Leinwand zwischen Tauwetter und Frost: Der osteuropäische Spiel- und Dokumentarfilm im Kalten Krieg

Leinwand zwischen Tauwetter und Frost: Der osteuropäische Spiel- und Dokumentarfilm im Kalten Krieg

Organisatoren
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam e.V.
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.10.2005 - 23.10.2005
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Von
Simone Schlindwein, Berlin

Die große Bedeutung des Mediums Film für eine kultur- und gesellschaftsgeschichtliche Aufarbeitung des Kalten Krieges ist durch aktuelle Veröffentlichungen erneut deutlich geworden. Als Projektionsfläche für Sehnsüchte, Ängste und Stimmungen, als Träger kollektiver Erinnerungen und nicht zuletzt als Mittel ideologischer Einflussnahme liefern Filme wichtige Hinweise auf gesellschaftliche und politische Orientierungen europäischer Staaten im internationalen Wettbewerb der Systeme. Darüber hinaus haben Film und Fernsehen das Wissen und die Deutung von gesellschaftlichen Vorgängen entscheidend geprägt und die (Selbst-)Wahrnehmung der Akteure permanent beeinflusst. Sich als Historiker in diesem Zusammenhang dem Filmschaffen osteuropäischer Staaten zu widmen, ist nicht nur Ausdruck gegenwärtiger Bevorzugung kulturgeschichtlicher Themen. Der Film hatte – ebenso wie Literatur und Kunst – in sozialistischen Gesellschaften einen viel stärkeren gesellschaftspolitischen Bezug als im Westen. Um sie für machtpolitische Ziele instrumentalisieren zu können, bedienten sich die jeweiligen Regierungen gezielt des Zugriffs auf den staatlich kontrollierten Bereich der offiziellen Kultur und der Medien. Andererseits reagierten diese besonders sensibel auf den gesellschaftlichen Wandel und die jeweiligen politischen Kurswechsel. Insbesondere der Bereich des Films diente in diesem Zusammenhang häufig als Erprobungs- und Demonstrationsfeld.
Ausgehend von diesen Prämissen wurde auf der Tagung erstmals der Versuch unternommen, die nationalen Filmkulturen Osteuropas vor dem Hintergrund des Kalten Krieges in der Perspektive eines transnationalen Vergleichs zu analysieren. Eingeladen waren Historiker, Sozial- und Kulturwissenschaftler östlicher und westlicher Provenienz. Das Rahmenthema wurde dabei unter interdisziplinären Aspekten und mit verschiedenen Zugängen diskutiert, um sich der gesellschaftlichen Funktion von Filmen in den Ländern Osteuropas während des Kalten Krieges sowohl zeitlich also auch inhaltlich möglichst umfassend zu nähern.

