Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Diskurs des späteren Mittelalters

Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Diskurs des späteren Mittelalters

Organisatoren
Historisches Seminar der Universität zu Köln (Michael Rothmann, Petra Schulte); Historisches Seminar der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main (Gabriele Annas)
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.03.2005 - 01.04.2005
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Von
Gabriele Annas, Frankfurt am Main; Petra Schulte, Köln

Wenn in diesen Wochen und Monaten in Deutschland von Reformen die Rede ist - sei es mit Blick auf die Krise der sozialen Sicherungssysteme, sei es mit Hinweis auf die Massenarbeitslosigkeit -, so verbindet sich damit zugleich immer wieder aufs Neue die Frage nach Gerechtigkeit, und zwar gleich in einer doppelten Weise: einerseits im Zusammenhang mit einer für die gegenwärtige soziale Ordnung konstatierten Gerechtigkeitslücke, andererseits angesichts eines allgemein befürworteten zukünftigen Umbaus des Sozialstaates, der sich an den Erfordernissen einer Verteilungs- oder distributiven Gerechtigkeit (im Sinne eines sozialen Ausgleichs) orientieren soll. Da die staatlichen Leistungen etwa in den Bereichen der Bildung, des Gesundheitswesens und der Familie dem Prinzip der Knappheit unterliegen, besteht Uneinigkeit über die Art ihrer Zuweisung und die Frage, ob Gerechtigkeit zwangsläufig im Sinne des Egalitarismus zu interpretieren ist. Entsprechend gehört der Begriff der Gerechtigkeit zu den Schlüsselkategorien einer gegenwärtig im sozio-politischen und ökonomischen Kontext kontrovers geführten Diskussion, die vor dem Hintergrund der Freiheit und Gleichheit aller Menschen die Schwierigkeiten einer ausgewogenen Regelung gesellschaftlicher Interessenkonflikte reflektiert. Parallel hierzu wird die bestehende Rechtsordnung entweder idealisiert oder durch den Vergleich mit einer Gerechtigkeitsidee problematisiert. Namentlich in jüngerer Zeit haben sich eine Reihe von Veranstaltungen und Publikationen unterschiedlicher Fachdisziplinen den Dimensionen der Gerechtigkeit in der Moderne gewidmet: nicht nur als einer individuellen Tugend und als einem obersten Gebot zwischenmenschlichen Handelns, sondern auch und vor allem als einem Bewertungsmaßstab sozialer Verhältnisse.

"Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Diskurs des späteren Mittelalters" stand demgegenüber im Mittelpunkt einer von Gabriele Annas, Michael Rothmann und Petra Schulte organisierten Tagung, die am 31. März und 1. April 2005 am Historischen Seminar der Universität zu Köln stattfand und den Begriff der Gerechtigkeit in einem interdisziplinären Zusammenspiel von philosophisch-theologischen Erörterungen und konkret-lebensweltlichen Erfahrungen auszuleuchten suchte. Einführend in das Thema der Tagung entwickelte Michael Rothmann (Köln) zunächst die ideengeschichtlichen Grundlagen in einem großen Bogen, der sich von den antiken - philosophischen, theologischen und römisch-rechtlichen - Traditionen bis zu den Gerechtigkeitsvorstellungen der Moderne spannte. "Die Gerechtigkeit ist die geistige Eigenschaft ('habitus animi'), die den gemeinsamen Nutzen unversehrt erhält und jedem seine Würde zuteilt", schrieb der römische Staatsmann und Philosoph Cicero in seiner Rhetorik (De inv. II, 53, 160). Und das Corpus Juris Civilis (Dig. 1.1.10) hielt fest: "Gerechtigkeit ist der unwandelbare und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zu gewähren. Die Gebote des Rechts sind folgende: Ehrenhaft leben ('honeste vivere'), niemanden verletzen ('alterum non laedere'), jedem das Seine gewähren ('suum cuique tribuere')". Beide Definitionen bilden bis heute wichtige Anknüpfungspunkte für das Nachdenken über Gerechtigkeit, wurden aber in den nachfolgenden Jahrhunderten durchaus unterschiedlich ausgelegt.

