Praktiken des lokalen und regionalen Handels

Praktiken des lokalen und regionalen Handels

Organisatoren
Irseer Arbeitskreis für vorindustrielle Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Mark Häberlein (Bamberg); Markwart Herzog (Irsee); Christof Jeggle (Bamberg)
Ort
Irsee
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.03.2005 - 20.03.2005
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Von
Irmgard Schwanke, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Der Irseer Arbeitskreis für vorindustrielle Wirtschafts- und Sozialgeschichte beschäftigte sich auf seiner 5. Tagung unter der Leitung von Mark Häberlein (Bamberg), Markwart Herzog (Irsee) und Christof Jeggle (Bamberg) mit "Praktiken des lokalen und regionalen Handels". Rund 40 Teilnehmer diskutierten in der Schwabenakademie Irsee vom 18. bis 20. März 2005 zehn Vorträge.

Einleitend ging Christof Jeggle (Bamberg) auf Grundzüge der Forschungsgeschichte und Aspekte der neueren Forschung ein. Die am vorindustriellen Gütertransfer beteiligten Personenkreise zeichneten sich durch eine kaum überschaubare Vielfalt aus. Neben den - in der Wirtschaftsgeschichte lange im Mittelpunkt des Interesses stehenden - Groß- und Fernhändlern standen weniger prominente Kaufleute und gewerbliche Produzenten, die in den Handel mit Waren, Halbfertigprodukten und Rohstoffen eingebunden waren. Unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppen wie Frauen, Juden oder Savoyer waren im lokalen und regionalen Handel tätig und sind für Fragen nach der Geschlechterdifferenz sowie Abgrenzungs- und Integrationsmechanismen von Randgruppen und Minderheiten von besonderer Bedeutung. Die aufeinander abgestimmten Zyklen von Märkten und überregionalen Messen strukturierten den Lokal- und Regionalhandel und ermöglichten den Transfer von Gütern dörflicher und kleinstädtischer Produzenten in die eine, und von Waren des Fernhandels in die andere Richtung. Überregional tätige Kaufleute waren eng in die lokalen Gesellschaften ihres Stammsitzes eingebunden. Unter systematischen Gesichtspunkten werden Märkte inzwischen vor allem als Ergebnis sozialer Interaktion gesehen. Netzwerke, die von Kategorien wie Verwandtschaft, Herkunft oder Konfession mitbeeinflußt sein konnten, lassen sich anhand der Analyse ökonomischer Transfers beschreiben und präzisieren.

Hans-Jörg Künast (Augsburg) befaßte sich anhand des Themas "Buchhandel im süddeutschen Raum in der Frühen Neuzeit. Annäherung an ein schwieriges Forschungsfeld" mit der Untersuchung eines speziellen Produktes. Während sich der Buchhandel bis etwa 1480 als Luxusgüterhandel für ein lateinkundiges, gelehrtes Publikum charakterisieren läßt, wurden im Laufe der Frühen Neuzeit mit der Produktion von kleineren, günstigeren und deutschsprachigen Büchern sowie Flugschriften und illustrierten Flugblättern größere Absatzmärkte erschlossen. Einbrüche in der Buchproduktion während des 30-jährigen Krieges bedingten einen Übergang zum bargeldlosen Tauschverkehr zwischen den Buchhändlern, der auch in der Folgezeit eine wichtige Rolle spielte. Das deutsche Buchhandelssystem war auf die Messen in Frankfurt und Leipzig ausgerichtet, wobei die Frankfurter Messe gegenüber Leipzig an Bedeutung verlor und vor allem noch von katholischen Händlern aus dem süddeutschen, österreichischen und deutschschweizerischen Raum besucht wurde. Von den großen Messen aus wurden die Neuerscheinungen oder Nachdrucke - in Süddeutschland über die Zentren Augsburg und Nürnberg - auf den regionalen Märkten verbreitet. Der süddeutsche Buchhandel blieb bis in das 18. Jahrhundert in erster Linie Wanderhandel mit Märkten und Messen als den Hauptabsatzorten. Neben den regulären Buchhändlern oder Verleger-Sortimentern, die zu den bedeutenden Messen reisten, beteiligten sich daran Drucker, Buchbinder und Händler im Nebenberuf wie auch Studenten oder Lehrer. Sie standen in hartem Konkurrenzkampf und zeigten sich auf dem Gebiet der Kundenwerbung durchaus als erfindungsreich, indem sie etwa versuchten, durch Bücherlotterien den Absatz zu steigern.

