16. Kolloquium zur Polizeigeschichte

16. Kolloquium zur Polizeigeschichte

Organisatoren
Dr. Carsten Dams, Klaus Dönecke, Thomas Köhler, M.A.
Ort
Düsseldorf
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.06.2005 - 02.07.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Michael Sturm, Lehreinheit Geschichtsdidaktik, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Zum ersten Mal, seitdem das Kolloquium zur Polizeigeschichte vor 16 Jahren von Herbert Reinke und Alf Lüdtke initiiert worden war, fand die Tagung in den Räumen einer Polizeibehörde statt: Das Polizeipräsidium Düsseldorf hatte für die dreitägige Veranstaltung einen Sitzungssaal zur Verfügung gestellt. Als Organisatoren fungierten die beiden Historiker Carsten Dams (Münster), Thomas Köhler (Düsseldorf) sowie der Polizeihauptkommissar Klaus Dönecke, Sachgebietsleiter Polizeigeschichte im Polizeipräsidium Düsseldorf. Alle drei sind zugleich Mitarbeiter des vom nordrhein-westfälischen Innenministerium geförderten und vom Polizeipräsidium Düsseldorf getragenen Forschungsprojekts "Dienst am Volk? Düsseldorfer Polizisten im Spannungsfeld der Umbrüche 1919-1949".

Dieses Projekt, von dem noch die Rede sein wird, sowie die Unterstützung, die das institutionell nicht angebundene Kolloquium erstmals von polizeilicher Seite erfuhr, verweisen auf eine zunehmende Aufgeschlossenheit innerhalb der Polizeibehörden, sich kritisch mit der eigenen Geschichte - vor allem während der Zeit des Nationalsozialismus - auseinander zu setzen. Diese Entwicklung ist relativ neu. Bis zur Mitte der 1990er Jahre dominierte hier eine oftmals bieder-apologetische Hausgeschichtsschreibung, die die düstersten Kapitel der deutschen Polizeigeschichte entweder vollkommen ausklammerte oder stark beschönigte. Nicht verwunderlich erscheint es daher, dass auch der Kontakt zur behördenunabhängigen, potentiell kritischen Geschichtswissenschaft kaum gesucht wurde. Eine Ausnahme bildete lediglich die Deutsche Gesellschaft für Polizeigeschichte (die auch das diesjährige Kolloquium finanziell unterstützte) mit der von Michael Haunschild herausgegebenen Zeitschrift "Archiv für Polizeigeschichte", die seit 1990 als kommunikatives Scharnier zwischen den unterschiedlichen Akteuren im weiten Feld der Polizeigeschichte fungierte. Im institutionellen Rahmen forcierten erst das Buch Christopher Brownings1 über die Mordaktionen der "ganz normalen Männer" des Hamburger Reservepolizeibataillons 101, die Goldhagendebatte und nicht zuletzt die Kontroversen um die so genannte Wehrmachtsausstellung einen allmählichen, von generationellen Umbrüchen flankierten Bewusstseinswandel in der Polizei selbst. Dieses neue Geschichtsbewusstsein findet seinen praktischen Ausdruck in teilweise ambitionierten Ausstellungs- und Publikationsprojekten, die durch enge Kooperationen zwischen den jeweiligen Polizeibehörden und polizeiexternen Historikern bzw. Forschungs- und Bildungsträgern gekennzeichnet sind.2 Vor diesem Hintergrund sind somit auch Ort und organisatorischer Rahmen des diesjährigen Kolloquiums zur Polizeigeschichte zu sehen. Freilich ist einschränkend festzustellen, dass die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Institution innerhalb der Polizei, trotz der skizzierten Entwicklungen weiterhin (noch) kein verbreitetes Phänomen ist.

Ein Schwerpunkt des diesjährigen Kolloquiums zur Polizeigeschichte lag auf der Präsentation noch laufender oder bereits abgeschlossener Forschungsprojekte mit vorwiegend lokal- bzw. regionalgeschichtlichen Perspektiven.

