Speichern – Zur Geschichte einer Grundfunktion der Technik

Speichern – Zur Geschichte einer Grundfunktion der Technik

Organisatoren
Ausschuss Technikgeschichte des VDI; Deutsches Bergbau-Museum Bochum
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.02.2018 - 16.02.2018
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Von
Christopher Kirchberg, Historisches Institut Ruhr-Universität Bochum

Obwohl Fragen des Speicherns nicht erst seit der voranschreitenden Digitalisierung ein aktuelles und drängendes Phänomen sind, das uns alltäglich begegnet, hat sich die Geschichtswissenschaft bisher nur peripher und keinesfalls systematisch mit diesem Thema auseinandergesetzt, was auch und gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Hinwendung zur Geschichte der Computerisierung überrascht. Dieses Desiderat aufgreifend stand bei der Jahrestagung des VDI-Ausschusses Technikgeschichte in Bochum somit ein spannendes wie auch offenes Thema im Mittelpunkt, das anhand verschiedenster Speichertechniken und deren historischer Genese in den Blick genommen wurde.

In seiner Begrüßung verdeutlichte der Organisator der Tagung, LARS BLUMA (Bochum), die Historizität wie Aktualität des Themas: Habe die Entwicklung erster Speichertechniken bereits mit der Sesshaftwerdung der Menschheit eingesetzt, mit der insbesondere die Speicherung materieller Güter wie landwirtschaftlicher Erzeugnisse einhergegangen sei, gehe es heutzutage immer öfter um Probleme der Speicherung immaterieller Stoffe wie Energie oder Informationen. Die dabei vollzogene Entwicklung von basalen Speichertechniken hin zu fortgeschrittenen und ausgeklügelten Systemen und die Frage nach inhärenten Technologiepfaden sollten im Mittelpunkt der Tagung und deren vielfältigen Themen der einzelnen Vorträge stehen, um damit auch an klassische Fragen der Technikgeschichte nach Effizienz und Sicherheit anzuschließen.

Bereits die erste Session verdeutlichte, welche unterschiedlichen Zugänge und Themenschwerpunkte die Tagung bereithielt. So eröffnete JOHANNES MÜSKE (Zürich) das Panel mit einem Vortrag über seine Forschungen zum Thema der Authentizitätskonstruktion von Kulturgütern in Archiven und Museen und der Rolle des Speicherns in diesem Prozess. Am Beispiel von Medienarchivalien fokussierte er technische und anthropologische Dimensionen des Speicherns, in dem er zeigte, auf welche Weise flüchtige kulturelle Spuren wie Klänge durch technische Speichertechniken wie der Phonographie materialisiert wurden. Diese Materialisierung stellte damit den Ausgangspunkt für eine Diskussion des Authentisierungsprozesses dieser Hinterlassenschaften in Museen oder Archiven dar, wo diese kulturellen Spuren kontextualisiert und durch deren besonderen Charakter von Anciennität, Originalität und Authentizität in identitätspolitisch relevantes Kulturerbe transformiert wurden.

MICHAEL HASCHER (Esslingen) richtete anschließend den Blick auf quellenkritische Fragen, die sich aus der Beschäftigung mit einer spezifischen und materiellen Form von (Energie-)Speichertechniken ergeben können. Aus Sicht der Kulturdenkmalpflege stellte er anhand von ausgewählten Pumpspeicherkraftwerken in Baden-Württemberg deren historische Entstehungs-, Etablierungs- und Nutzungsformen ausgehend von kleinen Firmenkraftwerken seit dem 19. Jahrhundert hin zu größeren, von Gemeindeverbänden betriebenen Pumspeicheranlagen dar, die vornehmlich zur dezentralen Energiegewinnung gebaut wurden. Ausgehend von diesem Überblick verwies Hascher auf den empirischen Wert dieser heute unter Denkmalschutz stehenden Pumpspeicherkraftwerke, die Ausgangspunkte für weitere technikhistorische Fragen nach deren Belegwert oder nach möglichen Typologisierungen darstellen könnten.

Zu Beginn der zweiten Session zeigte LENA MARIA KAISER (Essen) in ihrem Vortrag über Getreidespeicher in Braunschweig in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, welches Versprechen diese zur Überwindung von Hungerskrisen bargen und welche Probleme sich bei der Realisierung ergaben. Diese bestanden im günstigen Zukauf von Getreide, der Suche nach geeigneten Speichergebäuden und Personal sowie der Organisation der Getreideverteilung in Notzeiten. Durch die fortgeschrittene Umsetzung konnten die Braunschweiger Speicher in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Vorbildcharakter für andere Städte wie Mannheim entwickeln, ehe sich deren Spur Ende des Säkulums vorerst verliert.

WOLFGANG KÖNIG (Berlin) widmete sich in seinem Beitrag einer spezifischen elektrischen Speichertechnik, um über Erfolg und Misserfolg bei Innovationen nachzudenken. Konkret ging es ihm um die Nutzung des Regenerativprinzips der Brüder Siemens: Hierbei sollte die in einem Prozess anfallende thermische Energie gespeichert und in diesen zurückgespeist werden. Dieses Prinzip sei bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts von den Brüdern Robert und James Stirling formuliert, aber erst Jahrzehnte später von William und Friedrich Siemens wiederentdeckt und in etlichen Erfindungen versuchsweise umgesetzt worden. Während beispielsweise die Regenerativ-Dampfmaschine der Siemens-Brüder einen großen erfinderischen Misserfolg darstellte, erwies sich der Siemens-Martin-Ofen als eine erfolgreiche Innovation. Hieraus leitete König innovationstheoretische Überlegungen nach dem Zusammenhang der Formulierung technischer Prinzipien und deren technischer Umsetzung ab, die für Erfolg bzw. Misserfolg von Innovationen entscheidend waren.

Zum Abschluss des ersten Tages präsentierte CHRISTIAN ZUMBRÄGEL (Karlsruhe) seine Forschungen zur Speicherung flüchtiger Gase. Ausgehend von der Feststellung, dass in der Stoffgeschichte bisher Prozesse der Speicherung und des Transports von Stoffen wenig Beachtung geschenkt werde, skizzierte er am Beispiel des Elements Helium die Bedeutung von Speicherung und Transport in den Vereinigten Staaten und den damit verbundenen Verflechtungen zwischen Stofflichkeit sowie wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen. Dieses schwer unter Kontrolle zu haltende und besonders flüchtige Gas sei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst in Stahlflaschen und sogenannten tank cars distribuiert worden, die aufgrund hoher Transportkosten seit den 1920er-Jahren durch regional begrenzte Pipelinenetze ersetzt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dem Speicher- und Transportproblem mit der Verflüssigung des Heliums begegnet: Dies habe allerdings geschlossene Kühlketten erfordert, womit die technischen Anforderungen an Konstruktion und Material der Speicherung und den Transport des Gases erneut gestiegen seien.

Das dritte Panel eröffnete WOLFGANG GÖDERLE (Graz), der den Blick auf Verfahren der Wissensspeicherung anhand von Volkszählungen im Habsburgerreich zwischen 1869 und 1910 richtete. Die Organisation und Durchführung der Volkszählungen, die ein Wesensmerkmal „moderner“ Staatlichkeit darstellen, seien in hohem Maße von technischen Speichermöglichkeiten geprägt gewesen. Göderle konstatierte hier ein hohes prozessuales Bewusstsein der an der Volkszählung beteiligten Beamten und skizzierte die Zirkulation von Fragebögen und den daraus abgeleiteten Rohdaten zwischen Bezirksregierungen und der Hauptstadt Wien, in der aus diesen in einem Rechenzentrum konkretes staatliches Verwaltungswissen generiert worden sei. Dabei seien die Operationen der Volkszählung stark von materiellen Voraussetzungen determiniert worden, woraus auch Probleme der Speicherung resultierten, die eine weitest gehende Vernichtung der Fragebögen im Nachgang der Volkszählung nach sich zog.

Einem ähnlichen Problem widmete sich MARTIN POZSGAI (Darmstadt), der über Speichertechniken der bundesdeutschen Sozialversicherung sprach. Hauptaufgabe der Rentenversicherung sei neben der Berechnung und Zahlung der Renten die Sammlung und Dokumentation der Versicherungszeiten gewesen, was mit Hilfe verschiedener, sich ablösender Speichertechniken von Karteikarten über Lochkartensysteme hin zur digitalen Aktenführung praktisch umgesetzt wurde. Trotz der bereits seit den 1970er-Jahren eingesetzten Computertechnologie seien bis zum Ende des letzten Jahrhunderts gleichzeitig weiterhin papierene Formulare verwendet worden, sodass ein enormer Speicher- und Archivierungsbedarf das Rentenversicherungswesen bis heute präge.

Die letzte Session eröffnete CHRISTOPH BORBACH (Siegen), der in seiner Präsentation der Verwobenheit der Medienfunktion des Speicherns und des Übertragens nachging. Während diese beiden Techniken in der Medientheorie zumeist voneinander getrennt betrachtet werden, zeigte Borbach anhand von Delay Lines (Verzögerungsleitungen), die vornehmlich in der Fernsehtechnik und im Radar Anwendung fanden, dass diese starre Unterscheidung zu revidieren sei. Gelte Verzögerung in der Kommunikationstechnik als irreduzibles Übel, wurde diese in der Ortungstechnik zum Mehrwert operationalisiert und damit das Zeitverhalten von Impulsen und Signalen im Kanal zur eigentlichen Botschaft der Technik. Anhand dieses historischen Beispiels konnte er zeigen, dass die beiden Prozesse vielmehr produktiv miteinander verschränkt seien.

JULIA ZONS (Stuttgart) nahm das Thema der Tagung zum Anlass, das Scheitern des Pantelegraphens im 19. Jahrhundert zu erklären. Dieser Telegraph hatte es ermöglicht, Bilder in Windeseile von Ort zu Ort zu übertragen, geriet aber nach nur kurzer Zeit wieder in Vergessenheit. Zons fokussierte dabei zunächst die schwierige archivalische Überlieferungssituation bei der Rekonstruktion der Geschichte des Pantelegraphens, der sie mithilfe von Patentschriften begegnete. Sie zeigte dann, wie eine Veränderung der Speichertechnik die Grundlage der Entwicklung des Pantelegraphens markierte, ehe sie schließlich magnetische Störungen im Speicherprozess erläuterte, die einen Grund für das Scheitern dieser Innovation darstellten.

TINA KUBOT (Frankfurt am Main) beschloss den Abschnitt mit einem Überblick über die Entwicklungsschritte in der Speichertechnologie der Informationstechnik: Ausgehend von der Lochkarte bis hin zu heutigen Prozessor- und Speicherleistungen, untersuchte sie anhand von vier Case Studies prototypische Fälle für Technology-Push- und Market-Pull-Treiber, die diese Entwicklung vorantrieben und machte dabei Staat, Wissenschaft und die Privatwirtschaft als zentrale Akteure aus.

In den jeweiligen Diskussionen der einzelnen Paper wurde übergreifend die Frage diskutiert, seit wann Speichern als technisches Problem artikuliert wurde und nach den Ambivalenzen, die mit dem Übergang von materiellen zu immateriellen bzw. digitalen Speichertechniken einhergingen, gefragt: So konnte zwar durch Konzentration von Informationen durch eine statistische Erfassung der sozialen Wirklichkeit der Speicherbedarf drastisch reduziert werden, wenngleich paradoxerweise digitale Speichertechniken kurzlebiger als analoge Formen seien.

Zum Abschluss der Tagung skizzierte Lars Bluma vier Perspektiven, die es in Zukunft weiter zu verfolgen gelte. Zum einen sei mit Blick auf eine Ideengeschichte des Speicherns danach zu fragen, wann Speichern überhaupt als Problem der Technikwissenschaften auftrat und wann eine systematische Auseinandersetzung mit dem Thema begann. Zum anderen lohne sich eine genauere methodische Reflexion, wie sich das Problem des Speicherns technikgeschichtlich sinnvoll verfolgen ließe. Drittens müsste in Zukunft stärker der Nutzer bzw. Akteur und dessen Bedürfnisse des Speicherns mit in den Blick genommen werden und schließlich auch Fragen des Speichermanagements fokussiert werden, um zu verstehen, wie Informationen und Daten abrufbar gemacht wurden – und werden.

Insgesamt beleuchtete die Tagung das Thema Speichern aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln und zeigte somit dessen Bedeutung sowie Grenzen und Möglichkeiten des Sujets auch über eine genuin technikhistorische Auseinandersetzung auf. Zu kritisieren wäre allerdings, dass aufgrund des sehr offen gehaltenen Ausschreibung stellenweise ein roter Faden fehlte, der die einzelnen Beiträge stärker miteinander verbunden und beispielsweise die Transformation von materiellen zu immateriellen Speichern thematisiert hätte. Auch hätten Gegentendenzen des Löschens gerade im digitalen Bereich die Ambiguität des Speicherns deutlicher hervortreten lassen oder eine Ergänzung um begriffs- und ideengeschichtliche Perspektiven ein systematischeres und differenzierteres Verständnis von Speichern befördert und dem oftmals unterschwelligen Technikdeterminismus entgegengewirkt. Dies zeigt somit, welches Potenzial eine historiographische Auseinandersetzung mit Speichern und Speichertechniken in einer Erweiterung um kulturhistorische Fragen birgt. Gerade in diesen Operationalisierungsproblemen einer Geschichte des Speicherns sind wahrscheinlich die Gründe dafür zu suchen, warum diesem Thema bislang wenig Aufmerksamkeit zuteilwurde.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Lars Bluma (Bochum)

Session 1

Johannes Müske (Zürich): Medienarchivalien und die Konstruktion von Authentizität: Technische Speicherung der Klangwelt und die Entstehung von klingendem Kulturgut

Michael Hascher (Esslingen): Materielle Quellen zur Geschichte der Energiespeicherung: Ausgewählte Kulturdenkmale aus dem „Pumpspeicherland“ Baden-Württemberg

Session 2

Lena Maria Kaiser (Essen): „Eine Einrichtung „zum Besten unserer Unterthanen vorerst aber nur zur Versorgung unserer Stadt Braunschweig“. Getreidespeicher in Braunschweig in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Wolfgang König (Berlin): Die Brüder Siemens und das Regenerativprinzip. Über Erfolg und Misserfolg bei Innovationen

Christian Zumbrägel (Karlsruhe): Flüchtiges Speichern: Gase als Handelsware

Session 3

Wolfgang Göderle (Graz): Wissenslogistik. Volkszählungen und Wissensspeicherung im Habsburgerreich zwischen 1869 und 1910

Martin Pozsgai (Darmstadt): Großverwaltung als Herausforderung. Zur Geschichte der Speichertechniken der bundesdeutschen Sozialversicherung

Session 4

Christoph Borbach (Siegen): Speichern als Übertragen – Übertragen als Speichern. Die Verschränkung zweier basaler Medienfunktionen

Julia Zons (Stuttgart): Speichern als Störung. Zur Geschichte einer Grundfunktion der technischen Bildübertragung am Beispiel des digital-analogen Speichermediums „Pantelegraph“ (1855-1871)

Tina Kubot (Frankfurt am Main): Zur Technologieentwicklung von Speichern in der Informationstechnik


Redaktion
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