Politik und Sprache im frühneuzeitlichen Europa

Politik und Sprache im frühneuzeitlichen Europa

Organisatoren
Institut für Europäische Geschichte
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.04.2005 - 16.04.2005
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Von
Janus Gudian, Mainz

Nach der Eröffnung durch den ›Hausherrn‹ Heinz DUCHHARDT (Mainz) führte Thomas NICKLAS (Erlangen) für die Organisatoren in die Thematik des international besetzten Kolloquiums mit der Leitfrage ein, ob die sprachliche Vielfalt Europas eine Gefahr oder eine Chance aufgrund kulturellen Reichtums darstelle. Das dem Kolloquium vorgegebene dreifache Erkenntnisziel zum Konnex von Politik und Sprache wurde durch die Fragen umrissen, wer im Zusammenhang von Herrschaft und Machtausübung Sprache wie und zu welchem Zweck einsetzte. Im Zentrum der Betrachtung stand Politik, insbesondere die Frage nach der frühneuzeitlichen Herrschaftspraxis: Erkannte der sich im Aufbau befindende, nach höchstmöglicher Zentralisierung und Effizienz strebende moderne Staat das Potential von Sprache als Instrument der Machtausübung, und setzte er sie gegebenenfalls auch bewußt ein, wie dies zeitgenössische Texte suggerieren (Nebrija, Rivarol)? Der Rolle von Sprache als eventueller Faktor der Staatsbildung und der institutionellen Verdichtung, das heißt ihrer Funktion im Herrschaftsgefüge, sollte die Konferenz nachspüren.

Mit dem Thema der ersten Sektion Der Westen: Auf dem Weg zum Nationalstaat? setzte sich zu Anfang Christian BÜSCHGES (Bielefeld) in seinem Vortrag Politische Sprachen. Sprache, Identität und Herrschaft in der Monarchie der spanischen Habsburger (15.-17. Jahrhundert) auseinander. Ausgangspunkt war das Jahr 1492, in dem die Nebrija-Grammatik des Kastilischen als erste Kodifiktion einer volkssprachlichen Standardvariante erschien. Das Werk war Ausdruck eines kulturellen Überlegenheitsgefühls, das sich auf Sprache bezog, die nach römischen Vorbild zur ›Begleiterin von Herrschaft‹ stilisiert wurde, mit deren Hilfe eigenes Recht und Kultur Verbreitung finden sollte. Der Autor empfahl damit eine aktive Sprachpolitik nach dem Vorbild Roms. Nebrija stellte die Forderung nach einer einheitlichen Herrschaftssprache auf, dem sich jedoch die sprachliche Vielfalt in der Praxis entgegenstemmte: Auch auf der iberischen Halbinsel war eine ausgeprägte Sprachenvielfalt gegeben, in der sich nicht zuletzt die zusammengesetzte Struktur der Monarchie widerspiegelte. Bei unstreitiger Dominanz des Kastilischen - dessen Beherrschung Voraussetzung für eine Ämterlaufbahn war -, blieb es im spanischen Imperium doch bei einer Pluralität und Koexistenz mehrerer Sprachen in der Politik (Beispiel Neapel). Demnach existierten ausformulierte Theorien zum Konnex von Macht und Sprache, doch wurde Sprache vom spanischen Staat nicht als Herrschaftsaspekt wahrgenommen; in der Praxis wurde pragmatisch gehandelt. Die Theorien wirkten nicht erkennbar auf die Wirklichkeit ein.

Rainer BABEL (Paris) sprach über Formen und Motive französischer Sprachpolitik im Ancien Régime. Die staatliche Intention war es, das Rechtswesen zu vereinheitlichen, und aus diesen Überlegungen heraus kam es zu der königlichen Anordnung (Edikt von Villers-Cotterêts 1539), Latein als Gerichtssprache durch das höfisch normierte Französisch zu ersetzen. Im Vordergrund dieser aktiven sprachpolitischen Intention stand damit ein pragmatisches Bedürfnis, welches über die Sprache als solche hinauswies. Es sollte eine kohärente Untertanengemeinschaft kraft gemeinsamer Sprache erzeugt werden. Der zugrundeliegende Gedanke war, daß der Übernahme der normierten Sprache auch in anderen Bereichen (Kleidung, Sitten) die Annahme einer Norm folgen würde. Die Gerichtssprache wurde dabei als der Garant der Anbindung neuerworbener Territorien an Frankreich angesehen. Die Sprache trat jedoch laut Babel hinter Recht und Religion als den bevorzugten Instrumenten zur Herbeiführung staatlicher Einheit zurück. Im Bewußtsein politisch Handelnder wie COLBERT spielte sie als Mittel zur Integration eine größere Rolle als in der Praxis französischer Verwaltung. Konkrete sprachpolitische Maßnahmen lassen sich allenfalls auf dem Gebiet des Rechtswesens ausmachen.

