Zukunft der Sprache, Zukunft der Nation? Debatten um jüdische Sprache und Literatur im Kontext von Mehrsprachigkeit und Nationbuilding

Zukunft der Sprache, Zukunft der Nation? Debatten um jüdische Sprache und Literatur im Kontext von Mehrsprachigkeit und Nationbuilding

Organisatoren
Bettina Bannasch / Alfred Wildfeuer / Carmen Reichert, Universität Augsburg
Ort
Augsburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.09.2019 - 26.09.2019
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Von
Anna Rozenfeld, Universität Warschau / Kollegium Jüdische Studien Berlin-Brandenburg / ELES Research Fellow

Die Abschlusstagung des trilateralen und interdisziplinären Kooperationsprojekts „Die Nationalsprache der Juden oder eine jüdische Sprache? Die Fragen der Czernowitzer Sprachkonferenz in ihrem zeitgeschichtlichen und räumlichen Kontext“ hatte zum Ziel, die Debatte um jüdische Nationalsprachen und -literaturen im frühen 20. Jahrhundert nachzuvollziehen und im Kontext ihrer Umgebungssprachen und der anderen mittel- und osteuropäischen Nationalismen zu diskutieren.

In ihrem Eröffnungsvortrag führte EFRAT GAL-ED (Düsseldorf) in das „Land Jiddisch“ ein: „In Jiddischland geht die Sonne nie unter. ›Jiddischland‹ steht auf einer höheren Stufe als der Besitz von Armeen, Grenzen und Reisepässen. Der Begriff ist noch neu, aber er macht sich schon in der Symphonie der Völker hörbar.“1 Gal-Ed erläuterte das Konzept des „Jiddischlandes“ der 1920er- und 1930er-Jahre, dessen „Bürger“ Jiddisch sprachen, in dieser Sprache einen transnationalen Denk- und Lebensmodus teilten und ein völkerübergreifendes Bild von Europa entwarfen, das nicht den Vorstellungen der herrschenden Nationalkulturen entsprach.

ANDREAS KILCHER (Zürich) widmete sich in seinem Vortrag den Sprachpolitiken im Zionismus um 1900 und untersuchte besonders die Rolle des Deutschen im sprachpolitischen Spannungsfeld des frühen Zionismus bis um 1933. Einen Überblick darüber, wie das Habsburger- und das Russische Reich den Sprachgebrauch in ihren zahlreichen jüdischen Bevölkerungsgruppen regulierten, gab MAREN RÖGER (Augsburg). Sie besprach die Maßnahmen, die gegen das Jiddische ergriffen wurden, in einem breiteren Kontext der Sprachpolitik in beiden Reichen mit mehrsprachiger, multireligiöser und multiethnischer Bevölkerung. LEA SCHÄFER (Düsseldorf) diskutierte die faktische Homogenität des Jiddischen und stellte die Geolinguistik der mitteleuropäischen jiddischen Dialekte im frühen 20. Jahrhundert vor. Unter Berücksichtigung der Situation der Mehrsprachigkeit und der Einflüsse der Kontaktsprachen, auf den Daten der Materialien des Language and Culture Archive of Ashkenazic Jewry (LCAAJ) basierend, zeigte sie, wie sich die Varietätenvielfalt im jiddischen Sprachgebiet, insbesondere in Österreich-Ungarn, gestaltete.

Über eines der vielschichtigsten Konzepte jüdischer Identität zu Beginn des 20. Jahrhunderts – über den „Jiddischismus“ Chaim Zhitlowskys (1865-1943) sprach KAY SCHWEIGMANN-GREVE (Hannover). Zhitlowsky eignete sich, wie der Vortrag zeigen konnte, den religiösen jüdischen Traditionsbestand säkular, ästhetisch und poetisch an, verbunden mit einer freiheitlich sozialistischen politischen Perspektive, fundiert durch Elemente herderscher Sprach-und Geschichtsphilosophie sowie spinozanischer Ontologie und kantischer Erkenntnistheorie. Schweigmann-Greve betonte die Gemeinsamkeiten, die Herder und Zhitlowsky neben der Hochschätzung von Sprache und Poesie, verbinden: „Was bei Herder Humanität heißt, die es zu befördern gilt, soll für Zhitlowsky zur »Völkerverbrüderung«, einem Zustand friedlicher Koexistenz der Völker in Freiheit, führen.“