Film als Instrument der kulturellen Diplomatie

Der Film diente im Kalten Krieg als Medium der kulturellen Diplomatie, nicht nur zwischen den Blöcken, sondern auch innerhalb des Ostblocks. Durch die internationale Rezeption von Filmproduktionen wurden nicht nur deren Helden und Erzählungen über nationale Grenzen hinweg verbreitet, sondern auch der jeweilige nationale Zeitgeist, der durch den Film interpretiert und reflektiert wird. Diese These veranschaulichte Marsha Siefert (Budapest) in ihrem Eröffnungsvortrag „Russian Lives, Soviet Films: The Biopic, The Artist and the Cold War“. Sie stellte damit nicht nur den Film als reines Exportprodukt in den Vordergrund ihrer Betrachtungen, sondern ebenso seine Protagonisten, seinen Regisseur, seinen Produzenten sowie den Inhalt und die Interpretation seiner Handlung. Die von ihr ausführlich untersuchten sowjetischen Biopics (biografische Musikfilme) dienten nach dem Zweiten Weltkrieg demnach primär der Rückbesinnung auf kulturelle Höhepunkte der nationalen Geschichte. Sie zelebrierten nicht nur die Werke großer Komponisten wie Čajkovskij oder Šostakovič, sondern auch den Zeitgeist, der diese in ihrem kulturellen Schaffen beeinflusste.
Insofern liefere das Genre der Biopics, so Siefert, einen verhältnismäßig schlechten Zugang zum sowjetischen Realismus des späten Stalinismus, da sie nicht die Wirklichkeit, sondern den interpretierten, historischen Zeitgeist sowie den sozialen Diskurs einer vergangenen Ära einzufangen versuchten und zugleich überhöhten. Dennoch ermöglichen die biografischen Filmmotive in einer vergleichenden Betrachtung zwischen Ost und West, also zwischen Moskau und Hollywood, Erkenntnisse über das „typisch Sowjetische“ bzw. „typisch Sozialistische“ eines Films. Der positive Held eines spätstalinistischen Biopics demonstriert die Grenze der sozialistischen Erfahrungs- und Deutungshorizonte: Im Kontrast zu amerikanischen biografischen Filmkompositionen führt der sozialistische Protagonist kein privates Leben. Sein ganzes Schaffen, sein komplettes Werk, sein gesamtes Leben ist eine Reflektion des sozialen Diskurses jener Zeit. Demnach stellte sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Verhältnis zwischen heroischen Filmen wie „Der Fall von Berlin“ (Padenie Berlina, SU 1949) und Stalins eigens generierten Personenkultes, der dem Genre des Biopics eine eindeutig politische Facette verlieh.
Marsha Siefert betonte in ihrem Vortrag die Wichtigkeit der zeitlichen Periodisierung, da auch der kulturelle Bereich des Films im Kalten Krieg mehrere Wandlungen vollzog und gewissen politischen Einflüssen ausgesetzt war. Diese Frage wurde auch im weiteren Verlauf der Tagung immer wieder aufgegriffen, ebenso wie die Frage der Rezeption der Filme im In- und Ausland.

