Das historische Erbe der Einwanderer sichern. Die Bundesrepublik Deutschland braucht ein Migrationsmuseum

Das historische Erbe der Einwanderer sichern. Die Bundesrepublik Deutschland braucht ein Migrationsmuseum

Organisatoren
Dokumentationszentrum und Museum über die Migration aus der Türkei e.V, Bundeszentrale für politische Bildung
Ort
Brühl (bei Köln)
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.10.2002 - 06.10.2002
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Von
Rainer Ohliger, Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Migration ist in aller Munde. Selbst die Historiker in Deutschland entdecken Migration in immer stärkerem Masse als Thema, dem adäquater Raum beigemessen werden sollte. Allerdings bedurfte es auf dem vergangenen Historikertag in Halle noch der ermunternden und auch ermahnenden Worte von Bundespräsident Rau (http://www.bundespraesident.de/frameset/index.jsp link: Reden und Zitate), der "Zunft" die stärkere Berücksichtigung des Themas anzuempfehlen.

Die zunehmende Historisierung der Migration, insbesondere der Arbeitsmigration der Nachkriegszeit nach Deutschland, wird von zwei sozialen Entwicklungen begleitet. Erstens ist eine zunehmende Präsenz von Akteuren zu beobachten, die selbst Einwanderer oder Kinder bzw. Enkel aus Einwandererfamilien sind. Zweitens erlangt nicht nur das Thema der Historisierung der Migration, sondern auch jenes der Musealisierung der Migrationsgeschichte wachsende Bedeutung, wie zahlreiche lokale, nationale und übernationale migrationsgeschichtliche Ausstellungen bzw. Ausstellungsvorhaben belegen. Stellt man diese Entwicklung in Rechnung, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Thema der Institutionalisierung der Migrationsgeschichte an einem permanenten Ort, sprich in einem Migrationsmuseum auf die Tagesordnung gelangte. Die ersten Schritte und konzeptionellen Vorüberlegungen wurden dafür auf der hier anzuzeigenden Tagung von DOMiT (Dokumentationszentrum und Museum über die Migration aus der Türkei e.V., http://www.domit.de) und der Bundeszentrale für politische Bildung vorgenommen. Die Veranstaltung führte auf Initiative und Einladung von DOMiT erstmals Repräsentanten und Experten von Migrantenselbstorganisationen mit NGOs, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Wissenschaft und Kulturinstitutionen (Museen, Bund) zusammen, um Strategien und Schritte für die Etablierung eines Migrationsmuseums in Deutschland zu diskutieren. Die Tagung fand im Ost-West-Kolleg der Bundeszentrale für politische Bildung in Brühl statt und wurde von der Bundeszentrale finanziell unterstützt und ko-organisiert.

Im ersten Eröffnungsvortrag skizzierte der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger, welche Rolle die historische Dimension des "Megathemas Migration" (Krüger) in der Erinnerungslandschaft Deutschlands einnehmen könnte und eröffnete die Debatte um die angemessene Institutionalisierung der Migrationsgeschichte in der bundesdeutschen Topographie des Gedenkens und Erinnerns. Krüger betonte die Notwendigkeit, das deutsche Geschichtsbild um die Dimension der Migration zu erweitern, Migranten und Migrantinnen aber darüber hinaus auch bessere, sprich gleichberechtigte Chancen der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Partizipation einzuräumen. Analog zum gender mainstreaming, so der Präsident der Bundeszentrale, sei z.B. das migrant mainstreaming zu erwägen, und zwar nicht nur im Bereich der kulturellen Repräsentation.