JUDITH MÜLLER (Basel) stellte die Figuren von zwei mehrsprachigen Schriftstellern, David Fogel und Gershon Shofman, die sich zwischen Hebräisch, Jiddisch und Deutsch bewegten, vor. Sie versuchte die Fragen zu beantworten, ob diese beiden Autoren angesichts der gelebten Mehrsprachigkeit trotz ihrer Entscheidung für das Hebräische zu recht für sich beanspruchen konnten, zu einer Nationalliteratur beizutragen, und inwiefern diese Programmatik angesichts ästhetischer Fragen in den Hintergrund rückte.

Dem großen jiddischsprachigen Fabeldichter und Schriftsteller Elieser Steinbarg (1880-1932), der schon zu Lebzeiten als Klassiker der zeitgenössischen jüdischen Literatur gesehen und durch seine pädagogische Tätigkeit und zweisprachige Publikationen zur Pädagogik geschätzt wurde, widmete sich OLHA KRAVCHUK (Tscherniwzi) in ihrem Vortrag. Sie vergegenwärtigte, welch bedeutende Rolle Steinbarg für die multikulturelle und mehrsprachige Stadt Czernowitz und ihre Verwandlung zu einem Zentrum der jiddischen Literatur, gespielt hatte. LILIANA FEIERSTEINS (Berlin) Vortrag befasste sich mit dem Esperanto-Projekt als einer vergessenen jüdischen Sprachutopie und dem Esperanto-Schöpfer L. L. Zamenhof, der gleichzeitig Autor der ersten Grammatik der jiddischen Sprache war. Feierstein vertrat die Auffassung, dass die neuen Erkenntnisse zur jüdischen Geschichte des Esperanto auch neue Perspektiven bezüglich der anderen jüdischen Sprachen eröffnen.

HANS-JOACHIM HAHN (Aachen) analysierte das komplexe Verhältnis des Zionismus und seiner unterschiedlichen Strömungen zur deutschen Sprache mit der Schlussfolgerung, dass das Deutsche die Funktion eines Mediums für einen neuerlichen Sprachwechsel erfülle, während es zugleich das Erbe eines spezifischen jüdischen Aufbruchs in die Moderne archiviere. SEBASTIAN SCHIRRMEISTER (Hamburg) thematisierte den vermeintlich mangelhaften Gebrauch des Hebräischen – das Phänomen des „broken Hebrew“ (gebrochenes Hebräisch), das auf die inhärente Vielfalt einer Einwanderungsgesellschaft mit einer Vielzahl von Minderheiten und kulturellen Unterschieden hinweist. Als literarisches Motiv verwendet könne es, so Schirrmeisters These, dazu dienen, die nationalen Erwartungen an die homogene Sprachlandschaft des jüdischen Staates infrage zu stellen.

Am Beispiel der westböhmischen Kleinstadt Spálené Poříčí/Brennporitschen untersuchte ANDREA KÖNIGSMARKOVÁ (Plzeň) mit Blick auf das frühe 20. Jahrhundert, welchen Einfluss soziale, wirtschaftliche und kulturelle Impulse jüdische Akteure auf eine Gemeinde in der cisleithanischen „Provinz“ haben konnten. Im Mittelpunkt ihrer Präsentation standen Mehrsprachigkeit, innere und äußere Gruppensprache(n) und Sprachpräferenzen. Die soziolinguistische und kulturelle Situation der Juden in der westböhmischen Metropole Pilsen (Plzeň) und in einigen jüdischen Gemeinden in West- und Mittelböhmen analysierte PETR KUČERA (Plzeň) in seinem Vortrag.

