Deutsch-Polnische Geschichte 1939 –1945 im Spiegel der Fotografie

Deutsch-Polnische Geschichte 1939 –1945 im Spiegel der Fotografie

Organisatoren
Deutsch-Polnische Akademische Gesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit der Polnischen Akademie der Wissenschaften, dem Polsko-Niemieckie Towarzystwo Akademickie Krakau und der Deutschen Gesellschaft für Photographie e.V.
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.06.2005 - 10.06.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Jan Brüning; Sandra Starke

Die öffentlichen Kontroversen um die erste Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht in der Sowjetunion 1941 – 1944 verdeutlichten die interpretativen Spielräume in der inhaltlichen Beurteilung fotografischer Quellen. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen in Deutschland und in Polen sind sich inzwischen der Problematik des methodisch genauen, quellenkritischen Umgangs mit Fotografien als historische Quellen bewusst geworden. Nicht zuletzt um sich gegen die von Leugnern der Verbrechen des Nationalsozialismus erhobenen Fälschungsvorwürfe relevanter Dokumente und Fotos zu wehren, die der gezielten Abwertung der Glaubwürdigkeit der gesamten Ausstellung dienten.

So kann die anlässlich des 60jährigen Kriegsendes durchgeführte interdisziplinäre wissenschaftliche Tagung der Deutsch-Polnischen Akademischen Gesellschaft in Berlin über fotografische Quellen aus den Jahren 1939 – 1945 als ein weiterer Schritt hin zu einem methodisch-quellenkritischen Instrumentarium für die wissenschaftliche Arbeit mit fotografischen Quellen gelten. Sie wurde in Kooperation mit der Polnischen Akademie der Wissenschaften, der Polsko-Niemieckie Towarzystwo Akademickie (Krakau) und der Deutschen Gesellschaft für Photographie (Köln) durchgeführt und von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit finanziell unterstützt. In seinem Grußwort bestätigte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, dass die Bedeutung von historischen Fotografien als Dokumente der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg wächst. Es sei jedoch ein schwieriges Unterfangen, Fotografien als historische Quellen im bilateralen Kontext sachlich korrekt zu interpretieren.

Die Fotografie, 1939 im Bildjournalismus bereits unverzichtbarer Bestandteil der visuellen Massenmedien und etabliert als populäre Freizeitbeschäftigung in allen Bevölkerungsschichten, kann als Quellengattung differenzierte soziale Perspektiven auf die Kriegsjahre abbilden. Eine eigene, auf das Medium gerichtete wissenschaftliche Diskussion und Forschung erscheint somit mehr als gerechtfertigt.
Die Tagung in Berlin ermöglichte auf diesem Gebiet erstmalig den Länder übergreifenden Austausch interdisziplinären Wissenschaftler der Geschichte, Kunstgeschichte, Ethnologie, Physik und des Archivwesens über deutsche und polnische Sammlungsbestände. Die nicht unerheblichen Sprachbarrieren konnten mit Hilfe von Simultandolmetschern überwunden werden.
Die thematischen Schwerpunkte der von Miriam Y. Arani konzipierten und organisierten Tagung lagen auf Fragen nach einem angemessenen methodischen Zugang zum Bildmaterial, einer genaueren Eingrenzung verschiedener Herstellergruppen fotografischer Aufnahmen während des Krieges und auf Fotodokumenten von den nationalsozialistischen Verbrechen (Zwangsarbeit, Gettos, Lager). Hinzu kam die Vorstellung der Konzeption zweier neuerer polnischer Ausstellungen über die Jahre 1939-1945 im Hinblick auf deren Bildauswahl und Bildpräsentation.

REFERATE

Nach einer kurzen Begrüßung durch den Direktor des Wissenschaftlichen Zentrums der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, Eugeniusz Cezary Krol (Warschau und Berlin), führte Miriam Y. Arani (Berlin) das Thema inhaltlich ein, indem sie Fragen der Überlieferung und Rezeption anhand eines konkreten Fotos (das so genannte Rollgalgen Foto im deutsch besetzten Lodz) illustrierte. Das interpretativ „weite“ Spannungsfeld zwischen der wahrgenommenen Intention des Fotografen und dem der Fotografie eigenen Rezeptions- und Verbreitungskontext konnte hier leider nur kurz angerissen werden. Im Anschluß informierte Dr. Piotr Swiatek (Brüssel) die Teilnehmer über die physikalischen und industriellen Rahmenbedingungen, sowie über die technischen Entwicklungen der Fotografie in den 1930er und 1940er-Jahren.

