Les États allemands et les Huguenots. Politique d'immigration et processus d'intégration

Les États allemands et les Huguenots. Politique d'immigration et processus d'intégration

Organisatoren
Guido Braun (DHIP); Susanne Lachenicht (CSHCHC, NUI Galway) mit finanzieller Unterstützung der Gerda Henkel-Stiftung Düsseldorf
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
07.10.2005 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Ulrich Niggemann, Marburg

Am 7. Oktober 2005 fand im Deutschen Historischen Institut Paris ein Atelier zum Thema „Les États allemands et les Huguenots. Politique d’immigration et processus d’intégration“ statt, zu dem vorwiegend, aber nicht ausschließlich, französische und deutsche Wissenschaftler geladen waren. Initiiert worden war die Tagung von Susanne Lachenicht (NUI Galway), organisiert wurde sie von Susanne Lachenicht und Guido Braun (DHI Paris). Das Hôtel Duret de Chevry, Sitz des DHI in Paris, bot den angenehmen Rahmen für ein dichtes Programm aus Vorträgen und Diskussionen zu neueren Forschungsergebnissen.

Nach einem Grußwort des Institutsdirektors, Prof. Dr. Werner Paravicini, umriss Susanne Lachenicht die Ziele des Ateliers, darunter besonders eine komparative und transnationale Herangehensweise an die Geschichte der Hugenotten in Europa und darüber hinaus. Die Bedeutung der Flucht von 150.000 bis 200.000 Protestanten aus Frankreich und ihre Aufnahme in zahlreichen europäischen Ländern sowie ihren überseeischen Kolonien ist unter Historikern heute allgemein anerkannt. Gleichwohl fand die Erforschung des „Refuge huguenot“ bisher weitgehend in den Grenzen der National- oder Regionalgeschichte statt. Besonders in einer ersten „table ronde“ zur Immigrationspolitik der einzelnen Aufnahmeterritorien in Deutschland wurde der komparative Ansatz erprobt.

Der erste Teil der „1ère table ronde“ wurde von Myriam Yardeni (Haifa) geleitet. Dominique Guillemenot-Ehrmanntraut (Landau) erläuterte zunächst die Rahmenbedingungen der Aufnahme von Hugenotten in der Pfalz. Hatten die reformierten Kurfürsten bereits im 16. Jahrhundert französische und niederländische Flüchtlinge aufgenommen, so begannen sie besonders nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Kriegs eine intensive Peuplierungspolitik zum Wiederaufbau des Landes. Im Mittelpunkt standen dabei die wirtschaftlichen Interessen, was tatsächlich zu einem Aufschwung der Textilindustrie führte. Hierfür wurden die Einwanderer mit umfangreichen Privilegien ausgestattet, die sie neben der französischen Sprache zu einer dauerhaft distinkten Gruppe machten. Dies hatte auch Konflikte mit der eingesessenen Bevölkerung zur Folge.

Auch in Frankfurt am Main existierte bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eine französische Kolonie. Michelle Magdelaine betonte in ihrem Vortrag, dass in der Messestadt zwar ohnehin schon etwa 50% der Bevölkerung Zuwanderer waren, dass es von Seiten des lutherischen Rates allerdings im 17. Jahrhundert eine Tendenz zur Abschließung insbesondere gegenüber Calvinisten gab. Obwohl Versuche der Reformierten, auch innerhalb der Mauern die Erlaubnis zur öffentlichen Religionsausübung zu erlangen, fehlschlugen, entwickelte sich Frankfurt in den Jahren seit 1685 zu einer Durchgangsstation für zahlreiche französische Flüchtlinge. Die am Ort ansässige französische Gemeinde erwies sich dabei als finanzkräftig genug, um über Kollekten und ohne Unterstützung aus den lutherischen Gemeinden einen großen Teil dieser durchreisenden Réfugiés zu versorgen. Bei der relativ selten gewährten dauerhaften Aufnahme in der Stadt spielten innerhalb des Magistrats v.a. ökonomische Nützlichkeitserwägungen eine wichtige Rolle.

