Bilder aus den Bergwerks- und Hüttenbetrieben – Auftragskontexte fotografischer Repräsentationsalben (1890-1920)

Bilder aus den Bergwerks- und Hüttenbetrieben – Auftragskontexte fotografischer Repräsentationsalben (1890-1920)

Organisatoren
Institut für Industriearchäologie, Wissenschafts- und Technikgeschichte (IWTG), TU Bergakademie Freiberg
Ort
Freiberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.05.2018 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Torsten Meyer, Forschungsbereich Bergbaugeschichte, Deutsches Bergbau-Museum Bochum

Die im Rahmen des von der Volkswagen Stiftung geförderten Projekts „Bergbaukultur im Medienwandel – Fotografische Deutungen von Arbeit, Technik und Alltag im Freiberger Raum“ durchgeführte Tagung wurde von HELMUTH ALBRECHT (Freiberg) eröffnet. Ziel der Konferenz war die vergleichende Untersuchung fotografischer Darstellungen des untertägigen Bergbaus und deren Entstehungskontexte für den Zeitraum von ca. 1890 bis 1920. Eingeladen worden waren hierzu internationale Gäste, die die Ausrichtungen fotografischer Alben europäischer Bergbaureviere in ihren nationalen Kontexten vorstellten. Die bislang wenig bekannten und nicht erforschten Beispiele sollten so miteinander verglichen werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu identifizieren.

In ihrer Einführung führte GISELA PARAK (Freiberg) den „Durchbruch“ der untertägigen Bergwerksfotografie um 1890 aus. In diesen Zeitraum ließen sich zahlreiche internationale Beispiel so genannter „Repräsentationsalben“ im Montanbereich finden, wobei zu untersuchen sei, wie diese im Einzelnen durch verschiedene Akteure zu unterschiedlichen Zwecken genutzt und eingesetzt wurden. Die Repräsentationsalben, die vor allem die untertätige Arbeitswelt bebilderten, aber auch technologische Innovationen des 19. Jahrhunderts vorstellten und in der Lehre eingesetzt wurden, unterschieden sich von fotografischen „Erinnerungsalben“, wie sie beispielsweise für das Unternehmen Fr. Krupp beschrieben wurden. Spätestens seit der Weltausstellung in Chicago im Jahre 1893 habe sich ein grundlegender Wandel vollzogen, die Fotografie sei zunehmend bedeutungstragendes Element der unternehmerischen public relation geworden. Parak zeigte Beispiele einer fotografisch umgesetzten Außendarstellung von Unternehmen als sozial handelnde Akteure, in denen die Unternehmen Elemente ihrer betrieblichen Arbeiterfürsorge auf Ausstellungen exponierten, um so ein positives Bild der Arbeitsbedingungen der Bergarbeiter zu generieren.

SARAH LLOYD-DURRANT (Cornwall) präsentierte das für die englische Bergbaufotografie wegweisende Album von John Charles Burrow „‘Mongst Mines and Miners – Underground Scences by Flashlight“ von 1893. Der im Woodbury-Verfahren gedruckte Band zeigt Bilder dreier Minen aus dem Cornwall District. Burrows Fotografie wurde hier von Lehrenden der Camborne School of Mining in Auftrag gegeben, die seine Fotografien in ihren Lehrbüchern einsetzten und später teilweise selbst als Fotografen tätig wurden. Llyod-Durrant verdeutlichte anhand von Bildbeispielen die komplexe Ausleuchtung der untertägigen Szenerien durch Burrow und erläuterte dessen dynamische Bildkompositionen, die mit ungewöhnlichen, teilweise auch gefahrenvollen Kamerastandpunkten experimentierten, um einen bestmöglichen Eindruck der Arbeit untertage zu erzeugen. Obwohl Burrow die Arbeiten seines Freiberger Fotografenkollegen Heinrich Börner bekannt gewesen sind, zeugten seine Bildkompositionen von einer anderen Ausrichtung fotografischer Darstellungskonventionen in England als in Sachsen; der Gruppenakkord der Bergarbeit ist zwar auch in Burrows Fotografien dargestellt, die Gruppenkonstellationen verweisen jedoch auf ein anderes Sozialgefüge des englischen Bergbaus.