Die politischen und polizeilichen Verhältnisse im Land Oldenburg während der 1920er und 1930er Jahre standen im Zentrum der Beiträge von Gerhard Wiechmann (Oldenburg) und Christoph Spieker (Münster). Wiechmann gab einen Überblick über die Organisationsgeschichte der Oldenburger Ordnungspolizei und schilderte deren Auseinandersetzungen vor allem mit Aktivisten der KPD. Dabei wurde deutlich, dass die bürgerkriegsähnlichen Konfrontationen in den Metropolen, wie etwa der Hamburger Aufstand im Oktober 1923, auch Auswirkungen auf die Konflikte in der Provinz hatten.

Einen biografiegeschichtlichen Ansatz verfolgte Christoph Spieker. Er zeichnete den Werdegang Heinrich Lankenaus nach, der während des Zweiten Weltkrieges u.a als Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) im Wehrkreis VI (der v.a. das Rheinland und Westfalen umfasste) amtierte. Spieker beschrieb Lankenau als einen "politischen Grenzgänger" mit enormer Anpassungsfähigkeit. Nach dem Ersten Weltkrieg war der vormalige Verbindungsstudent und Freikorpsaktivist am Aufbau der Polizei im Land Oldenburg beteiligt, die sich zunächst zur Weimarer Demokratie bekannte. Im Jahr 1932 hingegen erwies sich Lankenau als Protagonist einer frühen Nazifizierung der Oldenburger Polizei, indem er im Auftrag des nationalsozialistischen Ministerpräsidenten Carl Röver, den versuch unternahm, auf Landesebene die SA als Hilfspolizei zu institutionalisieren.

Kollektivbiografische Zugänge auf lokaler Ebene soll hingegen das eingangs bereits erwähnte Projekt "Dienst am Volk?" eröffnen, das Carsten Dams und Thomas Köhler vorstellten. Dessen Kernstück bildet ein Personalkarteikartenbestand der Düsseldorfer Polizei, der ca. 4200 Beamte umfasst, die zwischen 1919 und 1949 im Bereich des Polizeipräsidiums Düsseldorf beschäftigt waren. Die Erfassung dieses Bestandes in einer Datenbank soll empirisch abgesicherte Aussagen ermöglichen über Sozialprofile, berufliche Werdegänge, generationelle Prägungen und politisch-weltanschauliche Orientierungen Düsseldorfer Polizisten, die ihren Dienst in Zeiten nachhaltiger politischer Umbrüche versahen. Im Anschluss daran ist danach zu fragen, welche Auswirkungen die jeweiligen Zäsuren auf die Mentalitäten, Wahrnehmungen und Handlungsmuster der Beamten hatten. Vorgesehen sind daher 13 Einzeluntersuchungen, die in einem Sammelband veröffentlicht werden sollen.
Zwei dieser Detailstudien stellten Andreas Kühn (Düsseldorf) und Daniel Schmidt (Münster) vor.

Kühn widmete sich in seinem Beitrag den teilweise äußerst gewalttätig verlaufenden Konfrontationen zwischen der Polizei und rheinischen Separatisten während der französisch-belgischen Besatzungszeit im Jahr 1923. Die Beobachtung, dass die Polizei in ihren Kompetenzen und Handlungsspielräumen durch das Besatzungsregime, das oftmals für die Separatisten Partei ergriff, in nicht unerheblichen Maße eingeschränkt war, machte sie temporär "vom Jäger zum Gejagten". Dennoch trug auch die Polizei zu einer Brutalisierung der Auseinandersetzungen bei. In Zeiten einer ubiquitären Verrohung der politischen Sitten, begann die Staatsmacht in Situationen, in denen sich die Gelegenheit bot, ihre vermeintliche Ohnmacht durch massiven Gewalteinsatz zu kompensieren, wie etwa beim "Düsseldorfer Blutsonntag" im September 1923.

Schmidt befasste sich in seinem Vortrag mit der Geschichte der Landespolizeiinspektion West. Diese Behörde war im Jahr 1932 geschaffen und in Düsseldorf angesiedelt worden. Ihre Aufgabe sollte darin bestehen, im Falle größerer Unruhen an Rhein und Ruhr, die polizeilichen Einsätze zu koordinieren. Die LPI stieß zunächst auf den Argwohn der Regierungspräsidenten, befürchteten diese doch Kompetenzverluste. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gewann die Einrichtung jedoch an Bedeutung. Geführt von militärisch sozialisierten Polizeioffizieren, fungierte die Behörde nunmehr als eine Art Relaisstation zwischen dem Reichsinnenministerium und der Polizeiverwaltung vor Ort. Die LPI forcierte die Militarisierung der Polizeikräfte und sorgte letztendlich, so Schmidt, für die "Abwicklung" der Schutzpolizei der Weimarer Republik.

