The Domestic Sphere in Europe 16th to 19th Century

The Domestic Sphere in Europe 16th to 19th Century

Organisatoren
SNF-Sinergia-Projekt “Doing House and Family. Material Culture, Social Space, and Knowledge in Transition (1700-1850)”
Ort
Thun
Land
Switzerland
Vom - Bis
07.09.2017 - 09.09.2017
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Von
Lena-Sophie Margelisch / Amanda Kaufmann, Historisches Institut, Universität Bern

Vom 07. bis zum 09. September 2017 fand auf Schloss Schadau in Thun die internationale Tagung „The Domestic Sphere in Europe 16th to 19th Century“ statt. Zwanzig Beiträge beleuchteten unter vorwiegend praxeologischer Perspektive diverse Aspekte des „doing the domestic“ im europäischen Kontext. Zwei Fragen standen dabei im Zentrum: Erstens wurde gefragt, wie die „häuslichen Sphären“ in ihre soziale Umwelt eingebettet waren; und zweitens, wie sich diese Einbettungen von der Frühen Neuzeit zur Moderne hin wandelten.

Der Begriff der „domestic sphere“ ist schwer ins Deutsche zu übertragen. Das terminologische Spektrum ist breit – es umfasst unter anderen die Begriffe „Familie“, „Haushalt“, „Haus“ und variiert je nach Sprache und kulturellem Kontext. JOACHIM EIBACH (Bern), der die Tagung mitorganisierte, schlug in seinem einleitenden Referat einen komparativen Ansatz vor; denn nicht nur in terminologischer Hinsicht, sondern gerade auch bezüglich der historischen Praxis bestanden in Europa stets große nationale und regionale Unterschiede. Eibach empfahl, besonderes Augenmerk auf die Leitbegriffe Materielle Kultur, Sozialer Raum und Habitat, Geschlecht und Transformation zu legen. Die Referierenden verorteten ihre Beiträge in der Folge weitestgehend in diesem gesetzten Rahmen.

Materielle Kultur: Im Fokus von CATHERINE RICHARDSONS (Kent) Beitrag stand der englische „parlour room“ samt seiner architektonischen und dekorativen Einrichtung, der darin vorzufindenden Gegenstände und der im Raum stattfindenden zwischenmenschlichen Interaktionen. Richardson beschrieb Aktivitäten wie gemeinsame Lektüre, Spielabende oder Mahlzeiten als performative Akte und kam zum Schluss, dass „parlour rooms“ als Orte der Inszenierung dienten und in ihrer Benutzung sowohl Teil der privaten als auch der öffentlichen Sphäre waren.

Auch die Referate von PHILIP HAHN (Tübingen) und SANDRA CAVALLO (London) thematisierten die Verflechtung von privatem und öffentlichem Raum. Hahn ging in seinem Beitrag auf die Verbreitung einzelner besonders erfolgreicher Werke der europäischen „Hausväterliteratur“ ein und zeigte anhand von mehrfach in unterschiedliche Sprachen übersetzten Texten deren weltweite Verbreitung und Vernetzung auf. Die „Hausväterliteratur“ habe, so Hahn, zwar primär im privaten Rahmen Einfluss auf das Haushalten und die Verhaltensweisen der Hausgenossen genommen, sei durch ihren normativen Charakter aber auch an die Öffentlichkeit gebunden gewesen. Cavallo beschäftigte sich in ihrem Beitrag ebenfalls mit der Verbreitung von normativen Texten im häuslichen Bereich. Anhand medizinischer Ratgeberliteratur zeigte sie die Wechselwirkung zwischen häuslicher und professioneller Medizin auf: Private Praktiken aus dem Haus seien auch an die Öffentlichkeit gelangt und hätten so die professionelle Medizin nachhaltig beeinflusst.

DANIELA HAMMER-TUGENDHAT (Wien) beleuchtete in ihrem Beitrag zur Holländischen Interieur-Malerei des 17. Jahrhunderts, wie Bilder als identitätsstiftende Medien komplexe Verbindungen zwischen Raum und menschlichen Beziehungen sowie zwischen Öffentlichkeit und Privatheit wiedergeben konnten. Sie folgerte daraus, dass Bilder nicht als Spiegel der Realität verstanden werden sollten, sondern als Ausdruck bürgerlicher Selbstreflexion und Ästhetik.

Sozialer Raum und Habitat: Der Beitrag von IRENE GALANDRA COOPER (Cambridge) über die „häusliche Sphäre als religiöse Sphäre“ bewegte sich thematisch an der Schnittstelle zwischen materieller Kultur und sozialem Raum. Mit Gerichtsakten und Inventarlisten konnte sie aufzeigen, welche religiösen Artefakte in der Frühen Neuzeit in einem gewöhnlichen neapolitanischen Haushalt vorhanden waren. Die in den Gerichtsfällen aufgezeichneten Konflikte würden darüber hinaus allgemeine Rückschlüsse auf den großen Einfluss von Religiosität auf die häusliche Sphäre zulassen, so Cooper.

