Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert. Eine geschichtsdidaktische Standortbestimmung

Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert. Eine geschichtsdidaktische Standortbestimmung

Organisatoren
Konferenz für Geschichtsdidaktik (KGD)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.09.2017 - 30.09.2017
Url der Konferenzwebsite
Von
Frank Britsche, Didaktik der Geschichte, Universität Leipzig; Lars Deile, Didaktik der Geschichte, Universität Bielefeld; Regina Göschl, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte Münster

Die Konferenz für Geschichtsdidaktik, Dachverband der Geschichtsdidaktik in Deutschland, widmete sich bei ihrer letzten Zweijahrestagung dem Thema der Zukunft des Geschichtsunterrichts. Der Tagungstitel war ohne Fragezeichen formuliert und wollte als Standortbestimmung verstanden werden. Angesichts der Diskussionen um das Schulfach Geschichte im Zusammenhang der Lehrplannovellen in Berlin/Brandenburg oder in Sachsen-Anhalt, angesichts einer zunehmenden Tendenz zu Integrationsfächern oder angesichts der Fragen nach dem angemessenen Charakter des Geschichtsunterrichts in zunehmend heterogenen und inklusiven Zusammenhängen war das Selbstbewusstsein im Auftreten der KGD nicht zwingend selbstverständlich.

CHARLOTTE BÜHL-GRAMER (Erlangen/Nürnberg) formulierte in ihrem Eröffnungsvortrag prägnant zentrale Spannungsfelder des gegenwärtigen und künftigen Geschichtsunterrichts. Dabei ging sie vor allem auf die hohen Erwartungen an das Fach ein, das sich in Zeiten beschleunigten Wandels zahlreichen teils nicht erfüllbaren Forderungen ausgesetzt sehe. Es gelte die Eigenständigkeit des Faches zu bewahren und sich abzugrenzen von Vereinnahmungsversuchen, die das Fach auf rein unmittelbare Nutzanwendung und ökonomische Verwertbarkeit reduzieren. Dies erfordere eine Debatte über das Verhältnis von Gegenwartsbezug und Alteritätserfahrung, die Eigenheit und Kontingenz vergangener Welten mit ihren spezifischen Sinnbezügen, Denkstrukturen, kulturellen Praktiken, ihrer Komplexität und Offenheit für eine ungewisse Zukunft. Angesichts der zeitlich knappen Ressourcen stelle sich auch die Frage nach notwendigem Wissen, das im 21. Jahrhundert benötigt werde. Daher sei das exemplarische Prinzip alternativlos, auch müsse die Rolle der Geschichtskultur diskutiert werden. Diese avanciere zu einer besonderen Orientierungsleistung des Faches, nicht zuletzt weil bestimmte Formen dieses Geschichtsgebrauchs im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung der Geschichtskultur keinerlei ethischer oder wissenschaftlicher Kontrollen unterlägen. Schließlich plädierte Bühl-Gramer für eine Schärfung eines fachspezifischen Medienbegriffes mit Blick auf die Digitalisierung insgesamt und die Digitalisierung von Geschichtskultur.

Erfreulicherweise hatten gleich zu Anfang diejenigen das Wort, die am meisten mit schulischem historischen Lernen beschäftigt sind – die Schüler/innen. Drei Schulprojekte führten in einem Markt der Möglichkeiten vor Augen, dass Geschichte sehr lebendige und gegenwärtige Auseinandersetzung mit Vergangenheit sein kann. Die Podiumsdiskussion zum Thema „Wozu (noch) Geschichtsunterricht? Was er im 21. Jahrhundert leisten muss“, moderiert von KATE MALEIKE (Deutschlandfunk), bot im Anschluss Raum für einen Erfahrungs- und Erwartungsaustausch verschiedener Akteure. Vertreten waren unter anderem die Perspektiven aus Fachwissenschaft, Didaktik, der Lehrenden und Lernenden sowie der Medien. Thematisiert wurden Fragen der zukünftigen inhaltlichen Auswahlprinzipien historischen Lernens, allen voran das chronologische oder das exemplarische Verfahren. Die Kanonfrage, ebenso strukturelle Bedingungen wie die Kürzung des Stundenumfangs oder der Verbundunterricht, seien neben weiteren gesellschaftlichen Obliegenheiten (Digitalisierung, Inklusion, globale Krisen) aktuelle Herausforderungen, denen es sich mit innovativen Ansätzen zu stellen gelte.

