Innovation und Tradition. Objekte und Eliten in Hildesheim, 1130–1250

Innovation und Tradition. Objekte und Eliten in Hildesheim, 1130–1250

Organisatoren
Dommuseum Hildesheim
Ort
Hildesheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.02.2018 - 23.02.2018
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Von
Felix Prinz, Dommuseum Hildesheim

Zum Abschluss des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in der Förderlinie „Die Sprache der Objekte – materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklung“ von 2015 bis 2018 unterstützten interdisziplinären Forschungsprojektes „Innovation und Tradition. Objekte und Eliten in Hildesheim, 1130–1250“, an dem Historiker/innen und Kunsthistoriker/innen der Universitäten Bonn, Osnabrück, Potsdam und Kiel sowie des Dommuseums Hildesheim beteiligt waren, wurden deren Ergebnisse bei einer Tagung in Hildesheim vorgestellt. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den im Dommuseum präsentierten Objekten und am historischen Ort hatte es sich das Forschungsvorhaben zur Aufgabe gemacht, die umfangreiche Produktion von Kunstwerken und -objekten sowie die Akteure in den städtischen und geistlichen Eliten des besagten Zeitraums näher zu ergründen und im interdisziplinären Austausch die historische und kunsthistorische Expertise gewinnbringend einzusetzen. Die Tagung kann daher hinsichtlich der konkreten Ergebnisse der Einzelprojekte, des Zugewinns durch den interdisziplinären Ansatz wie auch der Einbindung in die Objektforschung bewertet werden.

Am Anfang der zweitägigen Veranstaltung standen die Vorträge der Historikerinnen ANNE SÜDBECK (Osnabrück) und CLAUDIA HEFTER (Potsdam), die sich den weltlichen und geistlichen Eliten Hildesheims widmeten. Angesichts der nicht einfachen Definition von Eliten in der historischen Forschung wählte Südbeck die Aspekte von Stand, Besitz und Einfluss als Charakteristika. Dergestalt konnten aus den Quellen als weltliche Eliten diejenigen Hildesheimer Familien bestimmt werden, die im Rat vertreten waren und zumeist auch in geschäftlichen und verwandtschaftlichen Verhältnissen zueinander standen. Von den aus den Quellen bekannten Namen sind nur wenige mit konkreten Stiftungen in Verbindung zu bringen, doch zeichnet sich insgesamt für das 13. Jahrhundert der Wandel Hildesheims von einer Bischofsresidenz zu einer nach politischer Selbstbestimmung strebenden Stadt ab, deren Geschicke von einer Gruppe von Bürgerfamilien bestimmt wurden. Für die Untersuchung der geistlichen Eliten machte Hefter zunächst auf die inhärente Diskrepanz der Quellen aufmerksam, bei der diejenigen Absolventen der Domschule, die etwa einen Bischofssitz erlangten, in den Quellen häufiger vertreten sind als die weniger erfolgreichen. Dennoch können aus den erzählenden Quellen und den Hildesheimer Urkundenbüchern zahlreiche Akteure namhaft gemacht werden, beispielhaft wurde der Karriereweg des Domkanonikers Hilarius vorgestellt.

Ein deutlicher Schwerpunkt der Tagung lag auf Themen der Kunstgeschichte. Während sich der Kunsthistoriker MICHAEL BRANDT (Hildesheim) der historischen Bestimmung und Dimension des Domschatzes anhand der Reliquien aus dem Hochaltar der Hildesheimer Domkirche widmete, versuchte CLAUDIA HÖHL (Hildesheim) eine allein in historischen Abbildungen dokumentierte Adlerbrosche an der Großen Goldenen Madonna (Dommuseum Hildesheim, DS 82) näher zu bestimmen. Im Vergleich mit einem ähnlichen Schmuckstück an der Essener Madonna machte sie eine Entstehung in der Stauferzeit plausibel und vermutet einen Zusammenhang mit Bischof Konrad II., da dieser nicht nur in unmittelbarer Nähe zum Stauferhof agierte, sondern sich auch um die territoriale und rechtliche Unabhängigkeit des Bistums bemühte.