Anders gelagert war der Fall Kursachsens, das – wie Katharina Middell in ihrem Vortrag hervorhob – in der bisherigen Forschung zum Refuge trotz einer sehr guten Überlieferungslage eine untergeordnete Rolle gespielt habe. Diese geringe Beachtung erklärt sich daraus, dass es im Gegensatz zu vielen anderen Territorien keine Einwanderungspolitik gab, sondern nur einige Ansätze dazu. Entscheidend war die gegenüber den Calvinisten feindliche Haltung des orthodox-lutherischen Oberkonsistoriums und des Geheimen Rats. Außerdem fehlte die anderweitig feststellbare Überzeugung von der wirtschaftlichen Notwendigkeit einer Hugenottenaufnahme, denn schon die Aufnahme böhmischer Exulanten hatte einen guten Teil der Verluste des Dreißigjährigen Kriegs wettgemacht. Erst im frühen 18. Jahrhundert setzte eine regelrechte Politik der Abwerbungen von Hugenotten aus Brandenburg ein, die Middell als Element des brandenburgisch-sächsischen „Handelskriegs“ bezeichnete. Dennoch blieben die Hugenotten in Leipzig im Statuts von Schutzverwandten ohne Bürgerrecht.

Den zweiten Teil der ersten Tagungssektion, geleitet von Guido Braun, eröffnete Susanne Lachenicht mit einem Vergleich der Einwanderungspolitik der beiden wichtigsten deutschen Aufnahmeländer: Brandenburg-Preußen und Hessen-Kassel. Lachenicht hob dabei v.a. die Privilegienpolitik beider Territorien hervor. Brandenburg habe dabei als eine Ausnahme, und nicht als Normalfall zu gelten. Wichtig sei jedoch in beiden Fällen die Vermittlung durch einzelne Hugenotten mit Verbindungen zu den Höfen gewesen. In beiden Territorien hätten die wirtschaftlichen Aspekte bei der Privilegierung eine wesentliche Rolle gespielt, so etwa die Zunftfreiheit für hugenottische Handwerker. Landgraf Karl von Hessen-Kassel habe zunächst keine Absicht gehabt, die Réfugiés auch in jurisdiktioneller Hinsicht mit Sonderrechten auszustatten, doch habe eine gewisse Entwicklung in diese Richtung schließlich doch stattgefunden, während in Brandenburg dieses Element von Anfang an von großer Bedeutung gewesen sei. Hier bildete sich ein eigenes, von dem einheimischen Recht grundsätzlich unterschiedenes französisches Recht heraus („ordonnance française“), das bereits eine Rechtsgleichheit für die über alle preußischen Teilstaaten verteilte Kolonie schuf. In beiden Fällen fehlen Versuche der Regierungen, die Einwanderer zu integrieren. Statt dessen wurden sie – wie in Hessen – teilweise in eigenen Dörfern angesiedelt, was die Separation noch verstärkte. Für Brandenburg-Preußen hob Lachenicht hervor, dass nicht nur ein Bleiberecht offeriert wurde, sondern auch ein Bleibezwang ausgeübt wurde, der die Freizügigkeit der Hugenotten auf die kurbrandenburgischen Teilstaaten beschränkte.

Mit den Protestanten des südfranzösischen Fürstentums Orange beschäftigte sich Françoise Moreil. Die dortigen Calvinisten standen ab 1703 vor der Wahl zwischen Auswanderung und Konversion, konnten aber immerhin im Gegensatz zu den Hugenotten im Königreich Frankreich ihre Heimat frei verlassen. 1704 wurde ihnen die Aufnahme in Brandenburg-Preußen angeboten. Ein großer Teil der Flüchtlinge siedelte sich Berlin an. Auffällig viele von ihnen waren in der Textilbranche tätig, doch befanden sich unter ihnen auch zahlreiche Juristen.

In einem Kurzbeitrag schilderte Ulrich Niggemann die Aufnahmepolitik des Markgrafen Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth. Wie in Kursachsen war hier die lutherische Orthodoxie im Konsistorium und im Geheimen Rat vehement gegen eine Aufnahme der calvinistischen Réfugiés, doch setzte sich der Markgraf aus wirtschaftlicher Motivation durch. Eine Besonderheit waren die zwei Privilegien von 1685 und 1687, aus denen eine allmähliche Entwicklung in der Immigrationspolitik hin zu einer größeren Bereitwilligkeit erkennbar wird, den Réfugiés in religiöser und jurisdiktioneller Hinsicht Zugeständnisse zu machen.