Der zweite Eröffnungsvortrag von Aytac Eryilmaz, dem spiritus rector DOMiTs, schilderte und reflektierte, wie die Entwicklung DOMiTs von den Anfängen als Migrantenselbstorganisation über die Quellensicherung hin zur Planung eines Migrationsmuseums verlaufen ist. Der 1990 an der Universität Essen gegründete Verein ging auf die Initiative türkischer Intellektueller in Deutschland zurück, die realisiert hatten, daß die deutsche Gesellschaft den Wandel zur Einwanderungsgesellschaft nicht erkannt und anerkannt hatte und zur Sicherung des historischen Erbes der Einwanderer allein zivilgesellschaftliches Engagement aus dem Kreis der Migranten-communities helfen würde. Durch den über mehr als ein Jahrzehnt hinweg betriebenen Aufbau einer Sammlung entstand so ein umfassendes materielles Gedächtnis der Migration aus der Türkei, das seinesgleichen in Europa sucht. Die kulturpolitische Bedeutung sei, so Eryilmaz, bisher von staatlicher Seite und der deutschen Gesellschaft nicht erkannt worden und eine institutionelle Förderung nicht erfolgt. Der Aufbau eines Migrationsmuseums erfordere deshalb nicht nur die Unterstützung durch die communities, sondern einer möglichst grossen Öffentlichkeit und einflussreicher gesellschaftlicher Gruppen. Die Initiative müsse allerdings von Migrant/innen selbst ausgehen, schliesslich sollte ein Migrationsmuseum ein realistisches und wissenschaftlich fundiertes Bild der vielfältigen und widersprüchlichen Geschichte der Einwanderung jenseits staatlicher Selbstinszenierungen und Mythenbildungen widerspiegeln. Ein Migrationsmuseum, so die Vision von Aytac Eryilmaz, solle nicht nur ein Haus der Migrationsgeschichte, sondern auch der Kultur und Kunst der Migration sein, das gleichfalls der Bildung und Forschung diene.

In einem umfassenden, analytisch scharfsinnigen Abendvortrag exemplifizierte Mathilde Jamin vom Ruhrlandmuseum Essen die Herausforderungen, Migrationsgeschichte im Museum auszustellen, anhand der Erfahrungen mit der Ausstellung "Fremde Heimat: Eine Geschichte der Einwanderung aus der Türkei". Die Ausstellung war in Kooperation mit DOMiT erarbeitet und im Jahr 1998 im Ruhrlandmuseum gezeigt worden. Die Erfahrungen dieses Unternehmens zeigten, daß Migrationsgeschichte ein überaus publikumswirksames Sujet ist, das für die museale Aufarbeitung und Darstellung allerdings eine besondere Herausforderung darstellt, da die Sammlungen und Magazine der Museen in Deutschland noch nicht allzu gut bestückt sind, um das Thema museal zu präsentieren. Insofern erwies sich die gleichberechtigte Kooperation mit der NGO DOMiT, die seit über einem Jahrzehnt Dokumente, Objekte und Artefakte zur Migration aus der Türkei nach Deutschland sammelt und während der gemeinsamen Ausstellungsvorbereitung mit dem Ruhrlandmuseum eine umfassende museale Sammlung zum Thema anlegte, als überaus gewinnbringend und fruchtbar. Die Besucherresonanz zeigte, daß es der Ausstellung gelungen war, Migranten und deren Kinder, oft auch jene aus so genannten bildungsfernen Schichten, anzusprechen und zu einem – meist erstmaligen – Museumsbesuch zu motivieren. Vor allem der Einsatz authentischer, sinnlich erfahrbarer Objekte aus der Sammlung von DOMiT, so die Referentin, habe eine erfolgreiche, oft auch durch starke Emotionen begleitete Rezeption der Ausstellung durch die Migranten und Migrantinnen bewirkt.

Jamin abstrahierte in einem zweiten Teil ihres Vortrags von den konkreten Erfahrungen der Ausstellungsmacherin und warf die Frage auf, welchen historischen Ort die Migrationsgeschichte im kollektiven Gedächtnis der in Deutschland wohnenden Bevölkerung haben könnte und sollte. Anhand der Denkfigur der "Erinnerungsorte" skizzierte sie in Anlehnung an das Werk von Etienne François und Hagen Schulze mögliche Erinnerungsorte in der Einwanderungsgesellschaft, die die Geschichte der Arbeitsmigration und ihre Kommemoration widerspiegeln. In den "Deutschen Erinnerungsorten" von Francois/Schulze blieben diese Facetten des kollektiven Gedächtnis noch explizit ausgespart: "Das kollektive Gedächtnis der jungen Deutsch-Türken, der Spätaussiedler, der Kriegsflüchtlinge und der Asylanten (sic) entzieht sich notwendigerweise unserem Blick." (François/Schulze, Deutsche Erinnerungsorte, Band 1, S. 22).