Film und Ideologie

Dem Film als Herrschafts- und Repräsentationsmittel wurde in der ersten Sektion des Symposions besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sergeij Dobrynin (Budapest) analysierte in diesem Zusammenhang das Bild des Westens, das im späten sowjetischen Kino zwischen 1968 und 1986 generiert wurde. Er zeigte die innere Eigendynamik auf, die im Bereich des Filmschaffens in Gang gesetzt wurde, nachdem Stalins Deutungsmonopol nach dessen Tod keinen eng begrenzten und ideologisch fest umrissenen Rahmen mehr definierte. Während in der stalinistischen Periode der Film, seine Handlung sowie seine übergeordnete Botschaft von der totalitären Betrachtungsweise gekennzeichnet waren, nämlich dass die Lebenswelten der unterschiedlichen Systeme inkompatibel seien, sich die Welt in „Gut und Böse“, „sozialistisches Paradies und kapitalistische Hölle“ abgrenzen ließ, zeigt die post-stalinistische Entwicklung in der Filmproduktion ein facettenreicheres Weltbild. Nach wie vor blieb zwar die Thematik der Spionage sowie die Immigration ins unbekannte Ausland eine zentrale Konstante in der inneren Handlung des Films und dessen Protagonisten. Dennoch unterliegen die Bilder, die in sowjetischen Filmen über das westliche Ausland gezeichnet werden, in den 1960ern und 1970ern eher liberaleren Tendenzen. Dobrynin demonstrierte seine Thesen anhand von Filmausschnitten aus „Der Brillantenarm“ (Brilliantovaja ruka, SU 1968) von Leonid Gajdaj: eine russische Touristengruppe besichtigt das westliche Ausland, das hier in einer fiktiven Szenerie aus griechischen, arabischen und italienischen Einflüssen dargestellt wird. Das Repertoire der Protagonisten habe sich im Vergleich zu den Spionagefilmen deutlich erweitert und die Bilder des kapitalistischen Auslandes seien weniger ideologisch eingefärbt. Auch die zunehmende Zahl der Koproduktionen zwischen sozialistischen und westlichen Filmproduzenten in den Jahren 1972 bis 1975 zeigen, dass in jener Zeit des „filmischen Tauwetters“ die Filmschaffenden mehr entideologisierte Räume zur Verfügung hatten, als allgemein angenommen. Auch Dobrynin griff im weiteren Verlauf seines Vortrages die Frage der Periodisierung und zeitlichen Wendepunkte innerhalb des Kalten Krieges erneut auf. Ähnlich wie Marsha Siefert kann auch Dobrynin in seiner Untersuchung nach 1979 eine erneute Ära des „Frosts“ im Kalten Krieg ausmachen, die sich deutlich im sowjetischen Spielfilm widerspiegelte: Die Stigmatisierung der Popmusik sowie die Samizdat-Literatur als Kultur-Propaganda zu Beginn der 1980er-Jahre beweise die unüberbrückbaren Unterschiede zwischen Ost und West und diene demnach dem Zweck, die sowjetischen Werte mittels deutlicher Abgrenzung vom Westen zu festigen.
Diese These untermauerte anschließend Detlef Kannapin (Berlin) in seiner Untersuchung der ideologischen Grundlagen des sowjetischen Kinos.
Zu den wichtigsten ideologischen Eckpfeilern, die über den Status des sowjetischen Films im Gefüge des Kalten Krieges und unter Berücksichtigung der Außensicht auf das osteuropäische Staatengeflecht sowjetischen Typs Erhebliches aussagen können, zählt er die am Anfang angesprochenen Basiswerte Sozialismus/Kommunismus, Modernität, das sozialistische Menschenbild und die filmische Darstellung des Zweiten Weltkrieges.
Er bemüht sich um die Einordnung des Films in den allgemeinen Diskurs der Kultur, wobei er das Medium Film als ästhetischen Ausdruck sozialer Aktion und Produktion von Sinnzusammenhängen versteht. So kann, seinem Verständnis nach, der Film als Herrschafts- und Repräsentationsmittel entweder nur ideologisch eingefärbt oder ideologiekritisch, jedoch nie gänzlich ideologiefrei sein. Der sowjetische Spielfilm diente demnach nicht nur in seiner Kulturaußenpolitik, sondern ebenso in seiner innenpolitischen Komponente der Produktion „ideologischer Abziehbilder“ und muss aus diesem Grund als gänzlich realitätsfern betrachtet werden. Der sozialistische Realismus, der stattdessen im Film generiert wird, ist dagegen funktional zu betrachten und verfolgt das Ziel der Disziplinierung des von ihm propagierten „neuen Menschen“. Zunächst als eine ultimative Praxisanleitung ausgeschrieben, entwickelte sich der Umgang mit der Doktrin des so genannten Sozialistischen Realismus nach 1956 im Filmwesen jedoch zu einer verbal akzeptierten, aber ständig unterlaufenen Formalität, deren Bindungskraft für die ideologische Standortbestimmung mehr und mehr schwand. Denn die transnationale Attraktivität des sowjetischen Kinos sollte sich weniger aus dem offensiven Angriff auf das gegnerische politische System, sondern eher aus der positiven Darstellung des Gegenwartslebens der UdSSR ergeben, was im Laufe der Zeit zunehmend schwieriger wurde, weil die defizitären Strukturprobleme in der Gesellschaft nicht länger als deren Vorzüge inszeniert werden konnten.

