Perspektiven auf Rumänien und die Moldau / Perspectives on Romania and Moldova / Perspective asupra României și Republicii Moldova

Perspektiven auf Rumänien und die Moldau / Perspectives on Romania and Moldova / Perspective asupra României și Republicii Moldova

Organisatoren
Bereich Rumänistik der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ort
digital
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.02.2021 - 20.02.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Bianca Hepp, Eberhard Karls Universität Tübingen; Jana Stöxen, Universität Regensburg

Mit dem internationalen Online-Studierendenkolloquium wurde ein multiperspektivisches Format umgesetzt, das Studierenden verschiedener Qualifikationsstufen eine Plattform zur Präsentation ihrer Forschung bot. Das Organisationsteam um Jorina Fenner bestand aus etwa zehn mehrsprachigen Studierenden diverser Disziplinen und Universitäten, die der Bezug zur Rumänienforschung vereint.

Die Rumänistik, in Jena als Teilbereich der Romanistik sowie mit dem Fach Südosteuropastudien verbunden, ist eines der sogenannten Kleinen Fächer.1 Sie vertritt eine offene Perspektive auf historische, politische, sprachliche, literarische sowie allgemein kulturelle Aspekte rumänischsprachiger Regionen und Menschen. In den letzten Jahren sorgte Valeska Bopp-Filimonov unter anderem mit dem interdisziplinären Verbundprojekt „Wir wohnen Wort an Wort. Banat, Siebenbürgen, Bukowina: ein Ethnograffitti Südosteuropas“ in Zusammenarbeit mit dem Seminar für Volkskunde/Kulturgeschichte für Aufmerksamkeit.2

Die in drei Sprachen vorgestellten Beiträge bezogen sich inhaltlich auf das übergeordnete Titelthema „Rumänien und die Moldau“ und waren fachlich äußerst breit gefächert. Häufige Themen stammten aus der Migrations-, Stereotypen- und Erinnerungsforschung; Aspekte von „Gruppen“-Zugehörigkeiten und gesellschaftlicher Teilhabe waren ebenso präsent wie die Analyse von Binaritäten und der Darstellung des „Fremden“ in historischen Quellen. Die Palette der vorgestellten Projekte erstreckte sich von abgeschlossenen Abschlussarbeiten über laufende Qualifikationsvorhaben bis hin zu Berichten aus dem Berufsalltag abseits der Universität.

Das vielfältige Programm zeigte die Vorteile von interdisziplinärer und internationaler Forschung sowie von Austausch und Vernetzung. Vor allem aber wurde deutlich: Die sogenannten Nachwuchswissenschaftler:innen sollten nicht unterschätzt werden.3 Einige ausgewählte Beiträge von insgesamt 31 illustrieren diese Vielfalt.

Einen interessanten Einstieg in die qualitativ forschende Soziolinguistik bot ANNA CIJEVSCHI (Regensburg). Sie stellte ihre Forschungsergebnisse aus qualitativen Interviews vor, während derer die befragten Personen ihre „Language portraits” in Körper-Silhouetten einzeichneten. Ihre Interviewpartnerinnen sind Frauen, die aus der Region Transnistrien nach Deutschland migriert sind. Der Vortrag zeigte Aspekte von Körperlichkeit, Gender und Biografie sowie deren Verknüpfung auf.

JOHANNES NÜSSER (Regensburg) stellte ein geschichtswissenschaftliches Projekt vor, das sich auf den rumänischen Ableger der Pfadfinder konzentriert, die Anfang des 20. Jahrhunderts aufkamen. Er verglich die rumänische Pfadfinderbewegung mit dem britischen Vorbild, begrenzt auf einen Zeitraum in der Zwischenkriegszeit. Analysedaten lieferte das Presseorgan Mesagerul Cercetașilor (Der Pfadfinder-Bote) der Jahrgänge 1927/28, an denen er das Selbstverständnis und die Aktivitäten der Bewegung aufzeigte.

Um ein Thema, das im Erinnerungsdiskurs der Bundesrepublik Deutschland noch nicht abgeschlossen behandelt ist, geht es im Dissertationsprojekt von LOLITA REDER (Heidelberg). Sie beschäftigt sich mit dem Freikauf der Rumäniendeutschen in den 1980er Jahren, einer diplomatischen Aktion, mit der die Bundesregierung die Ausreise von Aussiedler:innen in die BRD mittels Geldzahlungen an die Sozialistische Republik Rumänien unterstützte. Reder arbeitete die negativ und positiv besetzte Semantik in den Diskursen über diese Thematik heraus und wird mit ihrer Arbeit die Forschung in diesem Bereich ein Stück weiterbringen.