Den Abschluß der ersten Sektion bildete der Vortrag von Ute LOTZ-HEUMANN (Berlin) über Sprachliche Übersetzung - kulturelle Übersetzung - politische Übersetzung? Sprache als Element des politischen Prozesses in England, Schottland, Wales und Irland in der Frühen Neuzeit. Sie vertrat die These, daß der englische Herrschaftswille bewußt auf den Einsatz der Sprache als Machtinstrument abzielte, was u. a. mit der ausführlich begründeten Ebenbürtigkeit des Englischen mit dem Lateinischen begründet wurde. Integration sollte durch den Kampf gegen Abweichungen von einer vorgegebenen kulturellen und sprachlichen Norm erzielt werden. Es kam dabei ein Anglisierungsprogramm zum Einsatz, in welchem der Wille zur aktiven Sprachpolitik zwar vorhanden war, dem die Realisierung jedoch nicht immer ganz entsprach. Die Administration der eroberten Gebiete erfolgte durchgehend auf Englisch, was die einzelnen Territorien und Stände je nach ihrer eigenen Perspektive bewerteten: So wurde z. B. vom walisischen Adel Englisch als statussichernde Chance wahrgenommen, dagegen in Irland und den schottischen Highlands Englisch als Sprache der Eroberer und Unterdrücker empfunden. Die Politik des "surrender and regrant" erforderte die Aufgabe der eigenen Kultur und Sprache zugunsten der englischen. Die Sprache wurde als Herrschaftsinstrument gezielt eingesetzt, wobei sie in ein weitreichendes kulturelles und rechtliches Rahmenprogramm eingebettet war. Von England aus wurde die eigene politische Peripherie, obwohl noch in Europa gelegen, als ›barbarisch‹ angesehen. Die englische Politik handelte daher aus einem Überlegenheitsgefühl heraus, welches keine Integration, sondern Transformation zu erreichen suchte.

Die zweite Sektion Regionen an den Grenzen des Alten Reiches wurde von Matthias SCHNETTGER (Mainz) eingeleitet. Er sprach über Norm und Pragmatismus. Die sprachliche Situation der Italiener im Alten Reich. Dieses Alte Reich war zwar ein mehrsprachiges Gebilde, aber doch eines der "deutschen Nation", das heißt, diese Sprache dominierte. Insgesamt existierten zwei offizielle Reichssprachen, Deutsch und Latein, doch besaß man am kaiserlichen Hof auch Italienischkenntnisse. Umgekehrt hatten die Bewohner Reichsitaliens in aller Regel nur äußerst begrenzte Deutschkenntnisse. Indem sich die Italiener in ihrer Korrespondenz mit den Reichsinstitutionen einer der beiden offiziellen Reichssprachen zu bedienen hatten, wurde die Inferiorität der Italiener im Reich klar betont: Italien wurde als "qua ius belli" erworben erachtet und hatte daher einen minderen Rang inne; allerdings bestanden keine Überlegungen, mittels einer aktiven Sprachpolitik in Italien eine fremde Sprache heimisch werden zu lassen. Anders als in Frankreich bewahrte Latein im Reich seine Bedeutung als "Kompromißsprache", die den nichtdeutschen Reichsuntertanen Italiens leichter zugänglich war als Deutsch. Um die Untertanen zu erreichen, fand bei der kaiserlichen Plenipotenz in Italien auch das Italienische Verwendung; vor Ort spielten also auch hier pragmatische Überlegungen eine erhebliche Rolle.