Unter dem Titel: "Geschichte der Bezirksregierung Düsseldorf 1916-1955. Eine Schnittstelle zwischen Verwaltung und Politik", stellte Bernd -A. Rusinek (Freiburg) ein weiteres umfassendes regionalgeschichtliches Forschungsprojekt in seinen Grundzügen vor. Angestrebt ist, die Geschichte des Behördenalltags über vier Jahrzehnte und einschneidende politisch-gesellschaftliche Zäsuren hinweg zu rekonstruieren. Dabei sollen nicht nur die unterschiedlichen historischen Geschehnisse sowie deren behördliche Be- bzw. Verarbeitung beschrieben werden. Vielmehr wird es nicht zuletzt darum gehen, mit vergleichenden Fragestellungen Kontinuitäten und Brüche zwischen den jeweiligen politischen Umbrüchen zu skizzieren: Wie wurden etwa die beiden Nachkriegszeiten von den Mitarbeitern der Bezirksregierung erlebt? Welche Erfahrungen, Konflikte, aber auch Kooperationsmöglichkeiten gab es zwischen den deutschen Verwaltungsbeamten und der französisch-belgischen bzw. britischen Besatzungsmacht? Das Projekt unterteilt sich in drei Einzelstudien, die durch die "großen" politischen Zäsuren - Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Wiederaufbau und Gründung der Bundesrepublik - voneinander abgegrenzt sind.

Frank Sparing (Düsseldorf) präsentierte in seinem Referat "Verwaltungspolizei und Verfolgung 1933-1945. Das Beispiel Düsseldorf" einen Ausschnitt seiner Untersuchung über die Bezirksregierung in der Zeit des Nationalsozialismus. Für die Verwaltungspolizei (die erst nach 1945 in die Kommunalverwaltung eingegliedert wurde) brachte die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 zunächst kaum einschneidende Veränderungen. Zu beobachten war jedoch die Bereitschaft, den neuen Machthabern eigeninitiativ zuzuarbeiten. So ging etwa die Gewerbepolizei daran, angeblichen Homosexuellenkneipen die Konzessionen zu entziehen. Ebenso mussten Homosexuelle und Kommunisten mit Führerscheinentzug rechnen. Darüber hinaus war die Verwaltungspolizei von Beginn an maßgeblich an der Ausgrenzung und Stigmatisierung der jüdischen Bürger beteiligt. Insgesamt, resümiert Sparing, lassen sich die verwaltungspolizeilichen Tätigkeiten weniger als "vorauseilender Gehorsam", sondern vielmehr als "beispielgebende Maßnahmen" im Sinne des Regimes charakterisieren.

Christina Strick (Düsseldorf), die in ihrer Detailstudie die Arbeit der Bezirksregierung in den Jahren zwischen 1945 und 1955 in den Blick nimmt, stellte in ihrem Vortrag die "Unterbringung der ‚131'er durch die Bezirksregierung Düsseldorf" dar. Mit Grundgesetzartikel 131 wurde seit 1951 die Wiedereinstellung von Beamten des Öffentlichen Dienstes geregelt, die nach dem 8. Mai 1945 ihren Posten verloren hatten. Die Richtlinie mindestens 20 Prozent ihrer Planstellen mit so genannten 131ern zu besetzen, stellte Einrichtungen wie die Bezirksregierung Düsseldorf vor erhebliche Schwierigkeiten. Die Bearbeitung einer Flut von Wiedereinstellungsanträgen stellte sich, so Strick, als "behördlicher Horror" dar. Bei den Sachbearbeitern war diese Tätigkeit entsprechend unbeliebt. Schon bald rekrutierte sich ein großer Teil der zuständigen Beamten aus dem Heer der ‚131'er selbst.

