Außenbeziehungen und Erinnerung

Außenbeziehungen und Erinnerung

Organisatoren
AG Internationale Geschichte im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Friedrich Kießling / Caroline Rothauge, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte; Andreas N. Ludwig, Lehrstuhl für Internationale Beziehungen (alle Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)
Ort
Eichstätt
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.05.2019 - 17.05.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Christoph Teubner, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Mit dem Thema „Außenbeziehungen und Erinnerung“ griff die dritte Fachtagung der Arbeitsgruppe Internationale Geschichte im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands die unterschiedlichen Dimensionen der Erinnerungsforschung auf und setzte sie systematisch mit der Analyse von Außenbeziehungen in Verbindung. CAROLINE ROTHAUGE und ANDREAS N. LUDWIG (beide Eichstätt-Ingolstadt) stellten zu Beginn fünf relevante Aspekte des Themas heraus, um die Tagung inhaltlich zu leiten und im weiten Feld der Erinnerungsforschung zu verorten. Im Zentrum standen dabei die bisherige Integration kulturwissenschaftlicher Konzepte in Internationaler Geschichte und Internationalen Beziehungen, das Für und Wider einer interdisziplinären Perspektive und der strategische Gebrauch von Vergangenheit zur Legitimierung politischer Zwecke. Hinzu kamen der Einfluss von Erinnerungsprozessen auf kollektive Identitätsbildung inklusive der Fragen nach Aktualisierung und Historisierung vorangegangener Deutungen sowie nach der Pluralität verschiedener Lesarten und wissenschaftsphilosphische Aspekte von Vergangenheit. Die vier Panels der Tagung griffen diese Aspekte aus verschiedenen räumlichen und zeitlichen Perspektiven auf, illustrierten aber zugleich auch die Bandbreite der unterschiedlichen theoretisch-methodischen Zugriffe.

Panel A zur Außenpolitik in Memorialkulturen begann mit einem Beitrag von THOMAS FISCHER (Eichstätt-Ingolstadt) zur Erinnerung an die Monroe-Rede im Jahr 1923. Fischer arbeitete die Umdeutung der US-amerikanischen Interpretation der Monroe-Doktrin hin zu einer Legitimationsgrundlage für die Interventionspolitik der USA in Mittel- und Südamerika heraus, deren Kontrast zur Ursprungsbedeutung am Jahrestag 1923 besonders von lateinamerikanischen Ländern aufgegriffen wurde. Die herangezogenen Beispiele aus Panama, Uruguay und Brasilien illustrierten dabei die Instrumentalisierung und Neuinterpretation der panamerikanischen Erinnerung an die ursprüngliche Fassung der Monroe-Rede. Diese kontextgebundene Umdeutung einer historischen Rede zeigte nicht nur den strategischen Gebrauch von Erinnerungen in der zwischenstaatlichen Auseinandersetzung, sondern auch deren Einfluss auf Identitätsbildung und Selbstverortung der lateinamerikanischen Beispielländer.

SÖNKE KUNKEL (Berlin) zeigte, wie sich der US-amerikanische Präsident Richard Nixon mit seiner diplomatischen Reise nach China 1972 in einer Hochphase des Antikommunismus in den USA zu einem weltpolitischen Friedensmacher stilisierte. Nixons diplomatischer Besuch war medial rigoros durchgeplant worden, um ganz bewusst ikonische Bilder der Reise zu erzeugen. Neben der direkten Wirkung auf den US-amerikanischen Wahlkampf wurde „Nixon in China“ dabei auch zu einem Maßstab zukünftiger politischer Ereignisse oder Akteure der Chinapolitik und hielt Einzug in populäre Kontexte. Diesen Erfolg führte Kunkel auf zwei Aspekte zurück. Erstens erzeugte der Besuch aufgrund dieser medialen Aufbereitung einen Sensationseffekt und wurde breit rezipiert. Zweitens erzeugten die Handlungen des Präsidenten identitätsstiftende Momente im Sinne eines massenmedial vermittelten „Stellvertreterprinzips“. Neben dem strategischen Einsatz in Außen- und Innenpolitik nutzte Nixon dieses Bild vom Friedensmacher aber auch in der Auseinandersetzung um die kollektive Erinnerung an seine eigene Amtszeit und gegen die enge Verknüpfung seiner Person an die Watergate-Affäre.

