Bundesweites Gedenkstättenseminar. Erinnerung an Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit in den Lagern der Wehrmacht 1939-1945

Bundesweites Gedenkstättenseminar. Erinnerung an Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit in den Lagern der Wehrmacht 1939-1945

Organisatoren
Gedenkstätte und Museum Trutzhain, Bundeszentrale für Politische Bildung, Stiftung Topographie des Terrors, Hessische Landeszentrale für Politische Bildung, Schwalmstadt-Trutzhain
Ort
Schwalmstadt-Trutzhain / Romrod/Alsfeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.05.2005 - 29.05.2005
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Von
Waltraud Burger, Gedenkstätte und Museum Trutzhain, Stadt Schwalmstadt

Sechzig Jahre nach Kriegsende hat das bundesweite Gedenkstättenseminar das Thema Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit in den Lagern der deutschen Wehrmacht aufgegriffen und an die Unrechts- und Leidensgeschichte von Kriegsgefangenen aus vielen Ländern erinnert.
Als Tagungsort fungierte die im Sommer 2003 eröffnete Gedenkstätte und Museum Trutzhain im nordhessischen Schwalmstadt-Trutzhain, die sich am Ort des ehemaligen Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager (Stalag) IX A Ziegenhain befindet. Mit über 10.000 Gefangenen vieler Nationen zuzüglich 44.000 in externen Arbeitskommandos war das Stalag IX A das größte Kriegsgefangenenlager auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Hessen.

Die Tagung eröffnete Mark Spoerer (Universität Hohenheim) mit einem Überblicksvortrag über die ideologischen und rüstungswirtschaftlichen Hintergründe zum nationalsozialistischen „Ausländereinsatz“. Der massenhafte Einsatz ausländischer Arbeitskräfte spielte sich in einem komplexen Spannungsfeld zwischen nationalsozialistischer Rassendoktrin und rüstungswirtschaftlichem Pragmatismus ab. Signifikant hierfür ist der Umgang mit den sowjetischen Kriegsgefangenen, deren Schicksal Rolf Keller (Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Celle) darlegte. Die „bolschewistisch infizierten Slawen“ wurden ideologischen Bedenken zum Trotz ab Spätsommer 1941 aufgrund des eklatanten Arbeitskräftemangels dem Arbeitseinsatz vornehmlich in der Industrie und der Rüstungsproduktion oder dem Gleis- und Straßenbau zugeführt. „Die Auswertung der Angaben auf den Personalkarten – vor allem in der seit einigen Jahren zugänglichen Kartei der Unteroffiziere und Mannschaften im Zentralarchiv des russischen Verteidigungsministeriums in Podolsk (CAMO) zeigt […], dass der Arbeitseinsatz der sowjetischen Kriegsgefangenen im Reichsgebiet [– entgegen landläufiger Expertenmeinung] unmittelbar nach dem Eintreffen der Gefangenen Ende Juli/Anfang August 1941 systematisch, flächendeckend und in großem Umfang einsetzte“.1 Da den anfänglichen ideologischen Bedenken durch entsprechend unmenschliche Einsatzbedingungen Rechnung getragen wurde, geriet der Arbeitseinsatz der sowjetischen Kriegsgefangenen zur Katastrophe. Ihre Sterblichkeit in den Stalags und den Arbeitskommandos lag bis Frühjahr 1942 weit über der aller anderen Gefangenengruppen. Erst danach wurde die Behandlung und Ernährung der sowjetischen Kriegsgefangenen spürbar verbessert, wenn auch bis Kriegsende nicht den für die Kriegsgefangenen anderer Länder geltenden Standards angepasst.