Vom Netzwerk Migration in Europa e.V. wurde am Folgetag durch ein zentrales Diskussionspapier (www.network-migration.org/MigMuseum) kritisch die Frage aufgeworfen, ob die Bundesrepublik tatsächlich ein Migrationsmuseum benötige und wenn ja, wie diese kulturelle Flankierung der Integration von Einwanderern aussehen und umgesetzt werden könnte. Das Diskussionspapier "Die Bundesrepublik braucht ein Migrationsmuseum – braucht die Bundesrepublik ein Migrationsmuseum?" warf Fragen und Anregungen auf, die zur Debatte um die mögliche Etablierung eines Migrationsmuseums beitrugen. Es wurden zehn Überlegungen inhaltlich und thematisch konjugiert, die sowohl theoretische als auch praktische Fragen der Planung, Umsetzung und Zielrichtung des Vorhabens aufwarfen. Im Mittelpunkt standen dabei die Fragen nach der zeitlichen, räumlichen und inhaltlichen Verortung einer solchen Institution, die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion eines Migrationsmuseums sowie nicht zuletzt die Frage nach möglichen Strategien zur Gründung einer Sammlung und Ausstellung und der Schaffung einer Lobby für das Projekt.

Markus Hodel und Thomas Buomberger vom schweizerischen Verein für ein Migrationsmuseum, der zentralen Initiative zur Etablierung eines Migrationsmuseums in der Schweiz, berichteten aus den dortigen Erfahrungen. Die bereits weit fortgeschrittene Initiative, die zur Zeit mit potenziellen Eigentümern von Museumsstandorten (umzunutzende ehemalige Industrieliegenschaften) in Zürich und Basel in Verhandlung steht, hat in den letzten zwei Jahren ein profundes inhaltliches und Finanzierungskonzept zur Errichtung einer solchen Institution entwickelt. Der detaillierte und ausgereifte Plan für ein "Museum" wurde im Laufe des Entwicklungs- und Diskussionsprozesses so erweitert und dimensioniert, daß nun eine urbane Erlebniswelt zum Thema Migration geplant wird, die einen musealen Teil aufweisen wird, der konzeptionell ähnlich wie das neu eröffnete von Daniel Libeskind entworfene Imperial War Museum North in Manchester konzipiert werden könnte.

Das von Hodel und Buomberger als top-down-Prinzip bezeichnete Selbstverständnis der Projektgruppe, wonach nur eine eher randständige Beteiligung von Migrantselbstorganisationen an der Konzipierung des Projekts und am Aufbau einer Sammlung zur Geschichte der Einwanderung vorgesehen ist sowie die Idee des Museums als virtuelle Erlebniswelt („urbane Begegnungswelt“), rief unter den Tagungsteilnehmen regen Widerspruch hervor. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß das schweizerische Konzept Anlass bot, den Begriff des „Museums“, sein tradiertes Bild, wie auch seine aktuellen und zukünftigen Aufgaben konzeptionell in Frage zu stellen. Das schweizerische Vorhaben, möglichst einen neuen Ort der Ausstellung und Begegnung zu schaffen, der auch als architektonischer Anziehungspunkt für ein grosses Publikum attraktiv sein solle, wurde hingegen als reizvoll betrachtet.

Das Panel "Beiträge zur Erinnerungskultur der Migration" lieferte dann ganz praktische Erfahrungen der letzten Jahre aus der Ausstellungs- und Repräsentationspraxis im Bereich der Migrationsgeschichte. Paola Fabbri-Lipsch vom italienischsprachigen Coriere d'Italia in Frankfurt referierte die Ergebnisse des Publikationsprojektes "Als ich nach Deutschland kam. Italiener berichten", das die historischen Erfahrungen italienischer Einwanderer/innen in Deutschland anhand von Briefen und durch von Migranten und Migrantinnen verfasste Berichte und Reflektionen überaus anschaulich und authentisch zum Leben erweckte. Der Erfolg des Projekts und die grosse Nachfrage nach (empathischer) migrationsgeschichtlicher Literatur und alltagsgeschichtlicher Historiographie zeigte sich im raschem Verkauf der italienischsprachigen Erstauflage und der zügigen Übersetzung ins Deutsche.

