Unser Franz: Das Bild des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau im Urteil der Nachwelt (1817-1945). 7. Tag der sachsen-anhaltischen Landesgeschichte und zugleich Jahrestagung der Dessau-Wörlitz-Kommission

Unser Franz: Das Bild des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau im Urteil der Nachwelt (1817-1945). 7. Tag der sachsen-anhaltischen Landesgeschichte und zugleich Jahrestagung der Dessau-Wörlitz-Kommission

Organisatoren
Historische Kommission für Sachsen-Anhalt; Dessau-Wörlitz-Kommission; Landesarchiv Sachsen-Anhalt
Ort
Dessau-Roßlau
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.10.2017 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Fabian Schubert, Kulturstiftung Dessau-Wörlitz

Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau gilt bis heute als mustergültiger Aufklärer und fürsorglicher Landesvater. Diesen Nimbus erlangte er nicht nur durch umfassende Landesreformen während seiner Regierungstätigkeit, sondern auch durch eine von viele Akteuren über lange Zeit anhaltende Arbeit am Mythos, durch die Erschaffung eines Idealbilds, das bereits zu seinen Lebzeiten entstand und später dann rückwirkend auf ihn projiziert wurde. Wer waren die Akteure, die ein solches Bild verstetigten? Welche Interessen verbanden sie damit? Wie gelang es ihnen über viele Jahrzehnte, Leopold III. Friedrich Franz zu einer prominenten Erinnerungsfigur in Anhalt zu machen? Und welchen Anteil hatte der Fürst selbst beim Entwurf seines positiven Images? Diesen Fragen widmete sich der siebte Tag der sachsen-anhaltischen Landesgeschichte, der zugleich die Jahrestagung der Dessau-Wörlitz-Kommission war. Zum Thema „Unser Franz“ luden Andreas Erb (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau), Andreas Pečar (Universität Halle-Wittenberg) und Holger Zaunstöck (Franckesche Stiftungen) im Auftrag der Historischen Kommission Sachsen-Anhalt in den Alten Wasserturm nach Dessau-Roßlau ein.

ANDREAS PEČAR (Universität Halle-Wittenberg) eröffnete die Vortragsreihe, indem er nach dem Bild des Fürsten Franz in der Geschichtsschreibung vorwiegend des 19. Jahrhunderts fragte. In Anlehnung an Maurice Halbwachs legte er dar, wie die Erinnerungsfigur Franz über die Zeit normativ aufgeladen wurde. Dazu betrachtete er den anhaltischen Fürsten in vergleichender Perspektive zur Geschichtsschreibung über Maria Theresia und Friedrich II. im Urteil ihrer Nachwelt. Während in Preußen und Österreich-Ungarn große Quelleneditionen erschienen, die das Handeln der Herrscher positiv hervorheben sollten, fehlten entsprechende Werke in Anhalt-Dessau. Allerdings hatte die Historiographie des 19. Jahrhunderts über alle drei Herrschergestalten offiziösen Charakter und lag in der Hand von Historikern und Archivaren, die in persönlichen Diensten der Dynastie standen. Die Heroisierung der genannten Herrscher ging einher mit einer Transformation der Perspektive. Fürst Franz, Maria Theresia und Friedrich II. wurden ihrer adeligen Kontexte enthoben. Stattdessen wurden sie zu bürgerlichen Leistungs- und Tugendhelden stilisiert. Diese Transformation trug zur Identitätsstiftung in den jeweiligen Staaten entscheidend bei. Die herausgestellte Vorbildrolle stieß auch und gerade beim erstarkenden Bürgertum auf Zustimmung. Ziel der Geschichtsschreibung war folglich eine Identitätsstiftung, nicht aber eine kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung.

JAN BRADEMANN (Archiv der Evangelischen Landeskirche Anhalts) betrachtete anschließend den Sehepunkt Georg Friedrich Reils, der 1840 eine Biographie des Fürsten Franz veröffentlichte. Die bis heute in der Forschung als authentische Zeugnis aus der unmittelbaren Nähe des Fürsten zitierte Schrift machte es notwendig, die persönlichen Motive des Autors zu beleuchten und kritisch nach der Tauglichkeit dieses Werks als Quelle zu fragen. Der in Dessau gebürtige Hofprediger Reil war ein Aufsteiger, der in höhere Kreise heiratete. In seinem Buch beschrieb er das Wirken und das Wesen des Fürsten. Er stützte sich, so Brademann, dabei auf persönliche Notizen und Erinnerungen, die Jahrzehnte zurücklagen Durch den lyrischen Stil des Buches und das Erzählen persönlicher Verfehlungen des Fürsten versuchte Reil eine Vertrautheit des Lesers mit dem Fürsten zu erzeugen. Franz wurde verbürgerlicht und machte Fehler, wobei er gleichzeitig viel Gutes für Anhalt-Dessau tat. Die bewusst erzeugte Nähe sollte Franz um 1840 wieder populärer machen. Als Quelle für heutige Forschungen, so lautete das Fazit, tauge sie allerdings nicht.

