Workshop zur Geschichte der Konzentrationslager

Workshop zur Geschichte der Konzentrationslager

Organisatoren
Wojciech Lenarczyk, Andreas Mix, Johannes Schwartz und Veronika Springmann
Ort
Lublin / Majdanek
Land
Poland
Vom - Bis
26.10.2005 - 30.10.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Nicole Kramer

Das System der Konzentrationslager erfasste mit Beginn des Zweiten Weltkriegs die vom Deutschen Reich besetzten Länder im Westen wie im Osten. 1941/42 erstreckte sich der nationalsozialistische Verfolgungsapparat nahezu über ganz Europa. Die seit Jahren geforderte Internationalisierung der Geschichtsforschung darf also gerade vor dieser Zeitspanne nicht Halt machen. Umso begrüßenswerter ist es, dass der diesjährige Workshop zur Geschichte der Konzentrationslager außerhalb des deutschsprachigen Raums in der polnischen Stadt Lublin stattfand. Vom 26. bis 30. Oktober 2005 luden die Organisatoren Wojciech Lenarczyk (Lublin), Andreas Mix, Johannes Schwartz und Veronika Springmann (alle Berlin) junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Polen, Großbritannien, Dänemark, Litauen, Österreich und Deutschland dorthin ein, um über aktuelle Forschungsvorhaben und neue Fragestellungen zu diskutieren. Finanziert wurde der Workshop von der Hildegard-Hansche-Stiftung und der Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.

Eröffnet wurde der Workshop mit einem Vortrag von Sheridan Burnside (London) über die Darstellung des Konzentrationslagers Stutthof im Roman „Hundejahre“ von Günter Grass. Mit der Frage nach den Methoden und Formen, die Literaten im Gegensatz zu Historikern zur Verfügung stehen, um nationalsozialistische Geschichte zu thematisieren, berührte die Referentin eine zentrale Debatte der Geschichtswissenschaft, nämlich: Wie fiktional ist oder darf Geschichtsschreibung sein? Die lebhafte Diskussion führte freilich zu keiner endgültigen Antwort; sie schärfte jedoch das Bewusstsein, dass die Vorstellung der neutralen Beobachterposition eines Historikers selbst Fiktion ist. Gerade die in weiten Teilen positivistisch-objektivistisch argumentierende Zeitgeschichte hat dem bisher nur wenig Rechnung getragen.

Am nächsten Tag verließ der Workshop die Höhen theoretisch methodischer Diskussionen und wandte sich der Praxis der Gedenkstättenarbeit zu. Der Besuch der zwei Gedenkstätten Majdanek und Belzec zeigte sehr unterschiedliche Formen des Erinnerns. Am historischen Ort des ehemaligen Vernichtungslagers Belzec findet der Besucher keine Baracken, Gaskammern oder andere Gebäude vor, sondern ein Ensemble von symbolisch aufgeladenen Denkmälern. Die Leitidee des neuen Gedenkstättenkonzeptes war es, so erklärte der Leiter Robert Kuwalek, der Opfern zu gedenken und nicht dem Gelände.

Die Gedenkstättenbesuche bildeten den Einstieg in den Arbeitsschwerpunkt zum Umgang mit der Geschichte der Konzentrationslager. Die einzelnen Vorträge steckten dabei ein weites Spektrum ab. Die grundlegende Frage nach Aufgaben und Reichweite der Gedenkstättenpädagogik, die René Mounajed (Göttingen) in seinem Vortrag stellte, führte zu heftigen Kontroversen im Plenum. Reicht es, die Geschichte eines Ortes zu erzählen? Oder haben Gedenkstätten darüber hinaus die Aufgabe, wie Mounajed fordert, einen Beitrag zur Menschenrechtserziehung zu leisten? Der fachwissenschaftliche Diskurs steht der Vermittlung von Werten durch Geschichte meist sehr skeptisch gegenüber, vermeidet jedoch klare Aussagen über die Aufgaben von Gedenkstätten; das spiegelte sich auch in der Diskussion zum Vortrag wider. Nach dem Ableben der Zeitzeugen werden die Historiker in der Erinnerungskultur jedoch immer wichtiger werden, und daher ist das Gebot der Stunde, Stellung zu beziehen, in die eine oder in die andere Richtung.

Maßgeblichen Einfluss auf die Vermittlung von Geschichte über die Konzentrationslager hat vor allem die Gestaltung von Gedenkstätten sowie von Denk- und Mahnmälern. Eine Sektion zum Thema „Formen der Erinnerung und des Gedenkens“ stellte ganz unterschiedliche methodische Herangehensweisen vor. Zofia Wóycickas (Warszawa) Vortrag behandelte die öffentliche Auseinandersetzung um die Erinnerung an ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager in Polen als Gedächtnisorte. Alexandra Klei (Berlin) untersuchte, wie Gedenkstätten die Architektur der Konzentrationslager, auch die nicht mehr vorhandene, in ihre Vermittlung der Geschichte des entsprechenden Ortes integrieren. Um die Darstellung von Vergangenheit ging es auch Annika Wienert (Bochum), die aus der Perspektive der Kunstgeschichte KZ-Denkmäler in den Blick nahm. Die Sektion bot nicht nur eine Fülle von interessanten Themen, sondern auch die Möglichkeit des interdisziplinären Austauschs. Dieser ließ sich aber, wie so oft, nur teilweise realisieren. Die Diskutanten nutzten das interdisziplinäre Gesprächsangebot weniger als die Vorträge hätten vermuten lassen. Christine Müllers (Heidelberg) Beitrag über die Beschäftigung mit der Geschichte der Konzentrationslager in zwei polnischen Filmen – Wanda Jakubowskas „Ostatni Etap“ (1947) und Andrzej Munks „Pasażerka“ (1961-1963) – wies deutlich auf die Blindflecken der Geschichtswissenschaft hin. Immer noch fehlt den Historikern das heuristische Werkzeug, um Filme als neue wichtige Quellenart nutzbar zu machen. Dabei haben andere Disziplinen Methoden und Instrumente entwickelt, um mit dem Medium Film umzugehen. Die Geschichtswissenschaft wäre gut beraten, über den Tellerrand zu blicken, sich diese anzueignen und für ihre Zwecke zu modifizieren.