ŠTĚPÁN BALÍKs (České Budějovice) Präsentation behandelte die sprachliche Situation des jüdischen tschechischen Ethnolekts und seiner Entwicklung. Balík veranschaulichte die jüdischen ethnolekten Elemente in der tschechischen Literatur im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts. ÁGOTA NAGY (Oradea) untersuchte sprachliche Merkmale des „Czernowitzerischen“ der 1930er-Jahre kontaktlinguistisch, wobei sie mit dem Terminus „Czernowitzerisch“ eine städtische Varietät des Deutschen im Czernowitz der Zwischenkriegszeit, die vor allem von Czernowitzer Juden verwendet wurde und jiddische Kontakteinflüsse auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen aufweise, bezeichnete. Sie argumentierte, dass das „Czernowitzerische“ der 1930er-Jahre nicht nur als eine deutsch-jiddische Kontaktvarietät, sondern auch als ein ostmitteleuropäischer Urbanolekt betrachtet werden kann.

In das Schulbildungswesen der Juden in der multikulturellen, habsburgischen Bukowina am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gab BOHDANA LABINSKA (Tscherniwzi) einen Einblick. Ihr Beitrag analysierte den Lern- und Lehrprozess jüdischer Schüler/innen in den Schulen und präsentierte Lehrbücher zum Hebräischlernen, die in Deutschland, Wien, Czernowitz veröffentlicht wurden. INGEBORG FIALOVÁ (Olmouc) führte in die böhmische und mährische Literaturlandschaft deutschsprachiger jüdischer Autor/innen ein und illustrierte ihren Vortrag mit sprachlich aufschlussreichen, bisher wenig bekannten Textbeispielen.

Die erste jüdische Sprachkonferenz von 1908 in Czernowitz war ein Durchbruch für die Geschichte des Jiddischismus. Die Diskussionen rund um die Czernowitzer Sprachkonferenz und die Darstellung dieses äußerst bedeutenden Ereignisses in bukowinischen deutschsprachigen und jiddischsprachigen Zeitungen untersuchte FRANCISCA SOLOMON (Iași). Sie analysierte Pressediskurse, die sich sowohl in der Zeit unmittelbar vor und während der Sprachkonferenz, als auch nach dem Jahr 1908 herauskristallisiert hatten.

Die jiddischistischen Diskurse und Nachwirkungen der Czernowitzer Sprachkonferenz wurden im Vortrag von ARMIN EIDHERR (Salzburg) aufgegriffen. Er ging den Auseinandersetzungen und Argumentationen für das Jiddische als jüdische Nationalsprache in programmatischen und künstlerischen Arbeiten in verschiedenen modernistischen Schriftstellergruppen nach.

Einen neuen Versuch, die Czernowitzer Konferenz mit modernen Nationalismus-Ansätzen zu untersuchen und zu prüfen, ob aus heutiger Perspektive die Bedeutung dieses einmaligen Ereignisses neu bewertet werden könnte, unternahm EVITA WIECKI (München). Überzeugend konnte sie argumentieren, dass man der Bedeutung der Czernowitzer Konferenz nicht gerecht wird, wenn man nur nach ihren Folgen fragt. Vielmehr war sie selbst ein Ergebnis und Höhepunkt eines längerfristigen Prozesses. „Erkennbar wird so die Ausformung einer jiddisch-jüdischen Kultur- und Volks- Großgruppe / Volksnation […], die zugleich mit den anderen osteuropäischen Nationalbewegungen Gestalt annahm und deren politische Weiterentwicklung offen war“, so Wiecki.

