L'absolutisme - un concept irremplaçable? Der Absolutismus - ein unersetzliches Forschungskonzept?

L'absolutisme - un concept irremplaçable? Der Absolutismus - ein unersetzliches Forschungskonzept?

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut Paris; PD Dr. Lothar Schilling
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
17.06.2005 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Guido Braun, DHI Paris

Der Begriff "Absolutismus" dient bis heute in zahlreichen Handbuch- und Überblicksdarstellungen als gängige Epochensignatur der kontinentaleuropäischen Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Französischen Revolution. Trotz dieser offensichtlichen Unbefangenheit, mit welcher der - zumal von den Verlagen ob seiner Griffigkeit sehr geschätzte - Terminus in den Titeln der historischen Buchproduktion, in Lehrplänen und -büchern scheinbar unangefochten verwendet wird, ist festzustellen, daß seine Berechtigung in der fachwissenschaftlichen Diskussion spätestens seit den 1990er Jahren grundsätzlich hinterfragt wird. Die Beschäftigung mit dem Absolutismus ist in Deutschland sehr ideologisiert und Gegenstand einer nicht selten polemisch geführten Debatte. In Frankreich ist die ältere, etatistische Sicht des Absolutismus schon früher als in Deutschland in die Kritik geraten, doch hat dies, ungeachtet einzelner Distanzierungen, nicht zu einer allgemeinen Abkehr von diesem Forschungskonzept geführt. Der Absolutismus bildet bis heute in großen Teilen der französischen Forschung sowie in vielen Überblicksdarstellungen ein prägendes Element der französischen Vorstellungen von der eigenen Geschichte. In jüngster Zeit wird gleichwohl auch auf französischer Seite verstärkt die Notwendigkeit einer "relecture du concept d'absolutisme" (Robert Descimon/Fanny Cosandey, L'absolutisme en France. Histoire et historiographie, Paris 2002) hervorgehoben.

Vor diesem Hintergrund sollte der deutsch-französische Studientag am Deutschen Historischen Institut Paris einen Beitrag zur kritischen Reflexion des Forschungskonzepts "Absolutismus" leisten. Dabei sollte es nicht um die Frage gehen, ob der Absolutismus jemals "existiert" hat, sondern darum, ob er als nachträglich geschaffenes Interpretament dazu beitragen kann, spezifische Phänomene der Geschichte des frühneuzeitlichen Europa in einen Deutungszusammenhang zu stellen und so besser zu verstehen - oder ob er solche Erkenntnismöglichkeiten im Gegenteil eher verstellt. Um das in der Vergangenheit sehr strapazierte und auf ganz disparate Phänomene angewendete Absolutismus-Konzept an einem begrenzten Forschungsfeld zu überprüfen, lag der Schwerpunkt der Beiträge auf Frankreich, das sich im 17. Jahrhundert zum europaweit beachteten und nachgeahmten Modell einer starken, "reinen" Monarchie entwickelte und bis heute im Zentrum der Forschungskontroversen um den Absolutismus steht. Zudem war die Tagung durch eine kulturgeschichtliche Akzentsetzung geprägt: Absolutismus sollte primär als kulturell konstituierte Vorstellungswelt analysiert werden, in der Einflußmöglichkeiten und Herrschaftsansprüche zu allererst symbolisch repräsentiert wurden. Dieser Zugriff implizierte dabei keineswegs die Ausblendung des Austausches zwischen Theorie und Praxis.

In seinem einleitenden Referat erläuterte Lothar Schilling die Konzeption des Ateliers. Ausgehend von einem Überblick über zentrale Argumente der jüngeren deutschen Absolutismusdebatte betonte er den postulierenden, idealisierenden, wenn nicht gar mythifizierenden Charakter der meisten Quellen, auf die sich die Absolutismus-Forschung traditionell stützt. Diese Quellen hätten großenteils nicht der (im Sinne heutiger Historiker) "getreuen" Abbildung der Herrschaftspraxis gedient, sondern der sozialen Konstruktion einer vom Fürsten und auf ihn hin geordneten Wirklichkeit. Die Lösung der daraus resultierenden Problematik könne nicht darin liegen, diese Quellen auszublenden. Schilling schlug vielmehr vor, die "absolutischen" Performanzen und Diskurse als veränderliche und in sich keineswegs geschlossene symbolische Konstruktionen zu verstehen, wobei nach deren von Fall zu Fall unterschiedlichen Funktionen für die Herrschaftspraxis zu fragen sei; es müsse auch berücksichtigt werden, daß sie dazu dienen konnten, Schwächen der monarchischen Herrschaft zu verdecken. Mit diesem Ansatz sei es möglich, den Inkohärenzen und inneren Widersprüchen der verschiedenen "absolutistischen" Konstruktionen und Repräsentationen ebenso Rechnung zu tragen wie der Tatsache, daß diese unterschiedlich akzentuiert und genutzt werden konnten. In ihrem dem Absolutismus in der französischen Historiographie gewidmeten Referat betonte Fanny Cosandey, in der französischen Forschung würden absolutistische Theorie und Praxis in der Regel als eng aufeinander bezogen konzeptualisiert. Tatsächlich sei der "travail théorique de la monarchie sur elle-même" stets vor dem Hintergrund der Herausforderungen der Herrschaftspraxis erfolgt, wobei sich in der historischen Entwicklung unterschiedliche Akzentsetzungen konstatieren ließen, die unter anderem am Wandel des Hofzeremoniells als kulturellen Indikators abzulesen seien.

