Bayerische Umwelt-, Klima- und Konsumgeschichte (Teil 2)

Bayerische Umwelt-, Klima- und Konsumgeschichte (Teil 2)

Organisatoren
Lehrstuhl für Bayerische und Fränkische Landesgeschichte München; Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Ludwig-Maximilians-Universität München; Hanns-Seidel-Stiftung
Ort
Bad Staffelstein
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.03.2018 - 09.03.2018
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Von
Marc Holländer, Lehrstuhl für Landesgeschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Aufgrund der seit Teil 1 der Tagung unter Leitung von Wolfgang Wüst (Erlangen) ins Land gegangenen Zeit und der hinzugekommenen offenkundigen Indizien für den Klimawandel in Form von extremen Hochwassern und dem Ansteigen der Meeresspiegel sowie der Tatsache, dass die Volksrepublik China den Plastikmüll der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr unter anderem für die Fabrikation von synthetischen Textilgarnen importiert, hätte der Zeitpunkt für die Durchführung von Teil 2 unter der Leitung von Gisela Drossbach (Augsburg / München) und erneuter Förderung durch die Hanns-Seidel-Stiftung vom 8. bis 9. März 2018 im Bildungszentrum Kloster Banz nicht besser gewählt werden können.

Nach der Begrüßung der Teilnehmer/innen und Referenten/innen führten die Veranstalter WOLFGANG WÜST (Erlangen) und GISELA DROSSBACH (Augsburg / München) in das Tagungsprogramm ein und stellten dessen Konzeption vor. Gisela Drossbach eröffnete mit Zitaten aus historischen Reiseberichten aus Skandinavien und schlug eine Brücke zur aktuellen Diskussion um die Klimaschädlichkeit von Dieselmotoren, wobei sie die Relevanz der Tagung bekräftigte und die Kritik am Konsum seit Menschengedenken aus der griechischen Antike belegte. Anschließend ließ Wolfgang Wüst die vorangegangene Tagungseinheit Revue passieren und leitete unter Verweis auf den sich langsam entwickelnden interdisziplinären Schulterschluss der historischen und der geografischen Wissenschaft zu Teil 2 über, um nach einer Vorstellungsrunde den Referent/innen das Wort zu erteilen.

Zu Beginn griff NADJA HENDRIKS (Augsburg) den in Teil 1 bereits für die mittelalterliche Forstwirtschaft thematisierten Begriff der Nachhaltigkeit auf und zeigte anhand des Beispiels der Gemeinde Buttenwiesen im Donauried auf, dass dieser aktuell Ansichtssache sei. Hier war es zu großen Protestbewegungen der Einwohnerschaft gegen kommunale Projekte gekommen. Die „Agenda 21“ soll dabei zwischen privatwirtschaftlichen Investoren, kommunalen Entwicklungsplänen und privaten Initiativen mit ihrer jeweiligen Interpretation von Nachhaltigkeit vermitteln.

AMALIE FÖßEL (Duisburg-Essen) führte das Plenum mit Verweis auf aktuelle UN-Studien zur Sterblichkeit der Weltbevölkerung durch selbstgemachte Umweltbelastungen zum Beginn der betrachteten Zeitspanne im Hochmittelalter zurück und zeigte die damals wie heute aktuellen Zusammenhänge auf. Hierbei wurde offenbar, dass die Menschen des europäischen Mittelalters unter Rückgriff auf antike Medizinalabhandlungen und Beobachtung große Fortschritte in der Medizin und Hygiene machten, welche sich in Policey-Ordnungen in Italien, dann aber auch beispielsweise Nürnberg, niederschlugen. Da Handelsmetropolen wie Prag teilweise verschont blieben, müssen die pauschalen Vorstellungen von streng entlang der Handelsstraßen verlaufenen Pestzügen anhand lokaler Quellen überprüft werden.

MICHAELA HERMANN (Augsburg) überwand anschließend das bisherige Nebeneinander von streng objektbasierter Archäologie und Zusammenhänge kombinierender Konsumgeschichte. Über Anzahl, Beschaffenheit und Verortung von Funden neuester Ausgrabungen im historischen Kern Augsburgs als ehemals zentraleuropäischem Handelszentrum ersten Ranges stellte sie dabei frühere pauschale Forschungsmeinungen zu Angebot und Nachfrage von vormaligen Luxusartikeln im Europa dieser Zeit infrage und kam analog zu ihrer Vorrednerin zu dem Schluss, dass hier landesgeschichtliche Überprüfung notwendig ist.