Mit aktuellen Erinnerungsdiskursen an den Sozialismus beschäftigte sich auch GRETA RALUCA DĂDĂLĂU (Berlin), die sich diesem Thema allerdings von einer anderen Seite aus annäherte. Ihre Analyse zweier Romane (Die rote Babuschka von Dan Lungu und Sonja meldet sich von Lavinia Braniște), die Diskurse zur Erinnerung an die Vergangenheit Rumäniens thematisieren, zeigte, dass diese nicht von der Vergangenheit, sondern von der Gegenwart aus gedeutet werden müssen. Ein Stück Literatur kann sich aus diesen Strukturen bedienen und eine eigene, umformende Darstellung zeigen, die wieder auf die Erinnerungsdiskurse zurückstrahlt. So wird nach und nach das kollektive Gedächtnis konfiguriert.

MAXIME PASKER (Berlin) präsentierte ein literaturwissenschaftliches Projekt zur Figur des weiblichen Vampirs in Mircea Eliades Roman Domnișoara Christina (Fräulein Christine) und stellte das Thema des weiblichen Vampirs und seiner Eigenschaften in einen intertextuellen Kontext. Seine Lesart vereint mehrere Interpretationsweisen. So nahm er die Übernatürlichkeit der Frau und die Verschränkung von Sexualität und Tod in den Blick und arbeitete heraus, wie Machtstrukturen in den Figuren in Eliades Roman anklingen.

CATALINA PLINSCHI (Iaşi) setzte zu einem Rundumschlag der Gewaltgeschichte und ihrer Interpretationen an, die sie exemplarisch anhand moldauischer Märchen schilderte – die Normalität eines hingenommenen, gar als fair betrachteten Gewaltaktes im Märchen hinterließ dabei einen schalen Nachgeschmack hinsichtlich der eigenen Wahrnehmungen augenscheinlich harmloser Kindergeschichten. Wenn etwa die Hexe von Hänsel und Gretel im Ofen verbrannt wird, ist das Erschrecken der Leser:innen kaum mit dem zu vergleichen, das eine solche Tat in der Realität auslösen würde. Diese unterschätzte Mehrdeutigkeit hat Plinschi anschaulich und intertextuell illustriert.

Dass die Geschichtsbilder, die im anhaltenden Nationenbildungsprozess der Republik Moldau Teil der Identitätsformation sind, auch für die touristische Repräsentation erhebliche Bedeutung haben, stellte EVA POSCH (Graz) anschaulich und bildreich. Sie greift in ihrer touristischen Historiographie Moldova sowie die Landesteile Transnistrien und Gagausien auf und identifiziert Ursachen politischer Konflikte wie das verbindende Element der Orthodoxie als prägende Religion.

Einen anregenden Werkstattbericht ihrer Arbeit für das Minor-Projektkontor für Bildung und Forschung in Berlin lieferte JANKA VOGEL (Berlin). Aus den Trends der Digitalisierung und der steigenden Zuwanderung aus Rumänien entwickelt sich im Internet der Raum einer Online-Diaspora. Ihn als Chance für digitales Street Work zu begreifen und nutzbar zu machen, ist eine der vordringlichen Herausforderungen zeitgemäßer Integrationsangebote.

LEAH VALTIN-ERWIN (Bloomington) stieg dort ein, wo der globale Kapitalismus die Länder Mittel- und Osteuropas in Form der deutschen Großhandelskette „Metro“ in den Blick nimmt: „Fabricat în Germania“ als Qualitätssiegel trägt dabei, ebenso wie die Verbreitung von Supermärkten als Elemente transnationaler Verflechtungen, zur sozioökonomischen Reorganisation Europas bei, deren Konflikte noch nachklingen.

Am Beispiel eines lebensgeschichtlichen Interviews mit einem Ehepaar aus Ploieşti gab PAULINE CONSTANTIN-HUNSTIG (Mainz) Einblick in ihr Oral History-Projekt zur „aufgelösten Minderheit“ der Rom:nja im rumänischen Kommunismus. Ihr schlaglichtartiger Zugang zu dieser stereotypisierten Gruppe in verschiedenen Landesteilen Rumäniens betont den bewussten Zugang, die Rom:nja als diverse, vielschichtige Minderheit aufzufassen und diese Maßstäbe auch in der Forschungspraxis zu setzen.

Die Fachzukunft der Rumänistik ist facettenreich und tragfähig – das hat das Kolloquium eindrucksvoll unter Beweis gestellt, indem es Beiträge zu Region und Sprache aus verwandten Geistes, Sozial- und Kulturwissenschaften zugelassen und zueinander in Relation gesetzt hat. Das „Nischenfach“ ist vielleicht doch nicht so klein und bietet durch seine breite Aufstellung zahlreiche Anknüpfungspunkte, was die Diskussionen bewiesen haben. Work in Progress sichtbar zu machen und in einen Austausch einzubetten, wurde hier maßgeblich als Aspekt der Profilierung betrachtet und entsprechend behandelt, sodass in den jeweiligen Diskussionsslots wie auch bilateral Impulse und Literaturtipps ausgetauscht wurden.

Auch dies machte den Reiz dieser ungewohnt jungen, neuen Tagung aus, die von vornherein als Online-Kolloquium konzipiert war und als ein solches voll auf der Höhe der Zeit war – mit allen Chancen und Widrigkeiten. So war die Beteiligung von insgesamt über 120 Teilnehmer:innen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Rumänien, Moldova, Österreich, Serbien, der Türkei, Kanada und den USA möglich. Der große inklusive Ansatz fand sich mit zwölf deutsch-, elf rumänisch- und acht englischsprachigen Beiträgen auch in der Dreisprachigkeit des Formats wieder.

Einziges Manko war die Anstrengung, dem Programm am Bildschirm über zwei Tage mit voller Konzentration zu folgen. Die Ablenkung der Kaffeepausen und der interessanten Diskussionen abseits fehlte und ist derzeit ein steter wunder Punkt jedes ähnlichen Formats. Eine Entzerrung des Programms und ein stärkerer thematischer Fokus könnte in Zukunft Abhilfe schaffen.

Der Zielsetzung, möglichst viele Interessierte und Fachwissenschaftler:innen der jüngeren Generation zusammenzubringen, steht der digitale Rahmen also nicht im Wege – unter gewissen Bedingungen kann er eine Chance zu gemeinsamem Austausch und Profilierung sein. Mit den Erfahrungen der diesjährigen Edition und den vielversprechenden Vorträgen und Diskussionen einer jungen und diversen Fachgemeinschaft im Rahmen der Rumänistik stünde einer Etablierung des digitalen Formats in der kommenden Zeit wenig im Wege.

Konferenzprogramm:

Alexandru Daguța (Oradea): Perspective Romaniei si ale Moldovei

Catalina Plinschi (Iași): The tale of violence or the violence of the tales. Research on the influences on the perception of violence

Ksenija Knezevic (Belgrad): Multinationalität im Banat

Stefania Surdu (Iași): Demontarea percepției stereotipe asupra lumii în romanul avangardist românesc și german. Ex-curs despre „inocență” vs. „decadență”

Anne Pirwitz (Potsdam): Zwischen Heimat und Fremde – Räume der Migration im neuen rumänischen Film

Maxime Pasker (Berlin): Unheimlich mächtig. Weibliche Vampire als Sonderform der femme fatale bei Mircea Eliade

Anca Luminiţa Eftenie (Timișoara): Modernizarea fantasticului folcloric în romanul Domnişoara Cristina de Mircea Eliade

Tatijana Petrika (Timișoara): Receptarea lui Danilo Kis în România

Diana Lupuleac (Iași): Grupul oniric românesc

Costina-Elena Ilea (Iași): Observatii asupra bucoavnelor românești din secolele al XVII-lea - al XVIII-lea. Dimensiunea filologice

Janka Vogel (Berlin): Online Diaspora – online integration? Digital street work with Romanian migrants in Germany

Tanya Karamanos (Montréal): Performing violin Lăutărească. Listening, understanding and embodiment of Dragoste de Tigan

Jana Stöxen (Regensburg): Betongold oder bloß Fassade? Überlegungen zu Häusern, Handlungsmacht und Habitus