Im Mittelpunkt der beiden folgenden Beiträge stand die sprachlich-diskursive Konstruktion des Absolutismus in unterschiedlichen Phasen der französischen Monarchie. Albert Rigaudière fragte am Beispiel der Texte Jean Juvénals des Ursins nach dem Gebrauch "absolutistischer" Formeln und Argumente in der Spätphase des Hundertjährigen Krieges, während Denis Crouzet der Verwendung und der Funktion des sprachlichen Rekurses auf den "pouvoir absolu" während der Religionskriege nachging. In beiden Beiträgen wurden Texte analysiert, die in Krisenzeiten der Monarchie formuliert worden waren. Bemerkenswert war, daß sowohl bei Juvénal des Ursins als auch, ein Jahrhundert später, bei Autoren wie Loys Le Roy und Kanzler Michel de l'Hospital die Betonung des "pouvoir absolu" dazu diente, mit der herausgehobenen Stellung des Monarchen auch dessen Pflicht zur Mäßigung und zur Zurückhaltung zu begründen. Crouzet zeigte allerdings, daß der Berufung auf die absolute Gewalt im Kontext der Bartholomäusnacht eine ganz andere Funktion zukam: Sie diente der Begründung außerordentlicher Gewaltmaßnahmen angesichts eines angeblich die königliche Gewalt existenziell bedrohenden Notstandes.

Das seit Jahren im Mittelpunkt reger Diskussionen stehende Verhältnis von Absolutismus, Hof und Adel wurde in den beiden folgenden Vorträgen erörtert. Leonhard Horowski setzte sich auf der Grundlage seiner Studien über Karrieremechanismen am französischen Königshof des 17. und 18. Jahrhunderts mit den inzwischen vielfach in die Kritik geraten Thesen von Norbert Elias auseinander. Er zeigte, daß von einer generellen Entmachtung des Adels zugunsten der Staatsbürokratie nicht die Rede sein kann. Weitgehend entmachtet worden sei in Gestalt der "princes" lediglich die oberste, zahlenmäßig verschwindend kleine Gruppe des Adels, die in der Tat erhebliche Teile ihres bis dahin großen politischen Einflusses verloren habe. Den letzten Rest ihrer schon vorher prekären Autonomie habe zudem die zahlenmäßig bedeutende Gruppe der kleinen Landadligen verloren, während umgekehrt der hohe höfische Schwertadel und der hohe ministerielle Amtsadel von der Entwicklung seit Ludwig XIV. eher profitiert hätten, insofern es ihnen gelungen sei, sich als alleinige Vermittler und Empfänger königlicher Wohltaten zu etablieren. Der Vorstellung eines den König überhöhenden höfischen Zeremoniells sei demnach nicht, wie von Elias behauptet, die Funktion zugekommen, den höfischen Adel zu disziplinieren. Die Frage nach der tatsächlichen Funktion dieses Zeremoniells blieb auf dem Hintergrund der Befunde Horowskis einstweilen offen; es wurde die Möglichkeit erörtert, sie als symbolisches Gegengewicht zu einer durch einen weitgehenden Kompromiß mit den Eliten gekennzeichneten Herrschaftspraxis zu deuten. Gerrit Walther befaßte sich mit der Frage, weshalb es Ludwig XIV. nach 1661 gelungen ist, die bis dahin oppositionellen Eliten für sich zu gewinnen. Ausgehend von einem Vergleich zwischen der Haltung der Frondeure der Jahre 1648/52 mit den Verhaltensweisen der ludovizianischen Hofgesellschaft seit 1661 vertrat er die These, der Sonnenkönig habe den Gestus übersteigert-outrierter Theatralik, der die Auftritte ersterer charakterisiert habe, bei Hof institutionell einzubinden vermocht. Er habe die Eliten nicht zuletzt dadurch an sich gebunden, daß er ihre Welt- und Selbstbilder auf eine viel attraktivere Weise inszeniert habe, als es ihnen selbst je gelungen sei.