In beispielhafter Klarheit konnte ESTHER-LUISA SCHUSTER (Bonn) die Abhängigkeit der Ausmalung einer Halle im Westturm, die allein in einem vor dem Abbruch des Westturms angefertigten Aquarell des 19. Jahrhunderts dokumentiert ist, von einer Handschrift nachweisen, deren Provenienz als Schenkung von Bischof Bruno bekannt ist. Das seltene und komplexe Bildprogramm, dessen Inschriften Johann Michael Kratz ebenfalls im 19. Jahrhundert dokumentiert hatte, wurde entschlüsselt und dabei erwiesen sich die Inschriften teilweise als Zitat aus Ps.-Dionysius Areopagitas Schrift „De caelesti hierarchia“, die von Hugo von St. Viktor im 12. Jahrhundert kommentiert wurde. Damit wird Bischof Bruno als Auftraggeber oder Konzeptor dieser Wandmalerei plausibel, doch darüberhinausgehende Fragen nach der Funktion dieses Raumes können aufgrund der Quellenlage bislang kaum beantwortet werden. In einem weiteren der Malerei gewidmeten Vortrag stellte HARALD WOLTER-VON DEM KENSEBECK (Bonn) seine Überlegungen zur Decke von St. Michael in Hildesheim, insbesondere zur Verortung in der Tradition der Schemabilder und der Ikonographie der Wurzel Jesse sowie einen Bezug zu Bischof Konrad II. als mögliche Vermittler von Formensprache und Bildprogramm vor. Letzteres wurde anschließend hinsichtlich der Gestaltungs- und Eingriffsmöglichkeiten eines Bischofs in der Abteikirche vom Auditorium diskutiert.

Zwei kunsthistorische Projekte waren einzelnen Objektgattungen und der Bestimmung des Corpus vermutlich in Hildesheim hergestellter Werke gewidmet. DOROTHEE KEMPER (Kiel) konnte für die Emailarbeiten zwei in Hildesheim entstandene Gruppen unterscheiden, wobei die aufwendig gearbeiteten Objekte sich zumeist mit konkreten Stiftern und Auftraggebern in Verbindung bringen ließen, wie es beispielhaft für das sogenannte Welandus-Reliquiar aus St. Michael (Louvre, Paris) aufgezeigt werden konnte. Eine zweite Gruppe charakterisierte sie als Serienproduktion, die Funktionstypen bereitstellte, welche zunächst in den Emailzentren wie Maas und Rhein nicht oder wenig produziert wurden, deren Bedarf ab dem 13. Jahrhundert aber die Limousiner Werkstätten deckten. Den interdisziplinären Ansatz des Gesamtprojektes konnte Kemper durch die Vorstellung der Zusammenarbeit mit historisch-hagiologischen und naturwissenschaftlichen Untersuchungen insbesondere hinsichtlich des Welandus-Reliquiars aber auch darüber hinaus deutlich machen. Während KLAUS NIEHR (Osnabrück) mit der zeitlichen Dimension die Kontinuität und Diskontinuität der Herstellung von Bronzeobjekten in Hildesheim vom 11. bis ins 15. Jahrhundert thematisierte, stellte JOANNA OLCHAWA (Osnabrück) von ihr neu als Hildesheimer Werke bestimmte Bronzen vor und erläuterte deren Verbreitung von Italien bis nach Sibirien. Vor dem Hintergrund dieser Materialzusammenstellung widmete sie sich den Fragen, welche Objektgattungen in Hildesheim hergestellt wurden und welche nicht, wie Werke auch seriell produziert wurden und welcher Exportorientierung die Herstellung folgte.