Das anschließende Referat von Marco BELLABARBA (Trento), Zwischen Italienisch und Deutsch. Das Trentino in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, setzte bei den Bestrebungen an, das Sprachengemisch im Trentino zu vereinheitlichen. Der Gebrauch der Sprachen war dabei funktional differenziert, und es herrschte eine offene Konkurrenz. Italienisch dominierte im Alltag, im politischen Schriftverkehr aber das Deutsche. Um der Dominanz des Lateinischen im Lehrbetrieb der höheren Schulen entgegenzuwirken, etablierte Josef II. Deutsch als Unterrichtssprache und behielt die Ämter denjenigen Personen vor, welche nachweislich der deutschen Sprache mächtig waren. Zugleich sollte Italienisch als Gerichtssprache abgeschafft werden, doch regte sich dagegen Widerstand. Das Vorgehen des Kaisers wurde als Versuch der Germanisierung empfunden. Der Protest war jedoch weniger gegen eine bestimmte Sprache als gegen die durch sie vermittelte Herrschaftsanschauung gerichtet. Der Trentiner Sprachenkonflikt der 1780er Jahre war gleichsam ein Stellvertreterkampf. Man wandte sich gegen die Sprache, meinte aber die mit der Sprache transportierten Ziele, nämlich die Vereinheitlichung und Zentralisierung der Habsburger Monarchie an ihrer südlichen Peripherie. Nicht die Sprachgruppen standen im Konflikt, sondern unterschiedliche Rechts- und Verwaltungssysteme, Tradition und Innovation. Der aufbrandende Protest der Bevölkerung richtete sich daher vor allem gegen die geplante Abschaffung städtischer Selbstverwaltung.

Norbert FURRER (Bern) sprach über Deutsche Obrigkeiten, welsche Untertanen: Sprache als Politikum in der alten Eidgenossenschaft. Zu Anfang nahm er eine theoretische Fundierung des Themas vor. So erarbeitete er systematisch drei Lösungsmöglichkeiten für den Kollisionsfall zweier Sprachen: Wahl einer, Wahl beider oder Wahl einer gemeinsamen Drittsprache. Oftmals besaß die Obrigkeit eine andere Sprache als die Untertanen: Deutsch als die Sprache der Herrscher, "Welsch" als die der Beherrschten. Die daraus resultierenden Folgen zeichnete der Referent anhand von Beispielen nach, so mußten mitunter Dolmetscher den sprachlichen Abstand zwischen Verwaltung und Bevölkerung überbrücken. Die politische Subordination beruhte zwar nicht auf der ursprünglichen Sprachzugehörigkeit, dennoch konnten die Sprachunterschiede zu Konflikten zwischen deutschschweizerischer Herrschaft und welschen Untertanen beitragen. Des weiteren verwies Furrer auf die sprachliche Uneinheitlichkeit der Schweiz, eines bei aller räumlichen Enge doch "vierzigsprachigen Landes". So wie Latein anderswo als Lingua franca diente, so mußten hier die einzelnen Dialekte untereinander über den Umweg ihrer Schriftsprachen in Verbindung treten. In seinem Fazit verdeutlichte Furrer, daß Sprache in vielfältigem Sinn Abgrenzung darstellt, welche nicht nur auf institutioneller Ebene zu finden ist, und regte an, bei der Behandlung des Tagungsthemas die Ergebnisse der linguistischen Forschung stärker zu berücksichtigen.

Die Sektion beschloß Thomas NICKLAS (Erlangen) mit seinem Referat Praxis und Pragmatismus. Zum offiziellen Sprachgebrauch in den Spanischen und Österreichischen Niederlanden, in welchem er das sprachliche und politische Konglomerat der Niederlande durch drei Phasen gekennzeichnet sah: Zunächst herrschte eine Flexibilität in der Praxis, in welcher Sprache durchaus als ein Politikum wahrgenommen wurde. Beispielsweise wurden oft Bitten des Fürsten an die Untertanen in Flandern und Brabant in deren Sprache, d. h. Niederländisch, gehalten, umgekehrt wurden Befehle als Machtdemonstration auf Französisch ausgesprochen. Darauf folgte mit dem Beginn der Neuzeit eine Phase der Normierung, welche durch den Einschub des modernen Staatsapparats, der Verwaltung, zwischen Fürst und Untertanen hervorgerufen wurde. Es entstand ein festes Prozedere, wobei die bisherige Praxis zur Norm erstarrte. Mit den Funktionseliten des aufkommenden Staatsapparats trat das Französisch seinen Siegeszug an. Die dritte Phase war die des Zentralismus, in welchem nur noch eine Sprache gewollt war, d. h. die sprachliche Vereinheitlichung erfolgte im Zuge der Bemühungen des modernen Staats um Effizienzsteigerung. Dabei entwickelte sich Französisch auch für den Umgang der Zentralbehörden mit den Instanzen Flanderns zur Amtssprache. War dies eine Folge politischer Prozesse oder Ergebnis kulturellen Wandels, der Französisch zur Sprache der bedeutsamen Diskurse machte? Daß Flämisch nun zur Sprache »der Alten, Armen und Einflußlosen« wurde, sei allerdings eine verkürzende und mittlerweile überholte sozialhistorische Interpretation. Nicht die Sprache war das eigentlich trennende Moment, sondern sie verdeutlichte und versinnbildlichte nur die tieferliegende gesellschaftliche Kluft der Standesgrenzen.

