstammungsgemeinschaft dann in Publikationen des rechtsextremen Spektrums um so deutlicher Bezug genommen.
Helmut Zander (Berlin) stellte unter dem Titel „Der lange Schatten des völkischen Gedankenguts im Werk von Rudolf Steiner (1861-1925)“ Überlegungen zur aktuellen Vergangenheitspolitik in der Anthroposophischen Gesellschaft an. Anstoß erregte in den vergangenen Jahren vor allem Steiners Wurzelrassenlehre, da sie Anlass dazu gab, dass die Anthroposophie verschiedentlich in den Kontext völkischer Denktraditionen gestellt wurde. Allerdings stehe diese Rassentheorie nicht im Mittelpunkt des umfänglichen Steinerschen Werkes, wenngleich diese ideologischen Segmente die „Anschlussfähigkeit“ der Anthroposophie an den Nationalsozialismus erleichterten. Heute würden in der Regel andere Akzente gesetzt, zumal eine zahlenmäßig bedeutende und politisch eher ‚links’ verortete Anhängerschaft zu völkischen Denktraditionen der Anthroposophie keinen Bezug habe. Die anschließende Diskussion gab zu bedenken, dass das Steinersche Werk einschließlich der Wurzelrassenlehre als ein sakrosankter Gesamtkorpus zu betrachten sei, dem sich der Leser im Zuge von Einweihungsstufen zu nähern habe.
Bernd Wedemeyer-Kolwe (Hannover) gab mit seinem Vortrag über „Runengymnastik“ einen Einblick in die Bezüge zwischen der von völkischen und vor allem rassistischen Ideologemen unterlegten Körperkultur und alternativen Selbsterfahrungspraktiken der Moderne. Er konnte hierzu auf personale Kontinuitäten verweisen, über die das „Runenstellen“ – eine ‚westliche’ Rezeptionsvariante des Yoga –, in subkulturellen Milieus von den Anfängen des 20. Jahrhunderts in die Gegenwart weitergereicht wurde.
Der Vortrag von Luitgard Löw (Bamberg) über „Lebensreformerische Sehnsüchte als Deutungskonzept prähistorischer Sinnbilder“ widmete sich dem ideologisch-politischen sowie publizistischen Nachleben des ‚Ahnenerbe’-Mitbegründers Herman Wirth. Sie stellte hierzu das in Deutschland um die Jahrhundertwende anwachsende Interesse an den Felsbildern in den Kontext einer Nordlandbegeisterung, die sich seit den 1930er-Jahren unter anderem in Pilgerreisen zu den zu urreligiösen Anbetungsstätten erhobenen südschwedischen Felsbildern niederschlug. Löw warf die Frage nach einem adäquaten Umgang mit den teilweise erhaltenen Wirthschen Felsbildabgüssen seiner Ahnenerbe-Expeditionen von 1935 und 1936 auf. Ihr wissenschaftshistorischer Kontext bleibe im Felsbildmuseum des oberösterreichischen Spitals am Pyhrn, wo einige der Abgüsse unkommentiert ausgestellt sind, dem Besucher vollständig verborgen. Hier böte sich die seltene Gelegenheit einer sich sowohl den wissenschaftshistorischen wie den ideologischen Kontexten nicht verschließenden musealen Aufbereitung.
Uta Halle (Berlin) befasste sich in ihrem Vortrag mit den „Kontinuitäten des Externsteine-Mythos“, dessen zentrale These, an dem Naturdenkmal habe sich eine vorchristliche Kultstätte befunden, auch nach 1945 beständig aktualisiert würde. Ungeachtet der verschiedenen esoterischen, neugermanisch-heidnischen und rechtsextremen Gruppierungen, die sich an den Felsen regelmäßig versammelten, verbleibe das Interpretationsmonopol bis heute bei den Epigonen des völkischen Laienforschers und Pfarrers Wilhelm Teudt, die die Felsen zu einem ursprünglich germanischen Heiligtum verklären.
Johannes Zechner (Berlin) setzte sich in seinem Vortrag über den „Deutschen Wald“ mit einem zentralen Ideologem nationalen und völkischen Denkens auseinander, das sich vor allem vor, jedoch teilweise auch nach 1945 publizistisch abgebildet habe. Das Konzept des „politisierten und ethnisierten Waldes“ sowie die Stilisierung des Waldes zu einer genuin ‚deutschen’ Landschaft diente nicht zuletzt einer ausgrenzenden Abqualifizierung jüdischer und ‚slawischer’ Minderheiten, die angeblich an andere Naturräume angepasst seien. Für die Zeit nach 1945 zog Zechner ideologische Verbindungslinien zu Teilen der grünen Umweltschutzbewegung.
Ulrich Hunger (Göttingen) berichtete über Verschränkungen von Wissenschaft und Ideologie am Beispiel der „Runenkunde im Nationalsozialismus“. Sein Vortrag bot im Wesentlichen eine bündige Zusammenfassung seiner bereits 1984 publizierten Dissertation zu diesem Thema, die bis heute hierzu das maßgebende, jedoch leider vergriffene Standardwerk darstellt. Die Konjunktur der Runenforschung in der Zeit des Nationalsozialismus ging in erheblichem Maße auf begeisterte Amateure zurück. Dieser laien- oder sogar grenzwissenschaftliche Zugang zu den Runen findet sich in ähnlicher Weise in diversen Publikationen aus der Zeit nach 1945, auf den Hunger in seinem Beitrag allerdings nicht zu sprechen kam.