Aus der Arbeit des DFG Forschungsprojekts „Fremde im Visier. Privatfotografie im Zweiten Weltkrieg “ an der Carl-von-Ossietzky-Universität berichtete Petra Bopp (Oldenburg). Mit unterschiedlichen kunsthistorischen Herangehensweisen wurde die Quellengrundlage des Projekts, ca. 150 Alben und Konvolute, hinsichtlich ihres motivischen Repertoires, ihrer formalen Gestaltung und ihres Kontextes im Narrationsraum des Albums untersucht, um Aussagen über die Konstruktion von Erinnerung der fotografierenden Kriegsteilnehmer treffen zu können. Die privaten Fotos erschienen hier nicht als isolierte biographische Spuren der Historie, sondern verdichteten sich durch Kontextualisierung im Hinblick auf öffentlich professionelle Fotografie, vielschichtige Mediennutzung sowie künstlerische Bezügen zu komplexen symbolischen Formen. Die Referentin veranschaulichte sehr eindrucksvoll die Möglichkeit der visuellen Fehlanalyse aufgrund unvollständiger quellenkritischer Informationen. Bestehende Differenzen zwischen kunsthistorisch-medialem, auch ästhetischem Ansatz in der Fotogeschichte und der auf Ereignisgeschichte abzielenden historischen Perspektive konnten in den kontrovers-kritischen Reaktionen auf diesen „kunsthistorischen“ Ansatz zwar verdeutlicht, jedoch kaum überwunden werden. Später sollte diese Problematik in der ironischen Schlußbemerkung E.C. Krols gipfeln: „...ich habe den Eindruck, dass sie hier alle eine gewisse Identifikationsunruhe verspürten.“

Cord Pagenstecher (Berlin), Mitarbeiter der Berliner Geschichtswerkstatt, stellte Fotos unterschiedlichster Art und Herkunft von polnischen Zwangsarbeitern in Deutschland und deren Bildmotive und -themen vor. Durch die Verwendung einiger Fotos aus dem Bereich der Täterperspektive, (z.B. Paßfotos des Lagerfotografen) sowie stärker selbstbestimmten Formen (Fotoautomaten, Auftragsarbeiten aus Fotoateliers) für die Erinnerungskonstruktion der polnischen Zwangsarbeiter stand nun stärker die Frage nach der Spezifik erkennbarer Bildinhalte im Raum. Anschließend konnten sich die Teilnehmer durch Danuta Jackiewicz (Warschau) einen Überblick über das Werk des im polnischen Untergrund tätigen Berufsfotografen Stefan Zyberk-Plater (1891-1943) verschaffen.

Der zweite Tagungstag war thematisch zunächst stärker auf die professionelle, staatliche Pressefotografie, die Bildberichterstatter der Propaganda-Kompanien der deutschen Wehrmacht und der Waffen-SS gerichtet. Diese staatlichen Bestände wurden vom Referatsleiter des Bildarchivs im Bundesarchiv, Michael Hollmann (Koblenz) im Überblick dargestellt, wobei für den Benutzer besonders die Erstellung einer Bild-Datenbank dieses Bestandes eine erfreuliche Nachricht sein wird, noch im Verlauf des Jahres 2006 soll sie online verfügbar werden. Neben dem erleichterten Zugang zu den Quellen soll auch ein verbesserter Authentizitätsnachweis geboten werden, der die teilweise unseriöse Praxis der Veränderung der Bildinhalte durch die Manipulation des Bildausschnittes einschränken soll.
Für diese Bilder der Propagandakompanien führte Bernd Boll (Freiburg) seine Erkenntnisse über deren Entstehungszusammenhang aus. Dabei kam er zu dem Fazit, dass obwohl Historiker auf diesen Quellentyp wegen seiner gut dokumentierten Herkunft und Überlieferung als Teil staatlicher Strategie gern zurückgreifen, sich viele Gefahren mit ihrer oft zu unkritischen Verwendung ergeben. Diese Bilder lassen auch in ihrer historischen Interpretation keine Trennung zwischen Propaganda und Dokumentation zu, sie können daher nicht als Bilder über den Krieg, sondern bestenfalls als Teil des Krieges gelten.

