Europeanisation & History: Concepts, Conflicts, Cohesion

Europeanisation & History: Concepts, Conflicts, Cohesion

Organisatoren
Kiran Klaus Patel und Christoph Jahr, Humboldt-Universität zu Berlin; Henning Grunwald, Freie Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.05.2005 - 31.05.2005
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Von
Marc Schalenberg, Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

Diese Konferenz, gefördert von der Fritz-Thyssen-Stiftung und durchgeführt in den Räumlichkeiten des Berliner Büros der DFG am Gendarmenmarkt, brachte Historiker aus Oxford und Berlin zu einem informellen, aber intensiven Gedankenaustausch zum Thema "Europäisierung" zusammen. Der von den Veranstaltern (Kiran Klaus Patel und Christoph Jahr, beide HU Berlin, sowie Henning Grunwald, FU Berlin) anvisierte Workshop-Charakter konnte in den lebhaften Diskussionen, für die dank einer bei den Impulsreferaten unerbittlich rückwärts laufenden Stoppuhr ausreichend Zeit blieb, produktiv umgesetzt werden. Robert J. Evans, Regius Professor of Modern History in Oxford, bemerkte im Rahmen der von Hartmut Kaelble (HU Berlin) moderierten, themenverwandten DFG-"Evening debate" zwischen Ute Frevert (Yale/Berlin) und ihm selbst, wie beiläufig und mit feiner Ironie, die Tatsache, daß man sich (nicht nur) bei dieser Konferenz des Englischen bediene, sei allein auf die heutige Rolle der U.S.A. zurückzuführen.

Dies brachte den Tenor der Diskussionen insofern auf den Punkt, als insgesamt Einigkeit darüber bestand, eine neue Meistererzählung, eine "Treitschkean history of Europe" oder gar das Einschwenken auf eine von Brüssel und Straßburg betriebene "identity industry of Europe" (Sebastian Conrad, FU Berlin) sei ein gänzlich ungeeigneter Weg. Nicht um teleologische Betrachtungsweisen könne es gehen, sondern um eine chronologisch, geographisch und nach Gegenstandsbereichen differenzierende, kritische Untersuchung dessen, was "Europa" jeweils ausmachte und seinerseits vorantrieb. Wie schwierig, aber auch wie lohnend die Bemühungen sein können, die Thematik inhaltlich und methodisch in den Griff zu bekommen, wurde immer wieder deutlich, wobei die einzelnen Vorträge und die diversen Systematisierungsversuche hier nicht in Gänze aufzuführen sind.

Die Einladung der Veranstalter, sowohl Faktoren von "cohesion" als auch von "conflicts" Beachtung zu schenken, wurde von Kiran Klaus Patel dahingehend spezifiziert, daß Europa als "main point of reference" untersucht werden sollte, sei es auf der Ebene von "action" oder "attention" und ungeachtet einer womöglichen "discrepancy between the focus of action and the focus of attention". Grundsätzlich wurde zudem eine Differenzierung zwischen "Europe in our minds or in the minds of the people we are looking at" (Jessica Irons, Christ Church College) angemahnt. Neben einer derart begriffsgeschichtlich und quellentechnisch abstützbaren Geschichte der Europäisierung, wie sie etwa auch von Stephan Malinowski (FU Berlin), Christoph Jahr und Marc Schalenberg zu bedenken gegeben wurde, kreisten die Diskussionen vor allem um die vier Aspekte Periodisierung, (geographische) Grenzen, Themenfelder und Alternativbegriffe.