Im Kontrast zu den Darstellungen des englischen Bergbaus gab ANNE DRECHSEL (Lüttich) einen Einblick in den wallonischen Kohlebergbau anhand der fotografischen Serie „La Houillère“ (Das Kohlenbergwerk) von Gustave Marissiaux, einem in dieser Zeit auch international bekannten Kunstfotografen des Piktorialismus. Die Stereofotografien wurden 1904 vom Lütticher Kohlesyndikat in Auftrag gegeben, um dieses 1905 auf der Weltausstellung in Lüttich zu repräsentieren. Marissiaux fertigte die Aufnahmen in Zusammenarbeit mit Felix Durien an. Seine fotografische Darstellung des Bergbaus zeichne sich durch künstlerische Gestaltungselemente wie beispielsweise Lichteffekte aus. Dies habe zugleich dazu geführt, dass nicht die realitätsnahe Darstellung von Arbeit im Mittelpunkt der Betrachtung stand als vielmehr die Glorifizierung des Arbeitsorts. Selbst harte Tätigkeiten hätten so eine ästhetische Überhöhung erfahren, Marissiaux habe das Bergwerk wie eine Kathedrale dargestellt. Soziale Fragen, Rechte der BergarbeiterInnen und deren Arbeitsbedingungen, die seit den 1880er-Jahren in Belgien erbitterte Arbeitskämpfe auslösten, seien in Marissiauxs beschönigenden Darstellung der Bergarbeit ausgeblendet worden.

BARBARA KONWERSKA (Wieliczka) präsentierte das fotografische Album von Awit Szubert über das Wieliczkaer Salzbergwerk von 1893. Für das bedeutende Salzbergwerk haben hier seit dem 15. Jahrhundert zahlreiche ikonografische Darstellungen in Form von Karten, Zeichnungen und Grafiken vorgelegen. Anhand eines 1842 in Wien verlegten druckgrafischen Albums von J. N. Hrdina erläuterte Konwerska die bildlichen Vorbilder der Darstellung des Salzbergwerks, die das Bergwerk in Tradition der Reisefotografie vorstellten und zur Popularität und Bekanntheit Wieliczkas beitrugen. Szuberts Album von 1893 habe an diese Traditionen angeknüpft und die bekanntesten der prachtvoll mit bildhauerischen Salzarbeiten ausgestatteten Kammern bebildert. Konwerka zeigte zudem eine kleine Serie von Fotografien von um 1912, die dem Fotografen zuzuschreiben seien, die aber Abbautätigkeiten des aktiven Bergwerks festhielten. Das von Szubert selbst vertriebene Album sei auch international nachgefragt worden, heute dienten die Fotografien neben ihren künstlerischen Qualitäten als wichtige historische Quellen für die Rekonstruktion der nicht mehr vorhandenen Hohlräume der Saline des 19. Jahrhunderts.

IRMA KOZINA (Kattowitz) schlug mit einem 1928 verlegten Album des Fotografen Max Steckel den Bogen ins 20. Jahrhundert und charakterisierte dessen ästhetischen und zugleich emotionalen fotografischen Bilddarstellungen aus dem oberschlesischen Kohlenbergbau als „Fotoreportage“. Im Album „Schwarze Diamanten“ verknüpften sich sozialhistorische und topografische Bilddarstellungen, Steckel sei es darum gegangen, im Zuge der sich anbahnenden Weltwirtschaftskrise Verständnis für den „Geist“ des Steinkohlebergbaus zu wecken und Grundlagen für die Vermittlungsarbeit zu schaffen. Er habe eine dauerhafte mediale Geschichtserzählung zu erzeugen versucht. Diese sei über eine aktuelle Informationsvermittlung hinausgegangen und wurde von Kozina als „Steckelscher Zyklus“ bezeichnet. Den Kern dieser Fotoreportage hätte die Kongruenz zwischen Text und Bild ausgemacht, komplexe technische Vorgänge seien mit künstlerisch inszenierten Abbildungen auf populäre Weise dargestellt worden, um diese einem breiten Publikum zu vermitteln.

