Zur Freiheit der Arbeit im Kapitalismus. Tagung anlässlich der Gründung der German Labour History Association

Zur Freiheit der Arbeit im Kapitalismus. Tagung anlässlich der Gründung der German Labour History Association

Organisatoren
German Labour History Association; Friedrich-Ebert-Stiftung; Rosa-Luxemburg-Stiftung
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.02.2020 - 08.02.2020
Url der Konferenzwebsite
Von
Patrick Böhm, Institut für soziale Bewegungen, Ruhr-Universität Bochum

In den vergangenen Jahrzehnten fokussierte sich die Erforschung der Arbeitsgeschichte auf der einen Seite auf die Verwissenschaftlichung von Arbeit. Auf der anderen Seite wurde die Vielfalt von Arbeitsverhältnissen in globaler Perspektive betrachtet. Die erste Tagung der German Labour History Association behandelte im Sinne einer Standortbestimmung der Arbeitshistoriografie und einer Verbindung von globalen Labour-History-Ansätzen sowie Perspektiven der Neuen Sozial- und Kulturgeschichte das Verhältnis von „freier Lohnarbeit“ und Kapitalismus aus drei verschiedenen Perspektiven, die von Anna Strommenger (Duisburg-Essen), Jan Kellershohn (Bochum) und Peter-Paul Bänziger (Basel) einführend skizziert wurden.

Zunächst sollte die Tagung aus historiografiegeschichtlicher Perspektive nach der Freiheitsfunktion in der Geschichtsschreibung der Arbeit fragen. Darüber hinaus sollten die Rolle von Freiheit als Anspruch, Semantik und Norm empirisch behandelt und die Vor- und Nachteile einer deutlicheren Bezugnahme auf die Freiheit der Arbeit theoretisch diskutiert werden.

Eröffnet wurde die Tagung mit einer von Thomas Welskopp (Bielefeld) moderierten interdisziplinären Podiumsdiskussion. Nicole Mayer-Ahuja (Göttingen), Marcel van der Linden (Amsterdam) und Theresa Wobbe (Potsdam) diskutierten das Oberthema der Tagung als Herausforderung für die Arbeitsgeschichte. Wobbe problematisierte den Arbeitsbegriff und stellte fest, dass bestimmte Bereiche von Arbeit überhaupt nicht vermessen und registriert würden, so die soziale Reproduktionsarbeit. Kontraktualisierte Bereiche von Arbeit dürften hingegen für den Arbeitsbegriff nicht vorausgesetzt werden. Van der Linden betonte, auch „freie Lohnarbeit“ sei immer durch ökonomische Zwänge unfrei. Zudem gebe es innerhalb dieser Unfreiheiten gravierende Unterschiede in der Autonomie. Ferner sei Kapitalismus prinzipiell kompatibel mit physischem Zwang. Mayer-Ahuja bewertete die Kategorie Zeit als Maßstab für Freiheitsgrade und skizzierte ein Spannungsfeld von Arbeit und Kapital sowie den daraus resultierenden Machtverhältnissen. Anschließend problematisierte sie Freiheit als individuelles/individualistisches Konzept aus der Perspektive von Gewerkschaften und Betriebsräten. Verbindliche Kollektivstandards dürften nicht als Eingriffe in die Freiheit der LohnarbeiterInnen begriffen werden, was Gewerkschaftsarbeit erleichtern würde.

