Herrschaftswandel und Oppositionsbildung in der Ära Honecker. Die siebziger und achtziger Jahre im Vergleich

Herrschaftswandel und Oppositionsbildung in der Ära Honecker. Die siebziger und achtziger Jahre im Vergleich

Organisatoren
Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam e.V., Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.05.2005 - 24.05.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Jörg Morré, Gedenkstätte Bautzen; Gerhard Sälter, Berlin

In der ersten von drei Sektionen 1 stand der Wandel der Repressionsformen in der DDR im Mittelpunkt. Annette Weinke und Johannes Raschka griffen dabei auf bereits publizierte Erkenntnisse zurück, pointierten diese aber nochmals. In der DDR führte eine zunehmende Dichte von strafrechtlichen Regelungen, insbesondere die vier Strafrechtsänderungsgesetze zwischen 1974 und 1981, zur Errichtung einer „Rechtsfassade“. Rechtssicherheit im Sinne einer Garantie der Menschenrechte, zu deren Einhaltung sich die DDR im Rahmen des KSZE-Prozesses verpflichtet hatte, wurde jedoch nicht zum Ziel der SED-Politik. Entsprechende Verpflichtungen wurden durch Polizeiverordnungen umgangen, auf die sich vornehmlich das MfS stütze. Hinter der „Normalisierung“ politischer Strafrechtspraxis erblickte Weinke dementsprechend eine Fortsetzung der auch bis dahin geübten Praxis „totalitärer“ Instrumentalisierung des Rechts. Sie beschrieb die Veränderung der Verfolgungspraxis vornehmlich als eine von den Herrschenden in Reaktion auf westliche Kritik und mit dem Ziel internationaler Anerkennung eingeleitete Strategie. Der gesellschaftliche Wandel in der DDR seit 1961 und Veränderungen der Oppositionsbildung wurden nicht als eventuelle Motivation der veränderten Justizpolitik thematisiert. Raschka ergänzte diesen Überblick, indem er auf das grundlegende Dilemma hinwies, das durch den KSZE-Prozeß und die dadurch ausgelöste Öffnung zum Westen hin entstanden war. Deren ökonomische, staatsrechtliche und diplomatische Auswirkungen wurden von der SED begrüßt, während gleichzeitig verhindert werden sollte, daß die Bevölkerung an dieser Öffnung partizipierte und dadurch westlichen Einflüssen ausgesetzt wurde. Die Bildung von Oppositionsgruppen wurde in diesem Zusammenhang als Element einer Destabilisierungskampagne des Westens interpretiert. Deshalb führte der KSZE-Prozeß zu einer faktischen Verschärfung des Instrumentariums zur Verfolgung Andersdenkender, die jedoch durch Zugeständnisse an den Westen ergänzt worden sei. Hier nannte er etwa die Liberalisierung des Strafvollzugsgesetzes, die zu einer tatsächlichen Verbesserung der Haftbedingungen geführt habe, von der allerdings die Untersuchungsgefängnisse und vor allem diejenigen des MfS nicht profitierten. Diese Darstellung wurde im anschließenden Beitrag von Leonore Ansorg etwas relativiert, die in ihrem Brandenburger Fallbeispiel keine deutlichen Erleichterungen im Haftalltag seit 1977 feststellen konnte. Allerdings wurde die Haftpraxis in den 1980er-Jahren etwas liberaler, was sich auch in steigender Normbindung der Bediensteten und entsprechend geringerer Willkür im Alltag ausdrückte. Zu den Erleichterungen gehörten eine leichte Entschärfung der Arrestpraxis und eine Verbesserungen der Lebensbedingungen im Arrest. In der Diskussion herrschte Einigkeit darüber, daß die Gesetze der 1970er-Jahre den Anschein einer Verrechtlichung beförderte, sich aber an der Praxis der Repression wenig änderte. Wichtig war diesbezüglich der Hinweis, daß sich bei gleichbleibendem Willen zur strafrechtlichen Verfolgung oppositioneller Strömungen die Motivation zu öffentlichem Widerspruch wandelte.

