Synodengeschichte(n) zwischen Konsens und Konflikt

Synodengeschichte(n) zwischen Konsens und Konflikt

Organisatoren
Anna Imhof / Jolanda Gräßel-Farnbauer, Hans-von-Soden-Institut, Philipps-Universität Marburg
Ort
digital
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.11.2021 -
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Von
Jolanda Gräßel-Farnbauer, Hans-von-Soden-Institut, Philipps-Universität Marburg

Die jährlich stattfinde Tagung des Hans-von-Soden-Instituts der Philipps-Universität Marburg, an dem derzeit fünf Pfarrer:innen finanziert von den beiden hessischen evangelischen Landeskirchen promovieren oder habilitieren, stand in diesem Jahr unter einem kirchengeschichtlichen Fokus. Angeregt von den Promotionsthemen der Veranstalterinnen, die im Rahmen der Tagung ihre Arbeiten vorstellten, wurden Synodengeschichten vorrangig des 19. bis 21. Jahrhunderts in den Blick genommen. Die Ausgangsthese dabei war, dass die evangelischen Kirchen in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert Konflikte auf Synoden austragen und sich auf Konsense einigen mussten. Protestantische Kirchen-Geschichte sollte im Rahmen der Tagung exemplarisch anhand von Synodengeschichte(n) zwischen Konsens und Konflikt nachvollzogen werden.

WOLF-FRIEDRICH SCHÄUFELE (Marburg) bot in seinem Eingangsvortrag einen Überblick über die drei Formen von Einheitsbestrebungen und Einheitsmodellen zwischen den beiden infolge der Reformation entstandenen protestantischen Konfessionen (lutherisch und reformiert). Die erste und weiteste Form, die Irenik, d.h. das Bemühen um Verständigung zwischen den Konfessionen, begann mit dem Marburger Religionsgespräch 1529, welches trotz Verfehlung des Zieles einer Einigung zwischen Lutherischen und Reformierten kein Misserfolg gewesen sei. Bei der zweiten und weitergehenden Form, der Konkordie, stellte Schäufele die vier wichtigsten Konkordien vor: Die Wittenberger Konkordie von 1536 (Aussöhnung zwischen Wittenberger und oberdeutscher Position), den Consenus Tigerinus von 1549 (innerreformierte Einigung zwischen Zwingli und Calvin), die Konkordienformel von 1577 (innerlutherische Einigung) und die Leuenberger Konkordie von 1973. Letztere ermöglichte im 20. Jahrhundert die Kirchengemeinschaft – im Sinne von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft – zwischen lutherischen und reformierten Kirchen in Europa und Südamerika. Die dritte Form der Einheitsmodelle, die Union, ging noch weiter als die Konkordie und führte im 19. Jahrhundert zu institutionellen Zusammenschlüssen evangelischer Kirchen. Drei Ausgestaltungsformen der Unionen lassen sich unterscheiden (Verwaltungsunionen, föderative Unionen und Konsens- bzw. Bekenntnisunionen). Schäufele skizzierte zwei Einflussfaktoren für die Unionen im 19. Jahrhundert: Die durch den Wiener Kongress entstandenen gemischt-konfessionellen Territorien sowie die Einflüsse von Pietismus und Aufklärung, die durch Betonung der religiösen Subjektivität die Fokussierung auf die reine Lehre abwandten. Der Leuenberger Konkordie sowie den Unionen am Beginn des 19. Jahrhunderts verdanke es sich, dass es heute unter den evangelischen Kirchenmitgliedern kaum noch ein konfessionelles Bewusstsein bezüglich lutherisch und reformiert gebe. Der Vortrag stellte noch keine Synodengeschichte im eigentlichen Sinne dar, da Synoden erst im Laufe des 19. Jahrhunderts in den evangelischen Kirchen in Deutschland als Form der Kirchenleitung etabliert wurden. Jedoch führte Schäufele zur Hanauer Union hin, die er als „eigentliche Synodengeschichte“ bezeichnete.