Die Aussprachen eröffneten am zweiten Tag drei profunde und profiliert aufeinander abgestimmte Grundsatzvorträge, die dem internationalen Anspruch der Tagung Ausdruck verliehen. Anknüpfend an den Vortag wurde die Frage „Why History Education?“ erörtert. KLAS-GÖRAN KARLSSON (Lund) berichtete von einer neuen Bedeutung des Historischen in Schweden. Nach Jahren der vorwiegenden Zukunftsorientierung (schul)politischer Diskurse sei Geschichtsbewusstsein mittlerweile eine Fundamentalkategorie: „We are history and we cannot escape from it.“ Was diese Festellung politisch grundsätzlich bedeute, müsse aber noch diskutiert werden. DOROTHEE WIERLING (Hamburg/Berlin) knüpfte daran an und unterschied erhellend zwischen gesinnungsbildender Geschichte, wie sie der Nationalstaat des 19. Jahrhunderts hervorbrachte, und emanzipierender historischer Reflexion. Letztere bedeute aber, dass es nicht darum gehen kann, die eine Geschichte zu lernen, sondern selbst historisch zu forschen. Dann könne sie zum „Reservoir einer Geschichte werden, an der fortwährend weiter geschrieben wird“. T. MILLS KELLY (Fairfax, VA) machte deutlich, dass digitale Medien dabei die entscheidende Möglichkeit sind, den Raum für Verfügbarkeit, Austausch und Kreativität zu erweitern.

Die einzelnen Sektionen waren prägnant mit Fragewörtern überschrieben. Sektion 1 widmete sich dem „Was?“ und blickte dabei auf Theorien und Themen. Kaum etwas könnte größere Bedeutung haben als die Frage begründeter Themenauswahl. Darauf wies auch Sektionsleiter MARKUS BERNHARDT (Duisburg/Essen) hin. Das Fach solle seine Erkenntnislogik insbesondere aus der Geschichtswissenschaft heraus entwickeln und sich auf Basisnarrative fokussieren. JOHANNES MEYER-HAMME (Paderborn) führte gekonnt durch die derzeit gängigsten Theoriemodelle historischen Lernens, stellte deren Reichweite heraus, um am Ende doch ihre grundsätzliche Begrenztheit zu unterstreichen. Damit lieferte er den Ausgangspunkt für das Angebot, das MEIK ZÜLSDORF-KERSTING (Osnabrück) unterbreitete. Ihm ging es um die Modellierung einer Unterrichtstheorie für das Fach Geschichte. Sein Angebot war ein kommunikationsstruktureller Zugang zum Fach, bei dem er am Ende vorschlug, es müsse ein gemeinsames Arbeiten an den „shared lines of reasoning“ (Ola Halldén) beinhalten. Dem gegenüber blieben die Ausführungen ULRICH BAUMGÄRTNERs (München) eher bei Bekanntem, auch wenn sie deutlich machten, dass an der Auswahlproblematik immer eine Vielzahl von Akteur/innen beteiligt ist. Etwas stärker problematisierend war das Nachdenken über das Prinzip des Gegenwarts- und Zukunftsbezuges, das MARKUS BERNHARDT (Duisburg/Essen) in einem eigenen Beitrag gegen den Strich bürstete, um das Diktum ‚Historia magistra vitae’ vom Kopf auf die Füße zu stellen. Er argumentierte, dass es angesichts der Heterogenität verschiedenster Zukunftserwartungen kein simples Lernen aus der Geschichte geben könne. Kontingenz sollte daher nicht aufgelöst werden. Interessanter als der Versuch Demokratieerziehung durch eine Thematisierung der attischen Demokratie zu vollziehen, sei die Frage, warum die Germanen die römischen Wasserleitungen verfallen ließen. Verknüpfen ließen sich solche Überlegungen mit den Erkenntnissen, die ANDREAS MICHLER und JUTTA MÄGDEFRAU (beide Passau) mit ihrer ALGe-Studie zur Wahrnehmung unterschiedlicher Aufgabenformate gewinnen konnten: gute Strukturiertheit, auch wenig Schriftlichkeit, vor allem aber individuelle Bedeutsamkeit machten für Schüler/innen eine motivierende Aufgabenstellung aus. Aus allen Überlegungen ließe sich der Schluss ziehen, dass Geschichtsunterricht vielfältiger werden muss, dass es ihm nicht um kanonisierende Sozialisation gehen sollte, sondern um herausfordernde Bedeutsamkeit in der thematischen Wahl.