TOBIAS HIRSCHMÜLLER (Eichstätt-Ingolstadt) untersuchte erinnerungskulturelle Wandlungsprozesse in Österreich-Ungarn am Beispiel des preußisch-deutschen Krieges 1866, der für die Zeit bis 1919 ein wichtiger erinnerungskultureller Anknüpfungspunkt in Österreich-Ungarn war. Auf der Basis von Quellen aus Politik und Presse präsentierte Hirschmüller eine Aufteilung in drei Phasen der Ausdeutung und erinnerungspolitischen Nutzung zwischen 1866 und 1919. Seine Analyse machte besonders zwei tagungsübergreifende Aspekte stark. Zum einen illustrierte er die Kontextgebundenheit erinnerungskultureller Wandlungsprozesse und deren Instrumentalisierung, zum anderen verwies er auf eine räumliche Differenzierung von Erinnerungen und ein Nebeneinander von lokalen, regionalen und übergeordneten Erinnerungspraktiken.

Das Panel schloss mit einem Beitrag von GÜNTHER KRONENBITTER (Augsburg), der sich der unterschiedlich starken Bezugnahme auf Ersten Weltkrieg und Wiener Kongress widmete und dabei Folgen der Popularisierung bestimmter Erinnerungsnarrative diskutierte. Er stellte mediale Wirkmechanismen heraus, denen zufolge der Erste Weltkrieg besser innerhalb der „Gesetze der Popkultur“ historisierbar sei als ein nur schwierig zu vermittelnder komplexer Friedensschluss. Anhand der Popularisierung von Christopher Clarks Die Schlafwandler1 problematisierte Kronenbitter das Verhältnis von Fachwissenschaft und populärer Beschäftigung mit Geschichte und Erinnerung. Grundlegend seien die fehlende Vernetzung und die damit ausbleibenden Synergieeffekte zwischen beiden Sphären. Kronenbitter leistete mit diesem Beitrag eine nötige fachwissenschaftliche Selbstverortung und Problematisierung der Rolle der Geschichtswissenschaft in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um historische Deutungsmuster.

Panel B über die Vergangenheit als außenpolitische Legitimationsressource begann mit einem Beitrag von JONAS KLEIN (Bonn) zu Antikerezeptionen als weltpolitischer Legitimationsgrundlage im Deutschen Kaiserreich. Er unterschied für die Ebene der Außenpolitik zwei Arten des Rückbezugs auf die Antike. Der politischen Elite attestierte er aufgrund von hauptsächlich sprachlichen Anleihen in Form von Lateinzitaten einen Antikebezug. Dieser Rückbezug fungierte als Zugehörigkeitsmerkmal einer bestimmten Bildungselite. Hinzu kam zweitens eine inhaltliche Auseinandersetzung verschiedener Akteure, die zeitgenössische Problemlagen mit antiken Beispielen verknüpften und abglichen. In dem Verlangen, am antiken Beispiel zu lernen, wurde besonders in der Auseinandersetzung um die Flottenpolitik nicht an handlungsleitenden Vergleichen gespart. Neben die ornamentale Nutzung zum Aufzeigen von Bildungs- und Standesgrenzen trat demnach die Funktionalisierung der antiken Vergangenheit als Legitimationsgrundlage eigenen Handelns.

