Using the War: Changing memories of World War Two

Using the War: Changing memories of World War Two

Organisatoren
Oral History Society with King's College, London
Ort
London
Land
United Kingdom
Vom - Bis
01.07.2005 - 03.07.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Dejung Christof, Universität Zürich

60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Erinnerung an diesen Konflikt präsenter denn je. Dies zeigten unter anderem die ausgedehnten Gedenkveranstaltungen, die im Sommer 2005 in vielen Ländern stattfanden. Oft standen dabei die Dankesbekundungen an den Einsatz der Veteranen, die auf Seiten der Alliierten gekämpft hatten, im Zentrum der Feierlichkeiten. Dies war Grund genug für die britische „Oral History Society“1 eine Woche vor dem „National Commemoration Day“ in London eine internationale Konferenz zur Frage zu organisieren, wie die Erinnerung an diesen Konfliktes im öffentlichen Diskurs in den verschiedensten Ländern repräsentiert ist. Dabei interessierte zum einen das Verhältnis zwischen der privaten Erinnerung von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und dem von offizieller Seite her organisierten Gedenken und zum anderen der Wandel von Repräsentationen der Kriegszeit in den Jahrzehnten nach 1945. Gut siebzig Forscherinnen aus Europa, Nord- und Südamerika, Asien, Australien und Neuseeland stellten ihre Forschungsresultate vor, von denen hier selbstverständlich nur eine nicht repräsentative Auswahl besprochen werden kann. Dabei zeigte sich, dass die Oral History inzwischen vor allem im angelsächsischen Sprachraum eine beeindruckende institutionelle Verankerung und eine beachtliche methodische und theoretische Reife erreicht hat. Dies steht im Gegensatz zum deutschen Sprachraum, in welchem diese Methode oft als unwissenschaftlich belächelt wird und nach wie vor ein unverdientes Nischendasein fristet.

In ihrem Eröffnungsreferat meinte Paula Hamilton (Sydney), der Zweite Weltkrieg sei der letzte „gerechte“ Krieg gewesen, in welchem man noch zweifelsfrei gewusst habe, wofür und wogegen man kämpfte. In der Mehrzahl der Länder sei dieser Konflikt vor allem als Kampf der eigenen Nation repräsentiert: Weder in Australien noch den USA oder Großbritannien werde den Kriegserfahrungen der mit der eigenen Nation verbündeten Länder allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Krieg, so meinte Hamilton, sei primär eine Angelegenheit der eigenen Nation. Die Erfahrungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, vor allem die der Veteranen, spielten dabei im offiziellen Erinnerungsdiskurs eine zentrale Rolle. In zahlreichen Ländern würden die Gedenkfeiern durch Radio- und Fernsehsendungen, sowie Zeitungsporträts über die Überlebenden und Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges umrahmt. Für die Zeitzeugen sei der Krieg ein zentrales Ereignis in ihrer biographischen Identität. Man fühlte sich erst- und vielleicht auch letztmals als Teil eines größeren Ganzen. Für viele Menschen, so Hamilton, sei der Zweite Weltkrieg das einzige Erlebnis, bei dem ihr eigenes Leben und „die Geschichte“ zusammen kamen.

In den Ländern, die nach dem Krieg auf der Siegerseite standen, stellte die Erinnerung an den Konflikt oft eine Fortführung der Propaganda der Kriegszeit dar. Erfahrungen, die nicht zu dem daraus entstehenden geglätteten Bild passten, wurden verdrängt. Dabei zeigen sich über die nationalen Grenzen hinweg erstaunliche Parallelen. So führte der Krieg in zahlreichen Ländern zu neuen Betätigungsfeldern für die Frauen, welche jedoch die traditionelle Geschlechterordnung bedrohte. Die staatliche Propaganda in Kanada stellte die kriegsbedingte Mehrarbeit der Frauen – wie in anderen Ländern auch – als vorübergehende Ausnahme und Opfer der Frauen zu Gunsten der Nation dar. Pamela Wakewich und Helen Smith (Lakehead University) konnten jedoch durch Interviews mit Zeitzeuginnen zeigen, dass für viele die guten Saläre der Kriegszeit und die Möglichkeit, neue Betätigungsfelder zu finden, die Hauptgründe dafür waren, neue Arbeiten in den Fabriken zu übernehmen. In den staatlichen Archiven fand dieser Aspekt aber ebenso wenig seinen Niederschlag wie die Tatsache, dass die Arbeit in der Rüstungsindustrie für einige Frauen ein ethisches Problem darstellte. Auch in Finnland klafften persönliche Erfahrungen der Frauen und offizielle Erinnerung auseinander, wie Pia Olsson (Universität Helsinki) in ihrem Vortrag über die Lotta Svärd, den militärischen Frauenhilfsdienst, aufzeigte. Die Lottas wurden zwar während des Krieges wegen ihres Einsatzes sehr geschätzt, da sie es ermöglichten, Wehrmänner für den Dienst an der Front freizumachen. Durch ihren Einsatz in der Armee übernahmen sie jedoch Aufgaben, die traditionell männlich konnotiert waren. Dies löste verschiedentlich negative Reaktionen aus. Gegen Ende des Krieges und vor allem in der Nachkriegszeit setzte sich in der Öffentlichkeit das negative Stereotyp der Lottas als Frauen der Oberschicht durch, die in der Armee einzig und allein auf sexuelle Abenteuer aus gewesen seien. Obwohl ab den 1980er-Jahren eine Rehabilitation der Lottas erfolgte, wirken diese Diffamierungen bis heute so stark nach, dass zahlreiche Lottas sich in Oral-History-Interviews weigerten, bei laufendem Tonband über die Begegnungen mit Männern während ihrer Dienstzeit zu sprechen. Diese Begegnungen fanden selbstverständlich statt, waren jedoch weit seltener, als man aufgrund der öffentlichen Debatte hätte annehmen können.