ANNA IMHOF (Marburg) stellte in ihrem Vortrag die Synodengeschichte der Hanauer Union von 1818 dar. Ebenso wie in anderen Staaten (z.B. Preußen, Nassau, Baden) war im Gebiet der Hanauer Union (Hanau, Isenburg und Fulda) das Reformationsjubiläum 1817 Anlass für die Union. Voraussetzung für die Hanauer Union waren ebenfalls wie in anderen Gebieten die konfessionelle und wirtschaftliche Situation nach den napoleonischen Kriegen und dem Wiener Kongress sowie die geistesgeschichtlichen Einflüsse von Pietismus und Aufklärung. Das Gebiet der Hanauer Union war 1818 zu zwei Drittel reformiert und zu einem Drittel lutherisch. Auf Anregung des reformierten Konsistoriums berieten sich die beiden Konsistorien im Oktober 1817 und erarbeiteten gemeinsam neun Vorschlagspunkte zur Vereinigung von Lutheranern und Reformierten, die auf einer gemeinsamen Synode diskutiert und beschlossen werden sollten. Diese Vorschlagspunkte behandelten dabei v.a. administrative Fragen und Regelungen der äußeren Form. Daran wurde bereits der bewusste Verzicht auf das Finden eines Lehrkonsenses sichtbar. Begründet wurde dieses Vorgehen damit, dass eine geistig empfundene Einheit zwischen Lutheranern und Reformierten bereits bestehe. Diese innere Einheit gelte es äußerlich sichtbar zu machen. Die Vorschlagspunkte wurden im Vorfeld der Synode zur Beratung und Zustimmung an Pfarrer und Gemeinden geschickt. In den Antwortschreiben der Gemeinden zeigte sich ebenfalls die bereits empfundene Einheit und die breite Zustimmung bezüglich einer Union. Imhof fokussierte am Beispiel des gedruckten Synodenprotokolls den zentralen Konflikt um die Form des Abendmahles, insbesondere des konkreten Abendmahlsbrotes. Hier würden sich an einer scheinbaren Äußerlichkeit untergründig auch die Lehrunterschiede zeigen. Am Quellenbeispiel führte der Vortrag vor Augen, wie der gefundene Konsens bezüglich des Abendmahlsbrotes mitten in Verhandlung der Vorschlagspunkte zur Vereinigung führte. Imhof thematisierte abschließend die nur allmähliche Umsetzung des Konsenses und Konflikte am Beispiel einzelner Gemeinden. Der Fortbestand der Hanauer Union erkläre sich gerade aus dem Verzicht auf einen Lehrkonsens – wie den eigentlich geplanten gemeinsamen Katechismus.

Der zweite Teil der Tagung änderte den räumlichen und zeitlichen Fokus, indem die beiden weiteren Beiträge die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und das 20. und 21. Jahrhundert in den Blick nahmen.

JOLANDA GRÄSSEL-FARNBAUER (Marburg) beleuchtete die Rolle der EKHN-Synode im Gleichstellungsprozess von Frauen im Pfarramt der EKHN, der sich von 1949 bis 1971 über mehrere Synoden erstreckte. Die erste Regelung der Theologinnenfrage in der EKHN mit der sogenannten Vikarinnenverordnung von 1949 ging vom Ausbildungsreferenten, dem Oberkirchenrat (OKR) Hans-Erich Heß aus. Hierbei gab es keine Beteiligung der Synode; auch da Heß davon ausging, dass sich hierfür zu diesem Zeitpunkt kein Konsens finden ließe. Mit der Verordnung war bereits der Weg in Richtung geistlicher Gleichstellung geebnet aufgrund der Einführung der Ordination und der Sakramentsverwaltung zumindest im Rahmen des Dienstauftrages. Das sogenannte Pfarrerinnengesetz und damit die geistliche Gleichstellung 1959 ging ebenfalls auf OKR Heß zurück, der für den Gesetzentwurf verantwortlich war. Allerdings war nun auch die Synode beteiligt, insbesondere auch der Theologische Ausschuss, der für den finalen Gesetzentwurf mit dem Rechtsausschuss und OKR Heß zusammenarbeitete. Bei der Frühjahrssynode 1959 war eine breite Konsensbildung für das Gesetz möglich – trotz einer Grundsatzdiskussion bezüglich des Umgangs mit einschlägigen Bibelstellen auf der vorangegangenen Synodentagung und Widerspruch von außerhalb der Synode in Form von Eingaben. Insbesondere beim Pfarrerinnengesetz sehe man das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure, das für das Zustandekommen des Gesetzes notwendig war. Im Vergleich zur geistlichen Gleichstellung zeige sich laut Ausführungen von Gräßel-Farnbauer bei der rechtlichen Gleichstellung ein anderes Bild. Sowohl die Angleichung der Gehälter der Vikarinnen an die Gehälter der Pfarrer 1955 als auch die Lockerung des Heiratsverbotes für Pfarrerinnen (sog. Zölibatsklausel) 1968 und das gemeinsame Dienstrecht für Männer und Frauen im Pfarrberuf von 1970 waren alle von der Synode angeregt, initiiert und beschlossen worden; die entsprechenden Gesetzentwürfe kamen aus der Synode bzw. dem Rechtsausschuss. Die Synode der EKHN könne daher als wichtige Akteurin im Gleichstellungsprozess bezeichnet werden, insbesondere Ende der 1960er-Jahre. Allerdings seien dafür zunächst positive Erfahrungen mit Vikarinnen bzw. Pfarrerinnen nötig gewesen. Für diese habe OKR Heß mit der Verordnung von 1949 den Weg geebnet.