Auch TINE VAN OSSELAER (Antwerpen) betonte den hohen Stellenwert von Religion im häuslichen Alltag. Sie argumentierte, dass Religion im 19. Jahrhundert zwar durchaus – wie in der historischen Forschung vielfach beschrieben – domestiziert und privatisiert wurde, jedoch keine klare Grenze zwischen privaten christlichen Haushalten und öffentlichen Praktiken gezogen werden könne: In Belgien beispielsweise hätte die christliche Familie mit ihrer klaren Hierarchie mitunter als Stärkung einer konservativen, männlich dominierten Politik gedient.

Wie Cooper benutzten auch MARGARETH LANZINGER (Wien), INKEN SCHMIDT-VOGES (Marburg) und JULIE HARDWICK (Austin) Gerichtsakten als Quellenbasis. Schmidt-Voges beschrieb Gerichtsprozesse als bewusst eingesetztes Mittel zur Schlichtung häuslicher Konflikte. Indem Streitende vor Gericht erschienen und ihre Probleme thematisierten, seien kommunikative Prozesse angestoßen und häusliche Beziehungen neu definiert worden. Auch Lanzinger legte den Fokus auf die „häusliche Sphäre als juristische Sphäre“ und zeigte am Beispiel von Tisch und Bett die engen Verbindungen zwischen Gesetz, Vermögen, Konflikten sowie privaten und öffentlichen Vorstellungen von Ordnung auf. Julie Hardwick thematisierte die Frage, wie junge Frauen im frühneuzeitlichen Frankreich vor Gericht die Aufnahme sexueller Handlungen im Hinblick auf ein Eheversprechen schilderten. Als Quellengrundlage dienten Hardwick frühneuzeitliche Gerichtsakten aus Lyon. Die Frauen hätten diesen Übergang meist in Form einer männlichen Gewaltausübung beschrieben, so Hardwick.

Die Aushandlung häuslicher Beziehungen griff auch RAFFAELLA SARTI (Urbino) in ihrem Beitrag zu häuslichen Hierarchien auf. Sarti entfernte sich dabei von dem in der klassischen Literatur überlieferten Familienbild und dessen fest verankerten asymmetrischen Strukturen zwischen Ehemann und Ehefrau, Eltern und Kindern sowie zwischen Hausherr und Gesinde. Vielmehr vertrat sie die These, dass Hierarchien unter Hausgenossen keine konstanten Konstruktionen waren und immer wieder neu ausgehandelt werden mussten.

JOACHIM EIBACH und FRANK HATJE (Hamburg) erweiterten den Fokus hin zu Öffentlichkeits- und Geselligkeitsformen einzelner Familien in ihrem spezifischen sozialen Umfeld. Beide stützten sich dabei auf Tagebücher aus dem späten 18. und aus dem frühen 19. Jahrhundert: Eibach benutzte als Quellengrundlage die Tagebücher der Berner Patrizierin Henriette Stettler-Herport, Hatje jene des Hamburger Juristen und Politikers Ferdinand Beneke. Eibach wie Hatje betonten, dass die untersuchten Akteure zwar den Wunsch nach mehr Privatheit geäußert hätten, diesem jedoch aufgrund ihrer sozialen Verpflichtungen nicht nachgehen konnten. Diese Verpflichtungen seien durch gesellschaftliche Normen bestimmt und für die Erreichung beruflicher und gesellschaftlicher Ziele ausschlaggebend gewesen. Die häusliche Sphäre zeichnete sich – entgegen den Annahmen der klassischen historischen Familienforschung – in der Praxis um 1800 also nicht durch zunehmende Privatheit aus, sondern vielmehr durch eigene Formen öffentlicher Geselligkeit.

Gender: MARIA ÅGREN (Uppsala) befasste sich in ihrem Beitrag mit der Geschichte des schwedischen „home office“. Anhand dreier Punkte versuchte sie einen neuen Blick auf die Thematik zu gewinnen: Erstens sei auf die herkömmliche Trennung zwischen „professionellem“ und „privatem“ Leben zu verzichten. Bei schwedischen Zollbeamten der Frühen Neuzeit beispielsweise sei es nicht unüblich gewesen, zuhause zu arbeiten oder am Arbeitsplatz zu übernachten. Auch sei an einer Arbeitsstelle häufig eigenes Geld investiert worden. Zweitens wich Ågren von der traditionellen Annahme von beruflicher Spezialisierung und Vollzeitbeschäftigung ab: Die Existenz von in den Quellen immer wieder greifbaren Nebenberufen der historischen Akteure sowie illegale Arbeitsstellen, die zur Finanzierung des Lebensunterhalts dienten, würden ein anderes Bild zeichnen. Als dritten Punkt griff Ågren geschlechterspezifische Aspekte auf: Es gäbe in ihrem Feld keine klaren Grenzen zwischen den Arbeiten von Frauen und den Arbeiten von Männern. Frauen halfen ihren Männern bei der Arbeit und konnten – waren sie beliebt – das Ansehen ihrer Ehemänner wie jenes des Geschäfts steigern. Laut Ågren bestanden in schwedischen Haushalten also fließende Grenzen: zwischen Öffentlichkeit und Privatheit genauso wie zwischen den Geschlechtern.