CHRISTOPH KAMPMANN (Marburg) beschäftigte sich mit dem Westfälischen Frieden als Grundlage des Völkerrechts. Der Westfälische Friede wurde von europäischen Intellektuellen als paradigmatisches Fundamentalgesetz wahrgenommen. Die breite, grenzüberschreitende Rezeption in juristischer Fach- und Höhenkammliteratur zeigte dessen große Reichweite als Orientierungshilfe. Juristisch-praktisch fanden sich in anderen zeitgenössischen Friedensverträgen immer wieder Beschwörungen des Westfälischen Friedens als Grundlage und Voraussetzung für den zu schließenden Vertrag. Diese Popularität lässt sich auf drei Gründe zurückführen: Erstens sei der Westfälische Friede der erste Friedensschluss aus einem universalen Friedenskongress gewesen. Er unterlag zweitens als juristische Grundlage des Reiches einer europaweiten, an die Stellung des Reichs geknüpften Aufwertung. Drittens überformte die Wahrnehmung des Heiligen Römischen Reichs als Friedensmodell auch die Sicht auf den Friedensschluss als dessen Grundlage. Der Rückbezug der jeweiligen Zeitgenossen auf den Erfolg des Westfälischen Friedens illustrierte nicht nur die Funktionalisierung hin zu einer dauerhaften Legitimationsstrategie, sondern zeigte einen zeitgebundenen Mechanismus der Aktualisierung vergangener Deutungsmuster.

Ebenfalls am Westfälischen Frieden arbeitete sich das von ANUSCHKA TISCHER (Würzburg) in den Blick genommene Geschichtsbild der Nationalsozialisten ab. Sie zog dabei einen Vergleich zwischen Hitlers Geschichtsbild und historischen Darstellungen von Parteimitgliedern. Hitlers Bild der Geschichte als einer angewandten Wissenschaft und „Lehrmeisterin“ ließ ihm den Westfälischen Frieden und das daraus entstandene Völkerrecht als außenpolitisches Instrument französischer Unterdrückung erscheinen. Besonders gut sei dies an der Konzeption der Ausstellung „Deutschlands größte Schmach“ zu sehen. Uneinheitlicher blieben die Publikationen der Parteimitglieder, die in ihren populärwissenschaftlichen Überblickswerken zum Dreißigjährigen Krieg auch deutsche Schwächen anmahnten. Beide Deutungen des Westfälischen Friedens dienten in ihrer negativen Wendung dem nationalsozialistischen Revisionismus. Tischer und Kampmann zeigten damit am Beispiel des Westfälischen Friedens zwei wesentliche Perspektiven der Instrumentalisierung von Erinnerung, der kontextgebundenen Aktualisierung ihrer Deutungsmuster und der Frage nach Konkurrenz und Pluralität von Deutungsregimen.

ERIC SANGAR (Lille) schloss das Panel mit einem politikwissenschaftlichen Beitrag zur Fragmentierung staatlicher kollektiver Erinnerung und deren Folgen für die Außenpolitik. Er ging von der Grundannahme aus, dass dem deutschen auswärtigen Handeln seit 1990 ein einigendes strategisches Narrativ fehle. Hierbei hätten eine tendenziell pazifistisch ausgerichtete öffentliche Meinung, verfassungsrechtliche Beschränkungen und die Erinnerung an die deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs eine zwar militärisch zurückhaltende, multilateral ausgerichtete, aber letztlich strategisch ziellose Außenpolitik begünstigt. Sangar zeigte, wie die Fragmentierung kollektiver Erinnerung zum Rückgang an gesamtgesellschaftlichem Konsens bezüglich der außenpolitischen Ausrichtung der Bundesrepublik und zur Behinderung der Etablierung einer neuen „Grand Strategy“ führte. Damit beleuchtete er nicht nur die Mechanismen strategischer Instrumentalisierung von Erinnerung, sondern auch das Verhältnis von Erinnerungsprozessen, kollektiver Identitätsbildung und außenpolitischem Handeln.

Panel C über Außenbeziehungen und Erinnerungen im bi- und transnationalen Kontext eröffnete mit einem Beitrag von KARSTEN RUPPERT (Eichstätt-Ingolstadt) zur Wirkungsmacht von Geschichtsbildern am Beispiel des europäischen Philhellinismus. Die langandauernde Unterstützung der westeuropäischen Philhellenen für die griechischen Unabhängigkeitskämpfer hatte grundlegenden Anteil an der außenpolitischen Kehrtwende der europäischen Mächte hin zur Unterstützung der griechischen Unabhängigkeit. Das Engagement der Philhellenen fußte vor allem auf einer gefühlten historischen Verbundenheit und dem Bild Griechenlands als Wiege Europas. Der Philhellinismus muss nach Ruppert als eine äußerst erfolgreiche erste außenpolitische Bürgerbewegung gesehen werden, die Mechanismen kollektiver Identitätsbildung und Erinnerung politisch für ihre außenpolitischen Ziele nutzbar machte und damit zur griechischen Unabhängigkeit beitrug.

