Urbane Erinnerungskulturen: Berlin und Buenos Aires

Urbane Erinnerungskulturen: Berlin und Buenos Aires

Organisatoren
Ibero-Amerikanisches Institut PK und Europäische Akademie Berlin unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, und des Regierungschefs der Stadt Buenos Aires, Dr. Aníbal Ibarra, in Zusammenarbeit mit der Heinrich Böll-Stiftung, der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin, der Gedenkstätte Hohenschönhau-sen, der Stiftung Aufarbeitung, dem Haus der Wannsee-Konferenz und der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.06.2005 - 23.06.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Estela Schindel, Berlin; Jessica Zeller

Die Frage nach dem Umgang mit der Geschichte im urbanen Raum wird gegenwärtig anhand diktatorischer Erfahrungen nicht nur im deutschen oder europäischen Raum, sondern auch in ferneren Kontexten wie Lateinamerika gestellt. So verschieden historische Geschehnisse wie der Nationalsozialismus, die DDR und die jüngste argentinische Diktatur (1976-1983) sind, werfen sie ähnliche Fragen auf, was deren Einschreibung in die Stadt angeht. Das vom Ibero-Amerikanischen Institut und der Europäischen Akademie Berlin in Kooperation mit mehreren Berliner Institutionen 1 organisierte Internationale Symposium hat es sich zum Ziel gesetzt, eine Plattform des gegenseitigen Kennenlernens zwischen Experten und Akteuren der Partnerstädte Berlin und Buenos Aires anzubieten. Absicht der Veranstaltung war, jenseits der nationalen, historischen und geographischen Unterschiede, Gedanken und Erfahrungen auszutauschen, sowohl was die technischen und institutionellen Aspekte angeht, als auch hinsichtlich der Forschung und der akademischen Reflexion.

Der Eröffnungsvortrag der Architektin Susana Torre (Universität Yale) im Berliner Rathaus diente insbesondere dem Zweck, das Publikum in die internationale Diskussion zu Erinnerung im urbanen Raum in einer allgemeinen, internationalen, Perspektive einzuführen. Torre analysierte anhand der Kategorien Ort, Zweck und Repräsentation die Art und Weise, wie Gedenkstrukturen konfliktbehaftete Erinnerungen in die Stadt effektiv einschreiben können. Als problematisch dabei zeichnete sie sowohl die Gefahr einer „Spektakularisierung“ der Denkmäler und Gedenkstätten, die diese in eine Art von „thematischen Parks“ verwandele wie auch das Entstehen einer „Transnationalisierung der Erinnerung“, welche die nationalen Einzigartigkeiten auszulöschen drohe.

Beim ersten Panel am nächsten Tag stellten Bernd Faulenbach (Universität Bochum) und Sandra Carreras (Ibero-Amerikanisches Institut) die Erinnerungskulturen Deutschlands und Argentiniens vor. Deutschland, so Faulenbach, zeichne sich durch eine besonders entwickelte und vielschichtige Erinnerungskultur aus, in deren Zentrum das „negative Gedächtnis“ und hierbei die NS-Herrschaft stünden. Mit einem Überblick über die Geschichte, die Institutionen und die Debatten der Vergangenheitspolitik von 1945 bis heute verlieh Faulenbach seinen Thesen zwar Plausibilität, gleichzeitig geriet er jedoch in den Zugzwang „alles und jeden“ erwähnen zu müssen. Sandra Carreras widmete sich ihrerseits der Konstituierung des kollektiven Gedächtnis im Laufe der Nationenwerdung des Einwanderungslands Argentinien. Eckpfeiler diesbezüglich markierten der Kult hinsichtlich „nationaler Symbole“ wie auch die staatliche Schule. Carreras betonte die Wechselbeziehung bzw. Überlappung zwischen verschiedenen kollektiven Erinnerungen. So stehe der Peronismus beispielhaft für eine unterdrückte und trotzdem erfolgreich übermittelte Tradition.