Auch ELISABETH JORIS (Zürich) griff in ihrem Beitrag die Trennung der öffentlichen und der privaten Sphären entlang geschlechterspezifischen Merkmalen auf. Haushalt und Produktion seien in der Frühen Neuzeit, so Joris, keine getrennten Sphären gewesen, die jeweils einem Geschlecht zugeschrieben werden konnten. Erst im 19. Jahrhundert habe die Vorstellung von getrennten Sphären den Alltag der Menschen zu strukturieren begonnen, zuerst in bürgerlichen Kreisen, später auch in Arbeitermilieus.

JANE WHITTLE (Exeter) thematisierte in ihrem Vortrag Geschlechterrollen in Bezug auf Konsum und Produktion. Ähnlich wie Männer hätten Frauen die eingebrachten Güter, beispielsweise Wolle und Garn, verwaltet und verarbeitet und seien auf dem Markt sowohl als Käuferinnen als auch als Verkäuferinnen aufgetreten. Männer wie Frauen seien an diesen Produktions- und Konsumationsprozessen gleich stark beteiligt gewesen. Dichotome Geschlechterrollen wurden demnach für die Frühe Neuzeit von keiner der Referentinnen beobachtet.

Transformation: JON MATHIEU (Luzern) beschäftigte sich in seinem Beitrag mit dem terminologischen Wandel der Schlüsselbegriffe in der Bibel und in weiteren Quellentexten seit dem 16. Jahrhundert in sechs europäischen Sprachen. Anhand der diachron-quantitativen Auswertung von Bezeichnungen wie „Haus“, „Haushalt“ und „Familie“ gelang es Mathieu zu zeigen, dass die Bezeichnung „Familie“ um 1600 in erster Linie im romanischen Sprachraum verwendet wurde. Erst um 1800 sei der Begriff auch allmählichen im deutschen Sprachraum vermehrt nachzuweisen. Mathieu vertrat die These, dass der festgestellte terminologische Wandel in erster Linie ein linguistischer Prozess war, der nicht zwangsläufig mit gesellschaftlich-sozialen Transformationsprozessen korrelierte.

FRANCISCO GARCIA GONZÀLEZ (Castilla La Mancha) und MARGARITA BIRRIEL SALCEDO (Granada) zogen in ihrem Vortrag eine Bilanz der spanischen historischen Familienforschung der letzten dreißig Jahre. Forschungsdesiderate machten Garcia Gonzàlez und Birriel Salcedo vor allem bei der noch lückenhaften Untersuchung von Geschlechterrollen, Arbeit und materieller Kultur im spanischen Raum aus.

SANDRO GUZZI-HEEB (Lausanne) thematisierte in seinem Vortrag den von der klassischen Forschung postulierten Wandel von Intimität und Sexualität im Übergang zur Moderne. In bewusst kritischer Anlehnung an Anthony Giddens’ Transformation of Intimacy plädierte Guzzi-Heeb dafür, generalisierende und lineare Tendenzen über die Entwicklung von Sexualität und Intimität im 18. und 19. Jahrhundert abzulegen und dagegen von einer Vielzahl unterschiedlicher Kulturen und Praktiken im Umgang mit Sexualität auszugehen, die sich durch ihren jeweiligen spezifischen sozialen, politischen oder religiösen Kontext ergäben.

CLAUDIA OPITZ-BELAKHAL (Basel) beschäftigte sich mit der häufig diskutierten Frage, ob sich um 1800 tatsächlich ein neuer Familientypus mit veränderten Bedürfnissen nach privater Sphäre und Intimität entwickelt habe und betonte, dass frühneuzeitliche Sozialbeziehungen neben „öffentlichen“ Regeln und Diskursen auf „privaten“ und subjektiven Praktiken von Emotionalität beruhten. Diese Praktiken hätten gesellschaftliche Entwicklungen mitbestimmt und den Wunsch nach familiärer Separation vom öffentlichen Raum zusätzlich verstärkt.

