Erfolgsfaktor oder Risiko? "Vertrauen" in der Wirtschaftsgeschichte

Erfolgsfaktor oder Risiko? "Vertrauen" in der Wirtschaftsgeschichte

Organisatoren
Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln; Thomas Morus Akademie, Bensberg; Wirtschaftshistorischer Verein zu Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.03.2005 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Julia Kaun, Köln

Vielleicht liegt es an den unsicheren Zeiten, oder aber an der Erschließung neuer, "weicher" Themen durch die Geschichtswissenschaft, dass "Vertrauen" in aller Munde ist. Vielleicht ist es aber auch nur die Wiederentdeckung eines lange vernachlässigten Themenkomplexes durch die Wirtschaftswissenschaften, die "Vertrauen" für die Wirtschaftsgeschichte in letzter Zeit interessant macht. Eine Kombination aus all diesen Faktoren bewegte die Veranstalter dazu, eine Studienkonferenz zu "Vertrauen in der Wirtschaftsgeschichte" durchzuführen.

Die bewährte Zusammenarbeit der Veranstalter brachte somit bereits zum vierten Mal Referenten und eine bemerkenswerte Zahl an interessierten Zuhörern im Maternushaus in Köln zusammen, die einen Tag lang über Fragen diskutierten wie: Welches Vertrauen spielt in ökonomischen Zusammenhängen ein Rolle, stammt aber aus einer anderen Wurzel - wie das Gottvertrauen oder Vertrauen zwischen Freunden oder Verwandten. Wie wirken sich die vielfältigen Vertrauensbeziehungen auf das wirtschaftliche Handeln aus? Gibt es ein spezielles "wirtschaftliches" Vertrauen? Im Hintergrund schwang schließlich immer die Frage mit, ob "Vertrauen" eine brauchbare Analysekategorie für die Wirtschaftsgeschichte sei, mit deren Hilfe man Ereignisse oder Phänomene erklären könne, die sonst nicht oder nur schwer erklärbar erschienen.

Die Tagung wurde eröffnet von Christian Hillen (Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln), der sich in seinem Beitrag mit der Nachfolgeproblematik in einem Familienunternehmen befasste. Anhand einer Detailstudie zur Nachfolge in der Firma A. Bagel in der ersten Hälfte des 19. Jh. untersuchte Hillen die Rolle, die Vertrauen bei der Übergabe des Betriebes vom Vater auf den Sohn spielte. Für diesen vorliegenden Fall kam er zu dem Schluss, dass Vertrauen - in diesem Fall hauptsächlich familiäres Vertrauen - auch wenn es nicht uneingeschränkt gewährt wurde, den Übergang des Unternehmens auf die folgende Generation doch erheblich erleichterte. Zudem hätten durch die geringeren Transaktionskosten beide Seiten - der Vater und der Sohn - auch noch einen handfesten materiellen Vorteil von dieser "vertrauensvollen" Lösung.

Von der Mikroperspektive eines Fallbeispiels zur Makroperspektive wechselte Thomas Prüfer (Geschichtsbüro Reder, Roeseling & Prüfer, Köln) mit seinen Ausführungen zum "Mythos 'Made in Germany'". Diese Meistererzählung der Wirtschaftswunderzeit, die wesentlich zur Festigung der Corporate Identity der westdeutschen Gesellschaft im Nachkriegdeutschland beigetragen hat, hat ihren Ursprung 1887 in der von der britischen Regierung als "Makelzeichen" gedachten Kennzeichnung angeblich oder tatsächlich minderwertiger Produkte deutscher Herkunft als "Made in Germany". Durch eine konsequente Politik der Qualitätssteigerung und Nachweis der Leistungsfähigkeit der Produzenten wandelte sich das "Makelzeichen" schon bald in ein Markenzeichen, bis der Erste Weltkrieg eine Vertrauenskrise der ausländischen Abnehmer auslöste, da deutsche Waren und Produkte nun in den Ruf einer "tödlichen" Qualität kamen. Diese Krise hielt im Grunde bis 1949 an und erst im Gleichklang mit der politischen "Läuterung" Deutschlands stellte sich auch wieder das Vertrauen in deutsche Produkte ein, was wiederum nach innen die genannte identitätsstiftende Funktion hatte.