Im darauffolgenden Panel ging es um die Verortung dieser Erinnerungskulturen an konkreten Orten. Für Gabi Dolff-Bönekämper (TU Berlin) ist Erinnerung stets an den Prozess des Lernens gekoppelt und gerade die Wege, dessen was als Wissen in die Erinnerung hineinfließe und was nicht, sowie der „Streitwert“ der Auseinandersetzung, seien entscheidend für die jeweilige Erinnerungskultur. Gabriele Camphausen (BstU) und Marcelo Castillo (Staatssekretariat für Menschenrechte der Stadt Buenos Aires) präsentierten im Anschluss eine Visualisierung ausgewählter Erinnerungsorte in Berlin und Buenos Aires. Camphausen schlug eine Typologie der Berliner Erinnerungslandschaft vor, die der durch Pluralität und Dezentralität entstehenden Gefahr von „Eigendynamik und Wildwuchs“ entgegenwirken solle. Castillo erläuterte zunächst die grundlegenden Charakteristika der letzten argentinischen Diktatur, um anschließend dortige Erinnerungsorte darzustellen. Da die militärische Repression in Buenos Aires sich auf Verdrängung und Unsichtbarmachen gestützt habe, gehe es nun vor allem darum, das Versteckte und Vergessene wieder sichtbar und öffentlich zu machen. Beispielhaft dafür seien die archäologischen Ausgrabungsarbeiten im ehemaligen Folter- und Gefangenenzentrum „Club Atletico“, das jahrelang unter einer Autobahn verschüttet lag.

Welche Bedeutung hat der Ort des Geschehens für die Erinnerung und den Umgang mit der Vergangenheit? Unter dieser Leitfrage versammelten sich die anschließenden vier Vorträge. Cecilia Ayerdi (Staatssekretariat für Menschenrechte der Stadt Buenos Aires) schilderte den Umgang mit den ehemaligen geheimen Folterzentren. Da die Archive der Militärs immer noch unzugänglich sind und die Justiz die Verbrechen der Diktatur nicht ausreichend untersucht hat, behielten diese Orte einen zusätzlichen Wert als Quellen historischer Information und juristischen Beweises. Zeugnis sollten sie aber laut Ayerdi nicht nur von Menschenrechtsverletzungen ablegen, sondern auch über deren historischen und politischen Kontext. Hubertus Knabe betonte in seinem Vortrag über die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen die „Opferdimension“, Maria Nooke schilderte die Erfahrungen des Vereins Berliner Mauer und Andreas Nachama berichtete (leider nur über einen eingereichten Text) schließlich über die Gedenkstätte „Topographie des Terrors“. In allen Vorträgen, wie auch in der darauffolgenden Diskussion wurde deutlich, mit welchen Herausforderungen die „authentischen Orte“ es zu tun haben: Wer bestimmt die Interpretation solcher Orte? Genügt es, den Ort zu zeigen und die Grausamkeiten zu beschildern, um bewusste Erinnerung herzustellen? Wie kann man eine „Faszination des Schreckens“ vermeiden?

Im darauffolgenden Panel wurden die ästhetischen Auseinandersetzungen mit der Erinnerung erörtert. Auf einer eher philosophischen Ebene fragte Horacio Gonzalez (Universität Buenos Aires) nach den Möglichkeiten der Kunst, den ursprünglichen „Schrei“ des Schreckens wiederzugeben, wobei die starke Tendenz zur Abstraktion ein Risiko darstelle. Katharina Kaiser (Kulturamt Schöneberg-Tempelhof) betonte in ihren Überlegungen zu Erzählung und Kunst, dass es in Deutschland nicht um die eigenen Toten, sondern um die von der eigenen Bevölkerung entfremdeten und ermordeten Opfer gehe, was einen wichtigen Unterschied zum Fall Argentiniens markiere. Ana Longoni (Universität Buenos Aires) widmete sich ihrerseits dem Siluetazo, einer Kunstinitiative aus dem Jahr 1983, bei der großformatige Plakate mit leeren Silhouetten als Darstellung für die abwesenden „Verschwundenen“ im öffentlichen Raum der argentinischen Hauptstadt installiert wurden. Die von drei Künstlern initiierte und von zahlreichen anonymen Bürgern fortgesetzte Aktion nahm die Referentin als Ausgangspunkt dafür, die Frage nach den Grenzen zwischen Kunst und Politik, individuellem und kollektivem Werk zu stellen. Anschließend stellten die Künstler Ronald klein Tank, Horst Hoheisel und Diana Aisenberg ihre Werke vor, die sich mit so unterschiedlichen Themen wie der Spurensuche der Berliner Mauer, der Frage nach dem Sinn von Denkmälern und dem Versuch, die radikale Abwesenheit der „Verschwundenen“ wieder anwesend zu machen, beschäftigen. Bei allen drei Werken zeigt sich die Rolle, die gegenwärtig Künstler bei der Dokumentation historischer Geschehnisse spielen können.