Matthias Steinbrink (München) stellte in seinem Vortrag "Handel am Oberrhein im 15. Jahrhundert" den Basler Kaufmann Ulrich Meltinger vor. Meltinger wurde 1493 unter dem Vorwurf, in seiner Funktion als Pfleger des Siechenhauses St. Jakob Geld veruntreut zu haben, festgenommen. Zwar konnte er sich freikaufen, mußte jedoch seine Ämter im städtischen Rat und Gericht wie in der Zunft aufgeben. Das im Rahmen der Ermittlungen konfiszierte Geschäftsbuch Meltingers bietet die Möglichkeit, den Handel des spätmittelalterlichen Kaufmanns nachzuzeichnen. An der Spitze von Meltingers Handelswaren standen Wolle und Tuche, daneben fanden sich aber beispielsweise auch Eisen und Vieh. Der Kaufmann trat als Kreditgeber gegenüber verschiedensten Handelspartnern auf. Er gab Geld- und Warenkredite und betätigte sich gegenüber Gewerbetreibenden als Verleger, der Wolle lieferte und Tuche abnahm. Die Kreditvergabe war für Meltinger ein unwägbares Geschäft, da oft Jahre vergingen, bis die Schulden beglichen waren. Allerdings trat offenbar in vielen Fällen das Problem einer verzögerten Rückzahlung gegenüber den Vorteilen, die eine langfristige Abhängigkeit der Debitoren mit sich brachte, in den Hintergrund. Meltinger war Mitglied mehrerer Handelsgesellschaften mit zum Teil wechselnden Partnern und vielfältigen Betätigungsfeldern. Er war in ein enges städtisches Netzwerk eingebunden, das sich jedoch nach den Veruntreuungsvorwürfen als anfällig und für Meltinger letztendlich nicht tragfähig erwies.

Die beiden folgenden Vorträge beschäftigten sich mit Kauffrauen in der Frühen Neuzeit. Susanne Schötz (Fuchshain) stellte ihre Untersuchungsergebnisse "Zur Mitgliedschaft von Frauen in der Leipziger Kramerinnung im 16. und 17. Jahrhundert" vor. Sie vertrat die These einer Verschlechterung der Möglichkeiten eigenständiger weiblicher Handelstätigkeit in diesem Zeitraum. Zunächst beleuchtete sie die rechtlichen Rahmenbedingungen in Sachsen. Die Handlungsoptionen von Frauen waren angesichts bestehender Geschlechtsvormundschaft stark eingeschränkt. Allerdings genossen gerade Handelsfrauen eine seit dem 16. Jahrhundert rechtlich kodifizierte Sonderstellung, die ihnen den selbständigen Abschluß von Geschäften ermöglichte. Obwohl die Ordnungen der Leipziger Kramerinnung keine gleichberechtigte Teilnahme von Frauen vorsahen und lediglich die Tätigkeit von mitarbeitenden Ehefrauen oder Witwen thematisierten, fanden sich immer wieder Frauen in der Kramerinnung, die diesen beiden Kriterien nicht entsprachen. Im 16. Jahrhundert waren bis zu 30 Prozent der in die Innung aufgenommenen Personen Frauen. Allerdings ging ihr Anteil im 17. Jahrhundert stark zurück. Schötz sprach von einer patriarchalen Offensive gegen die eigenständige Handelstätigkeit von Frauen, die im Zusammenhang mit letztendlich sehr erfolgreichen Bemühungen der Kramerinnung gesehen werden müsse, den Detailhandel generell zu professionalisieren und zu privilegieren. Die doppelte Zunftmitgliedschaft von Ehepartnern wurde unterbunden, Ausbildungszeiten streng geregelt und formale Berufsabschlüsse verlangt. Diese Maßnahmen schränkten in erster Linie Frauen ein und verwiesen sie in jene Bereiche des Handels, die die Kramer nicht besetzten, etwa den Hausierhandel. Nur durch die Ehe mit einem Kramer konnten Frauen fortan in den Genuß der Privilegien dieser Berufsgruppe gelangen.