Die dritte Sektion Composite States und Großreiche in der Mitte und im Norden des Kontinents _nahm ihren Anfang mit dem Vortrag _Die Sprache als Instrument der sozialen Ungleichheit - der Fall Böhmen von Miroslav HROCH (Praha). Er ging von zwei Sprachen mit unterschiedlichem Prestige und unterschiedlicher sozialer Funktion aus: Deutsch zur Kommunikation in den Städten, in der hohen Politik und zwischen den wirtschaftlich Mächtigen, dagegen Tschechisch als Verständigungsmittel auf der untersten Verwaltungsebene und auf dem Land. Trotz oder wegen ihrer Marginalisierung stellte die tschechische Sprache neben Prag und der Wenzelskrone ein nationales Symbol dar, das nicht nur als ein symbolisches Palladium, sondern als konkretes politisches Mittel der sprachlichen (Nationalitäts-)Bildung gesehen und angewendet wurde. Nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 begann sich der Adel in Böhmen zunehmend auch wieder als böhmischer Adel zu betrachten. Das Tschechische wurde so zum Symbol für eine angestrebte staatsrechtliche Sonderstellung des Königreiches innerhalb der Habsburger Monarchie. Es stand für die Privilegien und Traditionen der adligen Herren Böhmens, auch wenn sie dieser Sprache überhaupt nicht mächtig waren.

In seinen Ausführungen über ›Eine polnische Republik‹. Sprache und Nationskonzepte in Polen-Litauen im 16. und 17. Jahrhundert verwies Michael G. Müller (Halle) darauf, daß die Quellen das Phänomen der Sprache als Herrschaftsstrategie für Polen nicht thematisieren. Das Konglomerat des polnisch-litauischen Großreiches konnte wohl aus strukturellen Gründen Sprache nicht als politisches Argument einsetzen. Es gab viele abgesonderte Sprachkulturen, darunter auch die jüdische. Der Monarch in der Adelsrepublik des 17. und 18. Jahrhunderts konnte keine Normen für die Vereinheitlichung der Sprache vorgeben, da wegen des Prinzips der Wahlmonarchie die Könige oft eine unterschiedliche Herkunft und auch sprachliche Prägung hatten. Aufgrund dieses Ausfalls von König und Hof als normierenden Instanzen vertrat Müller die Ansicht, daß einerseits das Latein der katholischen Kirche und andererseits Polnisch als die Sprache mit dem höchsten Sozialprestige in dieses Vakuum eindrangen. Es kam zu einer "Selbstpolonisierung" von Eliten, die keinen politischen Vorgaben folgte, sondern einen durch das hohe Prestige der polnischen Sprache ausgelösten eigendynamischen Prozeß darstellte.

Sebastian OLDEN-JØRGENSEN (København) folgte mit dem Thema Sprache der Verwaltung, Sprache der Politik. Die politischen Sprachen in den Ländern des dänischen Königs 1500-1750. Er zeichnete das Bild des Großreichs Dänemark als das einer zusammengesetzten Monarchie, in welcher die einzelnen Teile in den verschiedensten Sprachen von einer Zentrale, Kopenhagen, aus verwaltet wurden: die deutschen Herzogtümer in ihrer Muttersprache, und auch das dänische Heer wurde aufgrund des Söldnerwesens auf Deutsch befehligt, die dänische Flotte, obwohl die meisten Matrosen Norweger waren, auf Dänisch, desgleichen wurde auch Norwegen auf Dänisch verwaltet etc. Im gesamten Dänischen Reich reichte Zweisprachigkeit in der Regel aus, um kommunizieren zu können. Auf der politischen Ebene wurden die Sprachen nach Zweck und Funktion unterschieden: Dänisch und Deutsch für das Steuer- und Gerichtswesen, die Verwaltung sowie das Kirchenwesen mit dem offiziellen Gebet für den König, dagegen Latein für die Lehre der Politik, die der Vermittlung ethischer Normen diente, aber auch für die Zwecke der Propaganda (Panegyrik). Die Person des Königs spielte eine besondere Rolle. Der Hof richtete sich nach seiner jeweiligen Sprachentscheidung für Deutsch oder Dänisch, doch scheint die Arbeit der Verwaltung von diesen jeweils wechselnden höfischen Vorlieben wenig beeinflußt worden zu sein.