SYBILLE RÖTH (Konstanz) eröffnete das erste Panel der Tagung. Ihre Überlegungen gingen von einem Quellenbegriff der Freiheit aus, den sie aus der Auseinandersetzung um die Abschaffung der Leibeigenschaft extrahierte. Sie kritisierte, die Kategorisierung in „unfreie“ und „formal freie Arbeit“ bringe wenig Fortschritte mit sich, wenn letztere Freiheit ein Trugbild sei. Stattdessen schlug sie einen sozial qualifizierten Freiheitsbegriff vor, der gegenüber kulturellen Einflüssen offener sei. Ein derartiger Freiheitsbegriff könne Unabhängigkeiten als Vorliegen von möglichen Handlungsalternativen erfassen. Mit dem Ziel „Existenzsicherung“ ließe sich darüber hinaus die Wahlfreiheit von AkteurInnen in ihren Beschäftigungsverhältnissen bemessen. Mit Hilfe dieses Ansatzes könnten Übergänge dargestellt werden, die sich jenseits der Dichotomie von „unfreier“ und „formal freier Arbeit“ befänden. Weitere Formen der Existenzsicherung könnten zudem berücksichtigt werden durch einen Rückgriff auf Fragen, die die Mittel der Subsistenzsicherheit fokussieren. Indem das Ziel der Subsistenzsicherheit konkretisiert werde, sei es darüber hinaus möglich, zu Überlegungen zu gelangen, die über die Forderung nach einem Recht auf Arbeit hinausgehen.

Nachfolgend berichtete SIGRID WADAUER (Wien), Arbeitsbücher aus der Zeit der Habsburgermonarchie seien die Voraussetzung für ein legales Arbeitsverhältnis gewesen und hätten und zur Normierung von Rechten und Pflichten sowie zur Formalisierung des Arbeitsverhältnisses gedient. Zugleich hättenn sie sowohl ein Symbol der Macht der Arbeitgeber als auch ein Mittel des Zwangs gegenüber den Arbeitnehmern dargestellt, sodass letztere Arbeitsbücher in der Regel als entwürdigend charakterisiert hätten.

KLAUS NATHAUS (Oslo) verwies auf den Wert einer historischen Betrachtung vom Selbstunternehmertum im Sektor der Kreativarbeit. Es müssten die Grundlagen der aktuellen Kreativarbeit als historisch kontingent dargestellt werden. Nathaus arbeitete drei zentrale Erkenntnisse heraus: Erstens habe die Publikumsorientierung, mit direkter Ansprache des Publikums, das höchste Gebot für UnterhaltungsarbeiterInnen dargestellt. Zweitens sei Geld und sein auffälliger Gebrauch zentral für SelbstunternehmerInnen der frühen Unterhaltungsbranche gewesen. Zuletzt stellte er fest, dass die unteren Ebenen der Unterhaltungsbranche mit einem Imageproblem zu kämpfen gehabt hätten, das aus den niedrigen Zugangsschwellen resultiert habe. Für die höheren Ebenen hingegen sei bereits die bloße Assoziation mit der Kreativwirtschaft zu einem Reputationsgewinn geworden.

MINU HASHEMI YEKANI (Berlin) fokussierte zu Beginn des zweiten Panels den asiatischen Kulihandel. Sie arbeitete einen Zusammenhang von Arbeit und „Rasse“ heraus, denn besonders die Reputation der chinesischen Kulis, die als Fachpersonal für Plantagenarbeit gegolten hätten, sei positiv gewesen. Auf den Plantagen hätten sich die Kulis, die Arbeitsverträge unterzeichnet hatten, gegen Vertragsverletzungen und körperliche Misshandlungen gewandt. Diese Missstände hätten sie auch nach der Rückkehr in ihre Herkunftsländer in Komitees geäußert, die sich speziell zu diesem Zwecke gebildet hatten. Yekani zeigte den möglichen Widerspruch zwischen Vertrag und Unfreiheit auf und stellte fest, das Gegenteil von Sklaverei müsse nicht Freiheit sein, vielmehr seien auch Formen von Halbfreiheit denkbar.