Maria Rutowska (Poznan) stellte den fotografischen Bestand im Archiv des Zweiten Weltkrieges des West-Instituts in Poznan vor. Die meisten der ca. 8.000 Positivabzüge stammen von deutschen Urhebern, ein großer Teil von im Deutschen Reich offiziell zugelassenen Bildagenturen. Knapp Dreiviertel der Abzüge beziehen sich auf den Zweiten Weltkrieg und die Okkupation Polens durch die deutschen Nationalsozialisten. Diese Menge untergliedert sich weiter in etwa 60%, die das Generalgouvernement zum Gegenstand haben, während die restlichen 40% das von den Deutschen annektierte „Wartheland“ dokumentieren. Die übrigen Fotografien des Gesamtbestandes, die insgesamt ein gutes Drittel ausmachen, zeigen das Reichsgebiet oder andere von den Deutschen besetzte Gebiete.

Im zweiten Teil des Tages setzte Michalina Wysocka (Warschau) die Vorstellung von Fotoarchiven und fotografischen Sammlungen fort. Frau Wysocka, Leiterin des Büros zur Zugänglichmachung und Archivierung von Dokumenten der Kommission zur Verfolgung der Verbrechen gegen die polnische Nation, stellte die Fotosammlung im polnischen Institut des Nationalen Gedenkens vor. Die Sammlung war früher ein Bestand der ehemaligen Hauptkommission zur Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen in Polen und enthält rund 68.000 Aufnahmen, die in den letzten 60 Jahren gezielt zusammengetragen wurden. Die Sammlung speist sich aus Aufnahmen von deutschen Propagandafotografen, aber auch von Zivilisten, die Verbrechen gegen die polnische Bevölkerung fotografiert hatten. Eine besondere Quelle stellt die große Anzahl privater Aufnahmen dar, die als heimliche Kopien in polnischen Fotolaboren von Negativen der deutschen Besatzer angefertigt und dem polnischen Widerstand zur Verfügung gestellt wurden. Weitere Quellen der Sammlung bilden Berichte, Fotoalben und viele Reproduktionen von Arbeiten berühmter polnischer Fotografen aus ihrer Zeit im Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Unter diesen Archivalien genießen der so genannte „Stroop-Bericht“ über die Niederschlagung des Warschauer Gettoaufstandes 1943 und der Bericht des SS-Gruppenführers Katzmann zur „Lösung der Judenfrage im Distrikt Galizien“ besondere historische und juristische Bedeutung. Beide Berichte erlangten aufgrund ihrer reichen, aber erschütternden fotografischen Illustration ein großes öffentliches Interesse.

Während die von Frau Wysocka verwaltete Sammlung sich eher auf die Verbrechen gegen die polnische Nation konzentriert, legten Aleksandra Pietrowicz und Agnieszka Luczak vom Büro für öffentliche Bildung in Poznan eine alltagshistorische Konzeption für ihre Ausstellung zum Leben in der Besatzungszeit zugrunde. Die im Jahr 2003 in der Ausstellung gezeigten Fotografien sollten ein möglichst breites Panorama des Lebens unter der nationalsozialistischen Besatzung entfalten. Private Aufnahmen deutscher wie polnischer Urheber wurden von den Ausstellungsmacherinnen wegen ihrer größeren Lebensnähe bevorzugt. Zwar reichen sie an Zahl und technischer wie gestalterischer Qualität längst nicht an die Aufnahmen der professionellen Fotografen heran, aber deren Inszenierung und Gestaltung sind durch propagandistische Absicht geprägt und deshalb als Quelle problematischer. Die privaten Fotografien unterschieden sich aber nicht nur in äußerlicher Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die Überlieferungssituation, denn während die professionell hergestellten (Propaganda-)Fotos meist in großen, zentralen Sammlungen und Archiven in Großstädten bewahrt werden, finden sich die Bestände privater Fotografien eher in kleinen Museen oder in Privatbesitz. Aus den Reihen der Teilnehmer der Tagung wurde allerdings Kritik an der Ausstellung laut, da die Inhalte der Ausstellung zunächst anhand von Schriftdokumenten erarbeitet wurden und die Ergebnisse dieser Arbeit zuletzt mit geeignet erscheinenden Fotografien illustriert wurden. Im Vordergrund stand nicht die kritische Auseinandersetzung mit den fotografischen Quellen.