Ein abgeschlossenes Projekt konnte Stefan Goch (Gelsenkirchen) in Form eines voluminösen Sammelbandes zur "Sozialgeschichte der Polizei in Gelsenkirchen" präsentieren.3 Goch erinnerte daran, dass seit jeher auch die Polizei Teil der städtischen Gesellschaft gewesen sei. Die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse im Zuge der sich seit dem 19. Jahrhundert vollziehenden Urbanisierung hatten demnach auch Auswirkungen auf die polizeilichen Praktiken im städtischen Zusammenhang. Die unterschiedlichen Facetten dieser Interaktionsverhältnisse in den Jahrzehnten zwischen dem Kaiserreich und der Bundesrepublik nachzuzeichnen war die Intention des seit Sommer 2001 forcierten Projektes, das als geradezu idealtypisches Beispiel für die eingangs genannten Annäherungen zwischen Geschichtswissenschaft und Polizei gelten kann.

Mit den sich wandelnden Formen städtischer Ordnung, befasste sich auch Gesa Helms (Glasgow) in ihrem Referat, über "Politik und Praxis kommunaler Ordnungsdienste in Großbritannien". Am Beispiel der Stadt Glasgow schilderte sie die Reorganisation der Polizeiarbeit auf lokaler Ebene im Zuge der Etablierung neoliberaler Staats- und Verwaltungskonzepte durch die Labour-Regierung. So führte der partielle Rückzug des Staates zum Wiederaufgreifen von Ordnungsaufgaben durch die Stadtverwaltungen, die nunmehr mit uniformierten Kräften im öffentlichen Raum patrouillieren. Den Ordnungsdiensten kommt eine doppelte Funktion zu: Zum einen sollen sie allein durch ihre Präsenz Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verhindern; zum anderen hofft man, dass sich die Mitarbeiter der Ordnungsdienste, oftmals Langzeitarbeitslose, durch ihre Tätigkeit gewissermaßen selbst erziehen. Die angestrebte Disziplinierung ist demnach sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet.

Insgesamt lieferten einige der lokal- und regionalgeschichtlich fokussierten Beiträge aufschlussreiche Erkenntnisse hinsichtlich der Bedeutung von Emotionen sowie der Erfahrung von erlebter wie praktizierter Gewalt für polizeiliche Handlungsmuster vor Ort (Kühn). Ferner verdeutlichte der Blick auf lokale Strukturen und Interaktionsverhältnisse die bemerkenswert hohe Bereitschaft der traditionellen Verwaltungsbehörden, sich ohne Zwang in den Dienst des NS-Regimes zu stellen (Sparing, Schmidt). Man darf gespannt sein, ob es den jeweiligen Projekten insgesamt gelingen wird, ihre teilweise ambitionierten methodischen Ansprüche (kollektivbiografische, generationen- und alltagsgeschichtliche Fragestellungen) umzusetzen und somit "klassische" struktur- und verwaltungsgeschichtliche Ansätze hinter sich zu lassen.

Nicht zuletzt im Hinblick auf innovative Ansätze und Fragestellungen erwiesen sich auch (oder gerade) einige Vorträge mit überregionalen sowie explizit methodisch orientierten Perspektiven als sehr anregend.

Dies trifft vor allem für den Beitrag von Christoph Rass (Aachen) zu, der das von der DFG geförderte und vom Lehr- und Forschungsgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte der RWTH Aachen getragene Projekt "Überregionale Erschließung personenbezogener Quellen zu Angehörigen der bewaffneten Formationen des ‚Dritten Reichs'" vorstellte. Ziel ist es, institutionell und räumlich voneinander getrennt archivierte personenbezogene Massendaten von Wehrmachtssoldaten und Angehörigen der Waffen-SS stichprobenartig in einer relationalen Datenbank zusammenzufassen. Konkret handelt es sich dabei um Bestände aus drei Archiven: die in der Bundesarchiv-Zentralnachweisstelle in Aachen-Kornelimünster gelagerten Wehrstammbücher, die Erkennungsmarkenverzeichnisse und Verlustunterlagen der Wehrmacht, die bei der Deutschen Dienststelle in Berlin gesammelt wurden, sowie die Vermisstenbildliste und die Heimkehrerkartei, des Suchdienst des Roten Kreuzes in München. Rass betonte, dass eine zusammenführende Erschließung dieser Bestände eine sozialhistorische Datenbasis für das Personal von Wehrmacht und Waffen-SS in bisher nicht erreichter Dichte ermöglicht, die der Forschung in Form einer elektronischen Quellenedition zur Verfügung gestellt werden kann. Dass man sich die Erschließung ähnlicher Datenbestände auch für die Mannschaften und Offiziere der Polizeibataillone wünschen würde liegt auf der Hand.