Neben der Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit bildete die Täterforschung einen zweiten Schwerpunkt des Workshops. Seit der Kontroverse um Daniel Goldhagens Thesen des „eliminatorischen Antisemitismus“ debattiert die Fachwissenschaft in unterschiedlicher Intensität die Frage, was Menschen zu Tätern machte. Jüngst wurde die Diskussion von dem Sozialpsychologen Harald Welzer mit seinem Buch „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“ wieder angestoßen. Jan Henrik Fahlbusch (Berlin), der erste Referent der Sektion, fragte jedoch weniger nach dem „Werdegang“ der Täter, als nach deren Handlungen als Mitglieder der SS-Wachmannschaften. Am Beispiel des Vernichtungslagers Belzec wies er die konstitutive Bedeutung von physischer Gewalt bei der Durchführung des Massenmordes nach und stellte sich gegen die These vom „automatisierten Fließbandmord“, was jedoch auf geteiltes Echo stieß. Marko Pukrop (Bremen) verengte den Fokus auf einen Täter und stellte die Biographie des Lagerarztes Heinrich Rindfleisch vor, der unter anderem im KZ Majdanek eingesetzt war. Deutlich zeigte sich die Problematik, Täter in Kategorien einzuordnen. Nicht nur, dass sich diese als zu starr erweisen, vielmehr macht die Widersprüchlichkeit der Quellen eine Kategorisierung nahezu unmöglich. Vor allem die Prozessakten und die darin enthaltenen Zeugenaussagen stellen für den Historiker eine quellenkritische Herausforderung dar. Sie geben weniger Auskunft über die Vergangenheit des Angeklagten als über Vorstellungen und Wahrnehmungen der Gesellschaft, in der die Prozesse stattfanden. Die Konsequenz daraus zieht Birga Meyer (Bremen), die sich in ihren Forschungen diesen Prozessakten widmet und sie nach Diskursen über Menschlichkeit, Antisemitismus oder auch Männlichkeit befragt.

Die Sektion „Nationalsozialistische Lager im ehemaligen und heutigen Polen“ war mit insgesamt drei Vorträgen viel zu kurz. In Lublin als Tagungsort hätte man sich diesen Schwerpunkt umfangreicher vorgestellt. Alle drei Referate beschäftigten sich mit Konzentrationslagern. Andrea Rudorff (Berlin) gab Einblick in ihre Forschungen zu den Außenlagern des KZ Groß-Rosen. Im Rahmen des Reihenwerkes „Ort des Terrors“ arbeitet sie an einer Bestandsaufnahme der etwa 100 Außenlager, die bisher kaum untersucht sind. Piotr Weiser (Lublin) referierte über Häftlingstransporte zwischen dem KZ Groß-Rosen und dem KZ Majdanek. Das KZ Auschwitz, genauer die Zentralbauleitung der Waffen SS und Polizei in Auschwitz, stand im Mittelpunkt der Ausführungen von Małgorzata Preuss (Warszawa). Ihr soziologisch argumentierendes Referat warf noch einmal die Frage nach den Tätern auf. Die Zentralbauleitung war für den Bau und die Reparatur von Gebäuden des Konzentrationslagers Auschwitz zuständig. Sie funktionierte wie ein großes „Architektur-Büro“, nur dass die dort beschäftigten, deutschen und österreichischen Ingenieure und Architekten auch Krematorien und Gaskammern bauten. Fachwissen und berufsständische Logiken der Ingenieure und Architekten verschmolzen mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.

Der Workshop endete mit zwei Referaten, die nach der Funktion von Sport und Musik im Alltag der Konzentrationslager fragten. Während Veronika Springmann (Berlin) ausführte, dass Sport als „Praxis der Gewalt“ von der SS eingesetzt und von den Häftlingen auch als solche erfahren wurde, arbeitet Juliane Brauer (Potsdam) über die ambivalente Bedeutung, die der Musik im Konzentrationslager Sachsenhausen zukam: Musizieren konnte selbstbestimmt oder befohlen Mittel der Demütigung oder Bewältigungsstrategie sein. Beide Referentinnen zeigten in ihren Vorträgen, dass es möglich und vor allem sehr gewinnbringend ist, systematische Untersuchungsansätze mit der Anschaulichkeit der alltagsgeschichtlichen Quellen zu verbinden.

Der 12. Workshop zur Geschichte der Konzentrationslager bot Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Disziplinen und Nationalitäten ein Forum, um ihre Projekte vorzustellen und zu diskutieren. Die Vorträge präsentierten nicht nur ein weites Themenspektrum, sondern gaben auch Überblick über Forschungstrends, wie die neue Täterforschung und die Frage nach dem Umgang mit der NS-Vergangenheit. In der thematischen Vielfalt vermisste man jedoch bisweilen die roten Fäden und vor allem den Raum, um theoretische und grundsätzliche Fragen der Konzentrationslagerforschung zu erörtern. An die Organisatoren des nächsten Workshops erging daher die Bitte, dies bei der Planung zu bedenken. Mit der Wahl Saarbrückens als neuem Tagungsort wird sich der Fokus des Workshops von Ost- nach Westeuropa verlagern.


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