Zur Sozial- und Kulturgeschichte der mittelalterlichen Burg - Archäologie und Geschichte

Zur Sozial- und Kulturgeschichte der mittelalterlichen Burg - Archäologie und Geschichte

Organisatoren
Historisches Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Abteilung III, Mittlere und Neuere Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte); Abteilung für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften der Universität Trier
Ort
Hochstetten-Dhaun
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.09.2005 - 24.09.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Dominik Bartoschek, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Burgenforschung - schon immer ein zentrales Thema der Mediävistik - fand bisher vor allem in sehr spezialisierten, weitgehend unabhängig voneinander arbeitenden Disziplinen statt: So konzentrierte sich die historische Forschung vor allem auf die territorial-, militär- und verwaltungsgeschichtlichen Aspekte, während die Kunst- und Architekturgeschichte sich bevorzugt Bau- und Stilformen mittelalterlicher Profanbauten zuwandten. Die Mittelalterarchäologie als vergleichsweise neues Forschungsgebiet dagegen beschäftigt sich bislang überwiegend mit dem Nachweis sowie der Rekonstruktion früh- und hochmittelalterlicher Befestigungen und der Sachkultur auf Burgen.

Ziel der Tagung war es daher, neuere sozial- und kulturgeschichtliche Forschungsperspektiven auf die mittelalterliche Burg anzuwenden. Ein besonderer Blick wurde dabei auf die Funktion der Burg für den Niederadel geworfen. Archäologische und historische Befunde sollten verknüpft werden.

Die Tagung verfolgte vor allem zwei Zielsetzungen:

1. Die Arbeitsschwerpunkte traditioneller historischer Burgenforschung sollten um Fragestellungen aus den jüngeren mediävistischen Diskursfeldern der Sozial- und Kulturgeschichte erweitert werden. Speziell in Hinblick auf die Bedeutung von Burgen für den Niederadel - insbesondere dessen Aufstieg aus der unfreien Ministerialität in einen adelsgleichen Rang - fanden in diesem Zusammenhang Formen von Repräsentation, Symbolfunktionen, aber auch genderspezifische Aspekte Berücksichtigung.

2. Auf diesem Arbeitsfeld sollte gezielt ein Dialog zwischen den Disziplinen der Archäologie und der Geschichte geführt werden. So sollten Archäologen mit aktuellen historischen Fragestellungen (insbesondere im Rahmen sozialgeschichtlicher Diskurse) konfrontiert sowie umgekehrt die Aussagemöglichkeiten archäologischer Befunde sowie des umfangreichen Fundmaterials für sozialgeschichtliche Forschungen eruiert werden.

Diese Zielsetzung spiegelte sich im Tagungsprogramm wieder, das in zwei Sektionen geteilt war.

Die erste Sektion unter dem Titel "Archäologie der Burg" eröffnete Prof. Dr. Horst Wolfgang Böhme (Marburg). In seinem Vortrag "Die Anfänge des mittelalterlichen Burgenbaus" stellte er die von den Archäologen neu untersuchten frühen Formen des Burgenbaus vor. Neben einem Beginn der kleinflädigen Adelsburg noch in karolingischer Zeit konzentrierte er sich auf das 10. und 11. Jahrhundert. Böhme sprach von einem "Bauboom" in der Salierzeit, in dem sich das wachsende Selbstbewusstsein des Adels einen sichtbaren Ausdruck geschaffen habe.

Anschließend referierte Dr. Norbert Goßler (Berlin) über "Materielle Kultur und sozialer Stand: Beobachtungen am archäologischen Fundstoff aus mittelalterlichen Burgen". Er stellte dabei Untersuchungsergebnisse von Grabungsfunden mittelalterlicher Burgen vor. Dabei, so Goßler, erweise es sich als ausgesprochen schwierig, eine "Gleichung" zwischen sozialem Stand und materieller Kultur zu konstruieren. Objekte, die auf adligen Lebensstil schließen ließen, fänden sich zwar durchgehend ("Barometerobjekte"), eine soziale Differenzierung an Hand dieser Funde falle aber schwer.