Nach der italienischen Kapitulation vor den Alliierten am 8. September 1943 rangierten die italienischen Militärinternierten in der im NS-System und in den Stalags geltenden Rassenhierarchie neben den sowjetischen Kriegsgefangenen. Ihr Schicksal in den Stalags der Wehrmacht problematisierte Gabi Hammermann (KZ-Gedenkstätte Dachau).
Während nur ein kleinerer Teil der entwaffneten italienischen Soldaten den Kampf an der Seite der Wehrmacht fortzusetzen bereit war, wurde die Mehrheit als Kriegsgefangene in die Stalags des Deutschen Reiches und in die besetzten Gebiete verbracht. Ab dem 20. September 1943 erlebten sie ihre Überführung in den Status von Militärinternierten (IMI), der eine deutliche Verschlechterung ihrer Situation bedeutete. Mit der Aberkennung des Kriegsgefangenen-Status fand die Genfer Konvention auf sie keine Anwendung mehr, demzufolge war ihre Gefangenschaft von Entbehrungen, ständigem Hunger und tätlichen Übergriffen durch die Wachmannschaften geprägt. Die Mortalität unter den IMIs war hoch und wurde nur durch die der sowjetischen Kriegsgefangenen übertroffen.2

Am Beispiel der französischen Kriegsgefangenen, die neben den Briten und Amerikanern in den Stalags zu den privilegierten Nationen zählten, schilderte Klaus Volland (Gedenkstätte Sandbostel), um wie viel höher Überlebenschancen der französischen Kriegsgefangenen angesichts besserer Behandlung, Verpflegung und medizinischer Versorgung waren.
Die etwa 1,5 Millionen französischen Kriegsgefangenen wurden meist unverzüglich in den Arbeitseinsatz – zunächst in die Landwirtschaft, zunehmend aber in Industrie-, Handwerksbetriebe oder in die so genannten Baubataillone – überstellt. Neben dem wirtschaftlichen Bedarf an ihrer Arbeitskraft betrachteten die Nationalsozialisten sie auch als Faustpfand für die Kollaborationsbereitschaft Vichys. Und Pétain, im Irrglauben, dass der Krieg zugunsten Deutschlands entschieden sei und eine Freilassung der Kriegsgefangenen und eine künftige Junior-Partnerschaft mit Deutschland bevorstünde, verzichtete auf den Schutz der französischen Kriegsgefangenen durch die Schutzmacht USA und setzte für diese Aufgabe die Scapini Mission ein. Obwohl diese eine bessere Versorgung und bestimmte Privilegien, wie etwa die Gewährung sportlicher und kultureller Aktivitäten in den Lagern und den Kommandos für die französischen Gefangenen auszuhandeln vermochte, war der Weg frei für eine weitere Aushöhlung des Genfer Abkommens. So kam es ab 1942 u.a. zum Einsatz französischer Gefangener in der deutschen Rüstungsproduktion.

Die Auslegungen des Internationalen Völkerrechts während des Zweiten Weltkriegs und den Kriegsgefangenenschutz erläuterte Thilo Marauhn (Universität Gießen). In der Frage der Behandlung von Kriegsgefangenen bildete zwischen Deutschland und den westlichen Kriegsgegnern die Genfer Konvention von 1929 die Grundlage, zwischen Deutschland und der Sowjetunion die Vorschriften des Haager Abkommens von 1907. Zudem war das Deutsche Reich eindeutig an Artikel 82 der Genfer Konvention gebunden, der zur menschlichen Behandlung auch jener Kriegsgefangenen verpflichtete, deren Staaten – wie z.B. die Sowjetunion – das Abkommen nicht unterzeichnet hatten. Die dennoch während des Zweiten Weltkriegs zwischen den Hauptkriegsgegnern praktizierten unterschiedlichen Rechtsbeziehungen hinsichtlichlich des Kriegsgefangenenschutzes wären aus dem Gewohnheitsrecht entstanden, aufgrund dessen die Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts, manifestiert im III. Genfer Abkommen von August 1949, resultiere.3