Für viele Teilnehmer an Kampfhandlungen, für ehemalige KZ-Häftlinge und für Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft gerieten, war die Zeit des Zweiten Weltkriegs eine traumatisierende Angelegenheit. Oft weigerten sie sich nach Ende der Kämpfe noch Jahrzehnte später, ihren Familienangehörigen zu erzählen, was sie während des Krieges erlebt hatten. Häufig berichteten sie erst im hohen Alter im Rahmen von Oral-History-Projekten erstmals über ihre Kriegserfahrungen. Die Interviewer gerieten dadurch unwillentlich in eine therapeutische Rolle, die sie weder einnehmen konnten noch wollten. Oder sie wurden von den Zeitzeugen unfreiwillig als Repräsentanten einer bestimmten Nation angesehen, wie Tomoyo Nakao (Okayama University) berichtete. Sie führte Interviews mit ehemaligen britischen und australischen Kriegsgefangenen in japanischen Lagern durch. Die Erlebnisse in diesen Lagern seien derart traumatisierend gewesen, dass die Gefangenen sich lange Zeit geweigert hätten, darüber zu erzählen. Ihr Hass gegenüber der japanischen Nation habe sich jedoch darin gezeigt, dass sie keine japanischen Produkte gekauft hätten oder dass sie regelmäßig die Straßenseite gewechselt hätten, wenn sie einem Japaner begegneten. Der Kontakt mit der japanischen Interviewerin setzte jedoch in verschiedenen Fällen einen Umdenkprozess in Gang; viele Zeitzeugen erklärten nach dem Interview, dass sie nun „den Japanern“ verzeihen konnten. Nakao empfand dies als persönliche Belastung, schließlich sei sie weder eine offizielle Vertreterin Japans noch könne und wolle sie die Verantwortung für die sechs Jahrzehnte zuvor verübten Taten von japanischen Soldaten übernehmen. Die ethischen und psychologischen Probleme die sich für Oral Historians durch solche Kontakte ergaben und auch die Einsicht, dass beim Kontakt mit traumatisierten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die Zusammenarbeit mit therapeutischen Institutionen unabdingbar sind, wurde an der Tagung ausgiebig diskutiert.

Nicht nur auf der individuellen Ebene hängen Erinnern, Verdrängen und Erzählen in komplexer Art und Weise zusammen. Andreas Kruse (Heidelberg) thematisierte die Frage, welche Rolle die Thematisierung von „Schuld“ in der deutschen Nachkriegsdiskussion spielte. Dabei sorgte insbesondere seine These für Diskussionen, wonach der Kniefall von Willy Brandt im Warschauer Ghetto 1970 eine wichtige Rolle für die kollektive und individuelle Verarbeitung des Nationalsozialismus gespielt habe. Für viele nicht-jüdische Deutsche habe dieses symbolische Schuldbekenntnis eines deutschen Bundeskanzlers eine Vorbildwirkung für die eigene Beschäftigung mit dem Dritten Reich gehabt. Jüdische Beobachterinnen und Beobachter andererseits hätten diese Geste laut Kruse als hoffnungsvolles Zeichen für die Herausbildung eines neuen, „besseren“ Deutschland im Rahmen der Bundesrepublik empfunden. Aus dem Publikum kamen hierauf kritische Voten. Insbesondere wurde gefragt, ob denn nicht dadurch, dass ein solches Schuldbekenntnis von Brandt abgelegt wurde – der ja selber nach der nationalsozialistischen Machtübernahme Deutschland hatte verlassen müssen –, bei den eigentlich Schuldigen eine Entlastungsfunktion gehabt habe. Indem der Bundeskanzler im Namen der deutschen Nation Reue zeigte, hätten die damaligen Täter auch ihre individuelle Verantwortung nachträglich an das nationale Kollektiv überantworten können und hätten sich deshalb ihrer eigenen Schuld nicht mehr zu stellen brauchen.

Grundsätzlich anders als etwa in Deutschland wurde die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges in den Siegernationen und in den vom Krieg verschonten Ländern repräsentiert. Hier überdeckte der Mythos der kämpfenden, wehrhaften Nation die oft äußerst ambivalenten tatsächlichen Vorkommnisse. So ist die Erinnerung an den „Blitz“ (die Bombardierung britischer Städte durch die deutsche Flugwaffe 1940-41) bis heute ein zentraler Punkt in der britischen Erinnerung an den Krieg, wie Adrian Smith von der University of Southampton zeigte. Das Gedenken an die heroische Abwehrschlacht Großbritanniens verdeckt jedoch heikle Fakten wie etwa die Wirtschaftsbeziehungen zwischen England und Deutschland vor dem Krieg oder die Weigerung der britischen Regierung zur Aufnahme einer größeren Zahl jüdischer Flüchtlinge. Ähnliche Erinnerungsmechanismen fanden auch in der USA oder der Schweiz statt. Dies verweist einerseits darauf, dass es sinnvoll ist, die erinnerungsgeschichtlich getrennten Themenkomplexe der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des Holocausts vermehrt aufeinander zu beziehen und es zeigt andererseits, dass komparatistische Studien zur mentalen Verarbeitung der Kriegserfahrungen in den unterschiedlichen Nationen ausgesprochen fruchtbar sein könnten.

Anmerkungen:
1 Informationen zur Oral History Society finden sich auf deren Homepage: http://www.ohs.org.uk/


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