Transformationsprozesse des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert

Transformationsprozesse des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert

Organisatoren
Prof. Dr. Klaus-Peter Johne / Dr. Udo Hartmann / Thomas Gerhardt
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.07.2005 - 10.07.2005
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Von
Thomas Gerhardt, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität

Die von der Fritz Thyssen Stiftung geförderte Tagung "Transformationsprozesse des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert und ihre Rezeption in der Neuzeit" am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin hatte sich die Untersuchung der tiefgreifenden Veränderungen zum Ziel gesetzt, denen in der Zeit von 235 bis 284 n. Chr. nahezu alle Bereiche der staatlichen Institutionen und der Gesellschaft des Römischen Reiches unterworfen waren. Der Charakter dieser Veränderungen wird kontrovers diskutiert: Eine eher traditionelle Richtung sieht darin vorwiegend Symptome von Niedergang und Verfall im Rahmen einer reichsweiten und umfassenden Krise, während neuere Ansätze allenfalls lokal und zeitlich begrenzte Krisen zugestehen wollen und auf Kontinuitäten verweisen sowie auf die Erprobung neuartiger Lösungsansätze für die vielfältigen Probleme des Reiches als Vorläufer der Reformen Diocletians. Ein Schwerpunkt der Tagung wurde auf die Rezeptionsgeschichte gelegt, um die historische Bedingtheit der angewandten Deutungsmodelle erfassen zu können. Hartwin Brandt (Bamberg) behandelte in seinem Einführungsvortrag "Facts and Fictions - Die Historia Augusta und das 3. Jahrhundert" Passagen dieses Geschichtswerkes, die auf Probleme des 3. Jahrhunderts Bezug nehmen, wie z. B. auf die häufigen Kaisererhebungen durch das Heer (Alex. 1, 6), Naturkatastrophen und Seuchen (Gall. 5, 2-5), Übergriffe der Soldaten auf die Zivilbevölkerung (Aurelian. 7, 5) und die Instabilität der Grenzzonen infolge des Verfalls der kaiserlichen Zentralgewalt (trig. tyr. 5, 5-6). Er nannte Beispiele für die Vermischung von Fakten und Fiktionen und unterstrich, dass für das 3. Jahrhundert nur durch Sekundärbelege gestützte Informationen aus der Historia Augusta glaubwürdig seien.

Die erste der beiden Hauptsektionen der Tagung war der Transformation des Reiches im 3. Jahrhundert gewidmet. Lukas de Blois (Nijmegen) eröffnete die erste Untersektion "Die politische Transformation" mit einem Vortrag über "The Onset of Crisis in the First Half of the Third Century AD". Darin kennzeichnete er die erste Jahrhunderthälfte als eine Periode von Spannungen, beginnender Krise und Veränderungen unter einer Oberfläche der Kontinuität. Eine beginnende Krise konstatierte er vor allem in Kriegsgebieten und deren Hinterland infolge von Übergriffen des Militärs, auf dem Gebiet der immer drückenderen Steuererhebung und der Liturgien, in der Währungspolitik (Münzverschlechterung) und bei der zunehmenden Besetzung führender Positionen mit Militärs. Zwei Vorträge von Ulrich Huttner (Dortmund) und Bruno Bleckmann (Düsseldorf) hatten die Herrschaft des Kaisers Decius zum Thema. Huttner deutete Ideologie und Praxis seiner Regierung mit Hilfe der Kategorien Traditionalismus und Totalitarismus. Traditionell seien etwa seine recusatio imperii, seine Anlehnung an Trajan und seine Bauaktivitäten in Rom gewesen, während sein Opferedikt und die Maßnahmen zu dessen Durchsetzung totalitäre Züge getragen hätten. In der Diskussion wurden Zweifel daran laut, ob die Übertragung des modernen Totalitarismusbegriffes auf antike Verhältnisse sinnvoll sei. Bleckmann erklärte das Opferedikt mit der Bürgerkriegssituation zu Beginn der Herrschaft des Decius. Angesichts der daraus resultierenden Legitimationsschwäche habe der Kaiser mit diesem Schritt die Loyalität der Eliten erzwingen wollen.