Der Nachmittag stand ganz im Zeichen der Integrations- und Assimilationsvorgänge in Berlin und Brandenburg. Die zweite – von Frédéric Hartweg geleitete – „table ronde“ wurde von Manuela Böhm mit einem Referat über die Sprachaneignung der Hugenotten in Berlin und in den Kolonien Brandenburgs eröffnet. Dabei stellte Böhm eine recht unterschiedliche Entwicklung je nach Kontext fest: Erstens gab es einen deutlichen Unterschied zwischen der schriftlichen und der mündlichen Kommunikation. Zweitens seien aber auch soziale Kontexte sowie bei der Schriftsprache die Textgattungen zu beachten. Das einfache Modell einer Entwicklung von der (französischen) Einsprachigkeit über die Zweisprachigkeit zur (deutschen) Einsprachigkeit müsse daher insbesondere im Hinblick auf die Intention einer Bewahrung der Privilegien sowie auf das hohe Sozialprestige des Französischen differenziert werden. Wo die französische Sprache auf dem Land länger erhalten blieb, fand der Anschluss an die Sprachentwicklung in Frankreich gar nicht oder nur verzögert statt.

Mit den Verfassern der ab 1785 erschienenen großen Jubiläumsschrift „Mémoires pour servir à l’histoire des Réfugiés“, Jean-Pierre Erman und Chrétien Frédéric Reclam, beschäftigte sich das Referat von Viviane Rosen-Prest. Deren historiographisches Werk war von der Aufklärung wie auch von einem preußischen Patriotismus geprägt, zugleich wird der Stolz auf die Vorfahren deutlich. Das im Werk zum Ausdruck kommende Überlegenheitsgefühl der Hugenotten wurde über den Patriotismus an ein universelles Humanitätsideal rückgebunden. Gleichzeitig zielte das Werk auf eine moralische Erneuerung der französischen Kolonie und auf eine Selbstvergewisserung des Protestantismus. Damit schufen sie eine „légende dorée“ des Refuge in Berlin.

Franziska Roosen thematisierte das Erziehungs- und Bildungswesen der Berliner Hugenotten. Dabei verwies sie zunächst auf die zentrale Rolle, die das Bildungswesen im Calvinismus spielte. In Brandenburg entwickelten die Hugenotten – etwa durch das 1689 gegründete französische Gymnasium oder die ab 1692 geschaffenen Elementarschulen – ein differenziertes und effizientes Schulwesen, das im 18. Jahrhundert ein wesentliches Element hugenottischer Identität darstellte. Gründe zur Schaffung des Schulreglements von 1773 und eines eigenen hugenottischen Lehrerseminars 1779 waren Klagen über das schwindende Verständnis des Französischen in der Gemeinde, was auch zu Übertritten zur deutsch-reformierten Kirche führte. Dies wurde vom französischen Oberkonsistorium freilich weniger als religiöses denn als politisches Problem wahrgenommen, denn man fürchtete, mit dem Gebrauch des Französischen auch die Legitimation für die Existenz privilegierter Kolonien zu verlieren.

In der letzten Sektion trug unter der Leitung von Eckart Birnstiel zunächst Frédéric Hartweg seine Überlegungen zur wechselseitigen Naturrechts- und Aufklärungsrezeption in Deutschland und Frankreich vor. Dabei spielten Jean (de) Barbeyrac und Isaac de Beausobre eine entscheidende Rolle. Insbesondere Barbeyrac geriet jedoch durch den Vorwurf des Sozinianimus unter Druck, so dass seine Werke schließlich verboten wurden. Dennoch gelang es ihm, durch seine Übersetzung Samuel von Pufendorfs ins Französische eine wichtige Vermittlerrolle zu übernehmen. Ähnliches gilt auch für Beausobre, der nach Hartwegs Ansicht in der Forschung noch zu wenig Beachtung gefunden habe. Er übersetzte und popularisierte Veit Ludwig von Seckendorffs Antwort auf Maimbours Polemik gegen das Luthertum, wobei er die lutherischen und reformierten Positionen einander annäherte. Gerade Beausobres Bearbeitung von Seckendorffs „Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo“ von 1688 kann als hervorragendes Beispiel einer von Deutschland ausgehenden Vermittlungstätigkeit der Hugenotten gelten.