GISELA PARAK (Freiberg) nahm eine Kontextualisierung der Untertagebilder des Freiberger Fotografen Heinrich Börner vor und verglich Börners Album von 1892 mit den Mappenwerken des Zeichners Eduard Heuchler von 1855/57, die als stilistische Vorlagen der Bebilderung des Freiberger Bergbaus zu betrachten seien. Heuchler habe auch volkstümliche Szenen aus dem bergmännischen Leben dargestellt, der Kern seiner zeichnerischen Darstellungen lasse sich jedoch über deren starke Idealisierung der Darstellung der untertägigen Bergarbeit charakterisieren. Heuchler habe einen stark beschönigten Einblick in die Arbeitsbedingungen des Bergbaus, des Hüttenwesens und das sächsische Knappschaftssystem gegeben. Börner hingegen habe sich auf die Darstellung des untertätigen Grubenwesens konzentriert, um die unbekannten Bildwelten für die breite Öffentlichkeit erfahrbar zu machen. Seine Stilistik changiere zwischen Überinszenierung und Suggestion eines „authentischen“ Einblicks in den Arbeitsalltags des Bergbaus. Aufgrund unbeschönigter Details könne man diese leicht mit einer „wahrheitsgetreuen“ Darstellung des Bergbaus verwechseln. In anderen Mappenwerken habe Börner versucht, die technischen Innovationen des Bergbaus zu bebildern. Seine Aufnahmen wurden auch in der Lehre verwertet, was ein Lehrbuch des Freiberger Professors Emil Treptow aus dem Jahre 1900 zeige, welches jedoch nicht das neueste technische Wissen tradiert habe. Zwar wurde in bergbaulichen Lehrbüchern und den bergbaulichen Fachzeitungen der Zeit um 1890 die technischen Neuerungen über das Stichwort der Mechanisierung intensiv erörtert und auch bildlich dargestellt, Leitmedium des horizontalen Wissenstransfers sei jedoch nicht die Fotografie, sondern nach wie vor die technische Zeichnung gewesen. Parak verwies so auf die Lücke zwischen Visualisierung des technischen Möglichen und der in der Praxis angewandten Technik.

In einem zweiteiligen Vortrag folgte ein Streifzug durch die Entwicklung der Bergwerksfotografie im Oberharz. Zunächst präsentierte ULRICH REIFF (Clausthal-Zellerfeld) anhand der Aufnahmen von Fotografenpersönlichkeiten die zum Teil völlig verschiedenen Techniken der Pionierzeit, wie William Zirkler jun., der eine Mappe mit inszenierten Bildern zu den Oberharzer Gruben für die Weltausstellung in Chicago 1893 erstellte, sowie Bruno Baumgärtel, ein Mineraloge, der Fotografie als wissenschaftliches Medium nutzte und für die „Oberharzer Gangbilder“ eine Dunkelkammer unter Tage installierte. Im zweiten Teil des Vortrags untersuchte JOHANNES GROßEWINKELMANN (Goslar) die Fortführung der im Oberharz etablierten Bildkonventionen anhand des Fotobestandes der Preussag aus den Jahren 1910 bis 1980. Eine individuelle Handschrift sei in diesen Fotografien nicht festzustellen. Man merke, dass den Werksfotografen die Örtlichkeiten vertraut waren und es ihnen um eine rationale Darstellung von Technik als Errungenschaften des Fortschritts gegangen sei, während künstlerische Aspekte fehlten. Arbeitsbedingungen wurden kaum thematisiert und wenn, dann überzeichnet. Dies wertete Großwinkelmann als Kontinuität der durch die Fotopioniere geprägten Inszenierung. Erst ab den späten 1960er-Jahren nahm mit dem Einsatz von freiberuflichen Fotografen die Interpretationsbandbreite zu. Zu den weiter dominierenden Motiven der Gebäude und Anlagen traten nun auch Innenansichten und Arbeitsmotive, die aber weiter überwiegend kritikfrei blieben.

ROLF SACHSSE (Saarbrücken / Bonn) stellte die Ergebnisse seiner Recherchen zu Bilderalben aus der saarländischen Kohle- und Stahlindustrie vor. Hier sei eine Serie von Carl Heinrich Jacobi aus dem Jahre 1866 zu nennen, welche sich durch Überbelichtung und weitwinklige Aufnahmen auszeichne und weitgehend auf Personen verzichtet habe. Für die 1880er-Jahre konnte eine Industriedokumentation von L. Charlet für den Neunkirchner Stahlunternehmer Stumm ausfindig gemacht werden. Das Album folge keiner erkennbaren Erzählung oder Chronologie. Häufig seien Einzelaufnahmen von Großereignissen auf Zechen enthalten, ergänzt durch einige Aufnahmen, bei denen auch soziale Aspekte thematisiert wurden. Während über den Bergbau bis zum Ersten Weltkrieg zumindest in kleinerem Umfang Material erhalten geblieben sei, haben sich für die Zwischenkriegszeit unter französischer Besatzung kaum Bilder finden lassen.