PETRO RYCHLOs (Tscherniwzi) Vortrag befasste sich mit jiddischen Elementen in der Dichtung von Paul Celan. Rychlo zeigte, dass nicht nur biographische Fakten die Vertrautheit des Dichters mit dem Jiddischen bezeugten, sondern auch Elemente dieser Sprache in sein poetisches Werk eingegangen sind und damit einen wesentlichen Teil seines dichterischen Selbstverständnisses ausmachten. An ausgewählten Beispielen aus Celans Gedichtband „Die Niemandsrose“ führte er vor Augen, wo der Dichter jiddische Texte zitiert oder jiddische Begriffe aus der Sakral- oder Alltagssphäre nennt.

Anhand der Lemberger Zeitungen aus der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging STEFANIYA PTASHNYK (Heidelberg) auf massenmediale Diskurse bzw. sprachreflexive Äußerungen ein, die das Verhältnis von Sprache und (nationaler) Identität spiegeln.

Dem Prozess der Sprachplanung und der Standardisierung des Jiddischen und des Belarussischen widmete MARTINA NIEDHAMMER (München) ihren Vortrag. Sowohl in Polen als auch in der Sowjetunion erlangten „kleine“ Sprachen, die noch nicht kodifiziert waren, in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren wachsende wissenschaftliche Aufmerksamkeit: Das Yidisher Visnshaftlekher Institut (YIVO) in Wilna versuchte, das Jiddische zu standardisieren, während das Institut für Weißrussische Kultur („Inbelkult“, 1929 in die belarussische Akademie der Wissenschaften umgewandelt) in Minsk sich gleichzeitig mit belarussischen und jiddischen Terminologien befasste. Niedhammers Forschung zeigt, dass die beiden Institute in gewissem Umfang zusammengearbeitet hatten und ähnliche Methoden mit denen sie die Regeln für die Erstellung einer „wertvollen“ Terminologie entworfen hatten, verwendeten.

ANRUO BAO (New York) ging in ihrem Vortrag der von I. L. Peretz aufgeworfenen – und von ihm nicht beantworteten – Frage nach Sprache und Nationalismus nach. Nach Bao findet sich die Antwort in Dovid Bergelsons Werken, die den Status der Kanonisierung erreichten. Ein Merkmal seiner Arbeiten sei der Sprachgebrauch: „by creating a strange, nonverbal Yiddish, Bergelson deliberately emphasizes the function of language, which shows a clear influence of the fading Russian Jewish world and the Russian Jews’ failure of struggling for their own nationalism of autonomy.”

Am Beispiel von zwei bekannten, unterschiedlichen Figuren der jiddischen Literatur: S. An-ski (1863–1920), dem Autor von dem Drama „Der Dibbuk“, und Debora Vogel (Dvoyre Fogel, 1902–1942), deren Avantgarde-Lyrik eine Innovation war, versuchte NATALIA BLUM-BARTH (Mainz) mit einem genaueren Blick auf die Vorgehensweisen beim Schreiben der beiden Autoren zu zeigen, welche Impulse für die Entwicklung der jiddischen Sprache als Literatursprache Anfang des 20. Jahrhunderts prägend waren.

Anhand der Reiseberichte von jüdischen Schriftstellern und Journalisten, die von Galizien in der Zwischenkriegszeit fasziniert waren und diese Region entdeckten, setzte sich VLADYSLAVA MOSKALETS (Lviv) mit dem Thema der jüdischen Sprache und Identität auseinander und ging der Frage nach, wie diese reisenden Intellektuellen – die Grenzen ihres neuen Staates erkundend – versuchten, die polnisch-jüdische Kultur für sich selbst zu definieren und wie sie die Botschaft ihrem jiddischsprachigen Publikum übermittelten. MALENA CHINSKI (Paris) lenkte den Blick auf Fragen zur Sprach- und Übersetzungsauswahl von jiddischen Übersetzern in Frankreich.