YVONNE BLOMANN (Eichstätt-Ingolstadt) blickte auf das Verhältnis von Diplomatie und Erinnerung in den deutsch-französischen Beziehungen. Bezugnahmen auf Vergangenheit hatten ihr zufolge Einfluss auf drei Bereiche: Sie konnten Anlass sein, sich zu treffen, Einfluss auf den Vollzug von Treffen nehmen und waren Grundlage für Deutungen des außenpolitischen Verhältnisses. Am Beispiel des Verdun-Besuchs von 1984 zeigte sich der Einfluss der mit dem Ort verbundenen Erinnerungen im Aushandlungsprozess des Vollzugs der Feierlichkeiten. Diese glückten aufgrund der Kooperation und Offenheit Mitterands und Kohls. In erinnerungskultureller Perspektive erzeugten die gemeinsamen Feierlichkeiten, besonders das Bild vom Händedruck, eine große Durchschlagskraft. Verdun 1984 war Auftaktgeber für weitere Gedenkveranstaltungen und nahm in erinnerungspolitischer Perspektive eine Vorbildfunktion ein.

KRISTIANE JANEKE (Berlin) brachte anschließend einen Beitrag aus der Praxis. Anhand des Erinnerungsortes Malyj Trotsenec in Weißrussland arbeitete sie die Pluralität an Perspektiven auf Vergangenheit und die zugehörigen politischen Konsequenzen deutlich heraus. Während die Frühphase nach der Aufnahme von Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Weißrussland noch von einem Gegensatz zwischen sowjetischem Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg und der deutschen Fixierung auf das Holocaust-Narrativ geprägt gewesen war, schliffen sich die Gegensätze mit dem Fortdauern der Beziehungen ab. Es sei ein genuin europäischer Erinnerungsort entstanden, der aber weiterhin von konkurrierenden Handlungsperspektiven und unterschiedlichen Deutungsangeboten geprägt sei. Janeke zeigte an diesem Beispiel der Gedenkstättenarbeit die wechselseitige Beeinflussung von Deutungsregimen und Aspekte der praktischen Ausgestaltung von Erinnerungen.

Mit einem Beitrag zu Geschichtsbezügen als außenpolitischer Argumentationsgrundlage leitete CHRISTIAN WENZEL (Marburg) das Panel D über außenpolitisches Entscheidungshandeln zwischen individuellem und kollektivem Erinnern ein. Er unterstrich, dass alle an der französischen Sukzessionskrise (1584-1593) Beteiligten massiv auf Vergangenheit rekurrierten, um ihre eigenen Ansprüche zu untermauern. Die Krise schien dadurch verhandel- und lösbar. Zentral war die Frage nach der „richtigen Lesart der Geschichte“ als Korrektiv und Legitimationsgrundlage für die politische Neuordnung durch die Zeitgenossen. Die omnipräsenten Geschichtsbezüge seien dabei auch als Sicherheits- und Stabilitätsargument zu verstehen, die über ihre diskursive Funktion Anteilnahme und damit übergreifende Legitimation für die Regelung der Erbfolge generieren sollten.

TILL KNOBLOCH (Chapel Hill) analysierte anhand dreier aus der Julikrise 1914 hervorgegangenen Traumata – Kriegsschuldfrage, Zweifrontenkrieg und Kriegserlebnis an sich – die Nutzung von Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg durch Hitler. Vergangenheit fungierte dabei als Argumentationssteinbruch zur Vorbereitung des Krieges mit der Maßgabe, aus den Fehlern der Julikrise „zu lernen“ oder diese anderweitig nutzbar zu machen. So versuchte Hitler durch den Hitler-Stalin-Pakt einen weiteren Zweifrontenkrieg zu verhindern, den er als entscheidend für die Niederlage im Ersten Weltkrieg ansah. Auch nutzte Hitler das Trauma der Kriegserlebnisse gezielt aus, um die Franzosen von erneuten Kampfhandlungen zu distanzieren. Hitlers Kriegswille überschreibt Deutungen der Julikrise ganz gezielt und war nicht Teil einer „shared memory“.

