Lichtbild(er) - Abbild(er) - Vorbild(er): Zu Umgang und Wirkung volks- und völkerkundlicher Fotografien

Lichtbild(er) - Abbild(er) - Vorbild(er): Zu Umgang und Wirkung volks- und völkerkundlicher Fotografien

Organisatoren
Gesellschaft für Ethnographie e.V., Berlin; Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität zu Berlin; Museum Europäischer Kulturen der Staatlichen Museen zu Berlin - Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.11.2004 - 06.11.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Julia Franke, Berlin

Die Macht von Bildern wurde erst kürzlich wieder deutlich, als der Senator und Vizebürgermeister der Hansestadt Bremen zurücktreten musste, weil er eben diese Macht unterschätzt hatte. So zumindest seine eigene Interpretation der Tatsache, dass eine über dem Kopf eines Obdachlosen entleerte Magnumflasche Sekt ihn zum Rücktritt zwang. Nicht das Handeln selbst, sondern die Tatsache, dass dieses fotografisch festgehalten wurde, zwang ihn zum sofortigen Verzicht auf seine politischen Ämter.

Auf der Tagung Lichtbild(er) - Abbild(er) - Vorbild(er): Zu Umgang und Wirkung volks- und völkerkundlicher Fotografien, die im November 2004 in Berlin stattfand, wurde den historischen Spuren dieser Macht der Fotografie, Wirklichkeit zu repräsentieren und Wahrnehmung zu beeinflussen, nachgegangen. Von der Macht der Bilder, von der Konstruktion von Selbst- und Fremdwahrnehmungen, vom Umgang mit einer archivierenden Kulturtechnik und in unterschiedlichen historischen Kontexten handelten die insgesamt zwölf Vorträge. Die zeitgenössische - gerade auch die digitale - Fotografie, die etwa auch den Fehltritt des Senators in jene jpg-Datei konvertierte, die abends in der tagesschau zu sehen war, suchte man auf der von der Gesellschaft für Ethnographie e. V. ausgerichteten Tagung vergebens. Ein Kritikpunkt, der durchaus als aufmunternde Anregung verstanden werden soll: als Einforderung eines Mutes zu stärkerer Gegenwartsorientierung und zur Interpretation und Einordnung aktueller fotografischer Praxen.

Im Mittelpunkt stand die Frage nach dem Gebrauch und der Rezeption von Fotografien in der Ethnologie und der Volkskunde/Europäischen Ethnologie. Reflektiert werden sollte der Umgang mit Fotografien als wissenschaftliches Erkenntniswerkzeug und weniger der akademische Blick auf das Fotografieren als alltäglicher sozialer Praxis. Denn in beiden akademischen Disziplinen stellte der Fotoapparat schon sehr früh ein Werkzeug dar, das das Sammeln von Informationen in der eigenen wie in "fremden" Kulturen ergänzt hat.

Auch deshalb eröffnete ein gewissermaßen als theoriegeschichtliche Klammer platzierter Vortrag von Thomas Overdick (Hamburg) die Tagung. Unter dem Titel Anschauliches Verstehen: Zur Konversion des Blickes in der Fotografie leitete er den Begriff des "anschaulichen Verstehens" mit Rückgriff auf den französischen Soziologen Pierre Bourdieu in vier Schritten her: aus den Diltheyschen Begriffen des "Erlebens" und der "Vorstellungskraft", der "Autonomisierung des Sehens" (Konrad Fiedler), der Einheit von Wahrnehmung und Denken" (Rudolf Arnheim) sowie des "sehenden Sehens" und des "wiedererkennenden Sehens" (Max Imdahl). Overdick verknüpfte die unterschiedlichen hermeneutischen Ansätze mit der Frage nach der Beschaffenheit respektive der Qualität des "ethnologischen Auges", nach den Möglichkeiten der Visualisierung sozialer und kultureller Realitäten. Er unterlegte seine erkenntnistheoretischen Überlegungen mit Fotografien von Peter Bialobrzeski, die die architektonische Topografie asiatischer Megacities thematisierten - übrigens die einzigen zeitgenössischen Fotografien, die auf der Tagung gezeigt wurden.

Brigitte Bönisch-Brednich (Wellington/Neuseeland) fragte anhand des Kinderbuchs Washday at the Pa von Ans Westra aus dem Jahr 1964 "Which reality is real?": Fotografische Repräsentation und bikulturelle Politik in Neuseeland. Die in Washday at the Pa enthaltenen Fotografien über den Alltag einer Maori-Familie entzündeten in Neuseeland zum Zeitpunkt ihrer Publikation eine Kontroverse um die fotografische Repräsentation einer Kultur, die zugleich auf die Wahrnehmung der Bilder wie der abgebildeten Menschen zurückwirkte. Die Fotografien wurden von den einen als dokumentarisch, von anderen als die Lebensweisen der Maori und damit diese selbst abwertend wahrgenommen: Die Autorin und Fotografin Westra zeige eine pastorale Idylle in God's Own Country, deren idealisiertes Landleben nichts mit der Realität der tatsächlichen Rassenverhältnisse gemein habe. Bönisch-Brednich unterstrich den polysemischen Charakter der Fotografien und zeigte, wie die Bilder, jenseits der Intention des Fotografierenden, in hegemonielle Lesarten eingebunden werden und diese zugleich konterkarieren.Sie spitzte ihren Vortrag auf die Frage nach dem "Copyright" an einer Kultur zu.