MONIKA SZCZEPANIAK (Bydgoszcz) behandelte in ihrem Beitrag den sich wandelnden nationalen Literaturdiskurs des adeligen polnischen Landhauses im langen 19. Jahrhundert. Laut Szczepaniak wurde das Landhaus zur Zeit einer langwährenden Fremdherrschaft zu einem symbolisch überhöhten Mittel der inneren polnischen Kulturbildung. Anhand einer Auswahl literarischer Werke konnte Szczepaniak zeigen, wie sich das politische Narrativ der Nation um den identitätsstiftenden Mythos des polnischen Landhauses kontinuierlich veränderte.

Die zwanzig Beiträge zu der Tagung waren geprägt von einer Vielzahl unterschiedlicher methodischer Vorgehensweisen. Dennoch zeichneten sich einige allgemeine Tendenzen zur „domestic sphere“ in Europa in der Frühen Neuzeit und in der beginnenden Moderne klar ab. Es seien an dieser Stelle zwei Punkte hervorgehoben: Erstens zeigte sich ein allgemeiner Konsens darin, dass die Erforschung des „Haushalts“ nur fruchtbar sein kann, wenn die darin lebenden Akteure und die darin stattfindenden sozialen Praktiken miteinbezogen werden. Zweitens stimmten die Beitragenden darin überein, dass die „domestic sphere“ europaweit von einer Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichem und familiärem Raum bestimmt war. Nicht die Trennung, sondern gerade die Verbindung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit formte das „offene Haus“ und die darin lebenden Akteure um 1800.

Konferenzübersicht:

Joachim Eibach (University of Berne)
What Is and What Configurates the Domestic Sphere?

Jon Mathieu (University of Lucerne)
House, Family, Kinship: Exploration of Domestic Terminologies in Europe from the 16th Century

Margareth Lanzinger (University of Vienna)
The Domestic Sphere as Legal Sphere

Francisco García González
(University of Castilla La Mancha)
Margarita Birriel Salcedo (University of Granada)
The Domestic Sphere in
 Rural Society

Raffaella Sarti (University of Urbino)
Domestic Hierarchies in Early Modern Europe

Maria Ågren (University of Uppsala)
The History of the Home Office

Jane Whittle (University of Exeter)
The Household Economy, Gender and Consumption

Joachim Eibach (University of Berne)
Social Openness vs. Privacy: A History of Increasing Closure?

Elisabeth Joris (University of Zurich)
Gender: The Emergence of Separate Spheres?

Frank Hatje (University of Hamburg)
Domestic Sociability

Catherine Richardson (University of Kent)
Reading, Writing and Leisure

Irene Galandra Cooper (University of Cambridge)
Cose di Casa: The Domestic Sphere as a Religious Space in Early Modern Naples

Tine Van Osselaer (University of Antwerp)
The Domestic Sphere as a Religious Space in the 19th Century

Claudia Opitz-Belakhal (University of Basel)
The Domestic Sphere as a Space of Emotions

Sandro Guzzi-Heeb (University of Lausanne)
Sexuality and Intimacy

Inken Schmidt-Voges
(Philipps-University of Marburg)
Regulating Domestic Conflicts – Negotiating Domestic Relations

Julie Hardwick
(University of Texas at Austin)
Intimate Partners, Sexual Violence, and Household Formation in Early Modern France

Sandra Cavallo
(Royal Holloway University of London)
The Domestic Culture of Health in Early Modern Europe

Daniela Hammer-Tugendhat
 (University of Vienna)

The Significance of 17th Century Dutch Interieur-Painting for the Formation of Bourgeois Identity

Philip Hahn (University of Tübingen)
Does the Paterfamilias Literature in Early Modern Europe Have an Entangled History?

Monika Szczepaniak
 (Kazimierz Wielki University of Bydgoszcz)
The National House and Home
in the Polish Literature of the
Long 19th Century

Poster Session of the Projects with Junior Researchers:

Dunja Bulinsky (University of Lucerne)
The Scholarly Household of Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733)

Eric Häusler (University of Berne)
Going Bankrupt: Household Consumption and Finance in Bern (1750-1900)

Arno Haldemann (University of Berne)
Precarious Marriage Aspirations in Bern: The ‘Fabrication’ of Marriage Between the Eidgenossenschaft and the Swiss Confederation

Lucas Rappo (University of Lausanne)
Kinship and Neighbourhood in Corsier-sur-Vevey (Switzerland) c. 1750-1840

Sophie Ruppel (University of Basel)
Nature in the House: Early Popular Botany and Bourgeois Home Horticulture in the 18th and Early 19th Centuries

Anne Schillig (University of Lucerne)
House Histories. Material Culture and Domestic Relations in Switzerland (18th and 19th Centuries)

Elise Voerkel (University of Basel)
The Realm of Childhood: Children in Bourgeois Households in German-speaking Switzerland (1750-1830)