G. Ulrich Großmanns (Nürnberg) Beitrag zur „Runen- und Sinnbildkunde als Erklärungsmodelle zum historischen Hausbau“ reflektierte aktuelle Auseinandersetzungen um die Thesen des Laienforschers Manfred Gerner. Dieser hatte in verschiedenen Publikationen jüngeren Datums die im völkischen Kontext stehenden Deutungen des Ariosophen Philipp Stauff oder des ‚Ahnenerbe’-Mitarbeiters Karl Theodor Weigel aktualisiert, nach denen die Formationen des Fachwerks verschlüsselte Runenbotschaften enthielten. Großmanns Kritik richtete sich dabei nicht nur gegen die offensichtliche Unbelehrbarkeit Gerners, mit der dieser die wissenschaftlich unhaltbare Runenhausthese fortschreibe, sondern auch gegen die publizistische Leichtfertigkeit renommierter Verlage, die, wie etwa die Deutsche Verlagsanstalt oder der Verlag der Fraunhofer-Gesellschaft, als Multiplikator völkischen Gedankenguts auftraten.
Ulrich Klein (Marburg) gab einen detaillierten Einblick in Art und Weise, wie sich Hausforschung im „Germanen-Erbe“, einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift des „Reichbundes für deutsche Vorgeschichte“ darstellte. Allerdings ging Klein in seinen Ausführungen über die Forschungsergebnisse vorhandener Standardwerke zur Geschichte der prähistorischen Forschung in der Zeit des Nationalsozialismus kaum hinaus.
Uwe Puschner (Berlin) wandte sich in seinem Vortrag ideologisch motivierten Manipulationen von Sprache und Schrift zu, die er als „Träger eines völkischen Codes“ charakterisierte. Zu diesen zählte der radikale Flügel der Sprachreinigungsbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, der sich vor dem Hintergrund der Forderung nach ‚arteigener’ Kultur selbst als Zuträger einer völkischen Rassenideologie verstand. Ihr völkisches Engagement reichte von der Förderung des Deutschtums in sprachlich gemischten Grenzregionen bis zu der Propaganda, Fremdworte durch ‚deutsche’ Wortneuschöpfungen zu ersetzen, um eine der Rasse entsprechende Sprache zu schaffen. Die politische Zäsur von 1945 bedeutete für die völkisch motivierte Sprach- und Schriftpflege einen Kontinuitätsbruch, wenngleich sich vereinzelte Traditionslinien bis in die Gegenwart erkennen ließen. Abgesehen von der sektiererischen Werbung für den Runengebrauch im neugermanisch-heidnischen Kontext, stünden Argumentationen etwa des „Bundes für deutsche Schrift“ oder des „Vereins für deutsche Sprache e.V.“ im Kontext eines irrationalen „Widerstandes gegen die Moderne“.
Debora Dusse (Frankfurt a. M.) unterschied in ihrem Vortrag zur „Transformation eddischer Stoffe im Kontext völkischer Ideologie“ zwei Denkmuster in der völkischen Edda-Rezeption. Stehe auf der einen Seite die Interpretation der isländischen Überlieferung als gemeingermanisches Erbe, das bei der (Re-)Konstruktion einer ‚germanischen’ Identität der Deutschen eine zentrale Rolle spielte, existiere auf der anderen Seite eine esoterisch-mystifizierende Deutung, die in der Edda-Überlieferung geheime Botschaften vermutete. Für beide, in völkischem Kontext stehenden Rezeptionsvarianten ließen sich von den 1920er-Jahren bis in die Gegenwart Kontinuitäten feststellen, die sich heute vor allem in subkulturellen Strömungen abbildeten.
Konrad Köstlin (Wien) sprach über „völkische Ortsbesetzungen in Österreich“, wobei er zunächst Lönssteine und Jahnhügel als Kristallisationsplätze eines deutschnationalen Bekenntnisses vorstellte und dann auf Feuerbräuche in der zum „Nibelungengau“ stilisierten Wachau exemplarisch einging. Diese westlich von Wien gelegene stark frequentierte Ausflugsregion habe sich seit Ende des 19. Jahrhunderts zu einem „völkischen Aufmarschgebiet“ entwickelt. Köstlin schilderte die sich seit den 1920er-Jahren verstärkenden Auseinandersetzungen um die Deutung der in bäuerlicher, katholischer Tradition stehenden Johannisfeuer und den Versuchen, diese als Sonnwendfeuer in einen genuin völkischen Kontext zu überführen.