Die zweite Sektion widmete sich den sozialen Schichtungen und den damit verknüpften Protestformen. Michael Hoffmann legte dar, daß sich bis zum Ende der 1960er-Jahre das traditionelle Arbeitermilieu zu einem dominanten Milieu „sozial gefestigter Facharbeiter“ wandelte, die zunehmend in die Gesellschaft der DDR und damit auch in die Strukturen staatlicher Lenkung eingebunden waren. Damit einher ging eine Veränderung der Protestformen, wobei Hofmann die Aktionen beim Einmarsch in die CSSR als letztes Aufflackern autonomen Arbeiterprotests interpretierte. Ein interessantes Beispiel für die relative soziale und kulturelle Autonomie der Arbeiter bietet das so genannte „Gammlerproblem“. Dieser durch lange Haare und Beat-Musik geprägte Ausdruck kultureller Distanz wurde von den Arbeitern ebenso wie von der SED – wie übrigens auch im Westen – mißbilligt. Allerdings wehrten sich Arbeiter immer wieder gegen die Politisierung und die kampagnenhaften Überspitzungen bei der Lösung dieses „Problems“, das viele Arbeiter lieber selbst und unter sich gelöst hätten. Gegen die vor allem im Vergleich zu 1953 geringen Proteste im Jahr 1968 ging die SED erfolgreich mit einer intensiven Kampagne vor, die Propaganda mit betriebsinterner Disziplinierung verband. Diese hatte auch zur Folge, daß die Arbeiter die Kontrolle über die betriebsinternen Öffentlichkeiten verloren. Die hierdurch eingeleitete Phase beiderseitigen Stillhaltens wurde erst durch die Ausreisewelle der späten 1980er-Jahre beendet. Thomas Lindenberger näherte sich dem Problem sozialer Differenzierung über das Konstrukt der „Asozialität“, das in der DDR seit 1961 wieder zu Ehren kam. Es sei eine eigene Schicht von sozial ausgegrenzten „Underdogs“ entstanden, die als von der Arbeiterschaft unterschieden und unter dieser stehend wahrgenommen wurde. Diese auch im Zusammenhang mit dem Grenzgängerproblem entstandene Wahrnehmung wurde unter anderem gestützt durch biologistische Theoriebildung. Die Betroffenen sollten durch Disziplinierung im Alltag und strafrechtliche Sanktionen zwangsweise integriert werden. Dabei diente diese Konstruktion einer abgeschlossenen Klasse von Asozialen als Drohpotential gegenüber integrierten Arbeitern und somit als Mittel, die Reproduktion einer Schicht loyaler und „respektabler“ Arbeiter zu gewährleisten. Henning Pietzsch brachte sozial abweichendes Auftreten mit der Ausreisebewegung am Beispiel des „Weißen Kreises“ in Jena in die Diskussion. Dabei ging des den Beteiligten um das Vorbringen ihres Anliegens, der Ausreise, das aber aus unterschiedlichen Motivationen gespeist war.

Die abschließende dritte Sektion konzentrierte sich auf den Wandel des politischen Protests vor dem Hintergrund einer sich verändernden Gesellschaft. Bernd Gehrke hob die Breite der Oppositionsbewegung in der DDR hervor und wies auf die Existenz einer Linksopposition hin, die in der Oppositionsforschung häufig vernachlässigt werde. Nach dem Mauerbau habe sich gegen Ende der 1960er-Jahre Opposition erst langsam wieder formiert, wobei neue Gruppen entstanden, in denen junge Leute neue Ziele und Protestformen entwickelten. Ebenso wie im Westen habe in dieser Zeit auch unter Jugendlichen in der DDR linksintellektuelles Gedankengut eine große Rolle gespielt. Die neuen Gruppen suchten nicht den Schutzraum der Kirche, sondern schlossen sich kritischen Strömungen in der Kulturszene an. Die durch diese und andere oppositionelle Gruppen in den 1980er-Jahren gebildete Gegenöffentlichkeit war das Thema von Thomas Klein. Das MfS stellte in dieser Zeit einen Wandel von sozialistischem Gedankengut zu Formen der Opposition fest, die ihre Anlässe eher im Alltag fand und sich im Unkreis der Kirche etablierte – wiederum eine interessante Parallele zur Entwicklung in Westdeutschland. Klein betonte den hohen Vernetzungs- und Organisationsgrad der verschiedenen Gruppen, der Kampagnen wie den Protest anläßlich des Reaktorunglücks von Tschernobyl 1986 oder auf der Rosa-Luxemburg-Demonstration 1988 erst ermöglicht habe. Hierbei seien weniger Printmedien als verschiedene Formen öffentlicher Kulturveranstaltungen zur Vermittlung genutzt worden. Dieser Tendenz versuchte die Staatssicherheit durch eine verschärfte Auslegung des Ordnungsrechts beizukommen, wobei Anleihen beim bundesdeutschen Pendant gemacht wurden. Vor dem Hintergrund der Strafrechtsänderungsgesetze der 1970er-Jahre habe zudem ein ausgefeiltes strafrechtliches Instrumentarium gegen die Opposition bereit gestanden. In der Diskussion wurde angeregt, den Begriff der Gegenöffentlichkeit von dem einer Gegenkultur abzugrenzen, wobei allerdings die tatsächlich hohe Vernetzung der Gruppen in der Alltagskommunikation für die Verwendung des ersten Begriffs spricht. Mehrere Diskutanten brachten ihre Definition von Milieubildung, Arbeiterbewegung oder Kulturopposition zur Sprache, was erhebliche Differenzen in der Herangehensweise deutlich werden ließ.