Die beiden Ausstellungskuratorinnen Franziska Dunkel und Gabriella Stramaglia-Faggion berichteten von ihrer Arbeit für das Kulturreferat in München bei der Konzeptionalisierung und Durchführung der Ausstellung "'Für 50 Mark einen Italiener': Zur Geschichte der Gastarbeiter in München", die unter der Ägide des damaligen Münchner Kulturreferenten Julian Nida-Rümelin im Jahr 2000 im und rund um den Münchner Hauptbahnhof gezeigt worden war. In der Diskussion des Projektes zeigten sich die Schwierigkeiten, mit denen die Etablierung der Migrationsgeschichte bzw. deren dauerhafte Repräsentation durch Musealisierung und Archivierung zu kämpfen hat: Die meist als Leihgaben zusammen getragenen Objekte wurden im Anschluss nicht zentral gesammelt, sondern an die Leihgeber zurück gegeben. Ein Teil des ausgestellten Materials fiel gar der Vernichtung zum Opfer bzw. wurde ohne erkennbare Absicht, es zu sichern, an die Eigentümer zurück gegeben, die durchaus Bereitschaft erklärt hatten, ihre Objekte bei sachgerechter Aufbewahrung einer dauerhaften Sammlung zu übertragen. Dies ist wohl eine bezeichnende Situation für den Stand der Migrationsgeschichte und ihrer Musealisierung in Deutschland. Man stelle sich, so ein Diskussionsteilnehmer aus dem Plenum, eine Parallele vor: Das Land Niedersachsen organisiert eine Ausstellung zur Geschichte der Welfen und im Anschluss kommt der landeseigene Schredder vorgefahren. Eine wohl undenkbare Situation.

Die Ausstellung "Fremde in Deutschland – Deutschland in der Fremde" (http://www.museumsdorf.de/ausstellung12a.html), die vom Cloppenburger Museumsdorf entwickelt und in den Jahren 1999 bis 2001 in Cloppenburg, Stuttgart, Hamburg, Leipzig und Magdeburg gezeigt worden war, stellte der Ausstellungsleiter Christoph Reinders-Düselder vor. Der Beitrag machte deutlich, wie vielfältig die deutsche Migrationsgeschichte ist, wenn man einen Gesamtblick einnimmt, der von langer Dauer geprägt ist, also bis in die Frühe Neuzeit und das Spätmittelalter zurück reicht. Die These des Referenten, daß es sich bei Migration keinesfalls um einen Ausnahmefall moderner Gesellschaften, sondern um eine anthropologische Konstante handelt wurde so überaus deutlich und anschaulich belegt.

Einen der ersten Gehversuche, Migrationsgeschichte in Deutschland auszustellen und gesellschaftlich wirksam werden zu lassen, zeigte in kritischer, anschaulicher und humorvoller Weise der Beitrag von Mira Renka (Arbeiterwohlfahrt Berlin) auf. Die 1987 in West-Berlin gezeigte Ausstellung "Der Weg – jugoslawische Frauen in Berlin" machte klar, welche politischen Implikationen und Herausforderungen die gekonnte Darstellung der Migrationsgeschichte haben kann, wie sie eingeübte Blicke herausfordern, verfremden und brechen kann, um so einen Dialog zwischen Einwanderern und der Mehrheitsgesellschaft zu bewirken.

