"Erziehung zum deutschen Menschen". Völkische und nationalkonservative Erwachsenenbildung in der Weimarer Republik

"Erziehung zum deutschen Menschen". Völkische und nationalkonservative Erwachsenenbildung in der Weimarer Republik

Organisatoren
Bildungswerk der Humanistischen Union/Essen; Deutsches Institut für Erwachsenenbildung/Bonn; Forschungsinstitut Arbeit - Bildung - Partizipation/Recklinghausen; mit Unterstützung der Max-Traeger-Stiftung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Frankfurt
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.11.2005 - 26.11.2005
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Von
Nicole Hoffmann, Institut für Pädagogik, Universität Koblenz-Landau

Deutsch, deutschgläubig, konservativ, christlich-konservativ, völkisch, national, deutsch-national, nationalistisch, rechts, rassistisch, antisemitisch, antibolschewistisch... - lang ist die Liste der Selbst- und Fremdzuschreibungen, mit denen versucht wird, einen bestimmten Sektor erwachsenenbildnerischer Konzepte und lebensreformerischer Ideen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Blick zu nehmen. Auf welchen Begriff wären beispielsweise jene 13 im Jahre 1927 in einem "Nachweiser für das deutsche Volksbildungswesen" portraitierten Einrichtungen zu bringen, die auf ihre weltanschauliche Richtung befragt ausdrücklich ihre "deutsche Grundlage" betonten?

Die Bedeutung dieses vielschichtigen Strangs der Bildungsgeschichte einzuschätzen, die variierende Akzentuierung des "Völkischen", des "Nationalen" bzw. des "Christlich-Konservativen" in seiner pädagogischen wie politischen Dimension zu differenzieren sowie die Gestaltung der Übergänge in das "Dritte Reich" zu analysieren, darin bestand die Zielsetzung einer Fachtagung, die vom 24. bis zum 26. November 2005 unter dem Titel "'Erziehung zum deutschen Menschen'. Völkische und nationalkonservative Erwachsenenbildung in der Weimarer Republik" in Berlin-Spandau stattfand. Konzipiert und organisiert wurde die Veranstaltung von Paul Ciupke, Bildungswerk der Humanistischen Union/Essen, Klaus Heuer, Deutsches Institut für Erwachsenenbildung/Bonn, Franz-Josef Jelich, Forschungsinstitut Arbeit - Bildung - Partizipation/Recklinghausen, und Justus H. Ulbricht, Weimar/Jena.

Es handelt sich um ein - im Hinblick auf den noch eher fragmentarisch zugeschnittenen Forschungsstand zu diesem Themengebiet - ebenso notwendiges wie komplexes Unterfangen. So besteht bereits eines der die Tagungsdiskussion prägenden Leitmotive in der Problematik der Bestimmung adäquater Begrifflichkeiten, die eine Kennzeichnung bzw. die Zuweisung eines historisch-systematischen Ortes erlauben. Dabei sind nicht nur disziplinäre Fachgrenzen zwischen Geschichtswissenschaft und Pädagogik zu überwinden, auch darf die zeitliche Distanz, die ex-post-Perspektive nicht dazu führen, diesen Teilbereich der Erwachsenenbildung in der Zeit der Weimarer Republik einzig aus dem Horizont des Nationalsozialismus' begreifen zu wollen. Ohne Anschlussfähigkeiten bzw. Vorarbeiten der völkischen Richtung oder die in den 30er Jahren partiell erfolgende Bejahung des NS-Regimes zu leugnen, ist der Gebrauch von Begriffen wie "Volk", "Gemeinschaft" oder "Führer" in der Zeit davor nicht per se mit (prä-)faschistischem Gedankengut gleichzusetzen. Vielmehr, so wurde von verschiedenen ReferentInnen betont, gelte es, deutlicher die gedanklichen Wurzeln freizulegen, welche größtenteils in die Zeit vor Ende des 1. Weltkrieges zurückreichen. Diese Wurzeln sind wiederum, einzeln, nuanciert kontextbezogen, in ihrer spezifischen Weiterentwicklung zu verfolgen.

