"Hitler & Co als Fernsehstars"

"Hitler & Co als Fernsehstars"

Organisatoren
Haus des Dokumentarfilms, Stuttgart
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.04.2005 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Wolf-Dieter Dorn, Stuttgart

„Hitler sells“. An dieser knappen wie banalen Erkenntnis und am Erfolg der TV-Produktionen Guido Knopps kommt niemand mehr vorbei, weder Filmemacher noch Zeithistoriker und zuallerletzt die Fernsehzuschauer. Zwischen jenen Polen bauen sich zuweilen erhebliche Gegensätze auf: So wurde Knopp von dem Historiker Ulrich Herbert mit dem Verdikt „SS-Kitsch“ konfrontiert.1 Dies ist beileibe kein akademisches Problem. Das Spannungsfeld von medialem Erfolg, journalistischer Sorgfalt und dem Anspruch historiographischer Wissenschaftlichkeit erstreckt sich in die Sphäre der Anstalten und Produzenten hinein. Soviel sei zum Symposion „Hitler & Co als Fernsehstars“ vorweggenommen, das am 21.4.2005 vom Haus des Dokumentarfilms (HDF) in Stuttgart abgehalten wurde.2 Eingeladen waren dazu als externe Referenten jeweils ein Repräsentant der beider großen öffentlich-rechtlichen Anstalten und zwei Vertreter von renommierten Produktionsplattformen. Das Publikum bestand neben bemerkenswert vielen Studenten zumeist aus Fachleuten verschiedenster Einrichtungen, unter denen Angehörige der Fernsehbranche eindeutig den Ton angaben. Historiker waren mit Wortbeiträgen unterrepräsentiert.

Nach der Begrüßung durch den Leiter des HDF, Wilhelm Reschl steckten der einleitende Vortrag Peter Zimmermanns (HDF) und die Vorführung des Films „Hakenkreuz und Einschaltquote. Faszination Drittes Reich“ die Perspektiven der Veranstaltung thematisch ab. Zimmermann zog die Entwicklung der filmischen Vergangenheitsbewältigung in der BRD und der DDR im Gegensatz von „hilfloser Verarbeitung“ 3 einerseits und antifaschistischem Weltanschauungsfilm zum anderen nach. Einschneidend waren für ihn (wie auch für die anderen Referenten) erst die TV-Reihen Guido Knopps ab 1995. Als Desiderat nannte er „die Dekonstruktion der aus der Propaganda gewohnten Nazimythen“.

Christian Deick (ZDF) erklärte den Quotenerfolg von bis zu 20% der Zuschauer vornehmlich durch ein öffentliches Interesse am ‘Dritten Reich’ – „eine neue Generation und neue Fragen“ sowie eine veränderte Form der Vermittlung. Der sehr nüchterne und sachliche Stil früherer Werke wäre heute „aktive Zuschauervertreibung“. Er verteidigte die Kompromisse bei dem Spagat, „Professor und Arbeiter von der Drehbank“ gerecht zu werden und nannte als Präferenzgruppe „die, die noch nichts wissen“. Man versuche den Nationalsozialismus strukturell an Biographien nachzuzeichnen. Insgesamt bestehe, so Deick, eine Tendenz zu weniger Personalisierung. In Bezug auf die Authentizität von Neudrehs, wie Himmlers berüchtigte Posener Rede in der Doku-Reihe "Auschwitz" im NDR 4, eine Frage, die alle Referenten beschäftigte, traut er dem Zuschauer zu, Rekonstruktionen als solche zu erkennen. Allerdings würden er und sein Sender in der Zukunft darauf verzichten, Dokumentationen komplett als Rekonstruktionen neu zu erstellen und bezeichnete – auf die Produktion zur Kubakrise angesprochen 5 – dies ausdrücklich als einen Fehler.

Wie viel „Reenactment“?