Michael P. Speidel (Honolulu) untersuchte die Nachricht von der eheähnlichen Verbindung des Gallienus mit der Marcomannenprinzessin Pipa und der Abtretung eines Teils von Pannonien an deren Vater (Epit. de Caes. 33, 1). Anhand von weiteren Quellen stellte er die im Anschluss kontrovers diskutierte These auf, dass Gallienus unter Vorwegnahme der Föderatenverträge des 4. Jahrhunderts Markomannen zum Zwecke der Grenzverteidigung auf Reichsboden angesiedelt habe. "Die illyrischen Kaiser als Herrscher neuen Typs" waren das Thema des Vortrags von Klaus-Peter Johne (Berlin). Er zeigte, dass Aurelius Victor mit seiner Bemerkung, mit Tacitus sei 275 ein Konsular zum Kaiser gewählt wurde, die Wandlungen des Kaisertums in dieser Zeit genauer als andere erfasst hat, da dies bis zur Jahrhundertmitte noch den Regelfall darstellte. Auch der Ausschluss der Senatoren vom Militärkommando und die Reflexionen über die erstarkende Macht der Truppen nach dem Tod des Probus finden sich nur bei diesem Geschichtsschreiber. Olivier Hekster (Nijmegen) stellte in seinem Vortrag "Kaiser gegen Kaiser - Bilder der Macht im 3. Jahrhundert" anhand der Münzprägung, vor allem des prozentualen Anteils von Münzen mit den Rückseitenlegenden AEQVITAS, PIETAS und VIRTVS, die unterschiedlichen Ansprüche der Kaiser und Usurpatoren dar und beleuchtete so den Transformationsprozess der Kaiserrepräsentation. Eine "Legitimationskonkurrenz" lasse sich vor allem zwischen Postumus und Gallienus zur Zeit des gallischen Teilreiches beobachten.

Die zweite Untersektion "Beispiele für Wandel und Kontinuität in den Regionen des Römischen Reiches" eröffnete Christian Witschel (München) mit einem Vortrag über "Die Situation im römischen Africa während des 3. Jahrhunderts". Er behandelte darin die Unruhen, die er als zeitlich und lokal begrenzt charakterisierte, den Aufbau einer neuen Grenzverteidigungsstrategie in Form regionaler Limites und das Städtewesen, das er als ungewöhnlich vital beschrieb. Zwar habe es in den Perioden 250-260 und 270-280 Einbrüche in der Bautätigkeit gegeben, ohne dass jedoch die Inschriften völlig aufhörten. Kai Ruffing (Marburg) beschäftigte sich mit den Städten in Ägypten und stellte die Frage, ob deren wirtschaftliche Prosperität im 3. Jahrhundert bis zur Inflation der 270er Jahre als Paradigma für das ganze Reich gelten könne. Die Papyrusarchive ließen für die Städte, die von den Wirrnissen der Zeitläufte nicht direkt in Mitleidenschaft gezogen wurden, keine wirtschaftliche oder allgemeine Krise erkennen. Ruffing wandte sich dagegen, diesen Befund als für das Reich nicht repräsentativen Sonderfall anzusehen.

Werner Oenbrink (Köln) untersuchte die Stadt Shahba/Philippopolis, den Herkunftsort des Philippus Arabs. Er erläuterte die Lage, Ausdehnung und Struktur der indigenen Vorgängersiedlung und zeichnete deren monumentale Ausgestaltung durch Philippus nach, die sich in Anlehnung an Formen der Militärarchitektur, aber auch an die einer Privatvilla vollzog. Den städtischen Geldprägungen widmete Johannes Nollé (München) seinen Vortrag. Er konstatierte für das 3. Jahrhundert eine Senkung der Produktionskosten durch Verschlechterung von Material und Ausführung der Münzen sowie eine Aufwertung gegenüber dem Reichsgeld durch Wertmarken, bevor die städtischen Geldprägungen dann als zu wenig gewinnträchtig und wegen des schwindenden euergetischen Engagements der Oberschichten ganz aufgegeben wurden. Nollé hielt in Bezug auf diese Erscheinungen den Begriff der Krise für gerechtfertigt, ohne dass damit ein allgemeiner Niedergang verbunden gewesen sei. Einem Aspekt der religiösen Transformation wandte sich Desmond Durkin-Meisterernst (Berlin) in seinem Vortrag über "Die manichäische Mission in Palmyra" zu. Er stellte die drei iranischsprachigen Quellen zur Mission nebeneinander und untersuchte ihr Verhältnis zueinander, den Grad ihrer hagiographischen Stilisierung und ihren historischen Wert.