Die Perspektive gegenwärtiger Arbeit kirchlicher Synoden kam durch ein Interview mit einem Synodenexperten, dem derzeitigen Präses der EKHN-Synode, ULRICH OELSCHLÄGER (Worms), am Beispiel der EKHN-Synode in den Blick. Nach einer kurzen Darstellung seiner Aufgaben als Synoden-Präses (Synodenleitung sowie Repräsentation nach außen) betonte Oelschläger bezüglich der Frage nach Konsens und Konflikt der Synode heute, dass die Synode die Kirche geistlich und rechtlich leite. Die EKHN-Synode erlebe er als besonders konfliktfreudige Synode und führte aus, dass kein Gesetz so die Synode verließe wie es von der Kirchenleitung eingebracht werde. Ein aktuelles Beispiel sei die Pfarrstellenbemessung. Seine Rolle als Präses bei Konflikten läge in der Moderation und in der Absicht, alle verschiedenen Kräfte zu ihrem Recht kommen zu lassen. Wichtig sei es seiner Erfahrung nach, auch den Gegner:innen von Gesetzesvorhaben wie beispielsweise bei der Einführung der Segnung (später Trauung) gleichgeschlechtlicher Paare Raum zu geben. So gewinne die synodale Debatte an Würde und Sachlichkeit. An dieser Stelle unterstrich Oelschläger die Unterschiede zwischen Kirchensynode und Parlament: Als kirchliche Versammlung gäbe es in der Synode keine Fraktionen, keine Opposition und wenig polemische Angriffe. Selbstkritisch räumte Oelschläger ein, dass die Synode Prozesse stark verlangsamen bzw. lähmen könne und es der Kirchenleitung mitunter schwer machen könne.

In der Abschlussdiskussion – eingeleitet von ANGELA STANDHARTINGER (Marburg) als Direktorin des Hans-von-Soden-Instituts – wurde erörtert, inwiefern heutige Synoden ein gutes Leitungsinstrument in den anstehenden kirchlichen Modernisierungsprozessen sein können. Das an den Einzelgemeinden orientierte Delegationsprinzip verspreche Basisdemokratie und eine Stärkung der Nicht-Ordinierten, denen in der Zusammensetzung der Landessynoden eine Zweidrittelmehrheit garantiert sei. Unterrepräsentiert blieben allerdings kirchliche Berufe jenseits des Pfarramts, was auch die Frage nach ihrer Vertretung und der Repräsentanz notwendig spezialisierter Sachkompetenz stelle.

Konferenzübersicht:

Wolf-Friedrich Schäufele (Marburg): Irenik – Konkordie – Union. Innerprotestantische Einheitsbestrebungen und Einheitsmodelle

Anna Imhof (Marburg): Fallbeispiel I: Die Hanauer Union

Jolanda Gräßel-Farnbauer (Marburg): Fallbeispiel II: Gleichstellung von Frauen im Pfarramt der EKHN

Ulrich Oelschläger (Worms): Synodengeschichte(n) von heute (Interview)

Angela Standhartinger (Marburg): Abschlussdiskussion


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