Der letzte Beitrag von Armelle Lefebvre unterbreitete eine metahistorische Interpretation des Absolutismus. Sie vertrat die These, die von den Vertretern der französischen humanistischen Rechtsschule des 16. Jahrhunderts zur Blüte gebrachte komparatistische Analyse staatlicher und rechtlicher Strukturen sei im "absolutistischen" Diskurs zunehmend zurückgedrängt, letztlich sogar verdrängt worden - eine Entwicklung, die insbesondere an Bodins Werk festzumachen sei. In diesem Sinne sei Absolutismus zu verstehen als eine die Selbstbezogenheit des Monarchen und seines Staates in den Mittelpunkt rückende Konstruktion, die maßgeblich zur Entstehung des spezifisch französischen, weit über das Ende der Monarchie hinaus wirksamen Etatismus beigetragen habe.

In seinem Schlußkommentar plädierte Wolfgang Reinhard nachdrücklich für einen Verzicht auf das Konzept des Absolutismus. Zwar gestand Reinhard durchaus zu, daß es für die Erforschung der Diskurse und Performanzen hilfreich sein könne, doch folge man mit seiner Verwendung den Intentionen der Quellen und laufe Gefahr, unkritisch vor ihnen zu kapitulieren. Zudem sei trotz oder gerade wegen der zahlreichen theoretischen Texte keineswegs klar, was "absolutus" und seine Synonyme konkret bedeuteten; auch dem englischen König des 18. Jahrhunderts und selbst dem "König der polnischen Adelsrepublik" seien entsprechende Epitheta beigelegt worden. Darüber hinaus sei es schwierig, asymmetrische Gegenbegriffe im Sinne Kosellecks zu finden, die mit dem Begriff Absolutismus nicht vereinbar seien. Wenn überhaupt, sei der unmittelbar durch die Quellen legitimierte Begriff der "absoluten Monarchie" vorzuziehen, weil er nicht nur quellennäher, sondern auch weniger ideologisch besetzt, enger und daher genauer sei. Dem Begriff des Absolutismus würden hingegen häufig "staatsfromme Implikationen" anhaften; diese - auch von Schilling in seinem Einführungsreferat betonte - ideologische Konnotation lasse es geraten erscheinen, den Begriff ungeachtet seiner eventuellen Nützlichkeit im Hinblick auf Diskurse und Performanzen "ganz unpolemisch durch Nichtbenutzung" abzuschaffen. Der Absolutismus stelle jedenfalls, so Reinhards abschließendes Urteil, keineswegs ein "unersetzliches Forschungskonzept" dar; auf der Diskurs- und Performanzebene zumindest entbehrlich, sei er auf der Ebene der politischen Systeme irreführend und als Epochenbezeichnung sogar "ausgesprochen schädlich".

Dem von Schilling und Reinhard formulierten Postulat einer Entpolemisierung der Debatte um den Absolutismus folgend, boten die einzelnen Beiträge und insbesondere der Schlußkommentar den Anlaß für eine zwar angeregte und kontroverse, jedoch unpolemische Diskussion, in die sich neben den Referentinnen und Referenten auch die Sektionsleiter und das Auditorium engagiert einschalteten. Ein Schwerpunkt der Diskussion lag auf der Erörterung der Erkenntnismöglichkeiten respektive -grenzen des kulturalistischen Ansatzes für die Debatte um den Absolutismus, der bislang in dieser Hinsicht die französische Forschung weniger beeinflußt hat als die deutsche. In verschiedenen Fragen kam es nicht zu einer einheitlichen Bewertung; dies gilt namentlich für die Frage, ob der Begriff der "absoluten Monarchie" für das Verständnis bestimmter Phänomene der Frühen Neuzeit besser geeignet sei als das Konzept des "Absolutismus". Diese Tatsache belegt die Offenheit der fachwissenschaftlichen Debatte um den Absolutismus, zumal im deutsch-französischen Austausch. Neben den Genannten nahmen als Sektionsleiter Werner Paravicini und die nicht dem DHI Paris angehörenden Yves-Marie Bercé, Lucien Bély und Thomas Maissen aktiv an diesem Studientag teil.

Liste der Referenten: Fanny Cosandey (Université de Nantes/EHESS Paris), Denis Crouzet (Université de Paris IV-Sorbonne), Leonhard Horowski (Institut für Geschichte und Kunstgeschichte der TU Berlin), Armelle Lefebvre (DHI Paris), Wolfgang Reinhard (Universität Freiburg/Br.), Albert Rigaudière (Université de Paris II-Panthéon-Assas), Lothar Schilling (DHI Paris), Gerrit Walther (Universität Wuppertal)


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