Dass Vertrauen des Abnehmers bzw. Verbrauchers in die Waren und Dienstleistungen eine wichtige Rolle für den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens und damit auch für das Marketing und die Werbung spielen, bestätigte Dominik Zier (Bankhaus Sal. Oppenheim jr. & Cie. KGaA, Köln) in seinem Vortrag "Historie schafft Vertrauen", in dem er sich mit dem gezielten Einsatz von Geschichte als Marketinginstrument auseinandersetzte. Vertrauen, so Zier, besitze akquisitorisches Potential und erschwere anderen Anbietern den Markteintritt. Die (möglichst lange) Geschichte eines Unternehmens verspreche Kontinuität und Sicherheit und schaffe damit Vertrauen. Besonders Banken, denen die Kunden ihr Vermögen "anvertrauten", seien auf dieses Verbrauchervertrauen angewiesen. Am Beispiel des eigenen Hauses erläuterte Zier dann mit welchen Mitteln der Geschichtsdarstellung man versuche dieses Vertrauen zu gewinnen. Von der web-site bis zum Geschichtskultursponsoring sei beim Bankhaus Oppenheim alles vertreten. Er betonte aber zum Schluss, dass Vertrauen selbstverständlich nicht nur durch die Darstellung der Geschichte, sondern vor allem auch durch die aktuellen und tatsächlichen Leistungen des Unternehmens aufgebaut und gefestigt würde. Tradition sei immer nur Sprungbrett, nicht Ruhekissen.

Den Aspekt des Vertrauens zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber beleuchtete Ralf Stremmel (Historisches Archiv Krupp, Essen) mit seinem Beitrag "Klassenkampf oder Vertrauen? Friedrich Krupp und seine Arbeiter (1887-1902)". Am Beispiel des sog. "Herdschmiedestreits" von 1902 belegte Stremmel, dass Friedrich Krupp das hergebrachte "Treueverhältnis", das noch sein Vater von seinen Arbeitern im Gegenzug für hohe Löhne und soziale Leistungen eingefordert hatte, durch ein Vertrauensverhältnis ersetzte. Das modernere und flexiblere Vertrauen trat an die Stelle der traditionellen, starren Treue. Dies entsprach eher den veränderten Wertvorstellungen der modernen industrialisierten Welt, war aber auch etwas aufwändiger herzustellen, denn es setzte einen Prozess der Verständigung voraus. In der Sache gab Krupp kaum nach und auch an dem "Herr im Hause-Prinzip" hielt Krupp weiterhin fest. Durch die neue "Vertrauenspolitik" und die dadurch bewirkte Verpersönlichung der innerbetrieblichen Strukturen gelang es jedoch die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiter zu verhindern. Vertrauen konnte die Interessengegensätze überbrücken - anders als die "Treueforderung". Nur so lässt sich das Nachgeben der Arbeiter in diesem Konflikt mit ihrem Arbeitgeber erklären. In diesem Fall, so Stremmel, ließe sich also der hermeneutische Wert von "Vertrauen" als historisch-sozialer Kategorie zeigen. Er warnte jedoch abschließend vor einer vorschnellen Verallgemeinerung dieser Feststellung, da Vertrauen als Ursache unternehmerischen Erfolgs nur schwer oder gar nicht messbar sei. Hierzu gelte es weitere Studien durchzuführen.

Wieder in die internationale Sphäre führte der Vortrag von Andrea Weindl (Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln), die sich mit dem Thema "Vertrauen auf internationale Regulierungsmechanismen? Die Stollwerck AG, der internationale Kakaomarkt und die Frage der Sklavenarbeit in portugiesischen Kolonien 1905-1910" beschäftigte. Sie beschrieb den internationalen Kakaomarkt ganz im Sinne der Luhmann'schen Vertrauensdefinition als ein System hoher Komplexität mit vielen unbekannten und nicht beeinflussbaren Faktoren. Mangels internationaler Institutionen versuchte die Stollwerck AG durch Absprachen mit britischen Schokoladenherstellern auf der Basis von Vertrauen und persönlichen Beziehungen diese Komplexität zu reduzieren. Das gemeinsame Vorgehen gegen die schlechten Bedingungen der Arbeiter in den Kakaoplantagen von Sao Thomé und Principe bildete dabei nur das Vehikel. Ansonsten verfolgten die Akteure weiterhin höchst unterschiedliche Ziele. Dies erwies sich daher als Basis für ein längerfristiges gemeinsames Vorgehen als nicht tragfähig. Weindl kam zu dem Schluss, dass persönliches Vertrauen von Wirtschaftsakteuren auf der internationalen Bühne allein nicht oder nur unzureichend in der Lage sei, auf Dauer wirksame Maßnahmen durchzusetzen, wenn diese nicht durch die Politik und mithin bestimmte institutionalisierte Regulierungsmechanismen flankiert würde.

Christoph Moß (Historisches Archiv Krupp, Essen) kam mit seinen Gedanken über das Verhältnis der Duisburger Unternehmerfamilie Böninger zum Teilhaber ihres Geschäfts in Baltimore in seinem Vortrag mit dem Titel "Bisher hat uns noch niemand in die Karten gesehen" auf einen weiteren Fall von persönlichem Vertrauen zu sprechen. Hatte man zunächst versucht die amerikanische Niederlassung mit Hilfe des familiären Netzwerks mit Familienmitgliedern zu bestücken, kam man nach fünf vergeblichen Versuchen von dieser Praxis ab. Die Familie entschloss sich, nach intensiven Beratungen einen Geschäftsführer einzustellen. Diese riskante Vorleistung, nämlich einem Nicht-Familienmitglied zu vertrauen, sollte sich letztendlich aber bezahlt machen. Auch Krisensituationen wurden durch Vertrauen gemeistert, wenn auch Geschäftsführer Laer explizit um dieses werben musste.

Zum Schluss ging André Dicken (PriceWaterhouseCoopers Deutsche Revision AG, Düsseldorf) der Frage nach, ob das Verhältnis zwischen Wirtschaftsprüfer und Unternehmen auf Vertrauen beruhe. Dabei kristallisierte sich schnell heraus, dass das Vertrauensverhältnis eigentlich eher zwischen Wirtschaftsprüfer und Öffentlichkeit besteht bzw. bestehen sollte. Denn auch wenn etwas anderes erwartet wird, prüft der Wirtschaftsprüfer nicht die Leistung des Unternehmens, sondern lediglich, ob dessen Buchführung nach Recht und Gesetz durchgeführt und die Bilanzierungsrichtlinien des Gesetzgebers eingehalten wurden. Das Vertrauen der Öffentlichkeit, dass Wirtschaftsprüfer gegebenenfalls auch Verstöße entdecken und entsprechend bekannt machen würden, wird generiert durch die fachliche Kompetenz und natürlich nicht zuletzt die persönliche Integrität. Institutionalisierungsschübe in Form von Veränderungen bzw. Verschärfungen der Gesetzeslage oder der Zulassungsvoraussetzung für diesen Beruf lassen sich in der Geschichte immer nach größeren Krisen beobachten, so Dicken.

Insgesamt macht die Tagung deutlich, dass es gerade im wirtschaftlichen Bereich eine Vielzahl von Situationen gibt, in denen Vertrauen eine Rolle spielt. Es wurden ebenso viele Formen von Vertrauen vorgestellt. Die Frage nach einem speziellen wirtschaftlichen Vertrauen blieb aber vorerst unbeantwortet. Vorsichtig bejaht wurde die Frage nach dem hermeneutischen Wert von Vertrauen als Analysekategorie der Geschichtswissenschaft.
Weitere Forschungen in diese Richtungen müssten also vorangetrieben werden. Um dazu Anregungen zu liefern und um das auf dieser Tagung entstandene Bild abzurunden, sollen die Beiträge in einem Sammelband veröffentlicht werden, der um weitere Beiträge ergänzt wird.


Redaktion
Veröffentlicht am