TRISTAN OESTERMANN (Berlin) untersuchte das Verhältnis von Freiheit und Lohnarbeit am Beispiel liberianischer Vai-Arbeitsmigration nach Kamerun. In Liberia habe ein Großteil der Migranten in unterschiedlichen Abhängigkeitsformen gelebt. Ihren Weg nach Kamerun hätten sie angetreten, weil sie an die Kolonialregierung vermietet worden seien, oder sie hofften, der Vermietung zu entgehen. Kamerun, das eine hohe Anzahl an Arbeitskräften benötigte, habe zahlreichen Migranten viele Möglichkeiten eröffnet, sodass einige entschieden hätten, dauerhaft dort zu bleiben. Die Beispiele zeigten, dass Unfreiheit, Lohnarbeit, Zwangsmigration und Emanzipation sich gegenseitig bedingten. Die Verbindung von Emanzipation und Migration könne zudem neue Perspektiven auf eine Geschichte der Mobilität der afrikanischen Westküste werfen. Zugleich könne eine Perspektiverweiterung um die Kategorien des sozialen Status und der individuellen Erfahrungen von AfrikanerInnen nützlich gemacht werden für eine Geschichte der Arbeit im kolonialen Kapitalismus jenseits der traditionellen Kategorien Gewalt und Zwang.

KAVEH YAZANDANI (Bielefeld) erläuterte abschließend die polit-ökonomischen Diskurse über Sklaverei und Lohnarbeit seit dem 17. Jahrhundert und verwies darauf, dass diese vor allem im angelsächsischen Raum verbreitet gewesen seien. Solche Diskurse seien hingegen im Deutschen Reich kaum verbreitet gewesen, da das Reich im 16. und 17. Jahrhundert keine Kolonialmacht und nicht am Sklavenhandel beteiligt war. England und Frankreich auf der anderen Seite hätten in ihren Diskursen die Sklaverei überwiegend als wirtschaftlich effizienter als Lohnarbeit bewertet.

ANNA ELISABETH KEIM (Halle-Wittenberg) referierte im anschließenden Panel über die Zeitarbeitsbranche und die Vermittlung „freier Mitarbeiterinnen“ in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1961 und 1967. Sie kritisierte die These, das weibliche Image der Zeitarbeitsbranche entspräche lediglich Marktstrategien, zum Beispiel zur Vermeidung von Konflikten mit Gewerkschaften, und es könne kaum weibliche Nachfrage nach Zeitarbeitsverhältnissen gegeben haben. Stattdessen zeigte sie, dass sich besonders Frauen aus der Mittelschicht, die im Bürosektor tätig waren, aus verschiedensten Gründen, z. B. Freiheitswünschen, für das Zeitarbeiten interessierten. Market making könnte letztlich nur erfolgreich sein, wenn gesellschaftliche Gruppen auf die Marktstrategien ansprächen und eine entsprechende Nachfrage bestehe.

LEO GROB (Bern) referierte, das „totale Qualitätsmanagement“ der Walliser Alusuisse-Werke sei mit dem starken Wettbewerb und strukturellen Nachteilen begründet worden. Vor diesem Hintergrund habe man stärker auf Wissen der Mitarbeiter sowie kommunikative, kreative und intellektuelle Arbeitsprozesse zurückgegriffen, die eine Entgrenzung von Arbeit dargestellt hätten. Des Weiteren hätten diese subjektivierenden Managementmethoden erst ihr Potential entfalten können, als die ArbeitnehmerInnen durch individualisierte Leistungskontrollen und dezentralisierte Unternehmensorganisationen stärker an den Standort gebunden gewesen und Arbeiter-Identitäten sowie Erwerbssicherheit erodiert seien.

MASSIMILIANO LIVI (Trier) thematisierte im Rahmen einer trendhistorischen Analyse die italienische 1977er-Bewegung von prekär Beschäftigten, Schwarzarbeitenden und frustrierten Studierenden, die gedachten, ihr Leben von Arbeit zu befreien, obgleich es in Artikel 1 der italienischen Verfassung heißt, Italien sei eine demokratische Republik, die auf Arbeit gegründet sei. Neue Formen der Selbstverwirklichung sollten genutzt werden, um Glück zu erlangen. Diese Hoffnung auf die Befreiung von Arbeit zeige die enge Verbindung von Freiheit und Glück. Zugleich interpretierte Livi diesen Versuch als eine Kritik an der kapitalistischen Gesellschaftsform.