KATHARINA BAUR (Augsburg) zeigte in ihrem Vortrag, dass die damals noch nicht zum Judentum konvertierte spätere Frau Martin Bubers, die Germanistin Paula Winkler, einen erheblichen Anteil an den Chassidischen Erzählungen hatte, dennoch aber nie als Co-Autorin erwähnt wurde. Baur betonte, dass gerade aus dieser Gemeinschaftsarbeit – „aus diesem Konglomerat aus unterschiedlichen Interessen, Herkünften, Religionen, aber auch aus der Schnittmenge der jeweiligen literarischen Begabungen, sich das Erfolgsrezept der Chassidischen Erzählungen“ generier3, die der Karriere Martin Bubers einen erheblichen Anstoß gaben.

BORIS BLAHAK (Plzeň) analysierte den kulturzionistischen Bildungsroman Arnold Beer. Das Schicksal eines Juden (1912) von Max Brod und seine autobiografischen Dimensionen. In dem Roman „spielte Max Brod auf den Sprach-und Identitätsverlust des mitteleuropäischen Judentums und eine Wiederanknüpfung an abgetrennte Wurzeln bei völliger Neuausrichtung durch die „dritte (seine) Generation“ an“, so Blahak.

SARAH STOLL (München) befasste sich mit der Sprachenfrage in dem 1935 auf Hebräisch verfassten meta-literarischen Roman Leah Goldbergs Avedot. Mukdasch le-Antonia (2010).2 Der Vortrag von JAN KÜHNE (Jerusalem) thematisierte das Phänomen der zweisprachigen Homonymie in der deutsch-hebräischen Literatur. Kühne stellte die These auf, dass die zweisprachige Homonymie sowohl eine intime als auch eine gefährliche Form des Kontakts zwischen zwei Sprachen sei. Zur Veranschaulichung seiner Ideen wählte er die Metapher eines zweisprachigen hebräisch-deutschen „Zungenkusses“ (französischen Kusses), der seine doppelte Bedeutung von „Zunge“ und „Sprache“ im Hebräischen (wie auch in einigen anderen Sprachen), beibehält.

Im letzten Panel befasste CARMEN REICHERT (Augsburg) sich mit jiddischen Frauenautobiographien des 20. Jahrhunderts, die von der berühmten Revolutionärin und Frauenrechtlerin Puah Rakovsky bis zu der weitgehend unbekannten Helen Londynski reichten und die unabhängig von dem sozialen oder politischen Hintergrund der Autorinnen ein sehr hohes Sprachbewusstsein zeigten. Reichert konzentrierte sich auf die Memoiren der berühmten Dichterin Kadye Molodovsky, die auf Jiddisch schrieb und sich dennoch zeitlebens für die Verbreitung des Hebräischen einsetzte. Ihre Autobiographie zeige, wie sie beide Sprachen als ein sich veränderndes jüdisches Erbe inszeniert.

Auf eine heute nur mehr wenig bekannte Position innerhalb des Zionismus, die einer Staatsgründung ablehnend gegenüberstand, machte STEPHAN BRAESE (Aachen) anhand einiger Dokumente und Zeugnisse des deutschsprachigen Schriftstelles Wolfgang Hildesheimers (1916–1991) aufmerksam, der 1933 nach Palästina emigrierte. Dem nationalistischen Ideologem „Eine Sprache, eine Nation“ stand die vielfältig ausdifferenzierte, von Mehrsprachigkeit geprägte kosmopolitische Lebenswelt im Mandats-Palästina entgegen. Hildesheimer verstand Internationalität, Aufsprengung jeder nationalen Beschränkung und multikulturelle Öffnung als Voraussetzung einer Identität als Künstler.