Im ersten Panel des zweiten Tages wurden die offiziellen, zentralen Gedenkorte thematisiert. Die Kunsthistorikerin Stephanie Endlich stellte nicht nur das Berliner Mahnmal vor, sondern auch die davon ausgelösten Diskussionen, welche mittlerweile fast selbst zur Geschichte geworden zu sein scheinen. Im Anschluss referierte Hugo Vezzetti (Universität Buenos Aires) über den im Entstehen begriffenen „Park der Erinnerung“ in Buenos Aires. Vezzetti schilderte kritisch die Prozesse und Konflikte, die die Entwicklung dieses Denkmals für die Opfer staatlicher Gewalt begleitet haben. Mangel an Interesse seitens großer Teile der Bevölkerung und wenig Dialog zwischen den Initiatoren und anderen Akteuren trügen dazu bei, dass keine „gesellschaftliche Konstruktion“ die materielle Errichtung des Denkmals begleite. In beiden Referaten stellten sich parallele Fragen: Wer soll ein Denkmal errichten und für wen? Inwieweit gelingt es, mit abstrakten Formen der Darstellung zeitgeschichtliches Wissen zu vermitteln? Erste Bilanzen des Mahnmals für Berlin wurden in der anschließenden Diskussion gezogen, wonach es keine „Konkurrenz“ mit anderen Berliner Gedenkorten darstelle, sondern vielmehr das Interesse daran aktiviere, so Rainer Klemke (Referat für Gedenkstätten im Berliner Kultursenat) und Elke Gryglewski (Haus der Wannsee Konferenz).

Im nächsten Panel ging es um das Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure und deren Zusammenarbeit mit dem Staat. Zunächst sprach Miquel D´Agostino, Überlebender des geheimen Folterzentrums „Club Atlético“, darüber, wie die Opfer der Diktatur Argentiniens zu Akteuren im Umgang mit der Vergangenheit in der Gegenwart wurden und ihre Initiative zur Errichtung eines städtischen Erinnerungsortes beitrug. Im Anschluss berichtete der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck von der Arbeit der „Koalition gegen Straflosigkeit in Argentinien“. Im Zuge der dort bis vor kurzem gültigen Amnestiegesetze, wurden Verfahren gegen hohe argentinische Militärs vor deutschen Gerichten angestrengt und auf diesem Weg auch die deutsche Öffentlichkeit über die damaligen Verbrechen informiert. Birgit Salomon (BstU) und Bernt Roder (Museum Prenzlauer Berg) legten beide ihren Fokus auf zivilgesellschaftliches Engagement bei der Aufarbeitung politischer Verfolgung in der DDR. Während Salomon darüber informierte, wie zunächst Bürgerinitiativen die Aktenvernichtung durch den Staatsicherheitsdienst verhinderten und anschließend auf ihren Druck das Stasi-Unterlagen-Gesetz zustande kam, thematisierte Bernt Roder die Anstrengungen von Bürgern, Nachbarn und ehemaligen Häftlingen des Stadtbezirks Prenzlauer Berg, die Geschichte eines Haftkellers der Sowjetischen Besatzungszone zu rekonstruieren. Umstritten blieb in der anschließenden Diskussion die Bewertung des DDR-Regimes, während es Konsens darüber gab, Bedeutung und Methoden polizeilicher Institutionen jenseits diktatorischer Kontexte zu analysieren.