Einen Einblick in die jeweils zeitgenössische Wahrnehmung von Landschaft, Konsum und Klima über Jahrhunderte hinweg gab KLAUS WOLF (Augsburg) mit seiner Buchpräsentation. Einleitend mit der Genese seines Werkes machte er im Rückblick auf vorhergegangene Projekte gleichen gesamtheitlichen Anspruchs anderer auf die Komplexität der notwendigen Definition und Abgrenzung von Kulturräumen aufmerksam. Mit Leseproben der versammelten Autoren wurde zudem belegt, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit auch mit der Kultur- und Kunstgeschichte für die Interessensbildung aller elementar ist und die bloße Auswertung und Edition von digitalisierten Quellen keinen Erkenntnisgewinn zeitigen kann.

CHRISTIAN ROHR (Bern) warf mit seinen Ausführungen die Frage auf, was der Mensch aus früheren Umweltkatastrophen lernen könne. Dabei wurde aus Quellen wie Stadtchroniken und vor allem Eintragungen in Rechnungsbüchern über Reparaturarbeiten an Brücken und Infrastruktur der Anrainergemeinden die wiederholt menschenverschuldete Eskalation von natürlichen Hochwassern der alpinen Flusslandschaften sowie deren bewusste Inkaufnahme wegen des gewinnträchtigen Salzhandels offenbar. Am Ende stand die Erkenntnis, dass mit der Memorialkultur heutzutage auch der Respekt vor der Natur fehle und lieber kleinteilige bauliche Maßnahmen ergriffen würden, statt die nötigen internationalen Kooperationen anzustoßen.

In seinem darauffolgenden Beitrag zeichnete WOLFGANG WÜST (Erlangen) anhand von Rechnungsbüchern und Policey-Ordnungen auch fränkischer kirchlicher Autoritäten des 17. und 18. Jahrhunderts die Verbreitung nicht-heimischer Feldfrüchte und Genussmittel nach, auch Steuerbücher geben durch die Naturalabgaben Aufschluss über die Verbreitung nicht einheimischer Ackerfrüchte. So tauchten im 15. Jahrhundert bereits Kraut- und Knollenpflanzen als Abgaben an St. Egidien in Nürnberg auf und hatte sich der Spargel von einem exotischen Prestigeobjekt im Württembergischen Hofgarten 1562 laut einer Steuerliste aus Sinning im 19. Jahrhundert schließlich zur großflächig angebauten Feldfrucht entwickelt.

Michaela Hermann verlas sodann den Vortrag der erkrankten BARBARA RAJKAY (Augsburg), in welchem die Wandlung des vorherigen Allgemeinguts Wasser hin zum Konsumgut nachgezeichnet wurde. Da die öffentliche Wasserversorgung der Reichsstadt Augsburg durch ihre geografische Lage nur mit enormem technischem Aufwand sicherzustellen war, entschloss sich die Stadt Mitte des 16. Jahrhunderts, über den Verkauf von Nutzungsrechten und den Anschluss für fließend Wasser in reichen Privathaushalten die Kosten hierfür umzuverteilen. Obwohl die Wasserversorgung immer ein Zuschussgeschäft bleiben sollte, erlangte Augsburg mit seinem technisch komplexen Wassersystem europaweit den Ruf eines Zentrums der Wasserwirtschaft und ob des Bevölkerungswachstums konnte die Versorgung so demokratisiert werden.

Auf die Versorgung Augsburgs mit Wassern anderer Art konzentrierte sich danach RENATE PFEUFFER (Augsburg). Schon Jakob Fugger „der Reiche“ hatte sich die Möglichkeit gewünscht, die Reise zu Kurbädern durch eine häusliche Trinkkur mit Sauerbrunnenwasser umgehen zu können. Augsburg wurde ob der reichen Patrizier, Beamten und Würdenträger zu einem Zentrum für Steingutflaschen, welche den Transport der Luxusware zwar sicherer machten, jedoch auch dem Umfüllen von billigeren Wassern in Flaschen teurerer Sorten auf dem langen Weg aus Eifel, Taunus und Böhmen Vorschub leisteten. Im abschließenden Ausblick wurde erneut deutlich, dass die fortführende aufwendig-kleinteilige Erforschung des lokalen Einzelhandels noch aussteht.