Im niederländischen 's-Hertogenbosch öffnete sich dagegen die Kramerzunft im 18. Jahrhundert für neue Mitgliedergruppen, wie Danielle van den Heuvel (Amsterdam) in ihrem Vortrag "Female traders in the Dutch Republic. Retailers in eighteenth century 's-Hertogenbosch: a case study" darlegte. Sie wies zunächst auf zeitgenössische Äußerungen hin, nach denen niederländische Frauen in der Frühen Neuzeit wirtschaftlich unabhängiger gewesen sein sollen als in anderen Teilen Europas, und untersuchte diesen Aspekt anhand des Fallbeispieles 's-Hertogenbosch. In der Garnisonsstadt mit 12000 Einwohnern war der Detailhandel ein wichtiger Erwerbszweig für Frauen, wobei wohlhabendere Händlerinnen aufgrund des erforderlichen Kapitalbedarfs überrepräsentiert waren, während ärmere Frauen eher im Textilgewerbe arbeiteten. Trotz der Bedeutung weiblicher Handelstätigkeit und den vergleichsweise leicht zu erfüllenden Zugangsbedingungen zur Kramerzunft betrug der Frauenanteil unter den neu aufgenommenen Zunftmitgliedern im 18. Jahrhundert durchschnittlich nur 12,5 Prozent. Allerdings wurden im Handelsgeschäft mitarbeitende Ehefrauen sowie Witwen nicht unter den Neuaufnahmen registriert. Änderungen in den Zulassungsbestimmungen, die bestimmte Gruppen von Frauen begünstigten, bewirkten keinen längerfristigen Anstieg der Anzahl weiblicher Zunftmitglieder. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit des Zugangs unverheirateter Frauen ab 1745 und der Aufnahme von Soldatenfrauen ab 1749 sowie für den Antrag der Zunft an den städtischen Rat 1752, die Eintrittsgelder von Meistertöchtern denen von Söhnen anzugleichen. Erst als ab 1753 ärmere Teile der Bevölkerung dank reduzierter Aufnahmegebühren das Recht auf eine minderprivilegierte Mitgliedschaft erhalten konnten, führte dies zu einer wachsenden Zahl von Neuaufnahmen wie auch einem steigenden Anteil weiblicher Mitglieder.

"Kaufleute als Verwalter der Kirche. Wirtschaften im Netzwerk der spätmittelalterlichen Stadt" lautete das Thema des Vortrages von Arnd Reitemeier (Kiel). Für Kaufleute stellte sich die Frage des Lebens nach dem Tod besonders dringlich. Eine Möglichkeit zur Beförderung des Seelenheils war die Übernahme von Ämtern, die der Caritas zuzuordnen sind, so etwa als Verwalter von Kirchenfabriken. Als solche fiel es unter anderem in den Aufgabenbereich der Kaufleute, für die kirchlichen Bauwerke und die Innenausstattung der Kirchen zu sorgen, Altarschmuck und Wein für die Gottesdienste zur Verfügung zu stellen, Einnahmen zu erheben sowie Personal einzustellen und zu kontrollieren. Die Kirchenmeister wirtschafteten dabei auf einfachster Grundlage. Sie nutzen weder die Möglichkeiten der doppelten Buchführung, noch handelten sie profitorientiert. Stiftungsgelder legten sie konservativ in Grundbesitz oder Renten an. Defizite glichen sie zum Teil mit ihrem Privatvermögen aus. Einmal jährlich legten sie gegenüber dem städtischen Rat, der durch seine Einflußnahmen die Entscheidungsspielräume der Kirchenmeister einschränkte, Rechenschaft ab. Die zu diesem Zweck erstellten Rechnungsbücher sind eine wichtige Quelle für die Analyse der Tätigkeit der Kirchenmeister. Allerdings ist die Rechnungslegung in erster Linie als symbolischer Akt zu verstehen. Es ging weniger um die akribische Prüfung einzelner Posten als um den Vergleich der Rechungssummen mit dem Vorjahr. Die Kirchenmeister waren in verschiedene städtische Netzwerke eingebunden, angefangen von verwandtschaftlichen Beziehungen zu ratsfähigen Familien bis hin zur Mitgliedschaft in Bruderschaften und Gilden. Zum Zeitpunkt ihrer Wahl mußten sie keineswegs der engsten Führungsschicht angehören, vielmehr konnte die Tätigkeit das eigene Prestige steigern und die Möglichkeit eines weiteren sozialen Aufstieges eröffnen - neben der Sorge für das Seelenheil ein wichtiges Motiv für die Übernahme des Kirchenmeisteramtes.