RALF STREMMEL (Essen) erläuterte den facettenreichen Bestand der fotografischen Überlieferung des Bochumer Vereins für Bergbau und Gußstahlfabrikation. Anhand der Werksfotografen Anselm Schmitz, Edmund Risse und Hermann Günther zeigte er auf, welche Bedeutung das Unternehmen seit den 1860er-Jahren seiner Werksfotografie zuwies. Stremmel zeigte auf, dass es im Laufe der Zeit zu einem Wandel der Ausrichtung der Werksfotografie gekommen sei, auch hinsichtlich der Bildsprache. Fehlte anfangs die Individualität – alle Innenaufnahmen wirken mechanisch und distanziert unpersönlich, aber auch präzise, detailreich und scharf – so entwickelten sich repräsentative fotografische Alben bis in die 1880er-Jahre zu einem exklusiv gefertigten Kunstwerk. Nach der Jahrhundertwende wären die künstlerischen Alben, die dem Unternehmen eine denkmalähnliche Rolle zukommen ließen, sukzessive durch gedruckte broschürenartige Alben abgelöst worden, was wiederum einer generellen Entwicklung entspräche. Stremmel charakterisierte die Fotografien über deren Funktion als einen „multifunktionalen Rohstoff“.

In der abschließenden Diskussion verwies IRA SPIEKER (Dresden) noch einmal auf die Notwendigkeit der Eingrenzung der historischen Zeiträume zur Schärfung des Untersuchungsgegenstandes. Insgesamt solle der Kontext der Bildherstellung wo möglich noch stärker ausgearbeitet werden. Dabei seien insbesondere die äußeren Umstände und die Rolle der Auftraggeber sowie die Vita der Fotografen und deren künstlerische Biographien zu berücksichtigen. Dies gälte ganz besonders bei der Einordung der Bedeutung von Ästhetisierung und Inszenierung, sie plädiere zudem für eine kritische Reflexion der Übernahme von Zuschreibungen wie „realistisch“, „authentisch“, oder „dokumentarisch“. Laut MICHAEL FARRENKOPF (Bochum) gab die fotohistorische Auseinandersetzung mit dem Thema Bergbau der bergbauhistorischen Forschung neue Impulse, vor allem für technische Aspekte in Zeiten des „Visual Turn“. Der Begriff der Repräsentationsalben müsse weiter gefasst werden als dessen bergbauhistorische Interpretation. Er regte ferner an, die nationalen Deutungsmuster der Darstellung des Bergbaus noch stärker komparativ zu untersuchen. HELMUTH ALBRECHT (Freiberg) sprach sich aus Sicht des Technikhistorikers dafür aus, fotografische Bilder als eigene Quellengattung und nicht bloß als bildliche Illustrationen zu verstehen. Der auf der Tagung betriebene Dialog mit Vertretern der Fotogeschichte habe hierfür wertvolle Impulse geliefert.
Insgesamt zeigte die Tagung die hohe Anschlussfähigkeit der Disziplin nicht nur für die Technikgeschichte, sondern auch für die Sozial-, Wissenschafts- und Umweltgeschichte. Daher darf der geplanten Veröffentlichung der Tagungsergebnisse interessiert entgegengesehen werden.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Einführung

Helmuth Albrecht (Freiberg) / Gisela Parak (Freiberg)

Sektion I
Moderation: Helmuth Albrecht (Freiberg)

Sarah Lloyd-Durrant (Cornwall): Mongst Mines and Miners‘: The mining photography of J. C. Burrow

Anne Drechsel (Lüttich): Gustave Marissiaux’s „La Houillère“

Sektion II
Moderation: Gisela Parak (Freiberg)

Barbara Konwerska (Wieliczka): Awit Szubert – Der erste Fotograf der Wieliczkaer Saline (1892)

Irma Kozina (Kattowitz): Max Steckel und seine „Schwarzen Diamanten“ – Die fotografische Darstellung der oberschlesischen Berggruben vor dem Zweiten Weltkrieg

Sektion III
Moderation: Ira Spieker (Dresden)

Gisela Parak (Freiberg): Heinrich Börner und Emil Treptow – Fotografie als Wissenstransfer

Ulrich Reiff (Clausthal-Zellerfeld) / Johannes Großewinkelmann (Goslar): Der lange Schatten der Pioniere – Die Wirkung der frühen Harzer Bergwerksfotografen auf die Werksfotografie der PREUSSAG

Sektion IV
Moderation: Michael Farrenkopf (Bochum)

Rolf Sachsse (Saarbrücken): Schwere Industrie, bedeutende Männer – Fotografische Repräsentationen von Kohle und Stahl im Saarland

Ralf Stremmel (Essen): Frühe Fotografien und Repräsentationsalben des Bochumer Vereins für Bergbau und Gußstahlfabrikation

Moderation: Helmuth Albrecht (Freiberg)

Michael Farrenkopf (Bochum) / Ira Spieker (Dresden): Kommentar und Schlussworte


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