Die diesbezüglichen Verständnis- und Erfahrungshorizonte des späteren Mittelalters spiegeln sich in einem breit gefächerten Quellenspektrum wider: in Traktaten, Predigten und Statuten, aber auch in Bildquellen und literarischen Zeugnissen. Entsprechend dem Konzept der Tagung waren die Referentinnen und Referenten im Vorfeld gebeten worden, sich exemplarisch auf möglichst eine oder zwei Quellen zu stützen, die - vorab eingereicht - den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vor der Zusammenkunft zugänglich gemacht wurden. Auf diese Weise wurde eine gemeinsame Quellengrundlage geschaffen, die ein intensives, quellenorientiertes Gespräch ermöglichte. Die Vorträge und die von den Moderatoren Ingrid Baumgärtner (Kassel), Andreas Speer (Köln) und Dieter Strauch (Köln) geleiteten Diskussionen zeigten deutlich, dass sich das zeitgenössische Nachdenken über Gerechtigkeit und deren lebensweltliche Umsetzung wesentlich an der Notwendigkeit einer gesetzlich geregelten und durch eine effiziente Rechtsprechung gesicherten Ordnung orientierte. Diese bildete gleichsam die Voraussetzung für die Wahrung einer am Gedanken des 'suum cuique' ausgerichteten Gleichheit der Menschen, und damit für ein friedvolles Miteinander in der Gesellschaft. Recht, aber im Gegenzug auch Gnade und Barmherzigkeit, Gleichheit und Frieden bestimmten demnach entscheidend das semantische Umfeld des (spät-) mittelalterlichen Begriffs der Gerechtigkeit.

Ein Beispiel für das Gesetzgebungsverfahren und die ihm inhärenten Ziele bot Marita Blattmann (Köln) in ihren Ausführungen über "Gerechtigkeit durch Information und eidliche Bindung" am Beispiel der Mailänder Münz-Statuten von 1204. Ausführliche Verordnungen, die das Vorgehen gegen überführte und mutmaßliche Münzfälscher sowie die Aufgaben der Mailänder Amtsträger reglementierten, die Bevölkerung über den Umgang mit echten und falschen Münzen instruierten bzw. bestimmte Handlungsweisen sanktionierten sowie die Geldwechsler, Goldschmiede und Schmiede eidlich an ein Wohlverhalten banden, dienten der Errichtung einer gerechten Ordnung. Durch sie sollte eine ehrenhafte Lebensführung gefördert, Schaden abgewehrt und dafür gesorgt werden, dass jeder das Seine hatte. Die Statuten, so hob die Referentin hervor, atmeten den Grundoptimismus, allein durch eindeutige, klare Informationen könne Gerechtigkeit erreicht werden. Da das Statutarrecht anders als das römische Recht wörtlich zu befolgen war und nicht ausgelegt werden durfte, mussten in den städtischen Gesetzen alle Eventualitäten bedacht sein.

Dass dies nahezu unmöglich war, veranschaulichte Hagen Keller (Münster) in seinen Ausführungen über "Norm, Rechtsbruch und Strafe im öffentlichen Bewusstsein der italienischen Kommunen" am Beispiel einer Novelle des Franco Sacchetti aus dem endenden 13. Jahrhundert, in der die Florentiner Frauen ihre Modevorlieben spitzfindig gegen die Luxusgesetzgebung der Stadt verteidigten und so immer wieder der Strafe entgingen. Sie wussten sich 'systemgerecht' zu helfen. Es galt der Wortlaut des Gesetzes, und in diesem wurden Hutbänder, nicht Girlanden, Knöpfe, nicht Boutons verboten. Darüber hinaus thematisierte Keller die Problematik von Recht und Gnade. Er zeigte auf, dass die Institutionalisierung der Stadtgemeinden und ihr Streben nach Recht, Eintracht und Frieden von einer politischen Theorie getragen wurden, die die schriftlich fixierte, explizit formulierte und den Willen der Gemeinschaft repräsentierende Rechtsordnung strikt umzusetzen gedachte und dem Stadtregiment strafende Gewalt zusprach. In diesem Zusammenhang stellte Keller die Frage, inwiefern derartige Überlegungen im Rechtsalltag jedoch an Grenzen stießen und der Übergang von der Kommune zur Signoria von einer schwindenden Rigorosität des Gesetzesverständnisses und einer zunehmenden Bereitschaft zur Gnade geprägt gewesen sei. Vom späten 13. bis ins 15. Jahrhundert hinein finden sich etwa in der Chronik des Salimbene de Adam oder in einer Predigt des Franziskaners Bernardino von Siena Klagen über die städtischen Richter, die sich zu nachsichtig gäben, anstatt die Gesetze anzuwenden und die Gerechtigkeit durchzusetzen.

