Stifte und Klöster im Rheinland. 63. Arbeitstagung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande der Universität Bonn

Stifte und Klöster im Rheinland. 63. Arbeitstagung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande der Universität Bonn

Organisatoren
Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.09.2005 - 27.09.2005
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Von
Bastian Steingiesser, Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

"Stifte und Klöster im Rheinland" lautete das Thema der 63. Arbeitstagung des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, die vom 26.-27. September 2005 in Verbindung mit dem Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande stattfand. Mit dieser Veranstaltung wurde eine Tagungsreihe zu jährlich wechselnden Themenschwerpunkten fortgesetzt, deren Anfänge sich bis ins Jahr 1922 zurückverfolgen lassen.

Das diesjährige Thema steht in Zusammenhang mit dem in Vorbereitung befindlichen "Nordrheinischen Klosterbuch", dessen Herausgebergremium, Prof. Dr. Manfred Groten (Direktor des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande), Georg Mölich (Landschaftsverband Rheinland, Fachstelle für Regional- und Heimatgeschichte, Köln), Prof. Dr. Gisela Muschiol (Institut für Kirchengeschichte, Katholisch-theologische Fakultät der Universität Bonn), Dr. Joachim Oepen (Historisches Archiv des Erzbistums Köln) und dessen Redakteur Wolfgang Rosen M.A. (Landschaftsverband Rheinland, Köln) an der Veranstaltung teilnahm. Das Tagungsprogramm umfasste an zwei Tagen insgesamt neun Vorträge in vier Blöcken zu je zwei Beiträgen und einen öffentlichen Abendvortrag.

Nach der Begrüßung im Festsaal des Universitäts-Hauptgebäudes führte Prof. Dr. Manfred Groten in die Tagungsthematik ein. Das Vortragsprogramm eröffnete Priv.-Doz. Dr. Frank G. Hirschmann (Trier) unter dem Titel "Secundum regulam vivere? Zur Instabilität mittelalterlicher Frauenklöster" mit einer kartographischen Übersicht über Frauenklostergründungen im Rheinland (alte Erzdiözesen Köln und Trier) vom frühen Mittelalter bis zur frühen Neuzeit. Es wurde deutlich, dass zunächst sehr wenige Frauenklöster zahlreichen Männerklöstern gegenüberstanden. Dieses zahlenmäßige Missverhältnis änderte sich im hohen und späten Mittelalter, wobei oft eine gewisse Instabilität der Gründungen durch Auflösung, Ordenswechsel, Ortswechsel und Problemen bei der seelsorgerischen Betreuung durch Männerklöster zu konstatieren ist. Die von der Anzahl her stärkste Gründungswelle (ca. 100 Neugründungen) lässt sich erst für das 17. Jahrhundert feststellen. Daran anschließend wandte sich Prof. Dr. Dieter Geuenich (Duisburg) unter dem Titel "Das liturgische Gebetsgedenken. Bedeutung - Verschriftlichung - Forschungsmöglichkeiten" einer der wesentlichen Aufgaben aller Klöster und Stifte zu. Für die Erforschung dieser Memorien sind die ursprünglich im Kapitelsaal verwahrten Kapiteloffiziumsbücher die wichtigste Quelle. Sie bestanden in der Regel aus drei Teilen - aus Martyrologium, Nekrologium und einer Niederschrift der betreffenden Ordensregel, oft verbunden mit dem Professformular. Für die Forschung ist heute problematisch, dass die Kapiteloffiziumsbücher nach der Säkularisation nicht selten aufgeteilt wurden und dadurch an unterschiedlichen Orten überliefert sein können.