Das von Martin Rapp (DOMiT) moderierte Panel, das nur einen kleinen Ausschnitt bisheriger Ausstellungen zur Migrationsgeschichte in Deutschland widerspiegelte, machte deutlich, wie facettenreich die Geschichte der Zuwanderung und der Zuwanderer/innen in Deutschland ist, welches Potential darin verborgen liegt, wie viele Schätze es noch zu bergen gilt und wie zeitgerecht die Tagung und das Tagungsthema waren. Der einhellige Konsens der Tagungsteilnehmer schien zu sein, daß die Musealisierung der Migrationsgeschichte eine überaus berechtigte Forderung ist, eine Forderung übrigens, wie sie mittlerweile auch von der Politik erhoben wird, wie sich auf der Tagung herausstellte. Nicht nur ein Papier der SPD-Bundestagsfraktion der vergangenen Legislaturperiode, sondern auch ein interfraktionelles Papier des nordrhein-westfälischen Landtags und die Vorschläge des NRW-SPD Landesvorsitzenden Harald Schartau, forderten bzw. regten die Etablierung eines Migrationsmuseums auf Bundes- bzw. Landesebene an, wie Aytac Eryilmaz von DOMiT in seinem programmatischen Beitrag am Eröffnungstag feststellte, als er den Tagungsteilnehmern die Arbeit, Zielsetzung und institutionelle Genese DOMiTs erläuterte.

Ein zweites Panel mit dem Titel "Braucht die Bundesrepublik ein Migrationsmuseum?", moderiert von Jan Motte vom Netzwerk Migration in Europa e.V., brachte verschiedene gesellschaftliche Akteure, insbesondere Sprecher/innen von Migrantenorganisationen, aber auch einen Vertreter des Staatsministers für Kultur und Medien, der für die kurzfristig ausgefallene Leiterin der Bundeskulturstiftung Hortensia Völckers eingesprungen war, an einen gemeinsamen Tisch. Einhellig wurde von den Vertretern der Migranten und Migrantinnen aus Gewerkschaft (Yilmaz Karahasan / IG Metall), Wohlfahrtsverbänden (Anrija Redzek / Arbeiterwohlfahrt), und Migrantenselbstorganisationen (Spyros Papaspyrou und Lioba Schulte / beide AGORA e.V. sowie griechische Gemeinde in Castrop-Rauxel und Oscar Calero/Spanisches Zentrum) die Idee begrüsst, ein nationales Migrationsmuseum zu gründen. Es bestand Konsens, daß dies eine Chance und Herausforderung für die deutsche Gesellschaft und die communities der Migranten und Migrantinnen als deren essentieller Bestandteil sei. Deutlich war die Überzeugung zu spüren, daß die Auseinandersetzung der deutschen Mehrheitsgesellschaft, der „Bio-Deutschen“ (kanak attak), wie ironisch formuliert wurde, mit IHRER Migrationsgeschichte eine Forderung von Seiten der Einwanderer/innen ist. Der Vertreter des Staatsministers für Kultur und Medien Burckhardt Beilfuss bremste allerdings die Erwartung, daß die Finanzierung eines Migrationsmuseums von Seiten des Bundes sicher gestellt werden könne, da der Bund nur in wenigen Ausnahmefällen überhaupt Museen finanziere. Dies sei im bundesdeutschen Kulturföderalismus in der Regel Aufgabe der Länder und Kommunen. Eine Mischfinanzierung aus öffentlichen (Land, Kommunen) und privaten Mitteln (Unternehmen, Stiftungen, Privatpersonen) unter Beteiligung und Mobilisierung der Migranten-communities, so Christoph Müller-Hofstede, Leiter der Projektgruppe Migration der Bundeszentrale für politische Bildung, scheine daher der meist versprechende Weg, das Vorhaben auf solide und tragfähige ökonomische Füsse zu stellen. Die weitest mögliche zivilgesellschaftliche Beteiligung bei der Konzeptionalisierung, aber vor allem auch bei der Finanzierung (Stiftungen, Unternehmen, Spenden aus Migranten-communities, öffentliche Hand) eines möglichen Migrationsmuseums, hatte schon der grundsätzliche Eröffnungsvortrag des Tages vom Netzwerk Migration e.V. skizziert.