Die Monumentalisierung des Fürsten innerhalb der Erinnerungskultur bildete den folgenden Schwerpunkt. RONNY EDELMANN (Halle) referierte über das Denkmalprojekt zu Ehren Franz‘ anlässlich seines hundertjährigen Regierungsjubiläums 1858. Anhand zeitgenössischer Schriften stellte er zunächst die Planungs- und Baugeschichte dar. Zu den Initiatoren des Denkmals zählten Friedrich von Basedow und Adolph von Heydeck. Letzterer war ein Verwandter der Fürstenfamilie. Edelmann stellte in seinem Beitrag heraus, dass das Denkmal insbesondere von der Obrigkeit initiiert worden war und kein Ausweis für die Identifikation der Bürger mit dem Fürsten bildete. Die zentrale Bedeutung des Denkmals bestand für den Referenten in seiner integrativen Funktion. In zeitlicher Perspektive sollte es an die vorhergehenden Generationen anschließen. Räumlich sollte es ein Denkmal aller anhaltischen Fürstentümer sein, also nicht nur für Anhalt-Dessau, sondern ebenso für Anhalt-Köthen und Anhalt-Bernburg.

Der Vortrag von FRANK KREIßLER (Stadtarchiv Dessau-Roßlau) widmete sich der Ritualisierung des Fürsten in der Erinnerungskultur. Anhand des Heimatfestes 1912 anlässlich des siebenhundertjährigen Jubiläums Anhalts konnte er die zentrale Bedeutung des Fürsten Franz für die eigene Identität der Fürstentümer verdeutlichen. Bei der Inszenierung der siebenhundertjährigen Geschichte in Szenen und Bildern widmete sich ein Drittel des gesamten Festprogramms der Regierungszeit und dem Wirken des Fürsten Franz. Dargestellte Szenen waren der Besuch des preußischen Königs, Napoleons Einzug in Dessau und dessen Begrüßung durch Franz wie auch die Thematisierung seines fünfzigjährigen Regierungsjubiläums. Kreißler bemerkte, dass zur Identifikation mit Anhalt vor allem weit verbreitete Geschichtsbilder von Franz aufgegriffen wurden. Für seine Taten sollte das Volk ihm dankbar sein. Durch den Besuch des preußischen Königs in Dessau sollten zudem die guten Beziehungen beider Länder betont werden, wobei die Erzählung vom Friedensfürsten, die in vorangegangenen Festereignissen stets bemüht worden war, nun kein Rolle mehr spielte.

ANDREAS ERB (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau) nahm anschließend die Libertinage des Fürsten Franz in den Blick. In einem rezeptionsgeschichtlichen Vergleich der Thematisierung außerehelicher Beziehungen des anhaltischen Fürsten, des Kurfürsten Karl Theodor von Pfalzbayern und des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs August dem Starken, fragte er nach der sehr unterschiedlichen Art der Thematisierung in der Publizistik und der Geschichtsschreibung des 18. und 19. Jahrhunderts. Biografisch ließen sich zunächst mehrere Gemeinsamkeiten feststellen. Alle drei waren Reichfürsten. Sie konnten Arrondierungen während ihrer Regierungszeit vornehmen, heirateten standesgemäß im dynastischen Gefüge und pflegten nach ihrer Eheschließung zahlreiche außereheliche Beziehungen. Dennoch fiel ihre charakterliche Bewertung unterschiedlich aus. Ranke und Schlosser tadelten August den Starken wegen seiner Mätressen als verschwenderisch und triebgesteuert. Auch Karl Theodor war in der protestantischen Publizistik umstritten, wie sich beispielswiese im Reisebericht Riesigks zeigen ließ. Franz hingegen erfuhr mildere Urteile durch die Historiker, obwohl seine Liebschaften in Anhalt bekannt waren. Zu einem so positiven Bild trug nicht nur Reil mit seiner Franz-Biografie bei. Weitere insbesondere zu Jubiläen erschienene Werke, wie beispielsweise Hermann Wäschkes Handbuch der Geschichte Anhalts klammerten diese Thematik gänzlich aus. Stand die Skandalisierung von August dem Starken und Karl Theodor von Pfalzbayern im Interesse der borrussischen Geschichtsschreibung, so war das im Falle von Fürst Franz von Anhalt-Dessau nicht der Fall.