Diesem Anspruch gemäß setzte sich das Programm primär aus Vorträgen zusammen, die Ergebnisse dokumentenanalytischer bzw. archivarischer Recherchen fallbezogen im Kontext einer kritischen Rekapitulation des Forschungsstandes präsentierten, wobei sich die Beiträge anhand ihrer Zugänge zur Tagungsthematik gruppieren lassen; sei es 1. über einzelne "Konzepte", 2. über "Institutionen" oder 3. über "Personen" bzw. "Biografien".

ad 1. Vor allem mit der Rekonstruktion bestimmter "Konzepte" beschäftigten sich Paul Ciupke und Alexandra Gerstner. Unter dem Titel "Ganzheitsutopie oder professionelle Nüchternheit? Strömungen und Diskurse in der Erwachsenenbildung der Weimarer Zeit" ging PAUL CIUPKE u.a. Bedeutungsvarianten und Gebrauch der Begriffe "Volk" und "Volksgemeinschaft", "Gemeinschaft" und "Arbeitsgemeinschaft" nach. Einzelnen mahnenden Stimmen von Zeitgenossen zum Trotz ist innerhalb des diskursiven Feldes eine relativ ausgeprägte Abstinenz bzw. explizite Ablehnung gegenüber begrifflichen Bezugsgrößen wie "Demokratie", "Verfassung" oder "Republik" zu konstatieren, was Ciupke vor dem Hintergrund der Forderung nach weltanschaulicher Neutralität bzw. im Kontext der sich formierenden "freien" Erwachsenenbildung diskutierte. Konzeptuell Einigendes und Trennendes thematisierte auch die Mainzer Historikerin ALEXANDRA GERSTNER, wobei sie den zeitlichen Horizont ihrer Ausführungen weiter öffnete. So kann bereits um 1890 von einer "völkischen Bewegung" gesprochen werden, deren Anliegen es war, die "innere Reichsgründung" nachzuholen. Spätestens ab der Jahrhundertwende sind diverse - und keineswegs nur "völkische" - reformerische Ansätze zu konstatieren, welche der Idee der Schaffung eines "neuen Menschen" in unterschiedlichen Formen eine Renaissance bescherten. Vertiefend ging Gerstner dabei zum einen "Züchtungskonzepten" sowie zum anderen dem "völkischen Persönlichkeitskult" nach, der in Formulierungen gipfelte, wie "einen Deutschen kann nur ein Deutscher zur idealen (d.h. deutschen) Persönlichkeit erziehen". Aufgrund des Bezugs auf einen - rassisch elitär grundierten - Erziehungs- bzw. Zuchtbegriff blieb in diesen Traditionslinien der inhaltliche Anschluss an den Erwachsenen-"Bildungs"-Diskurs nachrangig.