Der dritte und letzte Tag der Tagung widmete sich der Diskussion praktischer Fragen, nämlich, wie Strategien, Wege und Schritte zur Verwirklichung des Vorhabens entwickelt bzw. eine Lobby und Öffentlichkeit hergestellt werden könne oder in anderen Worten: Wie können die drei bedeutenden 'Ks' gelöst werden, die die Vorbedingung der Realisierung darstellen: Konsens, Konzept, Knete? Ein wichtiger Baustein für ein zukünftiges Migrationsmuseum könnte ein Ausstellungsprojekt von DOMiT werden, das von der Bundeskulturstiftung als Initiativprojekt gefördert wird. Unter dem Arbeitstitel „Zwei, drei Jahre Germania...“ bereitet DOMiT in Kooperation mit dem Kölnischen Kunstverein eine Ausstellung zur Geschichte der Arbeitsmigration in Deutschland vor, die 2005 anlässlich des 50. Jahrestages des deutsch-italienischen Anwerbeabkommens zunächst in Berlin und später als Wanderausstellung in Rom, Athen, Istanbul, Madrid, Lissabon usw. präsentiert werden soll. Für dieses Ausstellungsprojekt wird DOMiT seine Sammlung, die sich bisher auf die Einwanderung aus der Türkei beschränkt, auf die gesamte Arbeitsmigration in Deutschland ausweiten. Ein Schwerpunkt wird dabei die Situation der so genannten „zweiten“ und „dritten“ Generation der Einwanderer sein. Diese erweiterte Sammlung könnte der Grundstock eines Migrationsmuseums werden. Für die Durchführung des Ausstellungsvorhabens wird DOMiT je eine wissenschaftliche Kraft einstellen, die über die fachlichen und sprachlichen Fähigkeiten verfügt und der entsprechenden community entstammt. Welche Form dann ein daraus resultierendes Migrationsmuseum annehmen könnte, bleibt abzuwarten. Die Diskussion der Tagung zeigte, daß über die Form eines Migrationsmuseums noch keine allgemeine Einigkeit besteht. Kontrovers war z.B., ob eine dezentrale oder zentrale Struktur eines Museums sinnvoller sei und ob der Begriff des Museums überhaupt noch trage oder nicht besser durch den Terminus "Haus der Migration(sgeschichte)" zu substituieren sei und sich so konzeptionell näher an den diversen Häusern der Geschichte in der Bundesrepublik (Augsburg, Bonn, Stuttgart) bzw. dem französischen Vorhaben eines Centre national de l'histoire et des cultures de l'immigration bewege (siehe: http://www.generiques.org/rapport.html), um so also Dokumentations- und Ausstellungszentrum sowie Ort des gesellschaftlichen Dialogs und Bildungszentrum zu werden.

Für die mittelfristige strategische Vorbereitung dieses Grossvorhabens schien diese erste Tagung - weitere sind geplant - äusserst sinnvoll, da ein Austausch der unterschiedlichsten Akteure initiiert und ein erster Konsens gefunden wurde, der die Interessen und Anliegen der Migranten und Migrantinnen als Subjekte ihrer Geschichte ernst nimmt und in das historische Bild integriert. Der dynamische und konstruktive Verlauf der Tagung und die viel versprechende Initiative von DOMiT macht allerdings wundern, ob das jüngst vom Bielefelder Emeritus Hans-Ulrich Wehler konstatierte "Türkenproblem" (taz vom 10. September, http://ww.taz.de/pt/2002/09/10/a0132.nf/text.name,askqcPmOAn,11 „Die Bundesrepublik hat kein Ausländerproblem, sie hat ein Türkenproblem. Diese muslimische Diaspora ist im Prinzip nicht integrierbar“) in Deutschland nicht vielmehr ein Versagen (auch) der bundesdeutschen Historiographie und ihrer Protagonisten ist, die in ihrer Mehrheit immer noch das Problem haben ("Historikerproblem"), sich den Bereich der Migration zu erschliessen und sich von ihren verkrusteten nationalhistoriographisch determinierten Strukturen zu lösen. Nähme die "Zunft" diese Herausforderung an, wäre dies ein substantieller Beitrag das historische und kollektive Gedächtnis der Einwanderungsgesellschaft auszugestalten und Migranten und Migrantinnen nicht im Status der "Menschen ohne Geschichte" (taz vom 7. Oktober 2002, http://www.taz.de/pt/2002/10/07/a0169.nf/text) zu belassen, sondern ein Integrations- und Deutungsangebot zu machen.


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