Die folgenden Vorträge beschäftigten sich mit regionalem und überregionalem Warenhandel in der Frühen Neuzeit. Friedrich-Wilhelm Hemann (Dülmen / Münster) analysierte die "Geschäftspraktiken Lemgoer Kaufleute des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts". Grundlage seiner Untersuchung waren die Handelsbücher des im westfälischen Lemgo ansässigen Kaufmanns Hermann Brutlacht sowie des zweiten Ehemanns von dessen Frau. Brutlacht hatte Kontakte zu bedeutenden Handelszentren. Seine bevorzugten Einkaufsorte waren Antwerpen mit einem Anteil am Gesamtvolumen der Einkäufe von 48,64 Prozent sowie Frankfurt am Main mit 41,83 Prozent. Brutlacht deckte sich auf den Messen in Antwerpen und Frankfurt mit Genußmitteln und Kolonialwaren wie Zucker und Gewürzen ein. Vor allem aber erwarb er Stoffe und Accessoires wie Spangen und Posamente. Dabei bezog er leichte Wollstoffe und Mischgewebe in erster Linie aus Antwerpen, Luxusstoffe dagegen bevorzugt aus Frankfurt. In Frankfurt kaufte er zudem häufig Branntwein, den er als Zwischenhändler in der Umgebung Lemgos absetzte. Nach 1600 verlagerte er seine Tätigkeit außerdem auf den Eisenhandel. Deutlich wurde, daß das Sortiment Brutlachts die ganze Bandbreite der Waren eines frühneuzeitlichen Krämers abdeckte und er sich veränderten Geschäftsbedingungen anzupassen wußte.

Christina Dalhede (Göteborg) befaßte sich mit dem "Standort Göteborg 1649-1700. Fern-, Regional- und Lokalhandel in Schweden (mit Hinblick auf die Quellengattungen Tolags- und Handelsjournalen)". Das 1620 gegründete Göteborg zog in seiner Anfangszeit mit Abgabenbefreiungen eine große Zahl an Zuwanderern, darunter viele aus Deutschland und den Niederlanden, an. Die Aktivitäten der Göteborger Kaufleute lassen sich anhand von Tolags- und Handelsjournalen sowie Nachlaßinventaren analysieren. Insbesondere die mit Lücken für den Zeitraum von 1638 bis 1856 vorhandenen Tolagsjournale sind eine detailreiche Quelle, die beispielsweise Informationen geben über ankommende und abfahrende Schiffe, Herkunfts- und Zielhäfen sowie über die Art, Menge und den Wert von Waren. Die Journale dienten dem Zweck, Abgaben / Zulagen (Tolag) für in die Stadt kommende und von dort abgehende Waren festzuhalten. Die Kaufleute waren in einem über 3000 km weiten Radius um Göteborg tätig. Sie führten unter anderem Wolle aus Schottland, Salz aus Portugal, Hering aus Bergen oder Getreide aus dem Baltikum ein, exportiert wurde etwa Eisen. Wie das Beispiel des in Göteborg ansässigen Kaufmanns Sibrant Valck deutlich machte, waren die Händlerfamilien zugleich jedoch auch in der Umgebung ihrer Heimatstadt in einer Entfernung von bis zu 200 km im Lokal- und Regionalhandel aktiv.

