HT 2021: Frieden – Macht – Konflikt. Friedensdiskurse in antiken Gesellschaften

HT 2021: Frieden – Macht – Konflikt. Friedensdiskurse in antiken Gesellschaften

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
hybrid (München)
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.10.2021 - 08.10.2021
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Von
Christian Reitzenstein-Ronning, Historisches Seminar Ludwig-Maximilians-Universität München

Mit der Begriffstrias Frieden – Macht – Konflikt haben die Panel-Organisatorinnen Babett Edelmann-Singer und Claudia Horst nicht nur eine breite Brücke zum Rahmenthema des diesjährigen Historikertages geschlagen, sondern auch eine zentrale Perspektive für die drei Vorträge der Sektion benannt. Denn geradezu leitmotivisch zog sich der Gedanke der politischen Instrumentalisierung des Friedensbegriffes durch alle Beiträge: Frieden, so der Tenor der Vortragenden, sei ohne Konflikt um Macht und Herrschaft eben nicht zu haben.

CLAUDIA HORST (München) erläuterte zur Einführung in die Sektion die theoretischen Grundüberlegungen der Referentinnen. Frieden müsse als ein komplexes und vor allem dynamisches Phänomen gefasst werden. Bislang habe die Forschung zwischen einem negativen und einem positiven Friedensbegriff unterschieden: Ersterer begreife Frieden als bestenfalls temporäre, jedenfalls immer prekäre Abwesenheit von Krieg; letzterer hebe auf Mechanismen des Machtausgleichs zur Herstellung und Sicherung eines Zustands der Abwesenheit von Konflikten ab. Als normatives Konzept besitze „Frieden“ aber eine weitere Dimension, denn immer wieder beriefen sich Machthaber zur Legitimation ihres Herrschaftsanspruchs auf den „Frieden“, wobei sie für diesen zugleich Definitionshoheit beanspruchten. Friedensvisionen seien insofern immer auch Spiegel gesellschaftlicher Ordnungskonzepte – und als solche wiederum Teil prekärer Aushandlungsprozesse, ja selbst Gegenstand von Konflikten. Damit etablierte Horst ausgehend von agonalen Politiktheorien eine der Prämissen der Sektion: Als Diskursphänomen stehe Frieden in einer dialektischen Verschränkung zur jeweiligen Herrschaftsordnung. Konflikte stellte sie vor diesem Hintergrund nicht als bloße Fehlentwicklungen, sondern als notwendige Voraussetzung für eine Dynamisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse dar.

In ihrem eigenen Beitrag „Wer definiert den Frieden? Konkurrierende Ordnungs-vorstellungen in Mesopotamien und Griechenland“ spürte Claudia Horst diesem konfliktären Konzept von Frieden zunächst im Zweistromland nach. Obwohl in seiner Selbstdarstellung der König, illustriert am Beispiel des neuassyrischen Herrschers Sargon II., für sich die Deutungsmacht über Krieg und Frieden einforderte, sei dieser Anspruch nicht ohne Widerspruch geblieben. Horst verwies dazu sowohl auf das Gilgamesch- als auch auf das Enuma elisch-Epos. In beiden Werken sei ein eigenständiger Friedensdiskurs greifbar. Gerade die Enuma elisch-Erzählung aber stelle mit dem Gott Marduk – und seiner schließlich unterlegenen Gegenfigur Tiamat – ein nicht-despotisches Herrschaftsverständnis in den Vordergrund. Denn die Macht Marduks als Garant der Ordnung beruhe auf der Übertragung durch die Götterversammlung. Dass die Götter im antiken Mesopotamien zudem nicht als unbeeinflusst von menschlichem Handeln angesehen wurden, zeigten die Sintflut-Erzählungen: Da die Opfer der Menschen infolge der Katastrophe geringer ausfallen, müssen sich auch die Götter bescheiden und schrumpfen zu Fliegen. Für die weite Verbreitung dieser Vorstellung sprächen die altorientalischen Fliegen-Amulette. Diese ließen sich aufgrund ihres Verweischarakters auf nicht-kriegerische Strukturen als Friedenssymbole lesen. Darüber hinaus weise das Quellenmaterial artikulierte Responsivitätserwartungen an den Herrscher auf. Dies manifestiere sich zum einen im ambivalenten königlichen Epitheton des „Guten Hirten“ und entsprechenden Leistungsanforderungen seitens der Untertanen (im Gilgamesch-Epos die Klagen der Bürger von Uruk), zum anderen performativ im Ritual des Neujahrsfestes, das die Rechenschaftspflicht des Königs betone. Vom Zweistromland führte Horst schließlich in das archaische und klassische Griechenland. Ansätze zu hegemonialen Friedensordnungen hätten sich hier immer wieder als instabil und sogar kriegsinduzierend erwiesen. Dies werde in der Forschung unter anderem auf fehlende Institutionalisierung zurückgeführt. Doch fänden sich ab der Archaik auch immer wieder Versuche, durch Mechanismen des Interessensausgleichs Momente des Friedens hervorzubringen. Exemplarisch benannte die Vortragende für diese Bestrebungen die Doppelfigur der Eris in den Erga Hesiods (V. 11–24): Während die „gute“ Eris für die produktive Kraft des Wettstreits stehe, verkörpere die „schlechte“ Eris die zerstörerische Kraft eines gewaltsamen Konfliktes.