Eine Erweiterung der Fragestellung und des methodischen Vorgehens auf der Grundlage des Forschungsprojektes stellte der Abendvortrag der Historikerin MARTINA GIESE (Potsdam) insofern dar, als er sich den Biografien mittelalterlicher Objekte in der Frühen Neuzeit widmete. Auf der Grundlage der schriftlichen Quellen stellte sie die wechselvollen Geschichten einzelner Hildesheimer Objekte nach der Einführung der Reformation und im Dreißigjährigen Krieg vor. Anhand der vornehmlich von Abt Johannes Jacke (1614–1668) von St. Michael in Hildesheim angefertigten Inventarlisten wie auch der Berichte über seine Bemühungen zur Auslagerung und damit Rettung der Handschriften und Kunstwerke konnten nicht allein die historischen Bestände rekonstruiert werden, sondern auch die Schicksale heute verlorener Stücke wie des Prachteinbands des Guntbald-Evangeliars (Dommuseum Hildesheim, DS 33) oder die Rückgewinnung der Bernward-Bibel (Dommuseum Hildesheim, DS 61) nachvollzogen werden. Damit gab der Vortrag auch einen Einblick in die Edition der Schatzverzeichnisse von St. Michael und Dom in Hildesheim, deren Publikation als Ergebnis des Projektes in Vorbereitung ist.

Mit der Tagung konnte eine Fülle von konkreten Ergebnissen des Gesamtprojektes wie auch der Einzelprojekte aufgezeigt werden. Insbesondere die Corpuswerke zu den Bronzen und Emailobjekten haben Grundlagenforschung für die Erschließung der Hildesheimer Kunstwerke des 12. und 13. Jahrhunderts geleistet. Anhand einzelner Bildwerke wie der Goldenen Madonna sowie der Malereien im Westturm der Kathedrale und der Decke von St. Michael wurden die Beziehungen zu möglichen Auftraggebern aus den Hildesheimer Eliten diskutiert. Die historische Forschung lässt zwar eine genauere Bestimmung der Situation von weltlichen und geistlichen Eliten zu, doch zumeist ermöglichen es die Quellen nicht, eine konkrete Verbindung zur Herstellung oder Stiftung der zahlreich erhaltenen Objekte herzustellen. Ausgehend von Einzelobjekten wie beispielsweise dem sogenannten Welandus-Reliquiar konnten das Potential der interdisziplinären Zusammenarbeit und damit auch die Vielschichtigkeit und Komplexität der Objekte dargelegt werden. Aufgrund dieser eng an den Objekten und Quellen orientierten Forschung erscheint es nachrangig, dass eine Einbindung in aktuelle Diskussionen um Begriff und Status der Objekte allenfalls indirekt erfolgte.

Konferenzübersicht:

Anne Südbeck (Osnabrück): Die weltliche Elite im Hildesheim des 13. Jahrhunderts

Claudia Hefter (Potsdam): Zwischen aulicus scriba doctus und ruina mundi. Bemerkungen zu Karrierewegen von Hildesheimer Domschülern

Michael Brandt (Hildesheim) / Martina Giese (Potsdam): Vom Quellenwert der Schätze – Feldforschung zwischen Archiv und Rumpelkammer

Claudia Höhl (Hildesheim): Zwischen Kult und Politik. Die Große Goldene Madonna im 13. Jahrhundert

Thomas Vogtherr (Osnabrück): Interdisziplinär und überörtlich – Bemerkungen am Ende eines Forschungsprojektes zur Hildesheimer Kunstgeschichte des 12. und 13. Jahrhunderts

Joanna Olchawa (Osnabrück): Vor Ort und in der Ferne. Überlegungen zum Forschungsprojekt „Innovation und Tradition. Objekte und Eliten in Hildesheim, 1130–1250“

Martina Giese (Potsdam): Zwei Fuder Roggen für die Biblia Bernwardi. Über die Plünderung des Michaelisklosters im 16. und 17. Jahrhundert

Esther-Luisa Schuster (Bonn): Das Bild als Kommentar. Das Wandmalereiprogramm aus dem ehemaligen Hildesheimer Dom-Westbau

Harald Wolter-von dem Knesebeck (Bonn): Objekt- und Bildform der Hildesheimer Holzdecke und der Hildesheimer Klerus

Dorothee Kemper (Berlin / Kiel): Tradition in neuem Glanz? Hildesheimer Grubenschmelzwerkstätten des Mittelalters

Klaus Niehr (Osnabrück) / Joanna Olchawa (Osnabrück): Bronze ohne Ende


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