Bernd Sösemann (Berlin) entfaltete seine „kritischen Anmerkungen zu Methode, Form und Inhalt der Deutung des Nationalsozialismus im Film »Die schwarze Sonne«“ anhand der vom Tagungspublikum reflektierten Eindrücke der zuvor gezeigten und bereits in Kino und Fernsehen gelaufenen Produktion. Sösemann hielt dem Filmautor Rüdiger Sünner eine verharmlosende Visualisierung des ‚Dritten Reichs’ vor, die alle Verbaldistanzierungen vom gewaltherrschaftlichen Charakter des Nationalsozialismus überdecke und dadurch dessen zweifelhafte Faszinationskraft nicht breche. Zudem verenge der Film den Nationalsozialismus auf bestimmte Ausschnitte völkischer Ideologie, die dessen historischer und politischer Komplexität nicht gerecht werde. Zu kurz kam in der Diskussion meines Erachtens, dass der Film eine bewusste Herausforderung an einen mündigen Zuschauer darstellt und hiermit auf eine Fülle schlechter Filme über den Nationalsozialismus reagiert, die Wertungen mittels banaler Dramaturgie vordiktieren. Die mit Sünners Film aufgeworfene Frage, ob in der Gegenwart ein angemessener Umgang mit ‚großen Gefühlen’ und ‚starken Bildern’ gefunden sei, ist zu Recht gestellt und bislang unbeantwortet.
Gregor Hufenreuter (Berlin) befasste sich mit der Frage, ob und in welcher Weise zwischen dem „völkischen Liedgut“ des Deutschen Kaiserreichs und dem „Apocalyptic Folk“ der Gegenwart Beziehungen bestehen. In der Tat finde eine breite Rezeption völkischer Autoren sowie eine extensive Bezugnahme auf völkische Sprachbilder und Ästhetik statt. Dennoch ließen sich vielfältige Brechungen mit völkischen Erwartungshaltungen erkennen. Die hochgradig individuelle Musikszene habe bislang allen politischen Vereinnahmungsversuchen widerstanden. Die Rezeption völkischer Denkmuster vollziehe sich offensichtlich in Abkoppelung von den historisch-politischen Zusammenhängen. Insofern ließen sich zwar vielfältige Kontinuitätsmuster aufzeigen, ohne das – zumindest vorerst – von einer ideologischen oder organisatorischen Kontinuität gesprochen werden könne.
Horst Junginger (Tübingen) beschrieb in seinem Vortrag über „Paganismus und Indogermanentum als Identifikationselemente der Neuen Rechten“ den Transformationsprozess, den Herbert Grabert als Anhänger der „Deutschen Glaubensbewegung“ und Weggenosse Jacob Wilhelm Hauers nach 1945 vollzogen hat. Dessen Engagement für eine neopagane Religion deckte sich offenbar nicht mit den Interessen der Klientel seiner Verlagsaktivitäten. Der von seinem Sohn fortgeführte Grabert-Verlag zeige sich hinsichtlich seiner religiösen Ausrichtung zwischen einer abendländisch-christlichen und einer indogermanisch-paganen unentschieden und habe sich zunehmend zu einem „rechten Gemischtwarenladen“ entwickelt.

Die durchweg von einer angenehmen Atmosphäre getragene Tagung reflektierte ein disparates Bild vom Wesen des Völkischen, was nicht nur der Komplexität des Themas geschuldet ist, sondern bisweilen auch auf begriffliche Unschärfen bei den Vortragenden zurückzuführen sein dürfte. Dessen ungeachtet wurde deutlich, dass die sowohl in subkulturellen Milieus also auch in der bürgerlichen Mitte anzutreffenden völkischen Denktraditionen in der Gegenwart häufig keinen Bezug mehr zu ihren historischen Zusammenhängen besitzen. Dem Phänomen der Laienforschung kommt als Rezipient und Multiplikator völkischer Denktraditionen offenbar nach wie vor eine Schlüsselrolle zu, was sich mit dem Befund, Völkisches vor allem innerhalb der Schnittflächen von Esoterik, Subkultur und Rechtsextremismus zu verorten, gut verbinden lässt.
In jedem Fall erwies sich das interdisziplinäre Gespräch als ein zukunftsweisender und neue Perspektiven eröffnender Ansatz, den es weiterzuverfolgen und zu erweitern gilt. Leider wurde der bereits im Tagungstitel anvisierte Gegenwartsbezug nicht von allen Referenten ausreichend berücksichtigt. Die vorgestellten Themen hatten insgesamt einen ausgesprochen deutschen, um nicht zu sagen ‚germanozentrischen’ Fokus, obwohl völkische Denktraditionen im 21. Jahrhundert, wie einige Beiträge andeuteten, eine internationale Herausforderung darstellen. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest einige dieser Defizite in dem geplanten Aufsatzband zur Tagung ausgeglichen werden.

Anmerkungen:
1 Das Mittelalter – Forscher ergründen die Wahrheit über das dunkle Jahrtausend, in: Der Spiegel (2005), Nr. 44
2 Die Germanen – unsere barbarischen Vorfahren, in: Der Spiegel (1996), Nr. 44
3 Astrokult in der Bronzezeit - Archäologen entdecken eine verschollene Hochkultur in Deutschland, in: Der Spiegel (2002), Nr. 48


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