Die stärkere Betonung des 'rigor iuris', der Strenge des Rechts, verweist zugleich auf das öffentliche Rechts- und Gerichtswesen der heutigen Zeit, in der die Gnade als eine religiös-ethisch motivierte Handlungsrichtlinie und Entscheidungsnorm nicht mehr zu den Grundprinzipien einer richterlichen Urteilsbildung gehört (wenngleich diese durchaus die Rücksichtnahme auf mildernde Umstände sowie die Möglichkeit einer staatlich gewährten Amnestie kennt). Im Unterschied hierzu war die mittelalterliche und frühneuzeitliche Strafjustiz durch ein vielschichtiges Spannungsverhältnis zwischen Gerechtigkeit, Recht und Gnade bestimmt, das in dem von Klaus Schreiner (München) gehaltenen Abendvortrag "'strengkeit des gerichts mit sunderlichen gnaden gemildert.' Zur Dialektik von Recht und Gnade in der Rechtstheorie und Rechtspraxis des hohen und späten Mittelalters" ausführlich thematisiert wurde. Anhand einer Reihe von Beispielen namentlich aus dem Bereich der erzählenden Quellen konnte der Referent anschaulich darlegen, dass Gnadenbitten und -erweise zur geläufigen zeitgenössischen Rechtspraxis gehörten. Das durch den Herrscher bzw. städtische Richter ausgeübte Recht der Begnadigung, der Strafminderung bzw. des Straferlasses wurde dabei offenbar als ein Gewohnheitsrecht wahrgenommen, das Richten nach Gnade als integraler Bestandteil von Herrschaftsrechten betrachtet. Hinter der Vorstellung einer durch Gnade und Barmherzigkeit gemilderten Rechtsprechung verbirgt sich dabei nicht zuletzt die Frage nach der rechtspraktischen Bedeutung von Billigkeit ('aequitas'), einem rechtsethischen Leitbegriff des römischen Rechts, der im Mittelalter durch die Verbindung mit 'caritas', 'misericordia', 'pietas', 'gratia', 'religio' eine christliche Ausdeutung erfuhr und in der Kanonistik als ein wichtiges Korrektiv zum 'rigor iuris' des römischen Rechts betrachtet wurde. Entsprechend ist die vielfach zu beobachtende Differenz zwischen rigorosen Strafandrohungen in Gesetzestexten und den durch richterliches Urteil verhängten Strafen keineswegs auf eine mangelnde Ernsthaftigkeit der Gesetzgeber oder eine defizitäre Geltungskraft von Rechtsordnungen zurückzuführen. Billigkeit, Gnade und Barmherzigkeit gehörten vielmehr zu den konstitutiven Elementen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rechtsprechung.