Die beiden Nachmittagsvorträge konzentrierten sich auf die wirtschaftlichen Aspekte des Klosterlebens. Wolfgang Rosen M.A. (Köln) präsentierte in seinem Vortrag "Stellung und Darstellung der Wirtschaftsgeschichte von Klöstern und Stiften in wissenschaftlichen Publikationen, insbesondere in Klosterbüchern" - gerade auch im Hinblick auf das Projekt "Nordrheinisches Klosterbuch" - eine statistische Auswertung, welche die Häufigkeit ökonomischer Aspekte in den Einzelbeiträgen zu Klosterbüchern der vergangenen 100 Jahre untersuchte. Zur Quellenlage ist anzumerken, dass in der schriftlichen Überlieferung in der Regel ökonomische Quellen gegenüber denjenigen geistlicher Thematik bei weitem überwiegen. Die Überprüfung ausgewählter Klosterbücher ergab hingegen, dass oft lediglich 5 bis 20% der Einzelartikel allgemeine Informationen zur Ökonomie enthalten und speziellere Angaben noch seltener sind. Neuere Klosterbücher berücksichtigen wirtschaftliche Angaben stärker, denn ca. 50% aller Beiträge enthalten allgemeine und 10% konkretere Fakten. Das strenge Gliederungsschema des Westfälischen Klosterbuchs bewirkt, dass hier sogar 90% aller Artikel ökonomische Angaben mitteilen. Nach dieser überblicksartigen Darstellung konzentrierte sich Dr. Marianne Gechter (Bonn) auf "Frauenklöster und -stifte in der stadtkölnischen Wirtschaft im Mittelalter". In Köln befand sich um 1500 etwa ein Fünftel des Stadtgebietes in geistlichem Eigentum, auch "Besitz der toten Hand" genannt, wobei der Besitz der Männerklöster im Vergleich zu dem der insgesamt ca. 40 Frauenklöster und -stifte deutlich umfangreicher war. Das Grundeigentum der zeitweise annähernd 100 Beginenkonvente innerhalb der Kölner Stadtmauern war dagegen vergleichsweise gering. Die Beginen nahmen im 15. und 16. Jahrhundert oftmals eine Ordensregel an, so dass ihre Anzahl abnahm, doch bestanden bei der Säkularisation 1802 immerhin noch ca. 20 Beginenhäuser in der Stadt. Die gewerbliche Tätigkeit der Frauenkonvente konzentrierte sich auf Skriptorien und auf den Textilsektor, d.h. auf das Spinnen und Weben von Wolle und auf die Paramentenstickerei. Aus der Konkurrenz mit den Zünften im Textilbereich entwickelten sich rasch wirtschaftliche Konflikte, die zur Festlegung von Quoten führten, die den Nonnen nur eine sehr eingeschränkte Geschäftstätigkeit gestatteten. Aus diesem Grunde rückten nach 1500 Einnahmen v.a. aus ihrem Haus- und Grundbesitz in den Vordergrund. Neben den Mieteinnahmen aus stadtkölnischen Häusern und dem Erlös aus dem bei den Kölner Frauenklöstern nicht sehr umfangreichen Weinbergbesitz, sind Einnahmen in Form von Naturalien - vor allem Getreide - zu nennen. Eigene Klosterbrauereien gewannen ab 1500 als Wirtschaftsfaktoren an Bedeutung, weil zu dieser Zeit das Bier den Wein zunehmend als Massengetränk ablöste.

Das Vortragsprogramm des ersten Tages beschloss der von Prof. Dr. Wilhelm Janssen (Bonn) gehaltene öffentliche Abendvortrag "Zwischen Bettelmönch und Chorherr: Die Kölner Kreuzbrüder im Spätmittelalter". Der Kreuzbrüderorden pflegte das Predigtapostolat und nahm eine etwas unklare Stellung zwischen den alten Orden und den Mendikanten ein; persönlicher Besitz war den Kreuzbrüdern erlaubt. Nach der Gründung ihrer ersten Niederlassung im Rheinland in (Wuppertal-)Beyenburg, kamen Kreuzbrüder Anfang des 14. Jahrhunderts auch nach Köln. Dem Orden gelang es hier nur mühsam, Immobilienbesitz zu erwerben, so dass der Bau einer Klosterkirche erst nach Jahren (1390-99) realisiert werden konnte. Die Kölner Ordensniederlassung umfasste durchschnittlich nur 10 bis 12 Priester- und Laienmönche. Diese prekäre Personalsituation bestand im gesamten Orden über das ganze Mittelalter hinweg. Unter dieser Voraussetzung führte die übergroße Last von Messverpflichtungen 1410 bis 1417 zu einer "Reform von oben" die durch eine Zentralisierung des Ordens und die Wandlung der Ordensspiritualität gekennzeichnet war. Unter Abkehr vom Bettelordenswesen erfolgte eine Hinwendung zur Pflege von Liturgie, Fürbitte und Memorie. Im 15. Jahrhundert erfuhr der Orden dann einen kontinuierlichen Aufschwung und die "Kreuzbrüder" wurden nun oft "Kreuzherren" genannt. Spirituell schlossen sie sich der Devotio moderna an und pflegten die Frömmigkeitstheologie des Johannes Gerson, geprägt durch mystische und Passionsliteratur, Predigtsammlungen und Heiligenviten. Dagegen hatten die Schriften der Kirchenlehrer und die scholastische Theologie des Thomas von Aquin einen geringeren Stellenwert für den Orden. Als Fazit lässt sich festhalten, dass der Verzicht auf Eindeutigkeit den Kreuzbrüdern die Anpassung an die jeweilige Zeitströmung erleichterte. Der Tag wurde im Anschluss an den Abendvortrag durch den traditionellen Empfang im Senatssaal des Bonner Universitäts-Hauptgebäudes beschlossen.