Stellvertretend für die kurzfristig verhinderte Esther Schapira berichtete Georg M. Hafner (beide Hessischer Rundfunk) von Überlegungen in der ARD, 1995 das Ressort zur Zeitgeschichte gänzlich zu streichen. Von der folgenden Entwicklung überrascht, versuche sein Sender, nach wie vor gegen den Druck der Quote zu Aufklärung verpflichtet, die historische Form beizubehalten. Ein Highlight für alle Teilnehmer bildete die Vorpremiere von Ausschnitten aus der für den 18. Mai vorgesehenen ARD-Dokumentation zu Rudolf Hess. Im deutlichen Kontrast dazu standen die Referate von Michael Kloft (Spiegel-TV) und Patrick Hoerl (Discovery Channel). Entgegen der Beobachtung, dass zeithistorische TV-Dokumentationen vor allem von älteren Zuschauern „konsumiert“ würden, hätte man sich nicht an einer absoluten Zuschauerquote, sondern an der „Quote der werberelevanten Zielgruppe“ (Kloft) zu orientieren, die nicht aus den „3+“, also wohl den über 30-jährigen bestünde. Da „das ältere Publikum über das Thema, das jüngere über die Machart erreicht werde“ (Hoerl) besteht ein erheblicher Druck bezüglich der technischen Aufbereitung. Dieser Druck wird angesichts des „Overkills medialer Zeitgeschichte“ (Reschl), dem zu beobachtenden Nachlassen des Hitlerbooms verstärkt. Spiegel-TV sei es durch die Konzentration auf Farbfilme gelungen, nicht nur Attraktivität zu wahren, sondern sogar vermehrt privates Filmmaterial zu erschließen, das nicht unmittelbar der NS-Propaganda unterlag. Man wolle, so Klofts Position, ein journalistisch interessantes, gut recherchiertes Thema bieten, mit der Bearbeitung des Materials „Geschichte erzählen“ und keine wissenschaftliche Darstellung bieten. Hoerl geht bei der Verwendung von „Reenactment“ noch weiter, bei der Vermischung von manipuliertem mit originalem Material hält er eine Vorabinformation für ausreichend. Er präsentierte Making-Of-Sequenzen zu computergenerierten Spielszenen, allerdings sei besonders die Nachstellung der Mimik noch so aufwendig, dass sie sich deren Einsatz kaum lohne.

Weitgehend einig waren sich die Anwesenden in ihrem Urteil zum Desinteresse der jüngeren Zuschauer, deren mangelhaften Vorkenntnissen und Rezeptionsverhalten. Peter Steinbach (Karlsruhe) sprach (treffend) von der „Benjamin-Blümchen-Generation“. Doch prügelt man hier nicht das Opfer? Und gleicht der Kampf gegen die Fernbedienung nicht dem Wettlauf von Hase und Igel, solange mit der technischen Aufbereitung die didaktische und kulturelle Herausforderung, Neues erfahren zu wollen schwindet? In der abschliessenden Diskussion unter der Moderation von Michael Hanfeld (FAZ), bei der neben den Referenten Peter Steinbach als einziger Historiker auf dem Podium vertreten war, konzentrierte man sich auf die Problematik des technisch Möglichen und Machbaren.

„Ein guter Film muss gut recherchiert sein und ankommen“

Hafner verteidigte sein Konzept in der ARD, es sei möglicherweise „old fashioned”, dafür könne man seinen Bildern trauen. Soweit er den kleineren Kreis der Meinungsmultiplikatoren erreiche, „Mir sind 750 000 Zuschauer um 23 Uhr lieber, als 3 Millionen um 21 Uhr 45“, stehe dies im Einklang mit dem Bildungsauftrag seines Hauses. Nach Deick hingegen muss ein guter Film gut recherchiert sein und beim Publikum ankommen. Man wage den Umkehrschluss: Es kommt weniger darauf an, dass eine Produktion Substanz bietet und authentisch ist; wichtig ist allein die Quote. Das scheint tatsächlich das Problem zu sein. Mehrfach verirrten sich Referenten über die Genregrenzen und bezogen in ihre Wertung Kino- und fiktionale Fernsehfilme mit ein, die kaum historische Authentizität beanspruchen können. Offenbar lösen sich die Grenzen vom Kopf der Schlange her auf. Auch Steinbach befürchtet im Hinblick auf Animationen, dass dadurch der Bezug zu dem Medium verloren ginge, „Zuschauer verlernen, einen Dokumentarfilm zu sehen wie, er ist“.