Ulrich Meier (Bielefeld) begann den zweiten Tag der Tagung mit Beobachtungen zum Begriff der Gerechtigkeit im Augsburger Predigtzyklus (1257/63) des Albertus Magnus. In ihm beschrieb der Dominikaner die enge Verbindung zwischen der Einheit der Bürger in einer Gemeinschaft, dem Recht, das sie sich geben, und der Gerechtigkeit, ohne die das Recht nicht bestehen könne. Die Gerechtigkeit unterteilte Albertus Magnus in Anlehnung an Aristoteles in eine Tausch- und eine Verteilungsgerechtigkeit ('iustitia communicationis' bzw. 'iustitia distributionis') und ordnete beide der Definition Ciceros zu, die er recht frei zitierte: "Gerechtigkeit ist, jedem dadurch das Seine zu gewähren, dass man dessen Würde erhält" - "Justitia (...) est reddere unicuique, quod suum est servata uniuscuiusque propria dignitate." Das 'reddere unicuique, quod suum est' entspreche der ersten Form der Gerechtigkeit und sei als Austausch von Affekten, Gefühlen und Willen, von Dingen (Arbeit und Lohn) und Handelswaren zu verstehen. Der zweite Teil 'servata etc.' hingegen sei mit der Verteilungsgerechtigkeit gleichzusetzen, die an der Würde ('distributio pro dignitate'), dem Verdienst ('distributio pro merito') und dem Ertrag ('distributio pro congruo') gemessen werde. In den Bereich der Verteilungsgerechtigkeit falle auch das Strafen. Ferner verwies Meier auf Parallelen zwischen den Gedanken des Albertus Magnus und der berühmten Darstellung der Gerechtigkeit in Ambrogio Lorenzettis Fresco der guten Regierung (zw. 1335-1340) im Sieneser Palazzo Pubblico.

Mit der politischen Theorie im spätmittelalterlichen Herzogtum Burgund beschäftigte sich Petra Schulte (Köln) in ihrem Vortrag, der das von Guillaume Fillastre d. J. Anfang der 1470er Jahre verfasste zweite 'Buch vom Goldenen Vlies', einen der Tugend der Gerechtigkeit gewidmeten Adelsspiegel, zum Thema hatte. Sie führte aus, dass der Bischof von Tournai das Gemeinwohl dem Prinzip der egalitären Gerechtigkeit, der 'justice egale', unterstellte, die er in Anlehnung an das römische und kanonische Recht als Willen beschrieb, jedem das Seine zu gewähren. Dabei unterteilte er mit Bernhard von Clairvaux 'jeden' in den Herrscher ('souverain'), den Gleichen ('pareil') und den Untertanen ('subiect') und forderte entsprechend, dem Herrscher mit demütigem Herzen und einem zu Diensten bereiten Körper Gehorsam zu leisten, dem Gleichen mit Rat und Beistand zur Seite zu stehen sowie den Untertanen vor der Sünde zu bewahren. Die 'justice egale' werde durch die 'justice legale', die Beachtung der vom Herrscher erlassenen Gesetze, gesichert und führe zu Eintracht und Frieden. Die Referentin betonte, dass der Text den Begriffen wie Gerechtigkeit, Demut und Gehorsam, die die zeitgenössische politische Kommunikation prägten, eine gedankliche Tiefenschärfe und zugleich eine klare Einordnung in das französisch-burgundische Ideal der politischen Ordnung verschaffte.

Dem zeitgenössischen Verständnis von Gerechtigkeit im Kontext der spätmittelalterlichen Reichsreform wandte sich schließlich Gabriele Annas (Frankfurt am Main) zu, die sich in ihren Ausführungen vor allem auf eine unter dem Titel 'Abschied zwischen geistlichen Kurfürsten' bekannte, vermutlich um 1452/53 entstandene Reformschrift aus dem Umfeld des Trierer Erzbischofs Jakob von Sierck stützte. Hier wie auch bei der Betrachtung weiterer Reformtraktate sollte sich zeigen, dass sich namentlich im Begriff der Gerechtigkeit mit seinem entsprechenden semantischen Umfeld - Recht, Frieden und Freiheit - empirische Erfahrungen im Zusammenhang mit der Recht- und Friedlosigkeit des spätmittelalterlichen Reichs konkretisierten. Zugleich aber war die Forderung nach Gerechtigkeit, Recht und Frieden in lange Traditionen der antik-christlichen und heidnisch-germanischen Staats- und Herrschaftsphilosophie eingebettet. Umso bemerkenswerter ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, dass die Wahrung von Gerechtigkeit und Frieden nicht mehr als eine traditionell dem Herrscher zugewiesene zentrale Herrschaftsaufgabe betrachtet wurde, sondern nun auch von den Kurfürsten in Anspruch genommen wurde, die auf diese Weise nicht zuletzt ihre im Zuge der Reichsreform sich artikulierende Forderung nach einer Partizipation an der Herrschaftsgewalt zu dokumentieren suchten.