Die parallel stattfindende Sektion 2 mit dem Thema „Für Wen? Verschiedenheit, Inklusion und Exklusion“ wurde durch den Vortrag von BETTINA ALAVI (Heidelberg) und SEBASTIAN BARSCH (Kiel) eröffnet. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen war das zum Zeitpunkt der Tagung geplante Handbuch zur Diversität im Geschichtsunterricht. Dabei wurde problematisiert, dass eine notwendige Subjektorientierung der Geschichtsdidaktik mit den Anforderungen der Standardisierung historischen Lernens beispielsweise im Hinblick auf eine allgemeine Studierfähigkeit der Schüler/innen in Einklang zu bringen sei. Offene Fragen hinsichtlich des Umgangs mit Diversität stellten sich in Bezug auf die Rolle der Geschichtskultur, den Zusammenhang von Wissen und Kompetenzen, die Möglichkeiten der Graduierung von Kompetenzen unter Berücksichtigung von Differenzkategorien sowie bezüglich der Ebene der Sprache. MARCUS OTTO (Braunschweig) berichtete anschließend über seine Studie für das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung. Er analysierte insgesamt 65 aktuell zugelassene Schulbücher, davon 24 Geschichtsschulbücher, hinsichtlich der Thematisierung von Migration. Dabei wurde eruiert, dass Migration vor allem als konfliktträchtig dargestellt wird und die Adressierung der Lernenden häufig auch Exklusionsverhältnisse erzeugt. Über das Thema „Schüler/innen in der Migrationsgesellschaft als Subjekte historischen Lernens“ sprachen SARAYA GOMIS (Berlin) und HAJDI BARZ (Berlin). Gomis wies darauf hin, dass bestimmte Repräsentationsformen im Rahmen des Geschichtsunterrichts Stereotype abbilden und damit zur Reproduktion von Rassismen beitragen können. Auch die Selbstgewissheiten von Lehrer/innen müssten in dieser Hinsicht in Frage gestellt werden. Barz beschäftigte sich mit Fragen des Gadjé-Rassismus. Sie analysierte 76 didaktische Materialien über Sint/ezza und Rom/nja, wovon lediglich vier keine Rassismen perpetuierten, und entwickelte Kriterien für eine rassismusfreie Darstellung. Der geplante Beitrag von THOMAS SANDKÜHLER (Berlin) zum Thema Bildungsgerechtigkeit fiel anschließend aus, da Kontroversen innerhalb der Sektion über die Reproduktionsmechanismen von Machtstrukturen zum Abbruch des Panels führten. Eine weiterführende, selbstkritische Auseinandersetzung der deutschsprachigen Geschichtsdidaktik über diese Thematik scheint, so lässt sich schließen, notwendig zu sein.