Ein räumlich vergleichsweise eng abgestecktes Untersuchungsfeld behandelte Daniel Schläppi (Bern) in seinem Vortrag "Regionaler Kleinhandel im Berner Fleischgewerbe. Private Geschäfte (Geschäfte 'kleiner Leute') im Spannungsfeld von Markt, Monopol und Territorialwirtschaft". Schläppi schilderte zunächst Konflikte zwischen den zünftischen Berner Metzgermeistern und deren Konkurrenten aus dem Umland. Während den Metzgern daran gelegen war, auch mit Hilfe - häufig erfolgloser - Hetzjagden, illegale Fleischimporte zu unterbinden und obrigkeitliche Interventionen durchzusetzen, gelang es den ‚Stümplern' immer wieder, ihre Waren in die Stadt zu schmuggeln und zu verkaufen. Die ‚Stümpler' stammten größtenteils aus nicht mehr als 10 km entfernten Orten. In der Regel handelte es sich um 'kleine Leute' wie Bauern, Mägde (rund ein Drittel der erwähnten Personen waren Frauen) oder Knechte. Die Politik der städtischen Obrigkeit variierte situativ. Der Rat drang einerseits auf die Sicherung der Fleischversorgung und Preisstabilität sowie auf die Beseitigung von Mißständen im zünftisch organisierten Fleischgewerbe, begünstigte andererseits jedoch die Berner Metzger, wenn der Handel von Privatpersonen überhand zu nehmen drohte. Die Regulierungsmöglichkeiten reichten weit über die sogenannte Bannmeile hinaus, wodurch es der Berner Regierung möglich war, ihr Konzept von Territorialwirtschaft durchzusetzen. Zudem profitierte die Berner Oberschicht aufgrund umfangreichen Grundbesitzes außerhalb der Stadt von den florierenden Geschäften der ländlichen Produzenten und Kleinanbieter. Schläppi zeigte, daß die Annahme, die Berner Obrigkeit habe Marktkräften abwehrend gegenüber gestanden und eine innovationsfeindliche Politik betrieben, die Vorgänge im Fleischgewerbe unzureichend beschreibt. Im Gegensatz zum Getreide, konnten auf dem Fleischmarkt keine größeren Vorräte angelegt werden, und man war von der Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten abhängig, um dauerhaft eine ausreichende Versorgung sicherzustellen. Da die ländlichen Kleinanbieter in besonderem Maße flexibel auf Marktschwankungen reagieren konnten, war es nicht sinnvoll, sie dauerhaft zugunsten der zünftischen Metzger auszuschalten. Deshalb verfolgte man eine flexible Politik, die an den Bedürfnissen der Konsumenten wie der Existenzsicherung von städtischen Fleischern und deren Konkurrenten aus der Landschaft gleichermaßen interessiert war.