Nach einer Pause eröffnete Marek Budziarek (Lodz) den Abschnitt zu Fotografien aus Lagern und Gettos im besetzten Polen mit seinem Referat zu Fotos aus dem Getto Lodz. Aus dem Getto, das von 1940 bis 1944 existierte, sind etwa 7.500 Fotos von sehr heterogener Qualität überliefert, die einen tiefen und breit gefächerten Einblick in das Leben des Gettos gestatten. Insbesondere die Aufnahmen der jüdischen Fotografen Mendel Grosman und Henryk Ross stellen einen großen Anteil. Die beiden Fotografen fotografierten im Auftrag der Gettoverwaltung zunächst für die offizielle Propaganda, nahmen aber auch heimlich die menschlichen Tragödien und Schrecken des Gettodaseins auf. Im krassen Gegensatz dazu stehen die Farbaufnahmen von Walter Genewein aus Österreich, der das Getto als mustergültige Einrichtung im Sinne des Nationalsozialismus ins Bild setzt.

Als nächste Referentin schloss Ute Wrocklage (Hamburg) mit ihrem Vortrag über Fotografien aus dem Konzentrationslager Auschwitz aus den Jahren 1940 – 1944 thematisch an. Dabei ging es hier nicht um die bekannten „Ikonen“ (z.B. die Fotos von der Befreiung oder die Bahngleise nach Birkenau), sondern vielmehr um den Entstehungszusammenhang und die Funktion von 2.400 überlieferten Fotos, die von den Häftlingen als Erinnerung an ihre Lieben und ihr Leben ins Lager mitgenommen wurden, die privaten Aufnahmen der Wachmannschaften und SS-Angehörigen, die Fotos und ein Album des Erkennungsdienstes von Häftlingen sowie die Aufnahmen, die durch die Zentralbauleitung der Waffen-SS im Konzentrationslager angefertigt wurden. Besonderes Interesse erregten einige wenige Fotografien, die 1944 von einer Widerstandsgruppe im Lager unter großer Gefahr aufgenommen wurden, und das Verbrennen der Leichen von vergasten Häftlingen zeigen. Diese Aufnahmen wurden als Beweise für die Verbrechen im Lager nach Krakau geschmuggelt. Als letzte Gruppe wurden die Luftbilder der Alliierten genannt, die das Lager jedoch eher beiläufig im Rahmen der Erfassung des benachbarten Industriekomplexes dokumentierten.

Nach Beendigung der Vorträge des zweiten Tages schloss sich noch eine längere Diskussion an, die erst gegen 21 Uhr beendet wurde. Bei den Teilnehmern gab es einen Bedarf an kritischer Aufarbeitung der Themen, der dank der „Überstunden“ auch zufrieden gestellt werden konnte. Es erforderte aber von allen einige Disziplin, die aufgetauchten Fragen zu den Referaten soweit zurückzuhalten, damit die Zeitplanung der Tagung nicht aus den Fugen geriet.

Der letzte Tag stand zwei Referaten zur Verfügung über die Sicht einfacher deutscher und polnischer Soldaten auf den Krieg im Allgemeinen und auf die Besatzung im Besonderen.
Im ersten Beitrag des Tages referierte Andrzej Rybicki (Krakau) über eine Ausstellung im Fotohistorischen Museum Krakaus, die im Juni 2004 eröffnet wurde und den Zweiten Weltkrieg anhand der Fotos von drei Soldaten aus Polen und Deutschland sowie aus den Beständen eines Verlages thematisierte, und anschließend auch in Essen zu sehen war. Rybicki ging bei der Konzeption der Ausstellung von zwei Annahmen aus: erstens, dass Fotografien ein museales Objekt der Fotografiegeschichte seien, und zweitens gleichzeitig ein Zeitdokument in Form eines visuellen Informationsträgers darstellen. Deshalb wurden in Krakau keine Texte zu den Bildern beigegeben, da hier die Fotografien als Informationsträger für sich stehen, und keinesfalls bloß Texte illustrieren sollen; dagegen wurden in der Essener Fassung Texte hinzugefügt, um dem unterschiedlichen Rezeptionsverhalten entgegen zu kommen und Verständnisproblemen vorzubeugen. Die Krakauer Ausstellung wagte den Versuch, die Fotos, die auf beiden Seiten der Front gemacht wurden, gegenüberzustellen, und den Krieg in der visuellen Wahrnehmung und Repräsentation der Soldaten zu zeigen. Dabei werden signifikante Unterschiede offenbar: So sperren sich die polnischen Soldaten nicht gegen die Darstellung der Grausamkeiten der Kriegsführung, während in den Fotos der Deutschen Leid und Blutvergießen ausgespart wird und der Tod lediglich in Form von gepflegten Kriegsgräbern erscheint. Wie schon die Referentinnen Aleksandra Pietrowicz und Agnieszka Luczak hält Herr Rybicki die privaten Aufnahmen für weniger manipuliert als die offizielle Presse- oder Propagandafotografie, weil nur für ein privates Publikum fotografiert wurde.