Unter dem Titel "Frivole Schüsse" setzte sich Dagmar Ellerbrock (Bielefeld) mit dem privaten Waffenbesitz in Deutschland und den Bemühungen um dessen Einschränkung zwischen 1809 und 2002 auseinander. Die Entwicklung des Waffenrechts fungiert für Ellerbrock als "Sonde", um gesellschaftliche, kulturelle und mentale Transformationsprozesse zu erfassen. So gingen die Initiativen den Besitz von Waffen zu regulieren in der Regel von gesellschaftlichen Gruppen und weniger vom Staat aus. War die private Bewaffnung noch im 19. Jahrhundert Kernbestandteil hegemonialer Männlichkeitsentwürfe, begannen sich seit der Jahrhundertwende allmählich andere Konzepte von Männlichkeit durchzusetzen, in denen der Waffenbesitz an Bedeutung verlor. Waffenrechtliche Diskurse und Praxen waren demnach, wie Ellerbrock hervorhob, "hochgradig symbolisch kodiert und unmittelbar an geschlechtliche, soziale und politische Relationen gebunden."

Standen in Ellerbrocks Vortrag kulturelle Umbrüche über einen Zeitraum von annähernd 200 Jahren im Mittelpunkt, beschäftigten sich Elisabeth Thalhofer und Tobias Wunschik (Berlin) (Saarbrücken) mit unterschiedlichen Aspekten polizeilicher Praktiken in Diktaturen. Thalhofer machte in ihrem Referat auf die bislang kaum erforschten "erweiterten Polizeigefängnisse" in der Zeit des Nationalsozialismus aufmerksam: Seit dem Frühjahr 1943 begannen die regionalen Dienststellen der Gestapo parallel zu den ihr bereits unterstehenden "Arbeitserziehungslagern" zusätzliche Lager einzurichten. Einweisungen in diese so genannten Erweiterten Polizeigefängnisse erfolgten vollkommen willkürlich und ohne jeden bürokratischen Aufwand. Die Zahl der "Verfolger" stieg in diesem Zusammenhang ebenso wie die Zahl der Verfolgten. So wurden die Wachmannschaften der Lager z.T. über das Arbeitsamt rekrutiert. Die "erweiterten Polizeigefängnisse" stellten, wie Thalhofer resümierte, eine neue Stufe in einem "eigendynamischen Radikalisierungsprozess" des nationalsozialistischen Verfolgungsapparates dar, der im Laufe des Zweiten Weltkrieges zunehmend zerfaserte und sich einer zentralen Steuerung entzog.

Dieses für polizeistaatliche Systeme oftmals charakteristische Nebeneinander unterschiedlicher Repressionsorgane rückte Wunschik ins Zentrum seines Vortrages, in dem er sich mit dem Verhältnis zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und der Volkspolizei (VP) in der DDR auseinander setzte. Offiziell sollten MfS und VP gewissermaßen "Hand in Hand" die Sicherheit im Arbeiter- und Bauernstaat gewährleisten. Tatsächlich nahm jedoch das MfS eine Vorrangstellung gegenüber dem Innenministerium und somit gegenüber der VP ein, was zu erheblichen Spannungen auf unterschiedlichen administrativen Ebenen und regelrechten Verteilungskämpfen führen sollte. Während innerhalb der Volkspolizei hinter vorgehaltener Hand der elitäre Führungsanspruch des MfS kritisiert wurde, hegte wiederum die Staatssicherheit Vorbehalte gegenüber Teilen der VP. Dieses Misstrauen führte sogar dazu, dass vor allem Teile der Kriminalpolizei von Mitarbeitern des MfS überwacht und regelrecht unterwandert wurden.

Die sich wandelnden Formen und Inhalte der historisch-politischen Bildung innerhalb der bundesdeutschen Polizei in den rund zwei Jahrzehnten "zwischen den Alliierten und der APO" skizzierte Alfons Kenkmann (Leipzig). Im Kontext des Kalten Krieges dominierten in der Polizeiausbildung tendenziell militärische Inhalte, die auf die Bewältigung potentieller Bürgerkriegsszenarien zielten. Auch der geistige Horizont, die Habitusformen und Erfahrungswelten der an den Polizeischulen tätigen Lehrer waren überwiegend militärisch geprägt. Dementsprechend wurde der polizeiliche Staatskundeunterricht von Lehrgangsteilnehmern oftmals als formalistisch empfunden. Kenkmann betonte, dass es zunächst vor allem ursprünglich nicht aus dem Polizeiberuf stammende "Quereinsteiger" waren, die mit neuen didaktischen Konzepten wie etwa dem "teamteaching" die polizeiliche Ausbildung zu reformieren versuchten.