1) Daß ein Prozeßbegriff wie der gewählte der Periodisierung bedarf, ist offenkundig. Einigkeit bestand in der Ansicht, daß man sich keinen Gefallen damit täte, von einer linear und quantitativ fortschreitenden Europäisierung auszugehen, sondern daß gerade das Wechselspiel aus zunehmender und abflauender Integration einen für Historiker reizvollen Gegenstand darstellt. Kündigte Henning Grunwald in seiner Einführung einen Fokus auf dem 20. Jahrhundert an, so wurde dieser mit Gewinn nach hinten geweitet. Robert Evans spannte den Bogen seiner "Eurothreads" zurück bis zur Renaissance, Jürgen Kocka (WZB/FU Berlin) in seiner Musterung der "Zivilgesellschaft" als Untersuchungsgegenstand vergleichender Geschichtsschreibung bis in die Aufklärung, José Harris (St. Catherine's College) und Christoph Jahr bis ins frühe und Sebastian Conrad (FU Berlin) bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Es mag heuristisch empfehlenswert sein, sich sowohl auf einen umgrenzten Untersuchungszeitraum zu einigen und sich zugleich des langen Vorlaufs der Thematik bewußt zu bleiben. Selbst der Prozeßbegriff "Europäisierung" schien einigen Teilnehmern indes noch zu einseitig, so daß der Alternativvorschlag einer ergebnisoffeneren "(De-)Europeanisation" auf breite Zustimmung stieß, da mit ihm auch retardierende oder gegenläufige Entwicklungen einzufangen wären, gleichzeitig aber Europa als forschungsleitender Bezugsrahmen bestehen bleibe. Wie zur Bestätigung fiel übrigens das "non" des französischen Referendums über die EU-Verfassung in die Zeit der Tagung.

2) Holger Nehring (St. Peter's College) brachte grundsätzliche Bedenken gegenüber einer "application of a geographical notion to history" vor. Ein wie wenig verläßlicher Indikator für Grenzziehungen indes selbst die Geographie war und ist, kam in den Referaten immer wieder zum Vorschein, insbesondere anhand des historisch umstrittenen und seinerseits politisch konnotierten Einbezugs Rußlands resp. der Sowjetunion. Die besondere Stellung der ostmitteleuropäischen Staaten wurde in diesem Zusammenhang von verschiedenen Diskutanten eher konstatiert als ausgeführt und markiert sicher eine zentrale Herausforderung für künftige Forschungen.

Daß sich ein europäisches Bewußtsein aber gerade in der Abgrenzung gegenüber einem (variablen) "Anderen" formiert hätte, war communis opinio. So fand denn auch der Einbezug der Außenperspektive zur Klärung dessen, was Europa sei bzw. als was es zeitgenössisch wahrgenommen wurde, grundsätzliche Sympathie. Allerdings wollten nicht alle Teilnehmer so weit gehen, darin den allein entscheidenden Gradmesser für die Grenzziehung und die Wesensbestimmung Europas zu sehen. Was die methodologischen Implikationen angeht, war man sich rasch einig, daß es nicht um eine Addition bestehender Nationalgeschichten gehen dürfe, sondern um eine transnationale Verflechtungs- und Beziehungsgeschichte Europas; hier sahen vor allem die Vertreter aus Oxford selbstkritisch Nachholbedarf.

3) Bei der Wahl der Themenfelder wurde die potenzielle Breite als Chance begriffen. "Klassische" politische Bereiche wie die von Patricia Clavin (Jesus College) für die Zwischenkriegszeit untersuchte Economic and Financial Organisation innerhalb der League of Nations oder die von Kiran Klaus Patel mit einem Schwerpunkt auf den 1960er Jahren und der Bundesrepublik analysierte europäische Agrarpolitik sind schlechterdings nicht wegzudenken. Nicht weniger formte aber ganz offenbar das institutionell und hinsichtlich der Akteure schwieriger abzusteckende Feld der Kultur bzw. der Subkultur ein europäisches Bewußtsein. Hier konnte Jessica Irons Querbezüge zwischen deutschen und Pariser Vororttheatern herstellen, und John Davis (Queen's College) zeichnete in stimulierender Weise nach, wie sich 'Swinging London' - ein 1966 vom amerikanischen "Time Magazine" geprägtes Schlagwort - und namentlich die auf der Carnaby Street entworfene und verkaufte Mode im darauf folgenden Jahrzehnt als Modell einer trendigen Jugendkultur über ganz Europa verbreitete. In aufschlußreicher Weise und als impliziten Hinweis auf Großbritanniens "special relationship" auch in kultureller Hinsicht erwähnte er freilich auch die seit der Einführung des Jumbo-Jets sprunghaft ansteigende Frequentierung Londons durch Amerikaner, deren praller gefüllte Brieftaschen sie für die Hoteliers ohnehin attraktiver machte als Rucksacktouristen aus Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden. Robert Gerwarth (Corpus Christi College) verband in gewisser Weise Politik und Kultur in seinem Beitrag zu einer "dark side of European civil society": den nach 1918 entstehenden, sich aneinander orientierenden, vorwiegend rechten Terroristengruppen in Deutschland, Österreich und Ungarn, wobei er letztere gerade nicht als homogene Nationalstaaten verstanden wissen wollte, sondern als "zones of violence".