Die Tagung wies eine hohe Diversität auf, deckte ein breites Spektrum an Zugängen ab und präsentierte neue Ansätze in den Debatten um jüdische Sprache und Literatur im Kontext von Mehrsprachigkeit und nation-building im frühen 20. Jahrhundert. Offizielle Tagungssprachen waren Deutsch und Englisch, aber viele andere Sprachen, wie Polnisch, Tschechisch, Russisch, Ukrainisch, Französisch, Spanisch, Hebräisch und Jiddisch wurden in den Diskussionen am Rande der Tagung und in den Kaffeepausen gehört. Die Teilnehmer kamen aus zehn verschiedenen Ländern: Deutschland, Österreich, Schweiz, Polen, Ukraine, Tschechien, Rumänien, Frankreich, Israel, USA und vertraten unterschiedliche Forschungsgebiete der Literatur-, Sprach-, Kultur- und Politikwissenschaft, sowie Philosophie, Soziologie, Geschichte und Judaistik. Der internationale und transnationale Charakter der Tagung und der mehrsprachige und interdisziplinäre Austausch zwischen den Forschern hat sich als überaus gewinnbringend und erfolgreich erwiesen und die Leitfrage der Tagung nach jüdischer Sprache und Nation wurde aus verschiedenen Forschungsperspektiven neu beleuchtet.

Konferenzübersicht:

Sabine Doering-Manteuffel (Augsburg): Grußwort

Bettina Bannasch / Alfred Wildfeuer (Augsburg): Grußwort

Eröffnungsvortrag

Efrat Gal-Ed (Düsseldorf): Das Land Jiddisch

Panel I: Jüdische Sprachen und Sprachpolitik
Moderation: Carmen Reichert (Augsburg)

Andreas Kilcher (Zürich): Disproportion von Sprache und Nation. Sprachpolitiken im Zionismus um 1900

Maren Röger (Augsburg): Imperial Language Policies: Yiddish in the Habsburg and Russian Empire

Moderation: Hans-Joachim Hahn (Aachen)

Lea Schäfer (Düsseldorf): Between Multidialectalism and Supraregionalism: The Language Situation of Yiddish in Eastern Europe in the Early 20th Century

Kay Schweigmann-Greve (Hannover): Die poetische Konstruktion der Nation – Chaim Zhitlowskys Konzept einer auf der Jiddischen Sprache basierten Kulturnation

Panel II: Konzepte und Kritik nationaler Literaturen
Moderation: Sebastian Schirrmeister (Hamburg)

Judith Müller (Basel): Nationalliteratur oder europäische Literatur in hebräischer Sprache? David Fogel und Gershon Shofman zwischen Hebräisch, Jiddisch und Deutsch

Moderation: Natalia Blum-Barth (Mainz)

Olha Kravchuk (Tscherniwzi): Elieser Steinbarg als Bukowiner Dichter

Liliana Feierstein (Berlin): Die Hoffnung: Esperanto oder über eine vergessene jüdische Sprachutopie

Moderation: Jan Kühne (Jerusalem)

Hans-Joachim Hahn (Aachen): Das Deutsche als Sprache des Zionismus. Zwischen Selbstverständigung und Sprachwechsel

Sebastian Schirrmeister (Hamburg): Broken Hebrew. Linguistic deciencies and the comic subversion of national expectations

Panel III: Sprachkontakt und Sprachenwahl in den jüdischen Gemeinschaften Österreich-Ungarns
Moderation: Maren Röger (Augsburg)

Andrea Königsmarková (Plzeň): Jüdische Sprache, Mehrsprachigkeit und Sprachpräferenz in der cisleithanischen ,Provinz‘. Das Beispiel der westböhmischen Kleinstadt Spálené Porící/Brennporitschen

Petr Kučera (Plzeň): Sprachenwahl und Kulturorientierung bei den Juden in West und Mittelböhmen

Moderation: Boris Blahak (Plzeň)

Štěpán Balík (České Budějovice): Elements of Jewish ethnolect in Czech Literature in the 20th and beginning of 21st Century

Ágota Nagy (Oradea): Das „Czernowitzerische“ der 1930er: eine deutsch-jiddische Kontaktvarietät als ostmitteleuropäischer Urbanolekt

Moderation: Katharina Baur (Augsburg)

Bohdana Labinska (Tscherniwzi): Schulbildungswesen der Juden in der Bukowina (19. –Anfang des 20. Jahrhunderts.)