Einem gänzlich praxisorientierten Gerechtigkeitsbegriff widmete sich Franz Fuchs (Würzburg) unter dem Titel "Die Praxis des kaiserlichen Kammergerichts im Spiegel Nürnberger Gesandtschaftsberichte des 15. Jahrhunderts". In der Korrespondenz der Reichsstadt Nürnberg wird der Ausdruck Gerechtigkeit - so die Beobachtung des Referenten - weniger in der Bedeutung einer individuellen Tugend oder einer sittlich-ethischen Richtlinie gesellschaftlichen Handelns gebraucht, sondern wesentlich im Sinne von Berechtigung, Anspruch und subjektivem Recht, das es zu erlangen und zu vollziehen gilt, verwendet. In diesem Zusammenhang stellte Fuchs einige Beispiele aus der Legationstätigkeit des Nürnberger Gesandten Hans Pirckheimer vor, der sich im Rahmen seines Aufenthalts am Hof Kaiser Friedrichs III. (1458/59) wiederholt mit Nürnberger Prozessangelegenheiten beschäftigte und dabei hinreichend Gelegenheit hatte, die Praxis des kaiserlichen Kammergerichts kennen zu lernen. Über den Lauf der Gerechtigkeit machte sich der politisch erfahrene Hans Pirckheimer indes keine Illusionen. Vielmehr wies er den Nürnberger Rat wiederholt auf die Möglichkeit hin, zur Erreichung eines für die Stadt günstigen Urteils zusätzlich die Ratgeber des Herrschers mit Ehrungen zu bedenken.

Abschließend sprach Albrecht Cordes (Frankfurt am Main) über "Kapital, Arbeit, Risiko, Gewinn: Aufgabenverteilung in einer Lübecker Handelsgesellschaft des 16. Jahrhunderts". Bei seinen Ausführungen stützte er sich auf einen 1549 zwischen drei Lübecker Bürgern geschlossenen Gesellschaftsvertrag (zur Aufrichtung einer 'Mascopey'), der insbesondere im Hinblick auf Veränderungen im lübischen Gesellschaftsrecht jener Zeit untersucht wurde. Bemerkenswert erschien dabei vor allem die Beobachtung des Referenten, dass hier das alte Prinzip einer rechtlichen Gleichbehandlung auch bei wirtschaftlicher Ungleichheit aufrecht erhalten wurde: Aus zugehörigen Reichskammergerichtsakten geht hervor, dass es einem der drei Geschäftspartner zwar zu keinem Zeitpunkt gelungen war, die volle Summe des vereinbarten Gesellschaftskapitals einzuzahlen; dennoch wurden die Gewinne und Verluste jeweils gedrittelt, diesem weniger kapitalkräftigen Partner also ein voller Gewinnanteil gutgeschrieben. Auch die übrigen Vertragsbestimmungen zu Geschäftsführung, Konkurrenzverbot, Buchführung, Entlohnung, zusätzlichen Einlagen in die Gesellschaft und deren Beendigung wurden nicht zuletzt im Hinblick auf entsprechende Vorstellungen von Gerechtigkeit erläutert.

Gerechtigkeit, so ein erstes Resümee, verweist sowohl in der Moderne als auch in der Vormoderne weniger auf die Faktizität einer gegenwärtigen Sozial- und Rechtsordnung, sondern beschreibt - über die Vorgabe von Handlungsmaximen hinaus - vor allem ein auf rechtliche, sozio-politische und wirtschaftliche Veränderungen abzielendes Ideal. Auch wenn die "Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Diskurs des späteren Mittelalters" im Rahmen der Kölner Tagung sicherlich nicht umfassend und erschöpfend behandelt werden konnte, fanden wichtige Aspekte Berücksichtigung. Sie bieten Anlass zum weiteren Nachdenken über historische Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Umgang mit der Idee der Gerechtigkeit. Die Ergebnisse werden in einem Sammelband publiziert.