Beim letzten Panel wurden Beispiele „performativer Erinnerung“ aus Berlin und Buenos Aires vorgestellt, denen nicht an einer fest verorteten Form des Gedenkens gelegen ist, sondern es als bewegte, veränderbare Praxis begreift. Bedeutendstes Beispiel hierfür sind in Argentinien die „Mütter der Plaza de Mayo“, die zum Gedenken an ihre verschwundenen Kinder wöchentlich vor dem Regierungssitz demonstrieren. Enriqueta Maroni, die zu ihren Begründerinnen gehört, berichtete von der Entstehungsgeschichte der Bewegung und wie dadurch „Schmerz in Aktion verwandelt wurde“. Estela Schindel (FU Berlin) knüpfte ihren Vortrag an dieses Vermächtnis an, um weitere Praxen der Erinnerung in Argentinien zu erörtern, wie die von Kinder von „Verschwundenen“ entwickelten escraches, bei denen die Häuser von Verbrechern der Diktatur öffentlich markiert werden. Zwischen den „festen“ und den „aktiven“ Formen der Erinnerung gebe es aber keine widersprüchliche, sondern eine ergänzende, dynamische Spannung. Anders als in Argentinien ist hierzulande zumindest was die performative Erinnerung an den Nationalsozialismus betrifft, die „bewegte Praxis“ fast ausschließlich engagierten Bürgern, nicht jedoch unmittelbar betroffenen Personen überlassen. Wie trotzdem ein Verständnis und eine Empathie hinsichtlich des Geschehens hervorgerufen werden kann, beschrieb Beatrix Lehmann anhand der multimedialen Gedenkstätte „Widerstand in Neukölln“, die zeigt, wie lokale Erinnerung interaktiv gestaltet werden und für zukünftige Interpretationen offen bleiben kann. Im Anschluss daran berichtete Angelika Mayer vom „Verein Aktives Museum“ über die Arbeit dieser Gruppe, die in Verbindung zur „Topographie des Terrors“ entstanden ist und sich als „Museum ohne Haus“ versteht.

Die von Barbara Göbel (Ibero-Amerikanisches Institut) geleitete Podiumsdiskussion hatte die Absicht, erste Auswertungen zu ermöglichen. Ist zwischen den Erinnerungskulturen beider Städte ein Vergleich möglich? Wo und wie ist ein wechselseitiges Lernen möglich? Wie können weitere Städte und Akteure von der Diskussion profitieren? Teilgenommen haben Cecilia Ayerdi, Elke Gryglewski, Rainer Klemke und Andrea Pagni (Universität Rostock). Große Unterschiede zwischen beiden Erinnerungskulturen und deren strukturellen Rahmenbedingungen seien in der größeren staatlichen Unterstützung und dem besseren Zugang zu Archiven in Deutschland festzustellen. Jenseits von Gemeinsamkeiten und Unterschieden wurde die Herausforderung betont, dass die Erinnerungsarbeit breitere Sektoren der Gesellschaft erreiche. Fehler der deutschen Erfahrung, wie etwa eine übertriebene „Betroffenheitspädogogik“, die statt erfolgreich abschreckend gewirkt habe, sollten in Argentinien, so Gryglewski, vermieden werden. Wie „graue“ Zonen der Diktaturen in das Narrativ der Gedenkstätten mit einzubeziehen sind, wurde ebenfalls thematisiert. Hervorgehoben wurde zum Schluss, dass die Erinnerungskulturen beider Städte zu vergleichen durchaus sinnvoll sei, so Pagni, da beim Vergleich neue Kenntnisse hervorgebracht würden. Auch wenn in jeder Stadt „parallel“ und für sich selbst diskutiert werde, solle der Dialog (auch zwischen Süd-Süd Ländern) gefördert werden.

Die Bilanz der Tagung ist sehr positiv. Unter den Teilnehmern beider Hauptstädte ist ein großes Interesse an der Erinnerungsarbeit der jeweiligen Partnerstadt festzustellen. Es ist davon auszugehen, dass sowohl interinstitutionelle Zusammenarbeit als auch Kontakte zwischen einzelnen Personen und Gruppen in Buenos Aires und Berlin weiter intensiviert werden. Neben einer schriftlichen Dokumentation der Tagung durch die Veranstalter soll eine Fortsetzung des Dialogs im Frühjahr 2006 in Buenos Aires stattfinden.

Anmerkungen:
1 Die Veranstaltung fand im Berliner Rathaus und in der Europäischen Akademie Berlin unter der Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, und des Regierungschefs der Stadt Buenos Aires, Dr. Aníbal Ibarra, statt. Partnerinstitutionen waren die Heinrich Böll-Stiftung, die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin, die Gedenkstätte Hohenschönhausen, die Stiftung Aufarbeitung, das Haus der Wannsee-Konferenz und die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Das Konzept und die akademische Koordination des Symposiums lag bei Estela Schindel. Das zweisprachige Programm steht unter: http://www.iai.spk-berlin.de/inst/sym/indexd.htm.


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