HANNAH CORNWELL (Birmingham) widmete sich den Deutungskämpfen der späten Römischen Republik („Discourses of Peace and Dynamics of Power in the Late Roman Republic“). Neben den Briefen und Reden Ciceros griff sie dabei auf numismatische Zeugnisse zurück. Anhand des Befundes lasse sich vor allem in den 40er-Jahren des 1. Jh. v. Chr. eine Verlagerung vom Begriff der concordia zum pax-Konzept nachzeichnen. Denn abzulesen an den unterschiedlichen Stiftungen von Heiligtümern der Concordia, stellte zunächst die Eintracht der Bürger das Schlüsselkonzept für die Stabilisierung der inneren Verhältnisse dar. Pax hingegen sei in erster Linie als sorgsam gepflegtes Einvernehmen mit den Göttern (pax deorum) bedeutsam gewesen. Doch die Auseinandersetzung zwischen Caesar und Pompeius habe schließlich den beschriebenen Diskurs-„shift“ bewirkt. Mit den Ergebnissen einer korpuslinguistischen Untersuchung der Schriften Ciceros vermochte Cornwell diese Entwicklung eindrucksvoll zu unterlegen. In der Folge diskutierte die Referentin die Bedeutung der hostis-Erklärung für die Gestalt politischer Konflikte. So habe dieses Instrument nicht zuletzt eine diskursive „Veranderung“ der inneren Gegner („othering the opponent“) ermöglicht. Cicero nutzte die daraus abgeleitete Figur des „Feindes im Inneren“ (Cat. 2,11: intus est hostis) demnach auch in Fällen, in denen eine formelle hostis-Erklärung durch den Senat eben noch nicht erfolgt war: bereits bei seinem Vorgehen gegen die Catilinarier, besonders intensiv in seinem publizistischen Feldzug gegen M. Antonius. Indem der politische Widersacher als „Feind“ gleichsam externalisiert wurde, versuchte man die Bestimmungen der lex Sempronia de capite civis zu unterlaufen. Denn laut Cicero könnten solche problematischen Gestalten nicht länger als Bürger betrachtet werden: civem esse nullo modo posse (Cic. Cat. 4,10). Gesteigert finde sich dieses Motiv noch in der Vierten Philippica, in der Cicero die Möglichkeit eines Friedens mit Antonius kategorisch ausschließt: Denn traditionell verfüge ein hostis doch über Staatlichkeit und damit Rechtsfähigkeit, Antonius stehe aber ganz für sich und isoliert (Cic. Phil. 4,14). Signum dieser Periode römischer Geschichte sei, so Cornwell, aber auch eine hohe Fluidität der Denominationen gewesen. Dies zeige sich unter anderem in der raschen Abfolge von hostis-Erklärung und Restitution. Ein Korrelat zur Konjunktur des pax-Begriffes in der Innenpolitik machte die Referentin sodann in der Neu-Semantisierung von bellum aus, das zunehmend an die Stelle von discordia und tumultus getreten sei. Ausblickend geleitete Cornwell die Zuhörerinnen und Zuhörer in die augusteische Zeit. Die von ihr zuvor beschriebene „political language of crisis“ habe letztlich den Boden für die Herrschaft des Augustus bereitet: Der erste Princeps „verabsolutierte“ in den unterschiedlichen Medien herrscherlicher Selbstdarstellung mit der Formel pace parta terra marique regelrecht das pax-Konzept und legitimierte so seine führende Position im Staat.