Anschließend verlieh die German Labour History Association erstmals ihren Dissertationspreis, der im zweijährigen Turnus vergeben werden soll. Ausgezeichnet wurde die Historikerin MELINA TEUBNER (Bern) für ihre Arbeit „‚A arte de cozinhar‘. Sklavenschiffsköche, Ernährung, Diaspora im südlichen Atlantik, 1800-1870“. Laudator Stefan Berger (Bochum) hob hervor, Teubner habe einen beeindruckenden Beitrag zur Arbeitsgeschichte geleistet, der theoretische Ansätze der Ernährungsgeschichte, Wissenssoziologie und Alltags- sowie Kapitalismusgeschichte konstruktiv aufgegriffen habe. Im Abendvortrag erläuterte Teubner, wie der Ablauf und das Funktionieren des Sklavenhandels in nuce am Schiffskoch nachvollzogen werden können. Die Schiffsköche hätten massiv zur Aufrechterhaltung des Systems der sogenannten zweiten Sklaverei und somit zum Erfolg der Sklavenhändler beigetragen. Außerdem hätten sie den Aufbau transatlantischer Esskulturen ermöglicht, da sie Rezepte und Gerichte weitergaben.

Dass der Begriff der Freiheit in der Branche der BerufsmusikerInnen bis in die 1970er-Jahe überwiegend negativ konnotiert war, verdeutlichte MARTIN REMPE (Konstanz) im vierten Panel. Auch nach sozial- und kulturpolitischen Reformen im Zuge des Künstlerreportes der Bundesregierung von 1975 sei lediglich eine kaum wahrnehmbare Anerkennung der Freien Szene erfolgt. Diese Szene, in der vor allem StudentInnen und Träumer gearbeitet hätten, sei vom hochkulturellen Musikestablishment trotz gradueller Anerkennung weiterhin als halbprofessionell charakterisiert worden. Doch auch diese Träumer hätten sich mit fortschreitendem Alter etabliert, sich selbst als Unternehmer verortet und für mehr Sicherheit der Freien Szene gekämpft.

JAN DE GRAAF (Bochum) fokussierte die Einführung von Arbeitsverpflichtungen in Belgien und Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Einführung der mobilisation civile in Belgien habe zu einer großen Streikwelle in den Kohleregionen des Landes geführt, der die Regierung mit Einschränkungen der Arbeitsfreiheit begegnet sei. Im Ruhrbergbau, in dem noch die NS-Arbeitsverpflichtung galt, habe sich eine Vielzahl der Verpflichteten massiv gegen das System gewandt und das Ruhrgebiet trotz Strafandrohung in Richtung Heimat verlassen. Die Arbeiterbewegungen beider Länder hätten auf unterschiedliche Weise auf die Maßnahmen reagiert. Die belgische Debatte sei von einer Sprache geprägt gewesen, die demokratische und konstitutionelle Rechte betont und in der kriegsbedingter Zwang keinen Platz gefunden habe. Die Arbeiter hätten hervorgehoben, dass sie während des Krieges bereit gewesen seien, Einschränkungen der Freiheit zu akzeptieren, jedoch nicht mehr nach der Befreiung Europas. Die Proteste in Deutschland hingegen seien in keiner Weise von Vorstellungen „freier“ Arbeit und Demokratie geprägt gewesen. Stattdessen sei mit Gründen der Zweckmäßigkeit wie schlechter Ernährungslage gegen die Arbeitsverpflichtungen argumentiert worden.

SABINE RUTAR (Regensburg) berichtete, soziale Konflikte wie Streiks seien in Titos Jugoslawien ideologisch eingerahmt und Sozialbeziehungen fortschreitend reguliert worden. Für den Staat inakzeptables Verhalten sei kriminalisiert oder marginalisiert worden. Da ein solches Verhalten nicht vom Gesellschaftsvertrag gedeckt gewesen war, habe es auch nicht weiter öffentlich thematisiert werden müssen. In der ideologischen Rhetorik hätten ArbeiterInnen als „Helden der Arbeit“ gegolten, an die die Erwartung geknüpft gewesen sei, die Notwendigkeit der Kooperation zwischen Arbeitern und Staat zu begreifen und selbstlos zu agieren. Insgesamt schien es Rutar, als seien in Titos Jugoslawien ökonomische Muster von Ausbeutung verschoben worden.