ad 2) Wie wechselhaft die Bedeutung bzw. die Auslegung nationalkonservativen Gedankengutes von der Mitte des 19 Jahrhunderts bis hin zur Machtergreifung der Nationalsozialisten ausfallen kann, illustrierte HELMUT BRÄUTIGAM am Beispiel des Tagungsortes bzw. -hauses. Unter institutionsgeschichtlicher Perspektive gab der Leiter des historischen Archivs des Johannesstiftes, Berlin-Spandau, einen Überblick zu Orientierungen, Akteuren und Bildungsangeboten im Kontext der "Inneren Mission". Neben der Vernetzung mit konservativen Kreisen, punktuellen Kontakten zu den religiösen Sozialisten, aber zeitweilig auch im Sinne der Fichte-Hochschulen steht das Johannesstift für den Versuch einer christlichen Fundierung der Bildungs- und Sozialarbeit als Teil einer idealistisch klassenübergreifenden Volksbewegung, die weder die Nähe zu Humanismus und Liberalismus noch zu rassisch elitärem Ideengut suchte. Eine Führung durch die weitläufige Anlage des Stiftes unter der Ägide von GUNTER KORB ergänzte diese Perspektive. Ebenfalls vor einem institutionsbezogenen Hintergrund stellte der Historiker BERTHOLD PETZINNA Konzeption, Politik und Praxis des "Politischen Kollegs" vor, dessen Veranstaltungen im Übrigen zeitweilig im Johannesstift stattfanden. Unter Verweis auf Traditionslinien und personelle Verknüpfungen mit dem "Ringkreis" und dem "Juniklub" portraitierte Petzinna das im "Schutzbundhaus" in Berlin residierende Politische Kolleg im Hinblick auf seine organisatorische Struktur und die Lehrgangspraxis als eine weite Kreise erreichende, konservative Bildungsstätte der Weimarer Republik, die später in eine Parteischule der DNVP umgewandelt wurde. In die Reihe von zeittypischen Organisationsformen mit gemeinschaftsstiftendem Anspruch, wie "Kreis", "Club", oder "Kolleg", kann auch die Arbeit der von GREGOR HUFENREUTER vorgestellten "Bünde", "Deutschbund" und "Neuer deutscher Kulturbund in Österreich", gestellt werden. Ein Schwerpunkt des Beitrags lag dabei auf der Herleitung bzw. der Verortung des "rasseantisemitischen Fundaments" des Deutschbundes in der wilhelminischen Ära. Die "Förderung der deutschen Wesensart" fand ihren Ausdruck u.a. in national orientierten Lesezirkeln und Volksbüchereien, in der Veröffentlichung von Zeitschriften oder Auswahllisten deutscher Literatur sowie in der Unterstützung bzw. Durchführung entsprechender Fortbildungen, Jugendlandfahrten, Ausstellungen und Vorträge. Das auf großstädtische Vielfalt ausgerichtete Politische Kolleg bzw. den auf Breitenwirkung abzielenden Deutschbund in eine weitere Richtung ergänzend stellte BETTINA REIMERS die christlich-nationalen Bauernhochschulen in Thüringen vor. Am Beispiel der 1921 gegründeten Einrichtung in Neudietendorf wurde vor Augen geführt, wie notwendig ein jeweils spezifizierender Blick auf die Nuancierung von Programmatiken und Praktiken der Erwachsenenbildung im Verlauf der Jahre ist. So verstand sich Neudietendorf etwa - durchaus in Abgrenzung von den Vorstellungen eines Bruno Tanzmann - zunächst als "Schul- und Lebensgemeinschaft" mit dem Ziel der Bildung einer Führungselite innerhalb des deutschen Landvolks unter Koppelung von Christentum und Deutschtum mit explizit regionalem Bezug. Ab 1928 erfolgte eine Radikalisierung von christlich-konservativen zu nationalistisch-völkischen Leitgedanken; ab 1933 gewann dann eine primär parteipolitische Ausrichtung die Oberhand - unter Ausschluss der an der Gründung maßgeblich beteiligten Kirchenvertreter.