Film und Kinosaal

Die zweite Sektion war der Frage nach der Filmöffentlichkeit und Zensur gewidmet, wobei die Referenten exemplarisch sowohl ideologisierte sowie ideologiekritische Kategorien und Themenbereiche präsentierten. Günther Agde (Berlin) referierte zur filmischen Instrumentalisierung von NS/KZ-, Spezial- und Kriegsgefangenenlagern von 1945 bis 1950 in osteuropäischen Kinematographien und formulierte die These, dass sich sowohl in Spiel- als auch in Dokumentarfilmen die Lager optisch nicht unterscheiden ließen, obwohl als Grundlage ihrer Szenerie nicht selten Originalaufnahmen verwandt wurden. Ob nun KZ, Gefangenenlager oder Gulag: als Sammelorte waren sie optisch von standardisierten Strukturen geprägt und somit propagandistisch motiviert. Anhand seiner komparativ angelegten Analyse zwischen der Lager-Darstellung im DDR-Kino sowie im polnischen Kino schlussfolgerte Agde, dass je mehr die Erinnerungskultur durch den Film instrumentalisiert wurde, die Lager umso weniger der Realität entsprochen hätten, da sie nachgebaut und idealisiert wurden.
Elena Müller (Dresden) präsentierte im Folgenden die Untersuchungsergebnisse zur sowjetischen Filmkomödie der Nachstalinzeit in ihrer historischen Entwicklung und lieferte somit eine exemplarische Analyse des ideologiekritischen Teilaspektes der sowjetischen Filmkultur. Bereits unter Stalin avancierte die Komödie zu dem Genre des Sowjetfilms und wurde somit auch in post-stalinistischer Zeit zu einem entscheidenden Faktor der populären Massenkultur. Für diesen Erfolg zieht Elena Müller zwei Gründe in Betracht: Zum einen war das humoristische Genre beinahe der einzige öffentliche Ort in der Sowjetkultur, wo Kritik an einzelnen Missständen zugelassen war. Das in der Gesellschaft immanent vorhandene Bedürfnis, auch das Negative zu kommunizieren, das in der Sowjetkultur von oben stark eingeschränkt wurde, führte zur Popularität und der Aufwertung der Komödien wie des gesamten Satire-Genres der Kultur. Zum anderen konnten gerade die Komödien den Spagat zwischen verpönter westlicher Massenkultur und der ebenfalls verpönten elitären ‚bürgerlichen‘ Kultur eine Zeit lang erfolgreich meistern und waren tatsächlich zu einem Genre für das ‚gesamte Sowjetvolk‘ geworden, wobei der Begriff „massovost‘ “ (etwa: Massentauglichkeit) dagegen als durchaus positiv besetzt galt.
Die Grenzen der Entstalinisierung zeigte im Anschluss Carola Tischler (Berlin) auf, die anhand des Films „Das Gesetz“ (Zakon) des Regie-Duos Alov und Naumov veranschaulichte, dass den sowjetischen Filmschaffenden in der post-stalinistischen Ära die Schranken ihrer gestalterischen Freiheiten aufgezeigt wurden. „Das Gesetz“ thematisiert die letzten Tage Stalins und ist mit Details bestückt, die erst nach 1989 zutage kamen, unter anderem mit Originaltonaufnahmen von Berija. Carola Tischler zufolge ist es ein vergessener Film, der bis heute keinen gebührenden Platz im Bewusstsein der Historeographie einnimmt. Denn obwohl der Film 1964 positiv beurteilt und 1966 in den Verleihplan von Mosfilm aufgenommen wurde, sei er nach langer Hinhaltetaktik dennoch erst 1989 realisiert worden, als Naumov bereits nicht mehr lebte.

