Die "Achse" im Krieg. Politik, Ideologie und Kriegführung 1939-1945

Die "Achse" im Krieg. Politik, Ideologie und Kriegführung 1939-1945

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut in Rom; Institut für Zeitgeschichte (München - Berlin); Istituto Nazionale per la Storia del movimento di Liberazione in Italia (Mailand)
Ort
Rom
Land
Italy
Vom - Bis
13.04.2005 - 15.04.2005
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Von
Malte König, Universität Köln

"Ein Kreuz mit unseren Bundesgenossen! Was soll das noch werden.", notierte Joseph Goebbels im Dezember 1940 in sein Tagebuch 1. Zeitgleich vermerkte ein General des italienischen Oberkommandos: "Wir haben uns in eine Lage gebracht, in der uns - ob nun Sieger oder Besiegte - irgendwer am Ende seinen Fuß ins Genick setzen wird" 2. Mythos und Realität des deutsch-italienischen Achsenbündnisses klafften radikal auseinander. "Was die europäische Linke als ein planvolles, bis in die Einzelzüge aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel zwischen den beiden Faschismen empfand", so Jens Petersen, "und was nach der Selbstinterpretation der beiden Regime ein Handeln aus naturgegebener Solidarität darstellte, erwies sich in Wirklichkeit als ein vielfach durch Mißtrauen, Unkenntnis und absichtliches Verschweigen bestimmtes Nebeneinander" 3.

"Die ‚Achse' im Krieg. Politik, Ideologie und Kriegführung 1939-1945" lautete das Thema einer Tagung, die das Deutsche Historische Institut in Rom und das Institut für Zeitgeschichte (München - Berlin) gemeinsam mit dem Istituto Nazionale per la Storia del movimento di Liberazione in Italia (Mailand) im April 2005 veranstaltete. Ziel dieser von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell unterstützten Konferenz war es, den Stand der Forschung zu bilanzieren, aktuell laufende Projekte vorzustellen und neue Themenfelder zu erschließen, um Anspruch, Möglichkeit und Realität des deutsch-italienischen Bündnisses auszuloten und zu vergleichen. In vier Sektionen kamen arrivierte Forscher ebenso zu Wort wie jüngere Kolleginnen und Kollegen, die in 24 Referaten ihre jüngsten Forschungsansätze, -methoden und -resultate umrissen, um sich dann der Diskussion zu stellen.
Eröffnet und eingeleitet wurde die Konferenz von den Leitern der veranstaltenden Institute, Michael Matheus und Horst Möller. Die Moderation der einzelnen Sektionen übernahmen Jens Petersen, Giorgio Rochat, MacGregor Knox und Wolfgang Schieder.

Die Motive, die zum Achsenbündnis führten, der Vergleich der inneren Struktur der Regime in Sozialpolitik, Regimeorganisation und Wirtschaftskraft standen im Zentrum der ersten Sektion ebenso wie die militärische und rüstungswirtschaftliche Zusammenarbeit. Überzeugend hob dabei Hans Woller (München) hervor, wie vorwiegend machtpolitische Erwägungen die beiden Regime ursprünglich zusammengeführt hatten und erst ab 1936 die ideologische Komponente in der Koalition an Bedeutung gewann und dann zunehmend mit Leben gefüllt wurde. In beiden Staaten konstatierte Christof Dipper (Darmstadt) Modernisierungsimpulse, mit welchen Faschismus und Nationalsozialismus den politischen und sozialen Zerrüttungen, die ihren Aufstieg begünstigt hatten, zu begegnen versucht hätten. Einen wirklichen Umbruch der Sozialstruktur habe es in keinem der beiden Staaten gegeben, doch im Vergleich zeige sich, daß das Deutsche Reich z.B. weitaus weniger frauen- und armenfeindlich aufgetreten sei und daß es letztlich eine Massenarmut zu verhindern gewußt habe. Jürgen Förster (Freiburg) und Alessandro Massignani (Valdagno) skizzierten die Probleme der gemeinsamen Kriegführung und führten sie auf eine Konkurrenzhaltung der Verbündeten zurück. Während MacGregor Knox (London) unterstrich, wie aufgrund struktureller Unterschiede das Band zwischen Hitler und der Wehrmacht fester und enger geschmiedet war als das zwischen dem "Duce" und den italienischen Streitkräften, führte Brunello Mantelli (Turin) aus, wie Italien schrittweise in eine wirtschaftliche Abhängigkeit zum Deutschen Reich geriet - ein Prozeß, der seiner Ansicht nach schon 1934 das weitere Schicksal Italiens besiegelte.