Im Gegensatz dazu äußerte neben Deick auch Hoerl sein Vertrauen in die Kompetenz der TV-Konsumenten, zwischen Fiktion und authentischem Material unterscheiden zu können. Tatsächlich ist dieses Vertrauen ebenso eigennützig wie gefährlich – verkennt es doch die Macht subjektiver Wahrnehmungen nachgestellter Szenen, wie auch musikalischer Untermalung und selbst der Hintergrundbeleuchtung bei Zeitzeugeninterviews. Denn deren Wirkung liefert zu dem „Kopfsalat mit Zeitzeugen“ (Norbert Frei) 6 erst das passende „Schmalz-Dressing“. Anscheinend kommen nur Emotionen im Publikum an. Die beabsichtigte Wirkung des rührigen Histotainments, das darf man professionellen Filmemachern wohl unterstellen, bringt Einschaltquoten, führt jedoch ungewollt in einen Substanzverlust an historischer Sensibilität, Kenntnis von Fakten und Zusammenhängen sowie an analytischen Fähigkeiten. Dies ist dann nicht nur ein Eingriff in die Kernkompetenz der Geschichtswissenschaft, sondern stellt letztlich die Bildungskultur insgesamt in Frage. Peter Steinbach hätte zu dieser Problematik durchaus noch deutlichere Worte finden können.

Für die vom „Hitlerboom“ im Fernsehen betroffenen, bisher betroffenen Zeithistoriker war die Veranstaltung insofern ein Gewinn, als dass die unterschiedlichen Konzeptionen in ihrer Gegensätzlichkeit zur Aussprache kamen. Die Spezialisten dürften sich über die verschiedenen Einblicke in den Geschichtlichen Arbeitskreis (GAK) der ARD amüsiert haben, der noch vor zehn Jahren von der Zeitzeugenschaft der Verantwortlichen geprägt war: „Jürgen Engert, der Leiter des GAK, pflegte mit beiden Händen auf den Tisch zu klopfen und in die Runde zu rufen: ‘Also Kameraden …’.“ 7 Den Veranstaltern sei ans Herz gelegt, die Beiträge gegebenenfalls auch Online zugänglich zu machen. Ein Bedarf daran besteht ohne Zweifel: Aus dem Publikum berichtete Andrea Winklbauer vom Jüdischen Museum der Stadt Wien, dass Jugendliche anlässlich der Premiere des ‘Napola’-Films von Dennis Gansel in Österreich angaben, sie bevorzugten Spielfilme, Dokumentationen wirkten ihnen zu unecht. Vorausgesetzt man kann die Lage in beiden Ländern vergleichen, gäbe es also auch hierzulande noch viel zu tun. Oder wurde vielleicht nicht bereits des Guten zuviel getan?

Anmerkungen:
1 Vgl. Sendet das ZDF Aufklärung oder „SS-Kitsch“? In: Kölner Stadt-Anzeiger 16.6.1998.
2 Die Einladung zu der Veranstaltung und dort die Titel der Vorträge sowie Angaben zum Filmbeitrag sind einsehbar unter: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=3798>, Link zum Haus des Dokumentarfilms: <http://www.hdf.de>.
3 Vortrag Peter Zimmermann nach Wolfgang Fritz Haug, der Referent plant für den Herbst die Veröffentlichung einer Darstellung zur „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1895 - 1945“, die im Reclam Verlag erscheinen wird.
4 NDR am 2. Mai 2005 um 23 Uhr.
5 Die Nervenprobe – die Kubakrise 1962 (Oktober 2002).
6 Vgl. Interview Norbert Frei. In: Süddeutsche Zeitung Nr.17, 22.01.2005.
7 Esther Schapira: Hitler Superstar. Vortragstext 21.4.2005, mit herzlichem Dank an die Referentin für Überlassung des Manuskripts.

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