In sozialgeschichtlicher Hinsicht wurde weniger die vermeintliche Entstehung einer "europäischen Gesellschaft" thematisiert als diejenige transnationaler Eliten, wie sie namentlich in der Diplomatie, im Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturleben zu beobachten seien. Auch die abnehmende "Klassenidentifikation", wie sie zumal für die Arbeiterklasse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten sei, wurde mehrfach angesprochen. Wie sehr "Europäisierung" auch auf einer kunst- bzw. bildgeschichtlichen Ebene der Untersuchung würdig wäre, untermauerten zumindest en passant die Referate von Tom Buchanan (Kellogg College) zu den Kommunikations- und Vernetzungsstrategien von Amnesty International, Henning Grunwalds Betrachtungen zur fotografischen und publizistischen Propaganda, die sich in den 1920er Jahren an dem internierten, als Held und Märtyrer präsentierten Kommunisten Max Hölz entspann, oder Jessica Irons' Ausführungen zur futuristischen Maschinenästhetik, wie sie bei Theaterinszenierungen in mehreren europäischen Zentren nach dem Ersten Weltkrieg favorisiert wurde. Insbesondere Martin Conway (Balliol College), der sich in seinem Beitrag den Parallelen und Verbindungen zwischen den westeuropäischen Demokratien vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Beitritt Großbritanniens zur EG zuwandte, forderte zudem eine stärkere Berücksichtigung der wirtschaftsgeschichtlichen Dimension von "Europäisierung" ein.

4) Was die begriffliche Ebene angeht, so drängte sich vor allem die Frage auf, ob "Europäisierung" als prinzipielle Alternative zu "Amerikanisierung" zu verstehen sei oder ob vielleicht doch Gemeinsamkeiten überwögen, so daß eher von "Verwestlichung" zu sprechen wäre. Wie würden sich wiederum (post-)koloniale Phänomene oder der Sonderfall Israel darin unterbringen lassen? Auch "Modernisierung" könnte manchen der erörterten Befunde erklären. Weiter müsse untersucht werden, ob "Globalisierung" als logische Folge von "Europäisierung" zu betrachten sei, so daß letztere dann vielleicht als Zwischenstufe in einem Prozeß, aber nicht als eigener analytischer Begriff plausibel wäre. Und schließlich - dies wurde verschiedentlich angemahnt - dürfe die Suche nach "europäisierenden" Faktoren nicht den Blick dafür verstellen, daß über weite Strecken des 19. und 20. Jahrhunderts die Nationalisierung einen gegenläufigen und potenziell stärkeren Trend markierte. Da der Begriff "Europa" und Binnendifferenzierungen wie "Mitteleuropa" selten bloße Zustandsbeschreibungen waren, sondern zumeist mit konkreten politischen Anliegen behaftet, sollten zudem die jeweiligen Diskurszusammenhänge sehr genau berücksichtigt werden.

Insgesamt schienen, wie zur Bestätigung verbreiteter Vorannahmen, die Teilnehmer aus Oxford in ihren Beiträgen eher an empirisch fundierten, inhaltlichen Füllungen von "Europeanisation" interessiert, während die Berliner Historiker stärker um eine konzeptionell-methodische Dimension bemüht waren. Möglicherweise sind aber gerade diese verschiedenen, (wissenschafts-)historisch gewachsenen Ausgangsweisen vorteilhaft für die geplante Weiterführung und "Verflechtung" des Gesprächs, könnte doch die Vielfalt in der Einheit, das Nicht-Stromlinienförmige die eigentliche Stärke und das Erforschungswürdige an Europa sein.