ad 3) Komplementär zu den konzept- und institutionsorientierten Perspektiven wählte ein dritter Bereich von Vorträgen den Zugang über biografische Aspekte. So fokussierte ULRICH PREHN, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, in seinem Beitrag die "Deutschtums"-Propaganda als "politische Bildungsarbeit" im Spiegel des Werdegangs von Max Hildebert Böhm. Der Lebenslauf des 1891 geborenen Böhm verdeutlicht charakteristisch die mögliche Koppelung von frühen Vorstellungen einer deutschen Elitebildung hin zu großdeutschen Phantasien mit dem Feindbild des Panslawismus. Zugleich werden dabei die interinstitutionellen Verbindungen vor Augen geführt, so zwischen Juniklub, Deutschem Ring, der "Arbeitsstelle für Nationalitäten- und Stammesprobleme" innerhalb des Politischen Kollegs sowie dem daraus hervorgehenden "Institut für Grenz- und Auslandstudien". Von einem anderen biografischen Zuschnitt zeugt das Leben von Friedrich Schöll, den CHRISTOPH KNÜPPEL in das Zentrum seines Vortrages stellte. Auch Schölls Ideen eines "arteigenen Volksglaubens" und sein Engagement für die "Arbeitsgemeinschaft Vogelhof" wollten als "Vorarbeiten zu einer geistigen Einheit des deutschen Volkes" verstanden werden, wobei hier jedoch die Wurzeln eher in der Siedlungs- bzw. Lebensreformbewegung zu suchen sind. So kann Schöll - insbesondere im Hinblick auf die Reformpädagogik - auch als Beispiel dafür betrachtet werden, wie das Ideenpotential einer Epoche zur Krisenbewältigung weltanschaulich unterschiedlich ausgelegt werden kann. Eine weitere Variante wusste KLAUS AHLHEIM, Arbeitsgruppe Politische Bildung an der Universität Duisburg/Essen, mit dem Portrait Hans von Lüpkes zu präsentieren. Der 1876 geborene Landpfarrer legte mit der 1919 erschienenen Schrift "Die deutsche Volkshochschule für das Land" eine Konzeption einer eigenständigen Bildungskultur für den ländlichen Raum vor und suchte dies im Rahmen der Dorfkirchenbewegung zu realisieren. Auch wenn antisemitische Elemente erst nach 1933 in die Arbeit integriert wurden, so kann das Beispiel von Lüpkes doch als ein Beleg für die These einer logischen Kontinuität in der Entwicklung der volksideologischen Erwachsenenbildung der Weimarer Republik hin zum Nationalsozialismus verstanden werden. Mit dem Vortrag von FRANZ-JOSEF JELICH zur Person Wilhelm Stapels kam eine weitere Facette ins Spiel, die nach den tendenziell eher volkskundlichen, lebensreformerischen und christlichen Wurzeln nun auf eine staatsrechtlich inspirierte Argumentation abhob. So betrachtete Stapel die Weimarer Verfassung als "eine Vergewaltigung des organischen Volkslebens" und leitete daraus eine volksbürgerliche Erziehungsaufgabe im Sinne einer "Erweckung" des "deutschen Nationalcharakters" ab. Markant ist die Figur Stapel u.a. im Hinblick auf die Durchsetzungsmechanismen des konservativen Nationalismus'. Als Autor, als Redakteur, als Schriftleiter des "Deutschen Volkstums", in diversen Funktionen für den Deutschen Handlungsgehilfen-Verband, in erwachsenenbildnerischer Tätigkeit am Hamburger Volksheim oder durch die Mitarbeit bei der Fichte-Gesellschaft gelingt es Stapel umfassend, seine Vorstellungen zu propagieren.

Den Abschluss der Tagung bildete eine ebenso zusammenfassend wie perspektivisch angelegte Tagungsbilanz von UWE PUSCHNER, FU Berlin. Auch er greift das Leitmotiv der Notwendigkeit einer Verständigung über zentrale Begriffe angesichts ihres zeit-, system- und milieuspezifischen Gebrauchs auf und stellte dies zudem in Zusammenhang mit der für die Tagungsthematik erforderlichen Erweiterung des Horizontes hinsichtlich einer international vergleichenden Perspektive sowie der Berücksichtigung eines umfassenderen zeitlichen Ausschnittes jenseits der Phase der Weimarer Republik. Des Weiteren unterstützte er eine differenzierende Herangehensweise an ideen-, institutions-, personen-, wirtschafts- und sozialgeschichtliche Einflüsse, um der Fragmentierung, den Schnittmengen und der Entwicklungsdynamik innerhalb des "völkischen" Lagers gerecht zu werden. Impulse für eine weiterführende Forschung sah Puschner u.a. in einer vertieften Auseinandersetzung mit der Figur des "Intellektuellen", in einer Beschäftigung mit der Bestimmung und der Erfassung der Bedeutung des "Religiösen" sowie in einer Fokussierung der Dimensionen des Generationen- wie des Geschlechterverhältnisses.

Forschungspraktisch gilt es, die viel versprechende interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Vernetzung von Institutionen der historischen Forschung weiter auszubauen. Dies ist auch im Sinne der Empfehlungen des 2002 im Auftrag des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung vorgelegten Memorandums zur historischen Erwachsenenbildungsforschung, auf das bereits KLAUS HEUER im Eröffnungswort der Organisatoren verwies. Es bleibt zu hoffen, dass die erarbeiteten Ansätze und angeregten Diskussionen langfristig weiter verfolgt werden können. Beiträge dazu leistete die Tagung bereits indirekt: Zum einen indem die Organisatoren bei der Auswahl der ReferentInnen sowohl etablierte als auch mit Qualifikationsvorhaben befasste WissenschaftlerInnen berücksichtigten; zum anderen durch eine Öffnung der Fachtagung für ein studentisches Publikum. Einen weiteren Schritt stellt die in Vorbereitung befindliche Veröffentlichung der Tagungsbeiträge dar.


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