Ulrich Hägele (Tübingen) sprach anschließend zum Thema Fotografische Konstruktion des Ländlichen. Dorothea Lange, Erna Lendvai-Dircksen - zwei Karrieren zwischen Pathos und Propaganda. Im Vergleich der Werke, die beide in den 1930er Jahren entstanden sind und die ebenfalls beide das ländliche Milieu zum Gegenstand hatten, arbeitete Hägele die unterschiedlichen Ansätze und Handlungsstrategien beider Fotografinnen heraus. Während sich Dorothea Lange in den USA als Pionierin der sozialdokumentarischen Fotografie einen Namen machte, entstanden die Arbeiten von Erna Lendvai-Dirksen im damaligen Deutschen Reich unter einer rassenpolitisch ausgerichteten Perspektive.

Karl Braun (Marburg) und Javier Herrera (Madrid/Spanien) näherten sich in ihren Vorträgen der fotografischen Repräsentation der spanischen Region Extremadura und deren filmischer Verarbeitung in Luis Buñuels Film Las Hurdes - Tierra sin pan. Gewissermaßen vorbereitet wurde die Wahrnehmung der spanischen Region durch die Fortografien des Fotojournalisten W. Eugene Smith (1918-1978), dem sich Braun in seinem Vortrag Extremadura - Zur fotografischen Repräsentation einer armen Region widmete. Braun zeigte eindrücklich den diesen Fotografien zu Grunde liegenden Konstruktionscharakter sozialer Ungleichheit. Er regte dazu an, die heutigen Bewohner der Extremadura nach ihren Eindrücken und Meinungen zu diesen (Ab-)Bildern ihrer Region zu befragen, denn aus den mittlerweile historischen Fotografien erwüchsen in Bezug auf Umfeld und Wirkungen neue Herausforderungen. Javier Herrera bezog sich in seinem Vortrag insbesondere auf das Weiterwirken des Armutsbildes bis hin zur filmischen Repräsentation durch Buñuel.

Der zweite Tagungstag wurde von Frank Stephan Kohl (São Paulo/Brasilien) und seinen Vortrag A. Frisch und die ersten Amazonasfotografien (1867) - Aufnahmen für die Wissenschaft oder kommerzielle Bilder? eröffnet. Albert Frisch, der erste Fotograf, der das Amazonas-Gebiet fotografierte, portraitierte die Region um den Fluss Nabatinga und zeigte diese, das arbeitete Kohl eindrücklich heraus, nicht nur als Natur- sondern als Kulturlandschaft. Doch obwohl Themen wie Abholzung und Schifffahrt in den Fotografien gezeigt werden, repräsentieren sie in ihrer Gänze ein Bild des Amazonas, in dem der technische Fortschritt, der in der Region stattgefunden hatte, ausgeblendet wird. Kohl konnte außerdem zeigen, dass es sich bei den Abbildungen von Menschen um gestellte Fotografien und um Collagen handelt: Frisch fügte die fotografierten Menschen zu Gruppen zusammen und stellte sie in andere Kulissen. Warum Frisch so vorging, kann nicht abschließend geklärt werden: Es kann sein, dass die optischen Möglichkeiten der zeitgenössischen Fotografie diese Hilfskonstruktionen verlangten, es kann auch sein, dass Frisch die Abgebildeten so als vermeintlich noch authentischer darstellen wollte. Der konstruierte Charakter der Abbildungen, darauf wies Kohl in der Diskussion hin, wurde zeitgenössisch nicht bemerkt. Vielmehr seien die Bilder der Indianer von Albert Frisch zu den Bildern von Indianern im Amazonas-Gebiet geworden.