Den zweiten Veranstaltungstag eröffneten zwei Vorträge zum Thema "Liturgie". Prof. Dr. Heinz Finger (Köln) sprach über "Liturgie und liturgische Bücher in rheinischen Stiften und Klöstern", Prof. Dr. Andreas Odenthal (Fulda) über "Stadt - Kirche - Altar. Zu den ‚Funktionsorten' mittelalterlicher Liturgie". Liturgie, verstanden als Lob Gottes, war zumindest im Mittelalter der Hauptzweck des monastischen Lebens der alten Mönchsorden. Doch gab es eine spezifisch "rheinische Liturgie"? Die Voraussetzungen dafür bestanden nur bei den Kollegiatstiften, die rheinischen Diözesanliturgien folgten, denn die Benediktiner gehörten, abgesehen von der Siegburger Abtei, der Bursfelder Kongregation an und die Mendikanten pflegten ganz dezidiert keine rheinische Liturgie. Die rheinischen Diözesanliturgien lehnten sich an gallikanische Formen an, wandelten sich erst im 19. Jahrhundert oder verschwanden dann völlig. Nach der Säkularisation wurde bisweilen der Versuch unternommen, die alten Stiftsliturgien an ehemaligen Stiftskirchen (z.B. dem Marienstift Aachen oder an St. Lambertus in Düsseldorf) weiterhin zu pflegen. Xanten konnte seine von Köln und Rom abweichende traditionelle Eigenliturgie immerhin noch bis zur Säkularisation beibehalten. Hervorzuheben sind die Kanonissenstifte (Essen, Gerresheim, Neuss, St. Ursula in Köln u.a.), die besonders alte, obsolete Liturgieformen kannten. Das Auftreten der Mendikanten stellte in diesem Zusammenhang einen Einschnitt dar, da die Bettelorden ein Stundengebet der Laien entwickelten. Insgesamt gesehen präsentierte sich die "liturgische Landschaft" des Rheinlandes aber erstaunlich einheitlich, wobei kleine Unterschiede eine Vermischung bewirkten und sich durch die Mendikanten die Tendenz zur Vereinheitlichung verstärkte; nach der Säkularisation erloschen dann auch die alten rheinischen Diözesanliturgien.