Dr. Wolf-Rüdiger Teegen stellte in seinem Vortrag "Die Fürsten und ihre Angehörigen aus dem Gräberfeld in der Burg von Starigard in Oldenburg/Holstein" die Ergebnisse seiner gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Michael Schultz vorgenommenen paläopathologischen Untersuchungen vor. Die Untersuchung betraf Bestattungen aus dem 10. Jahrhundert im Umfeld der Wagrierburg Starigard. Die Paläopathologie lässt laut Teegen Rückschlüsse auf das soziale Umfeld der Bestatteten zu. So liege die Körpergröße der Bestatteten ca. drei Zentimeter über dem Durchschnitt der Normalbevölkerung. Auch über Bestattungsarten ("Entfleischung") sowie typische Krankheitsbilder informierte er, wie auch über geschlechtsspezifische Beobachtungen: so könne das häufige Auftreten von Arthrose bei den bestatteten Frauen als Hinweis auf eine Tätigkeit an der Spindel gewertet werden.

Zuletzt referierte Dr. Reinhard Friedrich über "Burgen im Mittelrheingebiet unter siedlungsgeschichtlichen Aspekten". Dabei untersuchte er verschiedene Phasen der Burgenentstehung im Mittelrheingebiet im Früh- und Hochmittelalter, wobei er einen Konnex von Burgenbau und Ausgreifen über die Altsiedellande hinaus in karolingischer Zeit konstatieren kann.

Die zweite Sektion der Tagung, "Sozialgeschichte der Burg", wurde eröffnet von Prof. Dr. Lukas Clemens (Trier). In seinem Vortrag über "Hochmittelalterliche Stadtburgen und -türme in Trier" zeigte er Beispiele, bei denen die Wohntürme durch die Weiternutzung antiker Bauten bzw. durch Neubau aus römischem Baumaterial entstanden. Dabei wurde die antike Bauweise bewusst imitiert (Ziegelbänder zur Dekoration, Verwendung von Spolien), um an die antike Vergangenheit der Stadt und deren Führungsgruppe ("principes Treverorum") anzuschließen.

Bernhard Metz (Straßburg) referierte anschließend zum Thema "Von der Stadt aufs Land: Der Straßburger Adel und seine Burgen". Während die Ministerialen des Bischofs in den Jahren 1261/62 mit diesem die Stadt verließen, um auf dem Land Höhenburgen zu errichten, stand im Mittelpunkt von Metz' Untersuchung der in der Stadt verbleibende Adel und dessen Burgen. Zuerst hätten nur die Edlen Geschlechter Burgen besessen, später auch die Bürger und ab der Mitte des 15. Jahrhunderts auch die führenden zünftischen Familien. Insgesamt, so Metz, sei jedoch ein eher pragmatisches Verhältnis des Adels zu seinen Burgen zu konstatieren. So hätten sie ihm beispielsweise häufig zur Kapitalanlage gedient.

Der Bedeutung der Burg für den Niederadel widmete sich der Vortrag von PD Dr. Sigrid Schmitt (Mainz), "Die Burg als Statussymbol - Ministerialität und Niederadel". An Hand von Beispielen konnte sie zeigen, wie ministerialische Burgbesitzer hochadlige Bauformen nachahmten, um so nach außen die Zugehörigkeit zum Adelsstand zu demonstrieren. Auch wo dies aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen nicht möglich war, versuchten sie zumindest entsprechende Fernwirkungen zu erzielen, wie z.B. durch die Verkleidung von Bruchsteinmauern mit vorgetäuschten Steinquadern oder aufgemalte Schießscharten. Die Burg, so die Schlussfolgerung, habe für den Niederadel auch den Rang eines Statussymbols besessen.

Dr. Kurt Andermann untersuchte in seinem Vortrag "'Ein Haus mit einem steinen Fuß und einem hohen Dach' - Architektur zwischen Nicht-Adel und Adel" viele Zwischenformen zwischen Burg und "Nicht-Burg", wobei er besonders den unteren sozialen Rand des Adels in den Blick bekam. Dabei zeigte sich u.a., dass Burgen und burgähnliche Gebäude nicht immer in Verbindung mit einer Ortsherrschaft stehen mussten. Solche Fälle wurden durch den Ortsherrn jedoch oft als Bedrohung wahrgenommen.