Ein Schwerpunkt der Tagung bildete die Erkundung der Gedenkstätte Trutzhain über deren Entstehung und Konzept Waltraud Burger referierte. Die Gedenkstätte stellt eine Neukonzeption des ehemaligen „Museums für den Frieden“ dar, das, 1983 von der Kyffhäuser-Kameradschaft Trutzhain mit Unterstützung ehemaliger französischer Kriegsgefangener in Räumen des Gemeinschaftshauses Trutzhain gegründet, sich dort bis Dezember 2001 befand. Ausschlaggebend für die durch die Stadt Schwalmstadt beauftragte Neukonzeption war die problematische inhaltliche Gewichtung im Vorläufermuseum, in dem eine nachvollziehbare Abfolge der Geschichte des Stalags und seiner Umnutzungen und speziell die angemessene Problematisierung der Unrechts- und Leidensgeschichte der verschiedenen Kriegsgefangenengruppen fehlte.4
Die neue stark didaktisch ausgerichtete Gedenkstätte im ehemaligen Wachlokal des Stalags ist hingegen bemüht, alle Gefangenengruppen in das Gedenken an die Opfer des Kriegsgefangenenlagers einzubeziehen. Alle Gruppen werden in der Dauerausstellung behandelt und finden in der laufenden Forschungstätigkeit und in der Bildungsarbeit Berücksichtigung.
Zudem sind auch die Nachkriegsnutzungen des Lagers als Civil Internment-Camp 95 (1945-1946), als jüdisches Displaced Persons-/UNRRA-Lager 95-443 (1946-1947) sowie als Flüchtlingssiedlung (1948-1951) und schließlich die Gemeindegründung von Trutzhain durch Heimatvertriebene und Flüchtlinge präsentiert. Aufgrund der Menge an Exponaten aus der Stalagzeit ist die Trutzhainer Ausstellung als eine Mischung aus musealer Präsentation und gedenkstättentypischer Dokumentation ausgeführt.5

Der Vertiefung in die Ausstellung dienen verschiedene Zeitzeugenfilme, die die Dokumentarfilmer Edmund Ballhaus, Alina Sotkovska und Torsten Näser (alle Universität Göttingen/Gesellschaft für den Kulturwissenschaftlichen Film) den Tagungsteilnehmern vorstellten. In den Filmen „Erinnerungen an ein Kriegsgefangenenlager“ und „Kriegsbeute Arbeit. Einsatz von Kriegsgefangenen in Hessen“ berichten ehemalige Kriegsgefangene aus Polen, Rußland, Italien und Frankreich sowie Stalag-Personal und deutsche Zeitzeugen aus der Zeit im Stalag bzw. vom Arbeitseinsatz. „Erinnert und vergessen” handelt hingegen von der Flucht und Vertreibung der ersten Trutzhainer Generation und ihrem Neubeginn im Dorf Trutzhain, wobei das Hauptaugenmerk der kollektiven Geschichtsverarbeitung der Dorfbewohner gilt.

In Kleingruppen erfolgte die Erkundung der Dauerausstellung, des 2005 fertig gestellten Lagerrundgangs und der beiden Friedhöfe. Der heutige Schwalmstädter Stadtteil entstand 1951 aus dem Stalag IX A Ziegenhain heraus. Noch 37 ehemalige Lagerbaracken – darunter „Funktionsbaracken“ wie die ehemalige Kommandantur, die Baracke der Abwehr, die Wache, das Lazarett, verschiedene Werkstätten, die Lagerküche – sind heute noch vorhanden und bilden mit den Friedhöfen integrale Bestandteile der Gedenkstätte.6