Mit der Frage nach außenpolitischem Entscheidungshandeln und erinnerungskulturellen Legitimationsstrategien schloss CHE-WAI CHANG (Göttingen) das Panel und die Tagung ab. Auf der Basis einer digitalen Methode wertete er die Kommunikation zwischen deutschen Diplomaten während der Mandschurei-Krise 1931 und ihre Memoiren aus. Hauptaugenmerk lag auf der Vernetzung und anhand einer Schlagwortanalyse auch auf der Einstellung zu den Konfliktparteien in der Mandschurei-Krise. Die stark miteinander vernetzten Diplomaten teilten sich in zwei Lager, deren unterschiedliche Haltung durch individuelle Rekurse auf Vergangenheit legitimiert wurde. Wie in den vorangegangenen Beiträgen zeigte sich auch hier die Offenheit erinnerungskultureller Deutungsprozesse. Das Panel illustrierte darüber hinaus anhand dreier unterschiedlicher Perspektiven die gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit von individuellem und kollektivem Erinnern.

In einer prominent besetzten Podiumsdiskussion zum Thema „Erkenntnisse aus fünf Jahren Gedenken an den Ersten Weltkrieg“ erörterten CHARLOTTE BÜHL-GRAMER (Erlangen-Nürnberg), MICHAEL EPKENHANS (Potsdam), DOMINIK GEPPERT (Potsdam) UND JÖRN LEONHARD (Freiburg) Fragen des Umgangs von Politik und Geschichtswissenschaft mit der Jubiläums- und Jahrestagskultur. Über die Auseinandersetzung von fachlichem Forschungsinteresse mit populären Deutungshierarchien und Medienlogiken sowie die Durchlässigkeit und Reichweite von wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn in breiterer Öffentlichkeit, führte die Diskussion bis zum Erinnern von Vergangenem in verschiedenen sozialen Gruppen. Unter der Moderation FRIEDRICH KIESSLINGs (Eichstädt-Ingolstadt), der die Beiträge der Tagung aufgriff und dabei einen perspektivenreichen Bogen von der Geschichtsdidaktik bis hin zur politischen Entscheidungsebene spannte, bot sich dem zahlreich erschienenen Publikum ein Einblick in die erinnerungspolitische Praxis.

Die Tagung machte die analytische Stärke erinnerungskultureller Fragestellungen für die Betrachtung von außenpolitischem Handeln, zwischenstaatlichen Beziehungen und deren beider Grundlagen sichtbar. In ihrer Bilanz der Tagung machten Friedrich Kießling, Caroline Rothauge und Andreas N. Ludwig noch einmal auf deren inhaltliche Leitlinien aufmerksam. Die Integration von kulturwissenschaftlichen Konzepten der Gedächtnisforschung in Internationaler Geschichte und Internationalen Beziehungen trat in allen Tagungsbeiträgen heraus. Hierbei reichte die Bandbreite von historiographischer Selbstreflexion bis hin zur Integration als weitere Analyseebene in klassischen außenpolitischen Fragestellungen. Daneben sei die interdisziplinäre Dimension besonders hinsichtlich der Internationalen Beziehungen, aber auch in Bezug auf die Begrifflichkeiten der Erinnerungsforschung und die unterschiedlichen ihr zugrundeliegenden wissenschaftsphilosophischen sowie theoretischen Ansätze weiter auszubauen. Besonders stark ließen sich Mechanismen der strategischen Nutzung und Funktionalisierung kollektiver Erinnerung im außenpolitischen Handeln ausmachen. Neben Fragen nach Reichweite, Adressatenbezug und Wirkmechanismen von Semantiken und Emotionalität im erinnerungskulturellen Diskurs kreisten viele Beiträge um Volatilität, Pluralismus und Dynamik von Erinnerung. Die Tagung rief darüber hinaus eine Vielzahl an Forschungsperspektiven zur weiteren Vertiefung auf: Abgesehen von Fragen der Inter- bzw. Transnationalisierung von Erinnerung und der genauen Bestimmung ihrer politischen Funktionalisierung blieben vor allem Fragen nach dem Verhältnis von Deutungsregimen und deren etwaiger Wandlungsprozesse, aber auch nach einer stärkeren Differenzierung des Ressourcenbegriffs in Bezug auf Geschichte noch unbeantwortet.