Kulturaußenpolitik

Der Film als Waffe im Kalten Krieg wurde in Sektion drei anhand von ausgewählten Filmen diskutiert. Cord Eberspächer (Berlin) und Gerhard Wiechmann (Oldenburg) demonstrierten, dass auch die deutsch-deutsche Kulturaußenpolitik ihre Stellvertreterkriege mittels des Mediums Film in Afrika zu führen wusste. Der „lachende Mann“ war die erste gemeinsame DEFA-Produktion der Film- und Fernsehjournalisten Walter Heynowski und Gerhard Scheumann, der sich bis Ende der 1980er-Jahre Dutzende von Produktionen anschlossen, die teilweise starke internationale Beachtung fanden. Obwohl der „lachende Mann“ hauptsächlich die Ereignisse im Kongo des Jahres 1964 zum Hintergrund hat, wenn er auch immer auf tatsächliche oder angebliche Aktivitäten der Bundesrepublik in Afrika eingeht, ist ein Höhepunkt des Films die Denunzierung des damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke als „KZ-Baumeister“ und des damaligen westlich orientierten kongolesischen Ministerpräsidenten Moises Tschombé als „Massenschlächter“. Dieser eigenartig und scheinbar aus dem Zusammenhang gerissene Exkurs sei heute nur verständlich in Kenntnis der außenpolitischen Situation der DDR Mitte der 1960erJahre. Denn die „Lübke-Intrige“ sei einer der schärfsten und subtilsten Versuche der DDR-Staatsführung gewesen, das politische System der Bundesrepublik Deutschland im „Kalten Krieg“ in seinen Grundlagen zu erschüttern.
Die Möglichkeiten und Grenzen filmischer Zusammenarbeit zwischen den Systemen zeigte anschließend Lars Jockheck (Hamburg) anhand der deutsch-polnischen Spielfilm-Produktion „Der 8. Wochentag“ von 1957 auf. Artur Brauner von CCC-Film aus West-Berlin und der polnische Regisseur Aleksander Ford waren die treibenden Kräfte hinter dieser Koproduktion, die seinerzeit in der westlichen Presse als „eine kleine politische Sensation zwischen Ost und West“ bewertet wurde. Die Voraussetzungen für eine solche Kooperation waren Ende der 1950er-Jahre denkbar günstig, denn es wurden erstmals künstlerische Freiheiten gewährt. Die Abkehr von den alten Doktrinen des sozialistischen Internationalismus ermöglichte der neuen polnischen Schule die Produktion von Heimatfilmen sowie Problemfilmen, die Kontroversen und umstrittene Themen des Alltags aufgriffen. Dennoch wurde „Der 8. Wochentag“ bei seiner Uraufführung in Venedig als rein deutsche Produktion eingestuft, woraufhin die polnischen Filmschaffenden ihre Teilnahme an den internationalen Filmfestspielen in Venedig aus Protest absagten.
Ebenso wie an Jockhecks Beispiel so wurde auch in Barbara Wurms (Berlin) Referat „Walzer der Freiheit – der Fall Österreich“ deutlich, dass sich die Filmdiplomatie auf mehreren Ebenen abspielte und diese im Einzelnen zu untersuchen sind. Barbara Wurm erläuterte anhand des sowjetischen, fünfteiligen Dokumentarfilms „Walzer der Freiheit“ (Val's svobody) die Filmdiplomatie gegenüber dem zwanzig Jahre zuvor von den sowjetischen Truppen befreiten Österreich. Die offizielle Botschaft dieses Films, dessen primäre politische Aufgabe es 1965 war, die Erinnerung wach zu halten, dass die Kulturmetropole Wien nur durch den Einsatz der Roten Armee überhaupt noch existiert, unterscheidet sich von der inoffiziellen Diplomatie, die mittels dieses Mediums vermittelt wurde. Barbara Wurm verdeutlichte, dass sich der Topos des Walzers stets mit jenem der Befreiung und schließlich der Freiheit verbindet – und dass man im Zuge der Beschäftigung mit der Filmdiplomatie den Eindruck gewinnt, dass es sich beim „Walzer der Freiheit“ nicht mehr nur um einen Topos handelt, sondern fast schon um eine eigenständige Gattung, die genau das spezifische Beziehungsgeflecht zwischen Österreich und der Sowjetunion bezeichnet.

Sozialistische Filmfeste

Den Gemeinsamkeiten der sozialistischen Filmfestspiele wurde sich in der vierten Sektion in Form eines komparativen Ansatzes genähert. Lars Karl (Potsdam) zeigte in seinem Referat „Zwischen kulturellem Dialog und politischem Ritual“ die Entwicklung der Moskauer Internationalen Filmfestspiele zwischen 1956 und 1971 auf. Neben der Funktion der Massenerziehung hatte das Medium Film hier die Bestätigung eines konservativen Kunstgeschmacks zu erfüllen, wobei ihm zudem die Befriedigung einer wachsenden Neugier sowjetischer Großstädter auf die Welt außerhalb der eigenen Grenzen zugestanden wurde. Die Festspiele gaben Anlass, Filme aus dem Ausland zu zeigen, die keineswegs zum unionsweiten Spielplan gehörten und in der absoluten Mehrzahl auch niemals in ihn aufgenommen werden sollten. Doch auch in der Gewährung dieser Ersatzerfüllungen war politisches Kalkül anwesend – der staatlich inszenierten Weltläufigkeit waren Grenzen gesetzt, die gezeigten Filme sollten den sowjetischen Zuschauer unterhalten, aber nicht verwirren. Das alle zwei Jahre wiederkehrende Ereignis entwickelte sich mehr und mehr zu einer streng ritualisierten politischen Demonstration, bei der die Solidaritätsbekundungen für loyale Gefolgschaft im In- und Ausland von Seiten der Jury höher bewertet wurde als der Wert der Filmprodukte selbst. Es wurde zur ungeschriebenen Maxime, dass sich der erste Preis stets von einem sowjetischen Film, einem Film aus dem sozialistischen Lager und einem aus der „Dritten Welt“ geteilt wurde – oft ungeachtet ihrer künstlerischen Qualität und selbstverständlich unter konsequenter Nicht- bzw. Minderbeachtung westlicher Beiträge.
Einen politischen Imperativ verfolgten ebenso die Leipziger Dokumentarfilmwochen, wie Andreas Kötzing (Bonn) anschließend in seinem Vortrag über die Selbstnominierung sozialistischer Filmproduktionen aufzeigte. Seine Untersuchung des Auswahlverfahrens durch die Jury sowie des Einflusses der Auswahlkommission auf die Positionierung der Filme und deren politische Konformität zeigte, dass die Gestaltungsfreiheit der osteuropäischen Filmschaffenden gewissen politisch festgeschriebenen Spielregeln unterlegen war. Dennoch existierten kleine Nischen im Rahmenprogramm des Festivals sowie außerhalb des Wettbewerbs, in denen weniger konforme Filme aufgeführt wurden.
Heidi Martini (Leipzig) knüpfte anschließend in ihrem Vortrag „Filme und Politik im Blick und Gegenblick“ an diese These an und unterstrich die wesentliche Rolle des Festivals als Kommunikationsplattform für internationale Filmschaffende, die sich am Rande des Festivals trafen und untereinander austauschten. Gleichzeitig stützte sie die These, dass sich das Leipziger Dok-Festival durchaus selbst als kämpferisches und politisches Festival verstand, denn wenn es nicht politisch gefärbt gewesen wäre, wäre es nicht finanziert worden. Dennoch sind in Leipzig westliche Filme gezeigt worden, die sonst nie in DDR gelaufen wären. Insofern diente also das Dok-Festival der DDR-Regierung als Mittel der offiziellen Kulturaußenpolitik, gleichzeitig bot es den Filmschaffenden aus aller Welt ein informelles und inoffizielles Kommunikationsforum, auf welchem internationale Trends und Paradigmen der Filmkunst diskutiert und generiert wurden.