Sektion 3 befasste sich mit dem „Wie?“, also der Unterrichtsgestaltung, und wurde von ANKE JOHN (Jena) geleitet. In ihren einführenden Worten stellte sie Studienergebnisse zur Unterrichtsqualität kursorisch vor und thematisierte die damit verbundenen methodisch-pragmatischen Herausforderungen, insbesondere das Theorie-Praxis-Transferproblem, welches sich inhaltlich für die Sektionsvorträge als verbindendes Band erwies. Ausgehend von ihren Forschungsbefunden gelang es allen Vortragenden mit ihren teils disparaten Zugängen und Ansätzen, die Debatte der Gestaltungsfragen innovativ zu befruchten. SASKIA HANDRO (Münster) entfaltete mit ihrem vorgestellten empirisch angelegten Forschungsprojekt eine geschichtsdidaktische Position zum sprachsensiblen Fachunterricht. Da Textverstehen Grundlage für historisches Lehren und Lernen bilde, plädierte sie für die geschichtsdidaktische Profilierung von Lesestrategien als epistemischen Instrumenten der Planung und Steuerung von Lehr-/Lernprozessen sowie zur Förderung von narrativer Kompetenz. Es zeichnete sich ab, dass dieses Themenfeld zur Weiterentwicklung der geschichtsdidaktischen Disziplin beitragen kann, beispielsweise im Hinblick auf die Erforschung von Schulbuchtextkonstruktionen oder die Implementierung des Themas in die Lehrer/innenaus- und -weiterbildung. STEFAN BENZ (Bayreuth) befasste sich facettenreich mit dem Thema Multiperspektivität. Er führte aus, dass die als Unterrichtsprinzip und Erkenntnisziel historischen Lernens arrivierte (Multi-)Perspektivität zwar eine Universalie menschlicher Erkenntnisleistung oder vielmehr -beschränkung sein mag, dass sie als Einsicht aber historisch und damit kulturell gebunden sei. Der Umgang mit ihr bilde folglich den Kern jeder interkulturellen Kompetenz. PHILIPPE WEBER (Zürich) zeigte überzeugend mit seinem dialogischen Erzählmodell ein Rollenverständnis von Lehrkräften und Lernenden auf, wie sich Unterricht jenseits des ‚Stoffaufbaus‘ schülerorientiert rhythmisieren und arrangieren lässt. Im Zentrum seines praxistheoretischen Ansatzes steht eine im Unterricht aufgeworfene historische Leitfrage, die zu Erzählungen einladen soll, welche bearbeitet und erarbeitet, anschließend präsentiert und schließlich ausgewertet werden sollen. JAN HODEL (Basel) stellte ausgehend von seinen Erfahrungen im Rahmen der Ausbildung von Lehrkräften in der Schweiz ein theoriegeleitetes Beurteilungsmodell von Geschichtsunterricht vor. Der Ansatz ist dabei die Adaption der Triftigkeitskriterien nach Rüsen (normative, empirische, narrative) zu Beobachtungskriterien des Unterrichts. Daraus ergeben sich die Bezugspunkte Erzählung, Medien und Sinnbildung, mit denen der Geschichtsunterricht als Ort historischer Erkenntnisprozesse eingeteilt, beobachtet und abschließend (formativ) beurteilt wird. Diskutiert wurde die noch nicht geklärte Frage, wie in diesem Modell die Beurteilung des Zusammenspiels von Lehrpersonen und Lernenden stärker einbezogen werden könne.