Konferenzübersicht:

Caroline Rothauge und Andreas N. Ludwig (beide Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): Einführung

Panel A: Außenpolitik in Memorialkulturen

Thomas Fischer (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): Die Erinnerung an die Monroe-Rede im Jahr 1923

Sönke Kunkel (Freie Universität Berlin): Nixon in China: Außenpolitik, Bilder und Erinnerung im Medienzeitalter

Tobias Hirschmüller (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): Vom „Bruderkrieg“ zur „Waffenbrüderschaft“. Der Deutsche Krieg von 1866 in der Erinnerungskultur von Österreich-Ungarn

Günther Kronenbitter (Universität Augsburg): Der große Frieden im Schatten des Großen Krieges – Erinnerung an 1814 und 1914

Panel B: Vergangenheit als außenpolitische Legitimationsressource

Jonas Klein (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn): Antikerezeption in der „Weltpolitik“ des Deutschen Kaiserreichs

Christoph Kampmann (Philipps-Universität Marburg): Der Westfälische Friede als „Grundverfassung des Völkerrechts“: Die Entstehung eines politischen Konzepts

Anuschka Tischer (Julius-Maximilians-Universität Würzburg): „Das deutsche Volk und sein Führer sind jetzt im Begriffe, den Dreißigjährigen Krieg zu gewinnen …“: Nationalsozialistische Geschichtsrezeption zwischen Instrumentalisierung, historischer Forschung und traditionellem Geschichtsbild

Eric Sangar (Sciences Po Lille): Die Fragmentation nationalstaatlicher narrative: Ein Erklärungsansatz für die Ambiguität deutscher Außenpolitik seit dem Ende des Kalten Krieges?

Podiumsdiskussion: 1914/19 – 2014/19: Erkenntnisse aus fünf Jahren Gedenken an den Ersten Weltkrieg

Charlotte Bühl-Gramer (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg), Michael Epkenhans (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam), Dominik Geppert (Universität Potsdam), Jörn Leonhard (Albert-Ludwigs-Uniuversität Freiburg)

Panel C: Außenbeziehungen und Erinnerungen im bi- und transnationalen Kontext

Karsten Ruppert (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): Die politische Wirkungsmacht von Geschichtsbildern und kulturellen Prägungen: der europäische Philhellinismus

Yvonne Blomann (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): Verdun 1984 – Diplomatie und Erinnerung in den deutsch-französischen Beziehungen der frühen 1980er Jahre

Kristiane Janeke (Tradicia History Service, Berlin/Moskau): Etappen der offiziellen deutsch-belarussischen Beziehungen im Spiegel der Entwicklung des Erinnerungsortes Malyj Trotsenec (1990-2018)

Panel D: Außenpolitisches Entscheidungshandeln zwischen individuellem und kollektivem Erinnern

Christian Wenzel (Philipps-Universität Marburg): Geschichte als Argument in den französisch-spanischen Außenbeziehungen während der französischen Sukzessionskrise (1584-1593)

Till Knobloch (University of North Carolina): Wahn und Wirklichkeit: Wie die Erinnerung an die Julikrise 1914 die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges beeinflusste

Che-Wai Chang (Georg-August-Universität Göttingen): „Ostasiatische Geschichte als Argument“ im außenpolitischen Entscheidungshandeln der deutschen Diplomaten während der Mandschurei-Krise

Friedrich Kießling, Caroline Rothauge und Andreas N. Ludwig (alle Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt): Abschluss

Anmerkung
1 Christopher Clark, The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914, London 2012.