Der überwiegende Teil der in einem Kriegsgefangenenlager registrierten Gefangenen arbeitete in so genannten Arbeitskommandos. Mehrere große Kommandos des Stalag IX A Ziegenhain arbeiteten in den Munitionsfabriken von Allendorf, dem heutigen Stadtallendorf im Landkreis Marburg-Biedenkopf und Exkursionsziel am dritten Tag der Tagung. Fritz Brinkmann-Frisch, Lydia Hartleben und Harald Maier-Metz vom Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Stadtallendorf berichteten beim Rundgang durch das Ausstellungshaus und bei der Besichtigung von Produktionsstätten über die Zwangsarbeit bei der Dynamid-Nobel AG und der Westfälischen Sprengstoff AG. In den beiden Betrieben arbeiteten bis zum Kriegsende etwa 17.000 ausländische Zwangsarbeitskräfte, Straf- und Kriegsgefangene sowie KZ-Häftlinge, darunter auch 1000 in Auschwitz selektierte ungarische Jüdinnen. Neben Stadtführungen mit den Themen Jüdischer Friedhof, Siedlungen aus der NS-Zeit, ehemalige Produktionsanlagen hält das DIZ ein breit gefächertes Programmangebot bereit, zu dem Filme, Vorträge, Sonderausstellungen, Gedenkveranstaltungen und insbesondere Arbeitsmaterialien für Schulen gehören.7

Der letzte Tagungspunkt war den aktuellen Entwicklungen in der Gedenkstättenlandschaft gewidmet. Klaus Volland (Verein „Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel“) berichtete, dass nach langjährigen Bemühungen kürzlich der Ankauf eines Teils des Grundstücks des ehemaligen Stalag X B Sandbostel gelungen, und der Verein seinem Ziel der Errichtung einer Gedenkstätte näher gekommen ist. Neben der Sicherung der historischen Baracken wird die Entwicklung eines Nutzungskonzepts die Arbeit der nächsten Jahre bestimmen.

Fazit
Die Forschung zur Geschichte des Systems der deutschen Kriegsgefangenenlager und zum Schicksal einzelner Gefangenengruppen steht noch am Anfang. Zwar hat sie durch Spezialstudien wie die von Hammermann, Otto und Keller wichtige Impulse erhalten. Jedoch gilt festzuhalten, dass die derzeitige Kriegsgefangenenlagerforschung keine Verankerungen an deutschen Universitäten besitzt. Sie lebt von der Kooperation einzelner, im Übrigen personell und materiell schlecht ausgestatteter Gedenkstätten und vom Austausch von Erfahrungen und Forschungsergebnissen zwischen ihnen. Deshalb ist es dankenswert, dass die Stiftung Topographie des Terrors als Hauptveranstalterin des bundesweiten Gedenkstättenseminars ein von Öffentlichkeit und Forschung wenig beachtetes Thema einem größeren Adressatenkreis geöffnet hat.

Anmerkungen:
1 Rolf Keller, Erkenntnisse zur Geschichte der „Russenlager“. Das Beispiel Bergen-Belsen. In : Für die Lebenden. Der Toten gedenken. Ein internationales Gemeinschaftsprojekt zur Erforschung sowjetischer und deutscher Kriegsgefangener und Internierter, Hg.v. Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft in Zusammenarbeit mit der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung und der Dokumentationsstätte Stalag 326 Senne, Dresden 2003, S. 50-57, hier S. 50.
2 Vgl. Gabriele Hammermann, Zwangsarbeit für den Verbündeten. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der italienischen Militärinternierten in Deutschland 1943 – 1945, Tübingen 2002.
3 Grundlegend: Dieter Fleck, Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994.
4, 5 Hierzu detailliert: Waltraud Burger, Gedenkstätte und Museum Trutzhain in Schwalmstadt. Eröffnung der vierten NS-Gedenkstätte Hessens, in: Gedenkstättenrundbrief 119 (6/2004), S. 9-18.
6 Zu den beiden Friedhöfen siehe ebd. und Hans Gerstmann/Karin Brandes, Gedenkstätte und Museum Trutzhain. Vom Stalag IX A Ziegenhain zur Gemeinde Trutzhain, Schwalmstadt 2003, S. 59-64 und www.gedenkstaette-trutzhain.de
7 Informationen zum DIZ Stadtallendorf sind enthalten in: Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Ref. III (Hg.), Erinnern und Gedenken in Hessen, Wiesbaden 1999, S. 35ff. oder http://www.hlz.hessen.de


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