Lucia Sunder-Plassmann (Berlin): Europäisierung der rumänischen Ethnologie und Anthropologie. Eine Situationsanalyse der Disziplinen an den ’östlichen Marginalien’ Europas

Leah Valtin-Erwin (Bloomington): Fabricat în Germania. Philo-Germanism and the “Europeanization” of Romanian food retail in the1990s

Mariana Nastasia (Iași): Inseratele biblice în Divanul lui Cantemir. Clasificare și analiză

Eva Posch (Graz): Geschichtsdarstellungen im Tourismus und nationalisierende Identitätspolitik am Beispiel der Republik Moldau

Oana Chiriluș (Mainz): The image of the Turkish Other in Moldavia during the reign of Stephen the Great (1457-1504)

Dumitru Rață (Chișinău): Tratarea Primului Război în Republica Moldova

Răzvan Ceuca (Cluj-Napoca): “Sharp Power” through Strategic Narratives. Sputnik’s Discourse on the Relation between Romania and NATO (2016-2020)

Lolita Reder (Heidelberg): Freikauf der Rumäniendeutschen – der Schattendiskurs

Irina-Marinela Deftu (Iași): De la imperialism cultural la imperialism lingvistic. Interferențe lingvistice româno-coreene. Comportamente și atitudini lingvistice

Anna Cijevschi (Regensburg): Language portraits of the Transnistrian diaspora in Germany

Laura Elisa Maylein (Wien): Die romanischen Sprachen im Kontakt mit dem Kroatischen unter besonderer Berücksichtigung des Istrorumänischen

Berk Emek (Istanbul): The League of Nations Minority Regime and the dispute regarding its applicability in Greater Romania

Johannes Nüßer (Regensburg): Pfadfinder im Rumänien der Zwischenkriegszeit. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum britischen Ursprung auf Grundlage der Pfadfinderzeitschrift Mesagerul Cercetaşilor aus Cluj 1927/28

Pauline Constantin-Hunstig (Mainz): Roma im rumänischen Kommunismus – Erinnerungen einer „aufgelösten" Minderheit

Bianca Hepp (Tübingen): Was haben Pufuleți und Fotografien von Gräbern gemeinsam? Einblicke in die Ethnografie einer Erinnerungsgemeinschaft

Greta Raluca Dădălău (Berlin): Postkommunistische Erinnerungskultur in Rumänien. Eine vergleichende Analyse zweier zeitgenössischer Romane (Die rote Babuschka von Dan Lungu, Sonia hebt die Hand von Lavinia Braniște)

Iuliana-Marilena Firu (Alba Iulia): Epigrame si epigramisti gorjeni din secolul XX

Roxana Maria Crețu (Timișoara): Semnificația termenilor cromatici în proza postumă eminesciană

Anmerkungen
1 Vgl. https://www.kleinefaecher.de/ (24.03.2021).
2 Die daraus entstandene Ausstellung wurde mittlerweile zweimal in Jena gezeigt und auch in ein digitales Format übertragen unter https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/wortanwort/ (26.3.2021) Zum Konzept und seiner Umsetzung im Detail siehe: Valeska Bopp-Filimonov / Anne Dippel, Neue Architekturen der Wissensvermittlung gestalten. Teamethnographisch Forschen, Ausstellen und Reflektieren bei der Arbeit an „Wir wohnen Wort an Wort“. Banat, Siebenbürgen, Bukowina. Ein Ethnograffiti Südosteuropas, in: Katharina Eisch-Angus / Sarah Scholl-Schneider / Marketa Spiritova (Hrsg.), Kulturelle Kontexte östlichen Europa, Münster, New York 2019 (Bd. 60), S. 166-175; Valeska Bopp-Filimonov / Anne Dippel, Into the Grey Zone, Or: How to Track Fading Multiculturalism in Southeastern Europe. On the making of the exhibition ‘"We Live Word to Word." Banat - Transylvania - Bukovina. An Ethnograffiti of Southeastern Europe' at the Friedrich Schiller University Jena, 2018-2020, in: Südosteuropa 67 (2019), S. 534-554.
3 Marcel Lepper, Nachwuchswissenschaftler. So kommt keiner voran, in: Die Zeit, 18.06.2019, https://www.zeit.de/2019/26/nachwuchswissenschaftler-begriff-ambivalenz-befristungen-unzufriedenheit/komplettansicht (22.3.2021).