Die beiden abschließenden Vorträge gingen auf Geschäftswelten jüdischer Kaufleute in der Frühen Neuzeit ein. Peter Rauscher (St. Pölten) sprach über "Hoffaktoren und Kleinkrämer. Die Rolle der Juden im frühneuzeitlichen Handel am Beispiel der österreichischen Länder". Nach einem Blick auf die jüdische Siedlungsstruktur in Niederösterreich, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch die Entwicklung Wiens zu einem der bedeutendsten Niederlassungsorte des aschkenasischen Judentums sowie die Bildung jüdischer Landgemeinden in umliegenden Adelsherrschaften gekennzeichnet war, beschäftigte sich Rauscher mit der Wirtschaftstätigkeit der Juden. Auf den Jahrmärkten handelten Juden insbesondere mit Federn, Tierhäuten und Fellen, daneben unter anderem mit Gewürzen, Milchprodukten, Wolle, Tabak und Metallen. Zudem spielte der Pferdehandel eine wichtige Rolle; dies galt für ländliche Märkte ebenso wie die Versorgung des Wiener Kaiserhofes. Überhaupt war für die jüdischen Kaufleute der Hof und das habsburgische Kriegswesen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und Absatzmarkt. Orte des Handels waren neben den ländlichen und kleinstädtischen Jahr- und Wochenmärkten die Stadt Wien selbst und vor allem die Wiener Judenstadt. Eine wichtige Rolle spielten zudem Mauthäuser, die häufig an Juden verpachtet wurden - ein Vorgang, der zum Teil mit der Gewährung von Handelsprivilegien einherging. In den verschiedensten Handelszweigen, etwa dem Fleischhandel, lassen sich jüdisch-christliche Kooperationen, in Ausnahmefällen bis hin zu regelrechten Gesellschaften, nachweisen. Insbesondere die Schutz gewährenden adeligen Grundherren waren an guter Zusammenarbeit und am wirtschaftlichen Fortkommen ihrer Schutzjuden interessiert. Dagegen forderten Konkurrenten wie Fleischhacker und Kaufleute immer wieder die Ausweisung der Juden bis zu ihrer tatsächlichen Vertreibung aus Niederösterreich und Wien 1669/70.

Mit jüdischen Wechselmaklern beschäftigte sich Gabriela Schlick (Frankfurt a.M.) in ihrem Beitrag: "Bürgerliche Nahrung - Jüdische Nahrung. Konflikte um Wechselmaklerstellen in Frankfurt am Main". In der Messestadt boten verschiedene Personen ihre Dienste zur Vermittlung von Geld- und Warengeschäften an. Im Laufe des 17. Jahrhunderts etablierte sich das Maklerwesen als eigenständiger Beruf, der nicht mehr von Auswärtigen ausgeübt werden durfte. Außerdem bildeten sich allmählich spezialisierte Waren- und Wechselmakler heraus. Zu den offiziell vom Rat zugelassenen und vereidigten Maklern gesellten sich (jüdische) Winkelmakler, deren illegale Tätigkeit immer wieder Anlaß zu Konflikten bot, die vor den städtischen Gerichten und dem Reichshofrat ausgetragen wurden. Vor allem die christlichen, vereidigten Wechselmakler wehrten sich gegen Konkurrenz. Wie verschiedene Fallbeispiele zeigten, waren die Reaktionen der städtischen Obrigkeit komplex. Während gelegentlich Strafen gegenüber jüdischen Winkelmaklern verhängt wurden, blieb es in anderen Fällen bei Verwarnungen oder erreichten die zunächst illegal agierenden Juden schließlich sogar eine offizielle Bestellung und Vereidigung als Wechselmakler. Somit zeichneten sich die Entscheidungen des Rates in erster Linie durch Pragmatismus aus. Wichtiger als die starre Durchsetzung von Vorschriften und Ordnungen waren die Sorge um die Funktion des Finanzplatzes Frankfurt und fiskalische Interessen - ein Umstand, der einzelnen Juden Spielräume außerhalb der Normen eröffnete.

Die Vorträge lieferten nicht nur ein sehr vielfältiges Bild lokalen und regionalen Handels im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Sie machten ferner deutlich, daß der Begriff der Region gerade auch im Kontext der Handelsgeschichte überdacht werden muß. So wurde etwa die Frage aufgeworfen, ob Lokal-, Regional- und Fernhandel allein durch unterschiedliche Entfernungen zu unterscheiden sind oder inwiefern strukturelle Merkmale für die Differenzierung maßgebend sein könnten. Letztendlich lassen sich Raum und Region nur als durch Kommunikation bestimmte Konstrukte verstehen und aus der Empirie unterschiedliche Aktionsräume erarbeiten.
Im Jahr 2006 trifft sich der Irseer Arbeitskreis vom 24. bis 26. März, das Thema wird "Wirtschaft und Wissen" lauten.

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Kontaktadresse:
Irmgard Schwanke
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Lehrstuhl für Neuere Geschichte
Fischstr. 5-7
96045 Bamberg
irmgard.schwanke@ggeo.uni-bamberg.de


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