Erkki KOURI (Helsinki) beendete diese Sektion mit seinem Vortrag über Die politisch-administrative Rolle der finnischen Sprache im Schwedischen und Russischen Reich. Schweden vertrat eine einheitliche Staatsideologie: Es sollten eine Religion, ein Recht und eine Sprache im gesamten Schwedischen Reich zur Geltung gelangen. Dementsprechend wurde ein Vereinheitlichungsprogramm aufgestellt, welches Schule, Kirche und Verwaltung mit dazugehöriger Beamtenschaft umfaßte und die lokalen Sprachen durch das Schwedische ersetzte. Die eroberten Gebiete, so auch Finnland, sollten zu "schwedischem Denken" erzogen werden. Trotz der 1808 erfolgten Eroberung Finnlands durch Rußland setzte sich die Schwedisierung zunächst fort, und erst 1863 wurde Finnisch aufgrund eines Versprechens des Zaren mit Schwedisch gleichberechtigt. Erst im 20. Jahrhundert sollte die Verwaltung dieser Vorgabe auch tatsächlich folgen. Die russische Politik, finnischsprachige Zeitungen und Schulen zu dulden, rettete die Existenz des Finnischen, welches durch eine längere Herrschaft Schwedens womöglich ausgetilgt worden wäre. Kouri schloß, daß das Schwedische Reich ein Beispiel für aktive Sprachpolitik im Rahmen der Möglichkeiten frühneuzeitlicher Staatlichkeit geboten habe.

Die vierte und letzte Sektion Ethnos, Lingua, Nationalität: Offene Fragen im Osten eröffnete Erwin OBERLÄNDER (Bonn) mit Estland, Livland, Kurland unter polnischer, schwedischer und russischer Oberherrschaft 1561-1795. Er erschloß die Thematik nicht vom Staat der Frühen Neuzeit, sondern von einer regionalen Kultur her, welche im Schnittpunkt dreier Großmächte lag. Die politischen Verhältnisse wurden mit dem dualistischen Schema von "Deutsch" und "Undeutsch" erfaßt, das sich auf zwei Ebenen manifestierte: "deutsche" Herrschaft und "undeutsche" Untertanen, aber auch deutschsprachiger Adel und fremde Landesherrschaft (Polen, Schweden, Rußland). Die jeweils wechselnden Landesherren garantierten den Status der deutschen Sprache. Unter polnischer Hoheit diente dabei auch Latein als Idiom im politischen Leben. Hierin äußerte sich wohl auch die Bedeutung religiöser Homogenität für das polnische Staatsverständnis seit der Gegenreformation, die sich in einer Aufwertung des Lateinischen ausdrückte. Als Kommunikationsmittel zwischen Staat und Adel dienten zur Zeit der schwedischen Vorherrschaft Latein und Deutsch. In der Dominanz des Deutschen spiegeln sich die ständischen Strukturen des Baltikums, die bis ins 20. Jahrhundert fortbestanden. Die anschließende Diskussion betonte die Bedeutung des Lateinischen als Komplementär- und Kompromißsprache im politischen Leben des frühneuzeitlichen Europa. Wie das Beispiel des heutigen Estland und Lettland zeigt, gilt dies auch für protestantisch konfessionalisierte Regionen, in denen die Bedeutung des Lateinischen als Kirchensprache gering war.