ILSE LENZ (Bochum) skizzierte im ersten Vortrag des letzten Panels Fragen der „freien Lohnarbeit“ in historischer sowie konzeptueller Perspektive und nutzte als Grundlage das Intersektionalitätskonzept. Sie plädierte für einen weiten Freiheitsbegriff, der nicht nur Marktfreiheit, sondern auch die Autonomie der Subjekte, ihrer Körper und Beziehungen erfasse. Dazu ausführend stellte sie fest, Freiheit der Arbeit müsse nicht identisch mit bezahlter Arbeit sein. Freiheit im Sinne eines individuellen Verkaufs der Arbeitskraft und der Institution eines freien Arbeitsvertrages liege hauptsächlich bei männlichen Industriearbeitern vor, jedoch nicht bei SklavInnen, kolonialen ZwangsarbeiterInnen oder Hausfrauen. Freiheit im Sinne von frei sein von körperlicher Gewalt habe es wegen des Arbeitsrechts und des Organisationsgrades besonders bei IndustriearbeiterInnen, jedoch nicht bei Zwangsprostituierten oder kolonialen WanderarbeiterInnen, gegeben. Auch Freiheit von sexueller Gewalt oder Belästigung sei bei der Mehrzahl männlicher Beschäftigter, aber wiederum nicht bei Zwangsprostituierten und weiblichen Beschäftigten im Industrie- und Dienstleistungssektor feststellbar gewesen. Zusammenfassend arbeitete Lenz nochmals heraus, welche Faktoren (Un-)Freiheiten strukturieren und nannte Geschlecht, „Rasse“, Migration sowie soziale und politische Partizipation.

DAVID MAYER (Wien) stellte in seinem Vortrag zur Entwicklung des Arbeitsbegriffs in der Labour History in Brasilien und Argentinien fest, dass erstens keine eindeutigen Entwicklungslinien von einem engen zu einem weiteren Arbeitsbegriff identifiziert werden könnten. Zweitens machte er am Vergleich der 1960er- bis 1980er-Jahre folgende Entwicklung deutlich: Zunächst sei ein Einklang zwischen überwiegend „unfreien Arbeitsformen“ und der kapitalistisch geprägten Weltwirtschaft feststellbar gewesen. Durch den Demokratisierungsprozess nach dem Ende der Militärdiktaturen sei hingegen eine Entwicklung in der Labour History nachzuvollziehen, die einen engen Arbeitsbegriff hin zu „doppelt freier Lohnarbeit“ fokussierte.

Anschließend stellte MARCO TOMASZEWSKI (Freiburg) am Beispiel des protoindustriellen St. Galler Leinwandgewerbes dem Konzept der „freien Lohnarbeit“ das Konzept eines „kombinierten Lebensunterhaltes“ aus einer vormodernen Perspektive gegenüber. Empirisch hätten sich vielfältige Arbeitsformen feststellen lassen, die einander ergänzten. Es sei demnach schwierig, AkteurInnen mithilfe eindeutiger Arbeitsverhältnisse sozioökonomisch einzuordnen. Vielmehr bestünde durch die Fokussierung auf „freie Lohnarbeit“ die Gefahr, andere Formen von Arbeit, wie Reproduktionsarbeit, zu vernachlässigen. Die ArbeiterInnengeschichte müsse sich öffnen für verschiedenste Arbeitsformen und neue Begriffe, ausgehend vom Konzept des Lebensunterhaltes.

Insgesamt offenbarte die Tagung das enorme interdisziplinäre Potential des Forschungsfeldes der Labour History, das sich auch in der Abschlussdiskussion zeigte. Die Diskutierenden wiesen darauf hin, dass zukünftige Forschungen bei den Begriffen „Arbeit“, „Kapitalismus“ und „Freiheit“ verstärkt zwischen Quellenbegriffen und Analysekategorien unterscheiden müssten. Darüber hinaus wurde angeregt, die methodologischen Überlegungen zum „kombinierten Lebensunterhalt“ und zur Verwendung des Intersektionalitätskonzeptes weiter fortzuführen.