Die polizeigeschichtliche Forschung hat sich in den letzten 15 Jahren sowohl thematisch als auch methodisch erheblich ausdifferenziert. Diesen Eindruck bestätigte nicht zuletzt das diesjährige Kolloquium zur Polizeigeschichte. Dominierten in Deutschland, anders als etwa im angloamerikanischen Raum lange Zeit eher konventionelle, oftmals wenig inspirierende, lediglich an der Darstellung behördlicher Strukturen, rechtshistorischer Entwicklungen und ereignisgeschichtlicher Abläufe orientierte politik-, verwaltungs- und organisationsgeschichtliche Ansätze, so haben mittlerweile alltags- geschlechter- und kulturgeschichtliche Fragestellungen die sozialen Praktiken des Polizierens stärker in den Blick genommen. Herbert Reinke (Berlin) und Klaus Weinhauer (Bielefeld) möchten nun den verdienstvollen Versuch unternehmen, die Entwicklungen, die die polizeigeschichtliche Forschung in den letzten eineinhalb Jahrzehnten genommen hat, in einer "Gesamtdarstellung der Geschichte der deutschen Polizei im 19. und 20. Jahrhundert" zu bilanzieren und Perspektiven einer künftigen Polizeigeschichtsschreibung zu diskutieren. In ihrem Publikationsprojekt, das sie im Rahmen des Kolloquiums vorstellten, wollen sich Reinke und Weinhauer vor allem an drei leitenden Fragestellungen orientieren. Erstens: Was war über die Jahrhunderte und unterschiedlichen politischen Systeme hinweg eigentlich unter dem Begriff "staatliches Gewaltmonopol" zu verstehen, als dessen Repräsentantin die Polizei gemeinhin in Erscheinung trat? Zweitens: Welche Vorstellungen und Ansprüche knüpften sich jeweils an das Auftreten der Polizei? Welchen Selbst- und Leitbildern folgten wiederum die Handlungsmuster von Polizisten? Drittens: Wie und in welchem (gewerkschaftlichen) Rahmen vertraten Polizeibeamten ihre Interessen gegenüber dem Staat und der Öffentlichkeit?

Über diese und andere Fragen - so ist zu hoffen - wird auch in künftigen Kolloquien zur Polizeigeschichte weiter diskutiert werden. Als anregend erweist sich hierfür nach wie vor die angenehme kollegiale Atmosphäre des Kolloquiums, das auch (und besonders) jüngeren Historikern die Möglichkeit bietet, Forschungsprojekte und -ergebnisse einer wissenschaftlichen Öffentlichkeit zu präsentieren, wie dies auch in Düsseldorf der Fall war. Zu begrüßen ist ferner, dass sich das Kolloquium nicht ausschließlich an ein eng begrenztes Fachpublikum, sondern grundsätzlich an alle polizeigeschichtlich Interessierten richtet. Nicht zuletzt diese Offenheit ist es, die zum interdisziplinären und multiperspektivischen Charakter der Tagung beiträgt. Kritisch ist allerdings einzuwenden, dass sich zumindest in diesem Jahr die Beiträge fast ausschließlich auf Aspekte der deutschen Polizeigeschichte konzentrierten. Eine künftig stärkere Einbeziehung vergleichender inter- bzw. transnationaler Fragestellungen wäre daher wünschenswert.

Anmerkungen:
1 Vgl. Christopher R. Browning: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die "Endlösung" in Polen, Reinbek 1993.
2 Vgl. Harald Buhlan/Werner Jung (Hg.): Wessen Freund und wessen Helfer? Die Kölner Polizei im Nationalsozialismus, Köln 2000.
3 Stefan Goch (Hg.): Städtische Gesellschaft und Polizei. Beiträge zur Sozialgeschichte der Polizei in Gelsenkirchen, Essen 2005.


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