Frank SYSYN (Toronto) betonte zu Anfang seines Referats The Fluidity of Language admidst Political Change: The Rise and Fall of the Ukrainian Hetmanate, daß Sprache von Historikern oft als Gegebenes betrachtet wird. Gerade das ukrainische Idiom wurde aber in der Frühen Neuzeit bereits von Moskau aus als politisches Problem wahrgenommen. Im 18. Jahrhundert wurde das Konzept einer eigenständigen ukrainischen Sprache aus politischer Räson bekämpft. Religiöse Schriften sollten nur in Moskau gedruckt werden, um auf diese Weise einer bestimmten Norm zur Geltung zu verhelfen. In den Widerständen gegen sprachliche Normierung auf Grundlage des Idioms der Ukraine ist Sprache als Politikum faßbar, frühneuzeitliche Sprachpolitik mit ihren ganz eigenen Methoden und Zielsetzung zeichnet in diesem Fall deutlich ab. Sysyn lenkte die Aufmerksamkeit auf den für Sprachen bezeichnenden dynamischen Entwicklungsprozeß sowie auf den Zeitpunkt, ab dem man sich bewußt ist, eine eigene und von anderen unterscheidbare Sprache zu besitzen. Dieses Bewußtsein ermöglichte seiner Einschätzung nach den Ukrainern am Ende des 18. Jahrhundert ein breites Spektrum an Möglichkeiten des Verhaltens, die sich jeweils über Nähe oder Ferne zu Russland definierten, das auf den ukrainischen Raum als Zentrum von Macht und Staatlichkeit einwirkte.

Ivan PARVEV (Sofia) thematisierte zum Abschluß die Reichs-Sprachen, Nations-Zungen und das ›Matrjoschka-Prinzip‹. Die Bulgaren und die bulgarische Sprache im Osmanischen Reich und in der Habsburger Monarchie, 17.-18. Jahrhundert. In dem zum religiös und ethnisch völlig uneinheitlichen Osmanischen Reich gehörigen Bulgarien waren drei Sprachen dominierend, nämlich Bulgarisch als Muttersprache, Griechisch als unerläßliche Verkehrssprache der Kaufleute und Idiom der Orthodoxen Kirche sowie Türkisch als die Sprache, in der geherrscht wurde. Auch die im Gebiet des Königreichs Ungarn ansässigen bulgarischen Exilgemeinden des 18. Jahrhunderts sprachen Bulgarisch als Muttersprache, übernahmen aber aus Loyalität zum Hause Habsburg auch das Deutsche, überdies spielte auch Latein im kirchlichen Gebrauch eine gewissen Rolle. Diese sprachliche Situation der Bulgaren begünstigte, so Parvev, die Herausbildung eines bulgarischen Nationalbewußtseins, doch hatte dafür die Religion eine zweifellos größere Bedeutung.

Ausgangspunkt der Überlegungen in der Schlußdiskussion war der frühneuzeitliche Staatsbegriff, bzw. der Apparat, dessen Herrschaft Sprache bedurfte, um Staatlichkeit auszubilden. Es wurde deutlich, daß der Konnex von Sprache und Politik, der die Bereiche der Religion, der Verwaltung und des Rechtes umfaßt, einen Schlüssel zum besseren Verständnis frühneuzeitlicher Herrschaftsverhältnisse darstellen kann. Damit wird auf die Komplexität der Beschreibung von Machtausübung und Machtverhältnissen insgesamt verwiesen. Eine Bilanz läßt der Forschungsstand aber noch nicht zu. Auch steckt die wechselseitige Ergänzung und Befruchtung von Geschichtswissenschaften und Linguistik erst in den Anfängen. Außerdem ist im frühneuzeitlichen Europa zwar häufig eine sprachpolitische Bewußtseinsbildung erkennbar, doch wurde selten die Brücke zur Praxis geschlagen.

In der aktiven politischen Verwendung von Sprache sind zwei Momente kennzeichnend: Zum einen blieb sie oft ein Element unter vielen in einer Politik, welche die Kultur insgesamt als Instrument einsetzte, zum anderen war sie aber oft genug nur unreflektiert gebrauchtes Zubehör von Staatlichkeit. Der selbstverständliche Einsatz von Sprachen als Herrschaftsmittel mußte keineswegs mit Bewußtheit über den instrumentellen Charakter von Sprache einhergehen. Möglicherweise war sie anders als Religion, Verwaltung und Recht kein Baustein des modernen Staates, aber der Zement, der den ganzen Bau zusammenhielt. Wie zahlreiche Beispiele belegten, sahen Denker und politisch Handelnde in der europäischen Frühneuzeit zwar das Potential von Sprachpolitik, doch kam es wegen der spezifischen Entwicklungsbedingungen frühneuzeitlicher Staatlichkeit jeweils nur in Ansätzen zur Entfaltung. In der Diskussion wurde angeregt, das Thema weiterzuverfolgen und in zeitlicher (Einbeziehung des Mittelalters) und methodischer Hinsicht noch zu erweitern.

Die Tagung wurde von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert. Die Beiträge sollen in einem Beiheft der "Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte" erscheinen.