Das Nachmittagsprogramm des zweiten Tages war dem Bildungs- und Schulwesen der rheinischen Klöster gewidmet. Zunächst untersuchte Dr. Katrinette Bodarwé (Göttingen) "Bildungshorizont und Vernetzung rheinischer Frauenklöster". Ihr Beitrag hatte drei Schwerpunkte: 1. die chronologische Entwicklung der Klosterlandschaft, 2. die Bildungssituation in den Klöstern und 3. die Vernetzung der Klöster untereinander. Sie betonte, dass die ersten Klöster etwa seit dem Jahr 600 entstanden. Vorher scharten sich nur einzelne Gruppen um charismatische Persönlichkeiten. Die frühen Gründungswellen erreichten das Rheinland jedoch nicht. Diese frühe Phase wurde noch von der spätantiken Kultur geprägt, die sich auf die Städte konzentrierte. Vor diesem kulturellen Hintergrund ist anzunehmen, dass Lateinkenntnisse zu dieser Zeit meist vorhanden waren. Im 9. Jahrhundert wurden dann die ersten rechtsrheinischen Klöster gegründet, beginnend mit Herford. Die Weitergabe der monastischen Tradition an Neugründungen geschah in der Regel durch die Übergabe von liturgischen Handschriften. Die Lateinkenntnisse verschlechterten sich in dieser Zeit zwar insgesamt, doch wurden andererseits jetzt verstärkt auch die antiken Schriftsteller rezipiert. Die Neugründungen jener Jahre erlebten einen Aufschwung durch den großen Zustrom neuer Mitglieder, die Übertragung wichtiger Reliquien und die oft kostbaren Beiträge zur Ausstattung der Klosterkirchen. Eine eigenständige rheinische Entwicklung wird aber erst für das 12. Jahrhundert deutlich. Das Bildungsniveau in den rheinischen Klöstern und Stiften des Hoch- und Spätmittelalters bietet insgesamt ein uneinheitliches Bild, so dass auf diesem Gebiet weiterer Forschungsbedarf besteht. In einem abschließenden Beitrag wandte sich Dr. Johannes Kistenich (Detmold) der "Öffentlichen Schule als Motiv für Klostergründungen während des 17. Jahrhunderts im Gebiet Maas - Rheinland - Westfalen" zu. In seiner statistischen Auswertung datierte er die Klostergründungswellen im Rheinland auf das 13., das 15. und das 17. Jahrhundert. Als Gründer von Schulen hob er die Augustinereremiten der kölnisch-belgischen Provinz hervor, denn 13 ihrer 15 Niederlassungsgründungen im 17. Jahrhundert waren mit der gleichzeitigen Gründung von Gymnasien verbunden; ähnlich verhielt es sich bei den Minoriten. Die Gründung zahlreicher Schulen ausdrücklich für Ordensfremde ist als Phänomen der katholischen Reform ohne nennenswerte Kontinuität zum Mittelalter einzuschätzen. Die Städte begrüßten Schulgründungen unter dem durchaus modernen Gesichtspunkt der Wirtschaftsförderung. Daher ging die Initiative für Neugründungen oft von den Städten aus und mehrere Orden bewarben sich um die Übernahme dieser Gymnasien. Der Lehrstoff folgte den klassischen studia humaniora (v.a. Grammatik, Poetik, Rhetorik) und konnte in einer Oberstufe durch Mathematik, Physik und Metaphysik ergänzt werden. Die Beweggründe der Orden für ihr Engagement auf dem Schulsektor lagen nicht primär in der Gewinnung und Ausbildung von Ordensmitgliedern, denn ihr grundlegendes Ziel war vielmehr die Gründung neuer Niederlassungen, weil ohnehin zahlreicher Ordensnachwuchs vorhanden war. Die neuentstandenen Gymnasien förderten freilich zusätzlich dieses Nachwuchspotential. Im Gegensatz zu den Neugründungen der Mendikanten wurden Jesuitenschulen vor allem durch die Landesherren initiiert.

Zusammenfassend betrachtet thematisierte die Tagung „Stifte und Klöster im Rheinland“ eine Fülle von Einzelaspekten: So wurden die Klostergründungen im Rheinland in ihrer zeitlichen Abfolge, daneben Liturgie und Gebetsgedenken sowie Bildungsstand, Schulwesen und klösterliche Wirtschaft im Einzelnen untersucht. Am Beispiel der Kreuzbrüder wurden Ansiedlung und Entwicklung eines Ordens im Rheinland näher dargestellt. Es wurde deutlich, dass trotz der bisher geleisteten Arbeit weiterer Forschungsbedarf besteht. Hier sind unter anderem die wirtschaftlichen Seiten des Klosterlebens und die Bereiche Liturgie und Bildung zu nennen. Es bietet sich an, diese Teilaspekte auch in Kooperation von Historikern mit Vertretern anderer Disziplinen, wie Kirchengeschichte, Kunstgeschichte, Theologie und Philologie genauer zu beleuchten. Dabei verdienen die rheinischen Frauenklöster und -stifte eine verstärkte Aufmerksamkeit der Forschung, auch wenn diese 2005 durch die Ausstellung „Krone und Schleier. Kunst aus mittelalterlichen Frauenklöstern“ unter kunsthistorischen Aspekten schon ein besonderes Interesse fanden.

Den Abschluss der zweitägigen Herbsttagung bildete ein Autorentreffen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des "Nordrheinischen Klosterbuchs", die durch die Vorträge und Diskussionen im Verlaufe der beiden Tage viele Anregungen und Impulse erhielten.

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