Im letzten Vortrag des Panels weitete BABETT EDELMANN-SINGER (München) den Blick auf die Frühe Kaiserzeit. Auch in ihrem Paper standen Deutungskämpfe im Vordergrund. Ausgehend von der Formel „Friedenskonzepte sind Machtkonzepte“ legte sie zwei Fallbeispiele vor: zum einen den Brief des Claudius an die Alexandriner (P. Lond. 1912), zum anderen eine Passage aus dem ersten Brief des Paulus an die Thessaloniker (1 Thess 5,3). Beide Quellen deutete sie als Aneignungen bzw. Umdeutungen des imperialen pax-Konzeptes durch Provinziale. Obwohl also, wie bereits Hannah Cornwell unterstrichen hatte, Augustus einen unilateralen Friedensbegriff propagierte (pax Augusta bzw. pax Augusti), habe auch im 1. Jh. n. Chr. noch Spielraum für kreative Umdeutungen und Neukontextualisierungen bestanden. In theoretischer Hinsicht griff Edelmann-Singer dafür auf das Konzept der „widerständigen Aneignung“ des französischen Jesuiten Michel de Certeau zurück. Als Kronzeugen für ein bereits in der Antike belegbares Hinterfragen der pax als normatives Ziel römischer Herrschaft benannte sie Tacitus (insb. Agr. 30: auferre trucidare rapere falsis nominibus imperium, atque ubi solitudinem faciunt, pacem appellant). Jedoch sei mit dem senatorischen Historiographen nur ein innerrömischer Diskurs zu greifen. Anhand anderer Quellengattungen aber ließe sich über die Dekonstruktion des römischen Friedenskonzeptes (und -versprechens) hinaus auch dessen Instrumentalisierung für die Zwecke der vermeintlichen Unterworfenen beobachten. Eben diese Wendung machte Edelmann-Singer an den beiden Fallstudien deutlich: So hätten die Vertreter der griechischen Bürger Alexandrias den Frieden als Wertbegriff und seine Bindung an die Person des Princeps in den 40er-Jahren geschickt auszuspielen versucht. Nach einer langen Phase der inneren Konflikte (und einem regelrechten Pogrom an den alexandrinischen Juden) stifteten sie unter anderem ein vollgoldenes Standbild der pax Augusta Claudiana. Auf diese Weise versuchten sie – so die These –, nicht nur rechtliche und ökonomische Privilegien zu erwirken, sondern auch die jüdischen Einwohner der Hafenstadt als eigentliche Verursacher der Unruhen zu stigmatisieren. Doch Claudius habe dies zu vereiteln gewusst, indem er die Statue nach Rom überführen und so gewissermaßen neutralisieren ließ. Der Paulus-Brief hingegen greife die multiplen Identitäten in einer mehrheitlich „heidenchristlichen“ Gemeinde wie derjenigen in Thessalonike auf. Indem er die einmal „wie ein Dieb in der Nacht“ hereinbrechende Wiederkehr Christi dem – trügerischen – Wunsch nach „Frieden und Sicherheit“ gegenüberstelle und dabei vielleicht auch auf einen lokalen Pax-Kult referiere, kodiere der Briefautor die imperiale Sprache gewissermaßen um. Das Stabilitätsversprechen der römischen Ordnung weiche somit dem wahren Frieden Jesu. Damit stelle sich Paulus nicht gegen Rom, unterminiere aber dessen absoluten Machtanspruch. An den beiden Beispielen werde einmal mehr deutlich, so Edelmann-Singer, dass nicht nur Macht relational sei, sondern auch der Frieden.

Der ursprünglich vorgesehene Vortrag von OMER SERGI (Tel Aviv), "Are You in Peace?" – Some Thoughts on the Concept of Peace in Ancient Israel in Light of Its Kin-based Social Structure, mußte aus organisatorischen Gründen leider entfallen.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Babett Edelmann-Singer (München) / Claudia Horst (München)

Claudia Horst (München): Wer definiert den Frieden? Konkurrierende Ordnungsvorstellungen in Mesopotamien und Griechenland

Hannah Cornwell (Birmingham): Discourses of Peace and Dynamics of Power in the Late Roman Republic

Babett Edelmann-Singer (München): Wem gehört der Frieden? Pax als ambivalente Deutungskategorie im frühen Prinzipat

Omer Sergi (Tel Aviv): "Are You in Peace?" - Some Thoughts on the Concept of Peace in Ancient Israel in Light of Its Kin-based Social Structure (aus organisatorischen Gründen entfallen)


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