Wer sind die Akteure des Geschichtsunterrichts, die in Sektion 4 thematisiert wurden? Interessanterweise legte die Auswahl der Vorträge den Schluss nahe, dass es sich dabei ausschließlich um Lehrerinnen und Lehrer handelt. Das ist etwas verstörend, wird doch Schule als Lernraum für Schüler/innen betrieben. MONIKA FENN (Potsdam) stellte sich in einem Potsdamer Forschungsprojekt zusammen mit JESSICA SEIDER (verstorben) die Frage, welches Fachwissen Lehrkräfte brauchen, eines, das akademisches Wissen mit Schulwissen verbindet. MICHAEL SAUER (Göttingen) gewährte Einblicke in den Planungsprozess von Geschichtsunterricht. Die vielfach intuitive Praxis der Bewertung dieser Prozesse im Referendariat wurde mit der Forderung konfrontiert, fachspezifische Planungsmuster und Gütekriterien für gelungene Planungen zu entwickeln. An die programmatischen Fragen indes scheint sich geschichtsdidaktische Forschung immer weniger heranzutrauen. MARIO RESCH und MANFRED SEIDENFUß (beide Heidelberg) gewährten Einblicke in ihre Untersuchung der Fähigkeiten, Aufgaben zu formulieren. Generell konnten sie nachweisen, dass Anregung mehr bringt, auch wenn Aufgaben zum bloßen Abarbeiten weit verbreitet sind. MARKO DEMANTOWSKY (Basel) beklagte die Ignoranz vieler Lehrkräfte bei der Nutzung digitaler Medien. Die ‚digital literacy’ stehe in eklatantem Widerspruch zum „disruptiven“ Charakter des durch Digitalisierung ausgelösten globalen Wandels.

Sektion 5 „Womit? [Digitale] Medien des historischen Lernens“ knüpfte exakt an diese Fragen an und wurde mit theoretischen Überlegungen von MAREN TRIBUKAIT (Braunschweig) eingeleitet. In Anlehnung an kommunikationswissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Ansätze plädierte sie überzeugend für einen Medienbegriff, der Medien als sozial realisierte Formen von Kommunikation begreift und sowohl die Technologien als auch die mit ihnen assoziierten kulturellen Praktiken umfasst. Die folgenenden drei Vorträge beschäftigten sich bezeichnender Weise auf empirischer Ebene mit der Thematik. ROLAND BERNHARD und CHRISTOPH KÜHBERGER (beide Salzburg) widmeten sich im Rahmen des Projekts „Kompetenz- und Wissenschaftsorientierung in Schulgeschichtsbüchern“ (CAOHT) der Frage, inwiefern digitale im Vergleich zu traditionellen Medien im Geschichtsunterricht eingesetzt werden. In einer empirischen qualitativ-quantitativ angelegten Studie konnte als ein Teilergebnis festgestellt werden, dass 72 Prozent der Zeit mit traditionellen Medien (Schulbuch, Handouts, Tafel etc.) und 18 Prozent der Zeit mit digitalen Medien (PC, Beamer, Handys, Tablets etc.) gearbeitet wurde. Von einer digitalen Revolution im österreichischen Geschichtsunterricht könne somit nicht gesprochen werden. Ebenfalls auf der Grundlage empirischer Studien beschäftigten sich anschließend WALTRAUD SCHREIBER (Eichstätt) und CHRISTIANE BERTRAM (Konstanz) mit dem digitalen Geschichtsschulbuch mBook. Als ein Ergebnis konnte gezeigt werden, dass die Schüler/innen Kompetenzfortschritte durch die Arbeit mit dem mBook erzielten. Auf der Lehrer/innenseite wurden verschiedene Nutzer/innentypen kategorisiert (Vollnutzer/innen, selektive Nutzer/innen, ablehnende Nutzer/innen). Abschließend stellte MARTIN LÜCKE (Berlin) das Projekt „Die Shoah im schulischen Alltag“ vor, das auf empirische Erkenntnisse über das Lernen und den Erkenntniszuwachs von Schüler/innen anhand einer eigens für diesen Zweck entwickelten Lern-App für Tablets (SISAT) zielte. Dabei zeigte sich unter anderem, dass die Schüler/innen den Unterricht mit der App zwar als guten Geschichtsunterricht bewerteten, gleichzeitig aber fast keinen Wissenszuwachs durch dieses Lernsetting aufweisen konnten. Die teilweise disparaten empirischen Erkenntnisse, die in dieser Sektion vorgestellt wurden, weisen insgesamt darauf hin, dass das Potential der digitalen Mediennutzung im Geschichtsunterricht bei Weitem noch nicht ausgeschöpft sein dürfte, aber auch einer weiteren kritischen Reflexion auf theoretischer, empirischer und pragmatischer Ebene bedarf.