Das letzte Referat hielt Dr. Petra Blachetta aus Worms. Sie schilderte die detektivische Kleinarbeit, die notwendig war, die Herkunft und den historischen Hintergrund von privaten Fotoalben deutscher Soldaten, die in verschiedenen jüdischen Gettos des besetzten Polen fotografiert hatten, zu erforschen. Diese Alben können bisweilen nicht unterschiedlicher sein: Zwei Alben wurden vermutlich von einem Volksdeutschen mit Fotos aus dem Getto in Lodz bestückt, die dem Polizeipräsidenten überreicht werden sollten – als Erinnerung an die „Endlösung der Judenfrage“. Die Fotos aus dem Getto Lublin eines Soldaten aus Worms hingegen bezeugen dessen vergleichsweise aufgeschlossenen und freundlichen Zugang zu den ostjüdischen Insassen des Gettos. Der Soldat hat diese Fotos seiner frisch angetrauten Frau zugeschickt und wollte sie ihr nach seiner Rückkehr aus dem Krieg erklären. Dazu kam es jedoch nicht mehr, denn er gilt seit 1944 als vermisst, und seine Fotografien blieben zunächst ein Rätsel. Dieses Problem versuchte Frau Blachetta dadurch zu lösen, indem sie die Fotografien als primäre Quelle auffasste und den Versuch unternahm, über die Bildinhalte den historischen Zusammenhang und Gehalt der Fotos zu erarbeiten.
Abschließend wurden die Fotografien des Pressefotografen Alfred Kiss aus dem besetzten Westpolen vorgeführt, die Marek Budziarek (Lodz) mitgebracht hatte.

Die Tagung war ein Wagnis: Konnte es gelingen, Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen zu einem sowohl für die deutsche als auch die polnische Seite historisch heiklem Thema zu einer Diskussion zu bringen? Die sprachliche Barriere überwanden die hervorragenden Simultanübersetzer, die von den Tagungsteilnehmern in großer Mehrzahl sehr gelobt wurden. Damit fand die Tagung zumindest während der Referate zu einer Einheit. Diese Einheit blieb aber brüchig, was sich in wenigen, aber prägnanten Einzelfällen in den freien Diskussionen zeigte, in denen die polnischen, aber auch die deutschen Teilnehmer unter sich blieben. Gefördert hat dies die Sitzordnung, d.h. Polen saßen neben Polen, Deutsche neben Deutschen. Allerdings gelang es dank der beherzten Moderation von Seiten der Veranstalter und bilingualen Teilnehmern immer wieder, die Einheit der Diskussion zurück zu gewinnen.

Andere Gräben waren da schon schwieriger zu überwinden, wie z.B. die in den Referaten vorgestellten Umgangsweisen mit historischen Fotografien. Zum Teil werden Fotografien immer noch als illustratives Zusatzmaterial verstanden, während andere Projekte bereits eine Weiterentwicklung erkennen ließen und zumindest versuchten, auf die medialen Eigenschaften der Aufnahmen als Quelle einzugehen – auch wenn das bisweilen in frei flottierender Hermeneutik mündete. Die Unterschiede in der Herangehensweise deuten aber auf Bewegung in der Medienmethodologie hin, die in den letzten Jahren langsam in Gang gekommen ist. Die Beschäftigung mit der Problematik von Fotografien als Quelle und Gegenstand von historischer Forschung fand auf beiden Seiten der deutsch-polnischen Grenze statt, das belegten die Referate ganz deutlich. Die Ergebnisse und Konsequenzen dieser Arbeit sind jedoch sehr unterschiedlich, von einem wirklich bi- oder gar multinationalen Diskurs kann noch keine Rede sein. Von daher stellte die Tagung einen wertvollen Beitrag dar, diesen herzustellen.

Kontakt

Deutsch-Polnische Akademische Gesellschaft e.V.
Miriam Arani
Tel.: 030-6249163
Fax: 030-62409876
e-mail: kontakt@dp-ag.org


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