Zuletzt informierte REINHARD NIEßNER (Innsbruck) über den aktuellen Stand seiner Dissertation. Dass die Präsenz von Hochwassern in den Quellen nicht ausreicht, um deren tatsächliche Häufigkeit zu belegen und ihre religiöse Deutung komplementär zur rationalen Wissenschaft stehen konnte, zeigte sich in der Person Franz von Zallingers. Dieser hatte neben Veröffentlichungen zu deren Ursachen und Präventivmaßnahmen als Jesuitenpater und Professor für Physik sowie Mathematik in Innsbruck ab 1777 50 Jahre lang täglich Temperaturmessungen durchgeführt, welche als Temperaturreihe allerdings nur in Kombination mit anderen Quellen wie Stadtchroniken ergänzend Rückschlüsse auf Hochwasser und deren menschengemachte Eskalation zulassen.

Mit einem Fokus auf die ehemalige Reichsstadt Augsburg als europäischem Handelszentrum ergänzte Teil 2 nicht nur die altbayerischen Gebiete des heutigen Freistaats, sondern erwies im Blick über den bayerischen Kulturraum hinaus die Notwendigkeit, pauschale Forschungsmeinungen zum europaweiten Handel und Konsum von Luxusgütern sowie seiner schädlichen Folgen vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein auf lokaler Ebene quellenbasiert interdisziplinär zu überprüfen. Die Tagung profitierte insbesondere von inhaltlichen Kontrasten der jeweiligen Referate, welche im Bogen vom Mittelalter bis heute ein durchwachsenes Bild von Verständnis, Wahrnehmung und Umgang mit der Umwelt vermitteln. Dass die Klimaforschung im heutigen Sinne und erst recht die historische Klimatologie eine noch sehr junge Teildisziplin ist, wurde in den Beiträgen zu den europäischen Pestzügen und der Relevanz von Temperaturreihen für die Hochwasserforschung ersichtlich. Aufgrund der technischen Möglichkeiten und kleinteiligen Territorienwelt des Alten Reiches war die punktuelle Messung und Niederlegung von lokal isolierten klimatischen Verhältnissen, wie im Falle Zallinger gezeigt, zunächst ein Zeitvertreib interessierter Intellektueller ohne weiterführenden Erkenntnisgewinn. Erst durch die moderne globale Vernetzung und technischen Möglichkeiten ist es heute möglich, klimatische Einflüsse auf historische Ereignisse über Staatsgrenzen hinweg quellenbasiert und naturwissenschaftlich rückblickend zu rekonstruieren.

Konferenzübersicht:

Begrüßung:
Wolfgang Wüst (Erlangen) / Gisela Drossbach (Augsburg / München)

Moderation: Wolfgang Wüst (Erlangen)
Nadja Hendriks (Augsburg): Global denken – lokal handeln. Deutungen und Bedeutung von Nachhaltigkeit in Bayern auf lokaler Ebene (ab den 70er-Jahren)
Amalie Fößel (Duisburg / Essen): Der sogenannte Schwarze Tod und die Relevanz von Klima und Umwelt
Michaela Hermann (Augsburg): Aus Latrinen und Müllhalden. Die Augsburger Warenwelt im Spätmittelalter und der Renaissance aus Sicht der Archäologie

Moderation: Gisela Drossbach (Augsburg / München)
Klaus Wolf (Augsburg): Buchpräsentation: Bayerische Umwelt-, Klima- und Konsumgeschichte im Spiegel der Bayerischen Literaturgeschichte – Eine Blütenlese mit Buchvorstellung der „Bayerischen Literaturgeschichte“
Christian Rohr (Bern): Zum Umgang mit schweren Hochwassern an der unteren Salzach und am unteren Inn seit dem späten Mittelalter

Moderation: Klaus Wolf (Augsburg)
Wolfgang Wüst (Erlangen): Citronen, Pomeranzen, Spargel, Tabak: Exotik im Acker und Garten – Anbau und Konsum in frühen bayerischen Quellen (16.–18. Jahrhundert)
Barbara Rajkay (Augsburg): Eimerweise Luxus: Die Wasseranschlüsse privater Haushalte in Augsburg 1558–1806
Renate Pfeuffer (Augsburg): Medizin aus Henkelkrügen. Zu Vertrieb und Konsum von Sauerbrunnen in Augsburg 1750–1850
Reinhard Nießner (Innsbruck): Vom Sinn und Unsinn historischer Temperaturreihen für die Hochwasserforschung

Zusammenfassung:
Marc Holländer (Erlangen)

Abschiedsworte, Gesammelte Impressionen:
Wolfgang Wüst (Erlangen) / Gisela Drossbach (Augsburg / München)