Im Tagungsprogramm folgte anschließend die Posterpräsentation der Nachwuchsprojekte. Diese hat sich seit mehreren Jahren als erfolgreiche und gut besuchte Möglichkeit etabliert, mit der sich Qualifikationsarbeiten darstellen und diskutieren lassen. Erfreulicher wäre es, dieser Gruppe innerhalb des Dachverbandes noch mehr Gewicht zu verleihen. Dennoch war das Gedränge groß um die elf Stellwände im Foyer (https://www.historicum.net/kgd/wiss-nachwuchs/poster-praesentationen).

In der Abschlussdiskussion unter dem Motto „Quo vadis, Geschichtsunterricht?“ wurden die auf der Tagung aufgeworfenen Fragen hinsichtlich der zukünftigen Ausrichtung der deutschsprachigen Geschichtsdidaktik noch einmal erörtert (z.B. die Notwendigkeit der Reflektion postkolonialer Theorien oder die Kanon-Debatte). Dabei wurde deutlich, dass sowohl der Blick nach innen als auch das Reagieren auf Ansprüche von außen notwendig sein werden. Die Tagung war insgesamt durch ein Maß an Professionalität gekennzeichnet, das neue Maßstäbe setzte. Als Leistungsschau für den Geschichtsunterricht vermochte sie prominente Partner/innen anzusprechen und ein überzeugendes Bild abzugeben. Fragt sich nur, ob das nicht etwas zu sehr auf Kosten diskursiver Auseinandersetzung ging. Die Kontroversen in der Abschlussdiskussion oder der Abbruch von Sektion 2 legen nahe, dass der Fragen mehr sind, als das Gesamtkonzept der Tagung glauben machen wollte. Und das ist eigentlich gut so. Es gibt nach wie vor Redebedarf.

Konferenzübersicht:

Eröffnung der Tagung und Grußworte

Thomas Sandkühler (HU Berlin, Vorsitzender der KGD / Tagungsleiter)

Sabine Kunst (Präsidentin der HU Berlin)

Thomas Krüger (Präsident der bpb)

Sven Tetzlaff (Leiter Bereich Bildung der Körber-Stiftung)

Ulrich Bongertmann (Vorsitzender des Verbands der Geschichtslehrer Deutschlands)

Eröffnungsvortrag
Charlotte Bühl-Gramer (Erlangen/Nürnberg): Thesen zum Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert

Markt der Möglichkeiten
Was Geschichtsunterricht kann: Projekte und Spurensuchende aus Schulen

Podiumsdiskussion: Wozu [noch] Geschichtsunterricht?

Auftakt: Sven Tetzlaff (Körber-Stiftung)
Podium: Jürgen Kaube (FAZ), Bernhard Neidnicht (Geschichtslehrer, Cottbus), Paul Nolte (FU Berlin), Thomas Sandkühler (HU Berlin), Jessica Paula Schulenburg (Schülerin, Hamburg)
Moderation: Kate Maleike (DLF)

Why History Education? Keynotes and Discussion

Klas-Göran Karlsson (Lund)

Dorothee Wierling (Hamburg / Berlin)

T. Mills Kelly (Fairfax, VA)

Sektion 1: Was? Historisches Lernen in der Schule – Theorien und Themen
Leitung: Markus Bernhardt (Duisburg/Essen)

Johannes Meyer-Hamme (Paderborn): Was heißt historisches Lernen? Curricula, Subjektperspektiven, Kompetenzen historischen Denkens

Meik Zülsdorf-Kersting (Osnabrück): Historisches Lernen in der Schule. Überlegungen zu einer Theorie des Geschichtsunterrichts

Ulrich Baumgärtner (München): Was sollen SchülerInnen wissen? Zu Inhalten und Themen im Geschichtsunterricht

Markus Bernhardt (Duisburg/Essen): Historia magistra vitae? Zum Gegenwarts- und Zukunftsbezug des Geschichtsunterrichts