Konferenzübersicht:

Podiumsdiskussion: Die Freiheit der Lohnarbeit im Kapitalismus als Herausforderung für die Arbeitsgeschichte

Nicole Mayer-Ahuja (Göttingen), Marcel van der Linden (Amsterdam) und Theresa Wobbe (Potsdam), Moderation: Thomas Welskopp (Bielefeld)

Panel I: Freie Lohnarbeit im Übergang. Zwischen Rechtsnorm und historischer Praxis

Sibylle Röth (Konstanz): Die Un-Bedingtheit der Freiheit. Das Ideal der freien Arbeit in der Auseinandersetzung um die Abschaffung der Leibeigenschaft

Sigrid Wadauer (Wien): Gebrauchsweisen von Arbeits- und Dienstbotenbüchern

Klaus Nathaus (Oslo): Zur Prekarität berufen? „Freie Lohnarbeit“ und Selbstunternehmertum auf emergierenden Arbeitsmärkten in der Unterhaltungsbranche des frühen 20. Jahrhunderts

Panel II: „Freie“ und „unfreie“ Arbeitsregime in den (deutschen) Kolonien vor 1914

Minu Haschemi Yekani (Berlin): Von „Freiheit“ und Vertrag. Asiatische Kontraktarbeit im deutschen Kolonialismus

Tristan Oestermann (Berlin): Von Liberia nach Kamerun – und nicht zurück! Indenture, Lohnarbeit und Emanzipation liberianischer Arbeitsmigranten in der deutschen Kolonie Kamerun 1884–1914

Kaveh Yazandi (Bielefeld): Polit-ökonomische Diskurse über Sklaverei und Lohnarbeit seit dem 17. Jahrhundert

Panel III: „Freiheit 2.0“ – Die Entgrenzung von Arbeitsregimen nach 1945

Anna Elisabeth Keim (Halle-Wittenberg): Freedom Enablers? Die Zeitarbeitsbranche und die Vermittlung „freier Mitarbeiterinnen“ in der BRD, 1961–1967

Leo Grob (Bern): Totale Qualität. Neue Formen der Mitarbeiterführung in der Schweizer Aluminiumindustrie der 1980er und 1990er Jahre

Massimiliano Livi (Trier): „Die Arbeit befreien, um das Leben von der Arbeit zu befreien“. Eine trendhistorische Analyse der Freiheit der Arbeit in Italien seit den 1970er Jahren

Verleihung des Dissertationspreises und Abendvortrag

Melina Teubner (Bern): Sklavenschiffsköche, Ernährung, Diaspora im südlichen Atlantik, 1800–1870

Panel IV: Freiheitssemantiken und Kämpfe um Freiheit

Martin Rempe (Konstanz): Von „freistehender“, „freischaffender“ und „kreativer“ Arbeit. Freiheitssemantiken im Musikleben im langen 20. Jahrhundert

Jan De Graaf (Bochum): Die Bedeutung freier Arbeit nach dem Zweiten Weltkrieg: Arbeiterproteste gegen Arbeitsverpflichtung und mobilisation civile im Deutschland und Belgien der Nachkriegszeit

Sabine Rutar (Regensburg): Streiks in der Werft- und Hafenindustrie in Rijeka (Kroatien) in den 1960er und 1970er Jahren. (Freie) Arbeit und Staat in Titos Jugoslawien

Panel V: Die Frage der „freien Lohnarbeit“ in historischer und konzeptueller Perspektive

Ilse Lenz (Bochum): Freie und unfreie Arbeit in globaler intersektionaler Perspektive

David Mayer (Wien): „Demokratie“ versus „Freiheit“? Die Entwicklung des Arbeitsbegriffs in der labour history in Südamerika im Verhältnis zu den politischen Zeitbedingungen

Marco Tomaszweski (Freiburg): „Kombinierter Lebensunterhalt“ statt „freie Lohnarbeit“? Konzeptionelle Überlegungen aus vormoderner Perspektive

Abschlussdiskussion