Die zweite Hauptsektion der Tagung hatte die Rezeption der Soldatenkaiserzeit zum Thema. Zwei Vorträge waren Aspekten der Rezeption im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gewidmet. Andreas Goltz (Berlin) stellte die Rezeption des Kaisers Valerian dar. Er machte deutlich, dass ausschließlich Valerians Rolle als Christenverfolger und seine in der christlichen Tradition als Strafe dafür gedeutete Gefangennahme durch Shapur I. rezipiert wurden. Kathrin Schade (Berlin) untersuchte Renaissancezeichnungen verlorener stadtrömischer Monumentalbauten des 3. Jahrhunderts. Insbesondere die Zeichnungen der Decius-Thermen und des Sol-Tempels Aurelians seien für die archäologische Forschung von großem Wert, dokumentierten sie doch heute nicht mehr existente Befunde und relativierten zusammen mit den literarischen Quellen die Auffassung, zwischen den Severern und der Tetrarchie seien außer der Aurelianischen Stadtmauer keine nennenswerten Großbauten errichtet worden.

Die drei letzten Vorträge behandelten Grundprobleme der modernen Forschung zum 3. Jahrhundert. Thomas Gerhardt (Berlin) zeichnete die Geschichte des Begriffes "Krise" von seinem Gebrauch in der antiken Medizin und seiner Übertragung auf den gesellschaftlichen Bereich in der Neuzeit bis hin zur Anwendung als Epochenbezeichnung auf das 3. Jahrhundert durch Michael Rostovtzeff nach. Er sprach sich für die Praktikabilität des Begriffes zur Beschreibung von Phänomenen der Jahre 235 bis 284 aus. Matthäus Heil (Berlin) führte eine ähnliche Untersuchung für den Begriff "Soldatenkaiser" durch, der nach ersten Belegen vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhundert eine Konjunktur in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erlebte. Er schlug vor, "Soldatenkaiser" als einen verfassungsgeschichtlichen Typus zu verstehen: als einen Kaiser, der von den Soldaten an die Macht gebracht wurde und auf sie angewiesen blieb. In der Diskussion wurden Zweifel daran geäußert, ob sich ein so verstandenes Soldatenkaisertum deutlich genug vom übrigen Prinzipat unterscheide, um einen eigenen verfassungsgeschichtlichen Typus zu konstituieren. Monika Schuol (Berlin) schließlich behandelte in ihrem Vortrag das Thema "Die Würdigung der Soldatenkaiserzeit in der rechtsgeschichtlichen Forschung". Sie setzte sich mit den Beurteilungen der Gesetzgebung dieser Zeit als "frühnachklassisch", "epiklassisch" oder "quasiklassisch" auseinander und untersuchte die Frage, inwiefern die klassische Jurisprudenz damals noch von den Juristen der kaiserlichen Kanzlei weitergeführt wurde und ob in ihren Fallentscheidungen und im Umgang mit der klassischen Rechtsliteratur Reaktionen auf die Krisenphänomene feststellbar sind.

In den Diskussionen der Tagungsteilnehmer kristallisierte sich heraus, dass der Begriff der Transformation überwiegend als geeignete Kategorie zur Beschreibung der Phänomene des 3. Jahrhunderts angesehen wird. Auch der Begriff der Krise ist nach Ansicht der meisten Teilnehmer weiterhin verwendbar, wenn dabei regional und zeitlich differenziert wird. Die traditionelle Auffassung von einer alle Lebensbereiche erfassenden Reichskrise ist hingegen zu verwerfen. Die Vorträge lieferten Beispiele für eine Vielzahl von Veränderungen vor allem auf den Ebenen des Kaisertums, der Städte und der Religion. Die dabei beschriebenen Zustände reichten von krisenhaften Erscheinungen auf verschiedensten Gebieten bis hin zu Kontinuität und Prosperität. In den Vorträgen zur Rezeptionsgeschichte wurden die Herausbildung des heutigen Bildes vom 3. Jahrhundert an Beispielen demonstriert und Schlüsselbegriffe der modernen Forschung problematisiert und schärfer konturiert. Die Tagungsbeiträge sollen 2006 in einem Band mit dem Titel Deleto paene imperio Romano veröffentlicht werden.


Redaktion
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