Andreas Michler (Passau), Jutta Mägdefrau (Passau): Die Befunde der ALGe-Studie als Beispiel interdisziplinärer Geschichtsunterrichtsforschung

Sektion 2: Für wen? Verschiedenheit, Inklusion und Exklusion
Leitung: Thomas Sandkühler (Berlin)

Bettina Alavi (Heidelberg), Sebastian Barsch (Kiel): Vielfalt vs. Elite? Geschichtsunterricht zwischen Subjektorientierung und Standardisierung

Marcus Otto (Braunschweig): Inklusion und Exklusion in der Migrationsgesellschaft: Die Adressierung von Lernenden in aktuellen Geschichtsschulbüchern

Hajdi Barz (Berlin), Saraya Gomis (Berlin): SchülerInnen in der Migrationsgesellschaft als Subjekte historischen Lernens

Thomas Sandkühler (Berlin): Plenumsdiskussion über eine historische Statistik. Lässt sich Bildungsgerechtigkeit quantifizieren? (Beitrag entfiel)

Sektion 3: Wie? Die Unterrichtsgestaltung
Leitung: Anke John (Jena)

Saskia Handro (Münster): Geschichte lesen, aber wie? Plädoyer für die geschichtsdidaktische Profilierung von Lesestrategien

Stefan Benz (Bayreuth): Multiperspektivität. Vom Unterrichtsprinzip zum Schlüsselkonzept historischer Bildung

Philippe Weber (Zürich): Dialogisches Erzählen im Geschichtsunterricht. Die Rollenverteilung zwischen SchülerInnen und Lehrkräften

Jan Hodel (Basel): Triftigkeit als Kriterium für die Planung und Beurteilung von Geschichtsunterricht

Sektion 4: Wer? Die Akteure
Leitung: Charlotte Bühl-Gramer (Erlangen/Nürnberg)

Monika Fenn (Potsdam), Jessica Seider (verstorben): Welches Fachwissen brauchen angehende Lehrkräfte für den Geschichtsunterricht?

[Katharina Litten, erkrankt], Michael Sauer (Göttingen): Wie lässt sich die Planung von Geschichtsunterricht bewerten? Am Beispiel von ReferendarInnen

Mario Resch (Heidelberg), Manfred Seidenfuß (Heidelberg): Aufgaben formulieren im Geschichtsunterricht: Das Wissen und Können angehender Lehrkräfte

Marko Demantowsky (Basel): Lehrpersonen und ihre digital literacy im Digitalen Wandel

Sektion 5: Womit? [Digitale] Medien des historischen Lernens
Leitung: Astrid Schwabe (Flensburg)

Maren Tribukait (Braunschweig): Die Medialität des Geschichtsunterrichts. Zwischen digitalen Angeboten und geschichtsdidaktischen Anforderungen

Roland Bernhard (Salzburg), Christoph Kühberger (Salzburg): Die Verwendung traditioneller und digitaler Medien im Geschichtsunterricht. Empirische Befunde

Christiane Bertram (Konstanz), Waltraud Schreiber (Eichstätt): Ein multimediales Schulgeschichtsbuch in der Anwendung. Wie Empirie hilft, Geschichtsunterricht besser zu verstehen

Martin Lücke (Berlin):Historisches Lernen im digitalen Klassenzimmer: Das Projekt „Shoa im schulischen Alltag“

Posterpräsentationen der Nachwuchsprojekte I

Berichte aus den Sektionen und Thesen: Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert

Saskia Handro, Münster (Sektion 1)
Christoph Hamann, Berlin (Sektion 2)
Michele Barricelli, München (Sektion 3)
Peter Droste, Aachen (Sektion 4)
Alfons Kenkmann, Leipzig (Sektion 5)

Posterpräsentationen der Nachwuchsprojekte II

Prämierung

Abschlussdiskussion: Quo vadis, Geschichtsunterricht?
Moderation: Anke John (Jena)


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