Im Abschlußreferat wechselte Walter Süß noch einmal die Perspektive, wobei er inhaltlich an Ausführungen von Raschka anschloß. In der Phase der Annäherung zwischen Ost und West war es die neue Aufgabe der Geheimpolizeien im Osten, den sozialen Konservatismus gegen Aufweichung zu schützen. Während der Helsinki-Prozeß auf die Praxis der Geheimpolizeien keine Auswirklungen zeitigte, veränderte sich, wie Süß am Beispiel von Tagungen ihrer führenden Offiziere 1977 und 1983 veranschaulichte, in ihrer Wahrnehmung die Art der Bedrohung. Verwestlichung der Lebensweise und Neubildung politischer Opposition wurden als vom Westen gesteuerte Untergrundtätigkeit aufgefaßt, die mit dem älteren Begriff der „politisch-ideologischen Diversion“ umschrieben wurde. Diskutiert wurde der Nutzen offener Repression im Verhältnis zum unerwünschten Nebeneffekt zusätzlicher Mobilisierung und vor dem Hintergrund wachsender ökonomischer Abhängigkeit vom Westen und der akuten Gefahr einer bewaffneten Blockkonfrontation. Andererseits wurde 1983 eingeräumt, daß Oppositionelle tatsächliche Probleme aufgriffen, wie die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und, für die UdSSR, das wachsende Problem der Korruption. Süß konnte den grundlegenden Zielkonflikt zwischen Öffnung und Abschließung im KSZE-Prozeß deutlich machen, in dem das Streben nach internationaler Anerkennung, die Stagnationskrise in der Sowjetunion und deren gescheitertes Engagement in Afghanistan den Handlungsspielraum empfindlich einschränkte.

Der Grundgedanke der Organisatoren dieser Tagung (Leonore Ansorg, Bernd Gehrke, Thomas Klein und Danuta Kneipp von der Arbeitsgruppe „Opposition und Repression“), Herrschaftswandel und Opposition in der DDR gemeinsam in den Blick zu nehmen, hat sich als sinnvoll und innovativ herausgestellt. Darüber hinaus zeigten sich wieder einmal die Vorteile von kleineren Tagungen, die eine intensive Arbeitsatmosphäre schaffen und dadurch anregende Diskussionen ermöglichen. Die Tagung konnte den Zusammenhang von Repression und Opposition in der DDR deutlich machen, die in ihren Ausprägungen reziprok aufeinander bezogen waren. Ihrer gegenseitigen Bedingtheit könnte deutlicher Ausdruck verliehen werden, da sich auch in der DDR Protest und Opposition nicht von selbst verstehen. Des weiteren wird künftig sowohl der Breite der oppositionellen Bewegung und ihrer Ausdrucksformen als auch ihrem engen Bezug zu widerständigem Verhalten und Konflikten im Alltag deutlicher Rechnung zu tragen sein. Besonders zwei miteinander verbundene Fragen scheinen von Interesse zu sein. Erstens wäre zu klären, wie sich in der Bewältigung von Alltagskonflikten vor dem Hintergrund von staatlichem Druck, kontrollierter medialer Öffentlichkeit und Repression die Entscheidung zwischen Fügsamkeit und Revolte vollzieht. Zweitens wären die Übergänge zwischen unangepaßtem und widerständigem Verhalten und organisierter Opposition genauer zu beschreiben. Darüber hinaus legen einige Aspekte nahe, daß auch eine vergleichende Geschichte von Opposition in Ost und West erhellende Ergebnisse zeitigen könnte.

Anmerkungen:
1 Das vollständige Programm siehe unter http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=3851

Kontakt

Dr. Thomas Klein
Zentrum für Zeithistorische Forschung
Am Neuen Markt 1
14467 Potsdam

tklein@rz.uni-potsdam.de


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