Prof. Dr. Volker Rödel untersuchte in seinem Referat "Die Burg als Gemeinschaft: Burgmannen und Ganerben" unter anderem die rechtliche Organisation von Ganerbschaften. Dabei stellte er vor allem ritterlichen Burgfrieden in den Mittelpunkt, deren formelhafter Aufbau den starken Organisationsgrad der Ganerbschaften verdeutlicht. Im Ergebnis betonte er, wie sich die Ganerbschaftsburgen als gemeinschaftsstiftend für den Niederadel darstellten. Rödel bezeichnete sie als "Arenen der Selbstorganisation".

Dr. Regina Schäfer (Mainz) widmete ihren Vortrag "Burgen in Rheinhessen". Nach einer detaillierten Aufschlüsselung des örtlichen Adels ordnete sie den einzelnen Gruppen Burgen zu. Dabei zeigte sich eine erstaunliche Fülle von Burgen in einer Gegend, die bisher nicht als Burgenlandschaft wahrgenommen wurde. Zudem wurde deutlich, dass sich die Differenzierung innerhalb des Niederadels auch in seinem Burgbesitz zeigte.

Dr. Friedhelm Burgard (Trier) beschäftigte sich in seinem Referat mit "Burg- und Amtleuten in Kurtrier. Zur Frage ihrer sozialen Herkunft unter Erzbischof Balduin von Luxemburg (1307-1354)". Indem er die prosopographische Methode auf die Kurtrierer Amtleute des 14. Jahrhunderts anwandte, gelangte er zu bemerkenswerten Ergebnissen. So konnte er zeigen, dass die Besetzung von Ämtern der Verhinderung von lokaler Machtbildung dienen konnte, indem die Mobilität des Adels durch "Versetzung" gefördert wurde. Auch stellte sich als bemerkenswert heraus, dass unter Erzbischof Balduin ein Drittel der Amtsträger nicht aus dem Adel stammten.

Prof. Dr. Cordula Nolte (Bremen) stellte in ihrem Vortrag "Die Frau auf der Burg" an Hand verschiedener Quellen Lebenssituationen von Frauen unterschiedlicher Stände auf der Burg vor (Fürstin, Hofdame, Magd). Dabei wurde deutlich, dass das Spektrum selbst innerhalb des Adels zwischen arbeitender Rittersfrau und repräsentierender Fürstin so stark voneinander abweichen konnte, dass die Lage der Frau auf der Burg nicht abschließend zu bewerten ist. Vielmehr seien exakte Spezialstudien zu den jeweils unterschiedlichen Lebenssituationen der Burgbewohnerinnen nötig, für die sie anhand ausgewählter Quellen erste Beispiele vorstellte.

Prof. Dr. Michel Margue (Luxemburg) stellte in seinem Referat über "Höfische Kultur im Spannungsfeld zwischen Literatur und Architektur am Beispiel der Burg Vianden (13. Jahrhundert)" zunächst die "Yolanda-Dichtung" des späten 13. Jahrhunderts vor, die der Burg Vianden Attribute von Macht und Herrschaft zuordnet. Anschließend verdeutlichte er an Hand von architektonischen Merkmalen die Entwicklung des "durchschnittlichen Adelssitzes" von 1150 zu einem monumentalen Herrschaftssitz um 1250. So stieg das Verhältnis von Wohn- und Repräsentationsgebäude in diesem Zeitraum von 1:1 auf bis zu 1:3. Diese "Darstellung von Macht durch kulturelle Differenzierung" zeige, dass höfische Dichtung und Repräsentationsbauten als Parameter des Ausdrucks von Macht dienen konnten.

Zuletzt stellte Reinhard Friedrich ein Projekt des Europäischen Burgeninstituts vor. In einer Datenbank sammelt das Institut derzeit Daten, um ein "Melderegister aller Burgen" zu schaffen. Auf dieser Datenbank beruht eine Internetversion, die über den Link http://www.ebidat.de jedem Interessierten zugänglich ist.

In der abschließenden Diskussion wurde nochmals auf grundlegende Fragen wie den Zusammenhang zwischen sozialer Schichtung und Burgenbau (bspw. zwischen Adel und Nicht-Adel) hingewiesen. Aber auch die Chronologie des Burgenbaus und die Frage, was überhaupt als Burg zu bezeichnen ist, wurden nochmals diskutiert. Von allen Seiten wurde die Fruchtbarkeit des Dialogs zwischen Archäologen und Historikern hervorgehoben.

Die Ergebnisse der Tagung sollen in der Reihe "Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst" des Rheinischen Landesmuseums Trier veröffentlicht werden.