Die zweite Sektion richtete ihr Augenmerk auf den "Traum vom Imperium" und die strategischen Ziele und ideologischen Dispositionen in Italien und Deutschland. Nach einer Fallstudie von Pier Paolo Battistelli (Foligno), welcher die Entscheidungsfindung Mussolinis vor dem Angriff auf Griechenland analysierte, trat in den Referaten von Michele Sarfatti (Mailand) und Ruth Nattermann (Rom) vor allem der italienische Antisemitismus in den Vordergrund und bestimmte die folgende Diskussion. So legte Sarfatti überzeugend dar, wie die antijüdischen Gesetze von 1938 entgegen den gängigen Thesen (vgl. v.a.: Renzo De Felice) aus einem eigenständigen Reifungsprozeß entstanden und nicht etwa unter dem Einfluß des deutschen Verbündeten. Ähnlich relativierte Nattermann die Annahme, Italiener hätten in Kroatien die Auslieferung von Juden aus humanitären Gründen verschleppt; tatsächlich hätten ebensogut machtpolitische Beweggründe für diese Entscheidung gesprochen. Gegen die weit verbreitete Vorstellung vom "guten Italiener" ging letztlich auch die Untersuchung von Davide Rodogno (Paris) an, der italienische Herrschaftsentwürfe zur anvisierten "Neuordnung" des Mittelmeerraumes analysierte und dabei wiederkehrend eine Abstufung in Zivilisationsgrad und rassischer Rangstufe konstatierte - stets mit den Italienern an der Spitze. Während Dieter Pohl (München) daraufhin den Platz skizzierte, den die Partner Rumänien, Ungarn, Bulgarien, Kroatien und die Slowakei in der Großraumpolitik der "Achse" einnahmen, veranschaulichte Gianluigi Gatti (Turin) die Rolle, welche den Camicie Nere im Zweiten Weltkrieg zukam. Als eigenständige Institution neben Polizei, Carabinieri, Partei und Heer hätten die Schwarzhemden zwar symbolisch und politisch als bewaffneter Arm des Faschismus gewirkt, sich im Kriege selbst aber vornehmlich durch operative Nutzlosigkeit, schädliche Rivalität zum Heer und hohe Unterhaltskosten ausgezeichnet.

Der Kriegführung und der Besatzungsherrschaft der beiden Regime in Afrika, Südosteuropa und der UdSSR widmete sich die dritte Sektion. Nach dem Eingangsreferat von Nicola Labanca (Siena) zum Abessinienkrieg lag der Schwerpunkt dabei deutlich auf den Besatzungsgebieten im Balkan. So unterzog Rolf Wörsdörfer (Darmstadt) die deutsche und italienische Besatzungsherrschaft in Slowenien einem Vergleich; die Frage der Grenzziehung, die Minderheiten- und Bevölkerungspolitik, die Partisanenbekämpfung und der Umgang mit Kollaborateuren wurden en détail analysiert, gefolgt von dem Schluß, daß in der deutschen Zone ein radikaler Bruch mit der Vergangenheit früh vollzogen wurde, während in der italienischen eine kumulative Radikalisierung der Besatzungspolitik stattfand. H. James Burgwyn (Philadelphia) ergänzte diese Aussage, indem er herausstellte, wie bereits italienintern die faschistischen Kommissare, die 2. Armee und das Außenministerium eine unterschiedliche Politik bezüglich der jugoslawischen Gebiete verfolgten und sich die Position der Militärs letztlich durchsetzte. Mit der deutsch-italienischen Zusammenarbeit in Griechenland und Jugoslawien beschäftigten sich Lidia Santarelli (Rom) und Klaus Schmider (Sandhurst); letzterer stellte anhand einer Untersuchung verschiedener militärischer Operationen dar, daß das Versagen der Verbündeten keineswegs vornehmlich den Italienern anzulasten sei, wie es die deutsche Erinnerungsliteratur suggeriere. In mindestens der Hälfte der Fälle läge die Verantwortung vielmehr bei den Deutschen. Der kollektiven Erinnerung an den Einsatz des italienischen Heeres im Rußlandfeldzug wandte sich Thomas Schlemmer (Rom) zu und widerlegte das von der Memoirenliteratur geprägte Geschichtsbild: in Wirklichkeit sei sich die italienische Führung der deutschen Vernichtungsmaßnahmen an der Ostfront nicht nur bewußt gewesen, sondern die italienischen Kontingente hätten auch aktiv daran teilgenommen. Die Mentalität der faschistischen Soldaten sei weit deutlicher von antibolschewistischen, rassistischen und antisemitischen Parolen geformt worden als gemeinhin angenommen.