Fazit

In der abschließenden Diskussion arbeiteten die Teilnehmer des Filmsymposions neu entstandene bzw. nicht beantwortete Fragen heraus, die für weitere Forschungsvorhaben in diesem Bereich der Kulturaußenpolitik von besonderer Relevanz sind.
Zu nennen ist hier in erster Linie die Periodisierung der inneren Entwicklung des Films in den verschiedenen Etappen des Kalten Krieges. Inwieweit entsprechen die Tendenzen der Liberalisierung und politischen Instrumentalisierung des Films den Phasen des politischen „Tauwetters“ oder des neuen „Frosts“? Insofern muss auch die Entwicklung der internationalen Beziehungen thematisiert werden, wenn man die Rolle der internationalen Filmfestivals für die Weltpolitik herausarbeiten möchte.
Zudem blieb die Frage unbeantwortet, welche Rolle die Filmfestivals im Rahmen des kulturellen Kampfes spielten: Wurde dieser „Kulturkampf“ lediglich zwischen Ost und West ausgetragen oder eventuell sogar innerhalb des östlichen Blocks? Dienten die Festivals eher als Orte der Kommunikation oder der Rivalität? Hatten sie in erster Linie eine Schaufenster- anstatt eine kulturelle Austauschfunktion?
Auf großes Interesse stieß ebenso die Frage nach den eigentlichen Akteuren der Filmkunst: den Filmemachern als „Vermittler“ zwischen den Blöcken als auch als „Störer“ der politischen Zufriedenheit. Sie waren nicht nur Kreative im stillen Kämmerlein, sondern große Persönlichkeiten, die international wirkten und sich im Rahmen der Festivals zu eher halbprivaten Vorführungen außerhalb des offiziellen Protokolls trafen. Hier entstand eine gemeinsame europäische Filmsprache sowie internationale Paradigmen des Filmschaffens, die über die Grenzen hinweg ihre Gültigkeit bewiesen, entwickelten sich Tendenzen, die nicht mehr nur typisch für Filmemacher eines Blocks waren. Insofern kann also die biografische Herangehensweise an die Filmkultur im Kalten Krieg fruchtbare Erkenntnisse bringen, die dem Historiker bei der herkömmlichen Analyse der Filme als Quelle und dessen Rezeption verborgen bleiben.

Kontakt

Dr. Lars Karl
Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF)
Am Neuen Markt 1
14467 Potsdam

0331-28991-14
karl@zzf-pdm.de


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