Ingeborg Fialová (Olmouc): Deutsch als jüdische Sprache? Böhmische und mährische deutschsprachige Literatur jüdischer AutorInnen

Panel IV: Die Czernowitzer Sprachkonferenz und ihre Nachwirkungen
Moderation: Evita Wiecki (München)

Francisca Salomon (Iași): Die Czernowitzer Sprachkonferenz und ihre Darstellung in bukowinischen deutschsprachigen und jiddischsprachigen Periodika. Habsburgische und posthabsburgische Pressediskurse

Armin Eidherr (Salzburg): Der Nationalsprachendiskurs in jiddischen Dichtergruppen seit 1908

Panel V: Sprache und Identität
Moderation: Andrea Königsmarková (Plzeň)

Evita Wiecki (München): Auf dem Weg zu einer nationalen Sprache? Die Czernowitzer Konferenz und ihre Bedeutung für die Entwicklung des Jiddischen

Petro Rychlo (Tscherniwzi): „Zu Aleph und Jud“: Jiddische Elemente in der dichterischen Sprache Paul Celans

Stefaniya Ptashnyk (Heidelberg): Reflexionen zu Sprache und Identität in der massenmedialen Diskursen in Galizien um die Jahrhundertwende

Panel VI: Standardisierung, Kanonisierung und Statusfragen
Moderation: Stefaniya Ptashnyk (Heidelberg)

Martina Niedhammer (München): Vocabularies as a Symbol of Cultural Power: The Standardization of Yiddish and Belarusian during the 1920s and 1930s

Anruo Bao (New York): To Answer Peretz’s Question: On the Canonization of Bergelson through the Relationship between Language and Nationalism

Natalia Blum-Barth (Mainz): Vom Experiment zum ästhetischen Projekt: Jiddische Literatur Anfang des 20. Jahrhunderts

Moderation: Theresia Dingelmaier (Augsburg)

Malena Chinski (Paris): What does Yiddish mean in French? Approaches to language and translation choices of Yiddish translators in France

Vladyslava Moskalets (Lviv): Search for Yiddish Galicia: Jewish language and identity in interwar travelogues

Panel VII: Jüdische Sprachen und die deutsch-jüdische Literatur
Moderation: Petro Rychlo (Tscherniwzi)

Katharina Baur (Augsburg): Paula und Martin Bubers Chassidische Geschichten

Boris Blahak (Plzeň): Max Brods ,andragogisch-didaktische’ Belletristik: konzeptionelles Jiddisch als Wegweiser zur Sprache des modernen Judentums

Olha Flachs (Heidelberg): »Bei uns Juden darf man keine deutschen Bücher lesen«. Über das Verbot des Deutschen im ostjüdischen Chassidismus auf der Folie des innerjüdischen nationalen Identikationskonflikt. Veranschaulicht am Roman von Karl Emil Franzos „Der Pojaz“

Moderation: Hans-Joachim Hahn (Aachen)

Sarah Stoll (München): Auf der Suche nach seinem Leser. Leah Goldbergs “Avedot” als meta-literarischer Roman

Jan Kühne (Jerusalem): A Hebrew-German French Kiss. On the Problem of Bilingual Homonymy in German-Jewish Literature

Panel VIII
Moderation: Bettina Bannasch und Alfred Wildfeuer (Augsburg)

Carmen Reichert (Augsburg): Bobeloshn. Language Debates and Language in Yiddish Autobiographies of Women Writers

Stephan Braese (Aachen): „for a national home, but not for a Jewish state“– Mehrsprachigkeit und zionistische Staats-Skepsis im Spiegel einiger Zeugnisse Wolfgang Hildesheimers

Anmerkungen:
1 Aus der Rede von Yoysef Opatoshu in: Ershter alveltlekher yidisher kultur-kongres, Paris 17–21 September 1937. Stenografisher barikht. Paris 1937, S. 21–30, hier S. 30.
2 Ins Deutsche von Gundula Schiffer als Verluste. Antonia gewidmet (2016) übersetzt.


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Sprache(n) der Konferenz
Englisch, Deutsch
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