Thema der vierten Sektion waren die Beziehungen zwischen dem Dritten Reich und der Repubblica Sociale Italiana. Die ambivalente Position der wiedereingesetzten faschistischen Regierung hob Dianella Gagliani (Bologna) hervor, indem sie die Frage "Diktat oder Konsens?" in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung stellte und den angeblichen "Opfergang" Mussolinis in Zweifel zog. Die RSI habe eigenständige Ziele verfolgt, von einem deutschen Diktat könne keine Rede sein, diese Formel habe lediglich der Verschleierung der eigenen Verantwortung gedient, lautete die Schlußfolgerung der Referentin. Der polizeilichen Kollaboration zwischen den beiden Staaten widmeten sich die Vorträge von Lutz Klinkhammer (Rom) und Amedeo Osti Guerrazzi (Rom). Während Klinkhammer die institutionellen Rahmenbedingungen skizzierte und darlegte, wie das Entgegenkommen der faschistischen Behörden das Ausmaß der Razzien, Deportationen und die Radikalisierung der Repressionsmaßnahmen erst ermöglichte, schlüsselte Osti Guerrazzi die Kategorien der Kollaborateure am Beispiel der Stadt Rom auf, indem er zwischen den bewaffneten Kräften der RSI, der Gruppe der professionellen, aber unabhängigen Zuarbeiter und den Gelegenheitsdenunzianten unterschied. Nach einigen quellenkritische Bemerkungen von Gustavo Corni (Trient) zu den Feldpostbriefen deutscher und italienischer Soldaten, widmete sich Renato Moro (Rom) dann der Haltung der italienischen Katholiken im Kriege und zeigte, daß die vorliegenden, sich widersprechenden Interpretationen v.a. aus einer undifferenzierten Herangehensweise resultierten, in der Kurie, Kirchenhierarchie und einfache Katholiken nicht auseinandergehalten würden. Welche Ergebnisse eine differenzierte Methodik liefern kann, vermochte Carlo Gentile (Köln) zu demonstrieren, welcher die deutsche Bekämpfung des italienischen Widerstands detailliert untersuchte und dem es gelang, das Bild einer monolithisch wirkenden Masse "deutscher Soldaten" aufzulösen und zu individualisieren.

Den Abschluß der gelungenen Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion über Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in Italien und Deutschland. Unter dem Vorsitz des ehemaligen italienischen Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro debattierten Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Gianni Perona, Paolo Pezzino, Gian Enrico Rusconi und Wolfgang Schieder über kollektive Erinnerung, Vergessen und nationale Identitätsbildung.

Ingesamt betrachtet kann man die Zusammenstellung der Themen und Referenten als durchweg fruchtbar bezeichnen. Vielfältig waren die Perspektiven, aus denen das Zusammenspiel der "Achse" im Krieg durchleuchtet und analysiert wurde. Daß trotzdem Fragen offenblieben, ist unvermeidlich. Gerne hätte man mehr über die wehrwirtschaftliche Kooperation in den Kriegsjahren erfahren oder die Frage weiterdiskutiert, ob im Kriegsgeschehen selbst nun machtpolitische oder ideologische Faktoren die "Achse" zusammenhielten und welche Rolle den beiden Diktatoren dabei zukam. Die Schwerpunkte der Konferenz lagen jedoch woanders. So beschäftigten sich auffällig viele Vorträge mit dem Stereotyp des "guten Italieners", indem sie es auf verschiedenen Ebenen hinterfragten. Angesichts der Tatsache, daß der deutsche Antisemitismus und Rassismus lange Zeit als Unterscheidungsmerkmal zwischen Nationalsozialismus und Faschismus herhalten mußte, ist dies ein bemerkenswerter Trend der Forschung. Umgekehrt wurde gegen das von deutscher Erinnerungsliteratur kolportierte Klischee angegangen, der italienische Verbündete sei für zahlreiche Niederlagen allein verantwortlich gewesen. Das Bemühen, einseitige Bilder der Vergangenheit in Frage zu stellen und mit einer differenzierteren Methodik präzisere Deutungen des Geschehens zu erarbeiten, prägte den Großteil der Vorträge und somit die Konferenz. Die dabei gewonnenen, bisweilen überraschenden Einsichten zeigen, daß die Geschichtsschreibung auch sechzig Jahre nach Kriegsende noch keine Schlußpunkte setzen darf und daß es sich im Gegenteil lohnt, scheinbar beantwortete Fragen wiederaufzugreifen.

Anmerkungen:
1 Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil I: "Aufzeichnungen 1923-1941", hrsg. v. Elke Fröhlich, Bd. IX, München 1998, S. 53 - 15.12.1940.
2 Quirino Armellini, Diario di guerra. Nove mesi al comando supremo (1940/41), Mailand 1946, S. 170 - 25.11.1940.
3 Jens Petersen, "Die Stunde der Entscheidung. Das faschistische Italien zwischen Mittelmeerimperium und neutralistischem Niedergang", in: Kriegsausbruch 1939. Beteiligte, Betroffene, Neutrale, hrsg. v. Helmut Altrichter/Josef Becker, München 1989, S. 134.


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