Um einen weiteren Gelehrten, Charles Etienne Jordan, der zu den bevorzugten Gesprächspartnern Friedrichs des Großen zählte, ging es im Vortrag von Jens Häseler. Auch Jordan, der zunächst die Theologenlaufbahn eingeschlagen hatte, gelang der Brückenschlag zwischen der französischen „république des lettres“ und den Kreisen der Aufklärung in Berlin, so dass eine Vermittlung in beide Richtungen möglich wurde. Dabei halfen ihm ein weites Korrespondenznetz sowie zahlreiche Reisen in Deutschland, Frankreich, England und den Niederlanden. Matthias Middell schlug hinsichtlich der Identität Jordans vor, ein Modell des Übergangs in Betracht zu ziehen, das von einer älteren Netzwerkorientierung hin zu einer Flächenorientierung führe. Vermittlerfiguren wie Jordan oder Beausobre passten demnach nicht einfach in eines der beiden Vorstellungsmodelle, weder in eine ältere Zuordnung zur „république des lettres“ noch in einen national definierten Kulturzusammenhang.

Vor Beginn der Schlussdiskussion erweiterte Klaus Weber den Blick auf makroökonomische Zusammenhänge. So wies er auf die herausragende Stellung hugenottischer Händler hin, die, aus französischen Häfen kommend, sich just in dem Augenblick in Hamburg niederließen, als die dortigen sephardischen Kaufleute zur Abwanderung gezwungen wurden. Beide Migrationen waren zwar durch politisch-religiösen Druck verursacht, verliefen aber zeitgleich mit dem Niedergang Spaniens und dem Aufstieg Frankreichs zur Seemacht. Die davon beeinflusste Wirtschaft, so Weber, sei ein wichtiger Faktor in der hugenottischen Migration gewesen.

Andreas Önnerfors berichtete kurz über sein Projekt zu Jacques de Perard, der als Freimaurer von Stettin aus in ein umfangreiches Netzwerk eingebunden war, für dessen Erforschung der Migrationshintergrund von großer Bedeutung sei.

In ihrer Einleitung zur Schlussdiskussion hob Susanne Lachenicht noch einmal hervor, dass trotz einiger Ansätze zu einer europäischen Lösung des „Flüchtlingsproblems“ eine sehr eigenständige Immigrationspolitik deutscher Obrigkeiten zu beobachten sei. Gerade für das Ausmaß der Zugeständnisse an Einwanderer sei die (wirtschaftliche) Selbstwahrnehmung der Aufnahmestaaten entscheidend gewesen. Sie bestimmte darüber, wie sehr man glaubte, auf Zuwanderung angewiesen zu sein. Allerdings sei die Erwartungshaltung der Obrigkeiten oft unrealistisch gewesen, da sie nicht dem Profil der Einwanderergruppen entsprach. Zudem fehlte es an Integrations- und Assimilationskonzepten, die offensichtlich auch nicht erwünscht gewesen seien – denn den Begriff „Integration“ oder ein bedeutungsähnliches Wort habe es im zeitgenössischen Diskurs nicht gegeben.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass – wie neuere Forschungen immer deutlicher zeigen – Emigration und Immigration in der Frühen Neuzeit wesentlich von materiellen Interessen geprägt waren, die sowohl den Migranten selbst als auch den aufnehmenden Regierungen in hohem Maße bewusst waren und entsprechend gezielt verfolgt wurden. Dabei spielten sowohl makroökonomische Zusammenhänge wie auch individuelle Interessenlagen eine Rolle. Auf Seiten der Hugenotten können ökonomische Zielsetzungen bereits bei der Entscheidung zur Auswanderung wichtig gewesen sein, so dass der Begriff „Glaubensflüchtling“ zunehmend fragwürdig wird. Stark zum Tragen kamen die Vorstellungen der Réfugiés dann bei der Wahl des Ansiedlungsortes sowie bei den Verhandlungen um die Privilegien, schließlich aber auch bei der Bewahrung einer hugenottischen Identität im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Komplementär dazu finden sich ökonomische Interessen und Selbstwahrnehmungen auch auf Seiten der aufnehmenden Landesherren. Sehr deutlich geworden ist im Laufe der Tagung und insbesondere während der Schlussdiskussion, wie unrealistisch die Vorstellungen der Obrigkeiten oft waren, wenn es um das Profil der Einwanderer ging. Diese Diskrepanz zwischen Idee und Wirklichkeit, zwischen ökonomischen Zielsetzungen und strukturellen Defiziten führte häufig auf beiden Seiten zu Enttäuschungen und in einigen Fällen sogar zum Scheitern der Ansiedlungsversuche. Wieder einmal ist also deutlich geworden, wie notwendig es ist, den Themenkomplex von seiner vielfachen legendarischen Überlagerung zu befreien. Daran wird weiter zu arbeiten sein.

Die Veröffentlichung der Vorträge in einem Tagungsband ist vorgesehen.


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