PAUL BECKUS (Universität Halle-Wittenberg) bemühte den Vergleich des Fürsten Franz mit dessen Vetter, dem Fürsten Friedrich August von Anhalt-Zerbst, um nach den Ursachen für deren gänzlich unterschiedliches Bild in der Landesgeschichtsschreibung zu fragen.
Letzterer verließ während des Siebenjährigen Krieges wegen Auseinandersetzungen mit Preußen sein Land und regierte seitdem bis zu seinem Tode aus dem Exil. Diese Tatsache sowie die Beteiligung am Soldatenhandel während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges brachten ihm bei den Landeshistorikern bis heute einen schlechten Ruf ein. Demgegenüber stand der aufgeklärte Franz aus Anhalt-Dessau, der als Landesreformer und Friedensfürst in die Geschichte einging. Paul Beckus führte vor, dass diese unterschiedliche Wahrnehmung nicht mit Unterschieden in der Herrschaftspraxis beider Fürsten zu erklären sei - hier überwiegen eher die Gemeinsamkeiten: bei den angestoßenen Agrarreformen, bei der Schulpolitik. Unterschiedlich war jedoch das Interesse beziehungsweise Desinteresse der beiden Fürsten im Umgang mit Aufklärern und Schriftstellern. Die Offenheit von Fürst Franz gegenüber den Multiplikatoren ihrer Zeit verschaffte ihm bereits zu Lebzeiten ein positives Image, das anschließend weiter tradiert wurde. Friedrich Augusts Ruf hatte hingegen unter den Äußerungen einiger weniger Autoren zu leiden, die aufgrund persönlicher Motive das Zerrbild eines verrotteten Fürstentums Anhalt-Zerbst zeichneten, leidend sowohl unter dem Despotismus des Fürsten als auch der Korruption des Geheimen Rates. Deren Stimmen fanden dann Aufnahme in die Geschichtsschreibung und werden bis heute weiter tradiert.

INGO PFEIFER (Kulturstiftung Dessau-Wörlitz) fragte schließlich nach dem Umgang der nationalsozialistischen Machthaber mit dem von Fürst Franz geschaffenen Gartenreich Wörlitz und der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, einem bis heute weitgehend unerforschten Thema. Pfeifer führte vor, welche unmittelbaren Eingriffe die Machtergreifung der Nationalsozialisten für die Kulturstiftung zur Folge hatte: 1934 wurde das Kuratorium von acht auf nur 3 Mitglieder reduziert. Diese drei waren der Reichstatthalter, ein Vertreter des herzoglichen Hauses und ein Mitglied des Ministeriums, wobei die beiden letzteren nur beratende Funktion erfüllten. Somit war die Stiftung handlungsunfähig geworden. Über deren Angelegenheiten entschied der Reichsstatthalter allein. Der Fokus der landesgeschichtlichen Erinnerung verlagerte sich auf Leopold I. von Anhalt-Dessau, den Großvater des Fürsten Franz, als vermeintlichen Vater der Militarisierung Preußens. Fürst Franz ließ sich aufgrund der bereits fest etablierten Erinnerungsfiguren - als Friedenfürst, als Fürsprecher der Religionstoleranz, von der auch die Juden in Dessau profitierten - nicht in das nationalsozialistische Geschichtsbild integrieren. Die Synagoge in der Wörlitzer Anlagen wurde 1937 in den Vestatempel umbenannt und ihrer religiösen Funktion und Ausstattung beraubt. Dennoch sollte das Gebäude in den Novemberpogromen des Jahrs 1938 abgebrannt werden. Das beherzte Eingreifen des Gartendirektors Hallervorden verhinderte die Zerstörung, woraufhin er kurze Zeit später in Pension geschickt wurde. Weitere Aspekte der Kulturstiftungsgeschichte, so auch der Einsatz von Zwangsarbeitern in den Parkanlagen, müssten laut Pfeifer aber noch eingehender untersucht werden.

Die Tagung machte deutlich, wie groß die Zahl der Forschungslücken zu Fürst Franz bis heute ist, obwohl vieles schon geklärt scheint. Sie zeigte außerdem, wie durch eine vielseitige Imagepolitik des Fürsten Geschichtsbilder transportiert worden, die sich über Generationen weiter verfestigten und auf vielfältige Weise wachgehalten wurden: durch Heimatfeste, Denkmäler und natürlich insbesondere durch die Geschichtsschreibung. Die Aufgabe der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft besteht nun darin, diese Bilder in ihren historischen Kontexten zu verstehen, nicht aber sie auf den Fürsten Franz und dessen Regierungszeit zu übertragen.

Konferenzübersicht:

Andreas Pečar (Halle): Das Bild des Fürsten Franz in der Geschichtsschreibung

Jan Brademann (Dessau): Ein Lichtfreund im Schatten. Auf der Suche nach den Sehepunkten des Franz-Biographen Georg Friedrich Reil

Ronny Edelmann (Halle): Ein Denkmal für den Fürsten

Frank Kreißler (Dessau): 1912 – Das Heimatfest zur Feier von 700 Jahren Anhalt

Andreas Erb (Dessau): Libertinage im rezeptionsgeschichtlichen Vergleich. Karl Theodor von Pfalzbayern, August der Starke von Sachsen und Leopold Fürst Franz von Anhalt-Dessau

Paul Beckus (Halle): Die Karikaturen zweier Fürsten. Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau und Friedrich August von Anhalt-Zerbst als Held und Schurke der anhaltischen Landesgeschichte

Ingo Pfeifer (Wörlitz): Das Gartenreich Dessau-Wörlitz unter dem Hakenkreuz. Anmerkungen zu einem Desiderat der Forschung


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