Ursula Tiemer-Sachse (Berlin) gab in ihrem Vortrag Arbeiten und miteinander lachen! - Erfahrungen mit den Mixe (Oaxaca, Mexiko) in ihrem alltäglichen und rituellen Leben anhand ihrer eigenen Forschungen Einblicke in die Problematik des Fotografierens im ethnologischen Feld. Tiemer-Sachse begann mit einem historischen Abriss über (fotografische) Abbilder von Mexiko - beginnend mit Alexander von Humboldt, der mit seinen Darstellungen an der Schwelle zum 19. Jahrhundert ein sinnliches Bild eines exotischen Landes vermittelte. Insgesamt, so das vorläufige Fazit, bestimmte das Bild des zur emotional aufgeladenen Kulisse degradierten Menschen das Bild des Mexikaners und der Mexikanerin. Wie schwer es gleichwohl ist, diese Lebenswelten vermeintlich authentisch abzubilden, thematisierte Ursula Tiemer-Sachse anhand ihrer eigenen Forschungserfahrungen.

Auch Lydia Icke-Schwalbe (Dresden) verhandelte in ihrem Vortrag Eigene Moral und Ästhetik - ein Problem für Fremdwahrnehmung in der historischen Fotografie die Problematik des Bildermachens, die immer mit der Gefahr der Klischeesierung konfrontiert ist. Fotomaterial, das in Indien und in Japan Ende des 19. Jahrhunderts aufgenommen wurde, interpretierte sie als Dokumente einer Annäherung eines Fotografen an eine ihm fremde Kultur. Zugleich konnte sie zeitgenössische Vermarktungsstrategien aufzeigen, denn die Fotografien wurden nach europäischen Maßstäben manipuliert. So musste auf Portraits die Frau rechts vom Mann positioniert und mussten Genitalien verdeckt sein. Ferner wurden die Fotografien mit Aquarellfarben koloriert. Auffällig sei, so die Referentin, die Diskrepanz , dass die Chinesen auf den Fotografien koloriert wurden, die Preußen hingegen nicht. Abschließend warf Icke-Schwalbe die Frage auf, ob man zeitgenössisch habe konstruieren müssen, um vermeintlich authentisch zu sein.

Die vier Vorträge, die die Tagung abschlossen, thematisierten fotografische Sammlungen in Deutschland. Margot Kahleyss (Berlin) beschäftigte sich in ihrem Vortrag Muslime in Brandenburg. Kriegsgefangene im 1. Weltkrieg. Ansichten und Absichten mit der fotografischen Konstruktion der Lebenswelt muslimischer Kriegsgefangener in einem Kriegsgefangenenlager in Brandenburg. Diese diente ihr zum einen als Beispiel von Identitätskonstruktionen innerhalb der Selbst- und Fremdwahrnehmung, zum anderen zeigte sie, dass vermeintlich dokumentarische Fotos als Propagandamaterial genutzt worden sind.

Volker Jahnke (Schwerin) wies am Beispiel der aus den 1930er Jahren stammenden Fotoserie Das schöne Mecklenburg von Karl Eschenburg (1900 - 1947) die unterschiedliche Kontextualisierung und ideologische Aufladung identischer Bildmotive nach.

Irene Ziehe (Berlin) referierte in ihrem Vortrag Bildtafeln - ein wissenschaftliches Dokumentationsmedium am Beispiel des Bestandes im Museum Europäischer Kulturen über den Umgang mit historischen Bildtafeln als Medium der wissenschaftlichen Dokumentation. Sie wies auf die wissenschaftshistorische Bedeutung des Mediums der Fotografie für die Ethnografie hin und plädierte für einen dem Gegenstand angemessenen "museumspraktischen Umgang" damit.

Abschließend gab Jeanne Rehnig (Berlin) in ihrem Vortrag Alle Wege führen nach Seifhennersdorf ein anschauliches Beispiel für die Schwierigkeit der nachträglichen Rekonstruktion des kulturhistorischen Hintergrunds von fotografischen Bilderfunden. Das von ihr vorgestellte Konvolut aus Privatbesitz (alltägliche Motive aus dem Familienalbum) erlaubte viele Mutmaßungen über die Biografie des ehemaligen Besitzers und Protagonisten der Fotografien. Rehnig warf die Frage auf, wie mit dem fotografischen Erbe von Privatpersonen umzugehen sei, gerade auch im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte und die Intimsphäre eines Menschen.

Die Vielzahl der einzelnen Redebeiträge barg gleichermaßen vielfältige Herangehensweisen an das Tagungsthema. Die Tagung wurde ihrer Zielsetzung gerecht, Wissenschaftler der Volkskunde/Europäischen Ethnologie und der Völkerkunde/Ethnologie miteinander ins Gespräch zu bringen, einen fachlichen Austausch zu initiieren oder zu vertiefen.
Ende 2005 soll - von Jane Redlin und Falk Blask herausgegeben - ein Tagungsband in der Reihe der Berliner Blätter. Ethnografische und ethnologische Beiträge erscheinen. Er wird neben den Vorträgen auch den angekündigten Beitrag von Annette Schade (Berlin) "Zur Historisierung fotografischer Evidenz: die Sammlungen Arthur Baessler und Richard Neuhauss im Ethnologischen Museum Berlin" enthalten.


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts