Magische(s) Gestalten und die Lenkung der Dinge in der Renaissance

Magische(s) Gestalten und die Lenkung der Dinge in der Renaissance

Organisatoren
Fritz-Thyssen-Projekt „Magische(s) Gestalten“, Universität Stuttgart
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.06.2017 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Sven Thorsten Kilian, Universität Potsdam; Élodie Ripoll, Universität Stuttgart

Der Workshop „Magische(s) Gestalten – Lenkung der Dinge in der Renaissance“ an der Universität Stuttgart diente als offizieller Auftakt für das Fritz-Thyssen-Projekt „Magische(s) Gestalten in der christlichen Welt. Über die Bedeutung von Zauberern, Magiern und Hexen und ihre 'Lenkung der Dinge' in der italienischen Literatur der Renaissance“. Acht Vortragende aus verschiedenen Disziplinen wie Romanistik, Lateinischer Philologie und Kunstgeschichte haben konkrete Beispiele magischen Handelns und dessen metaphorische Transposition in unterschiedlichen Gattungen untersucht.

Der Workshop wurde durch eine thematische und begriffliche Einführung zu Steuerungstechniken von Projektleiterin KIRSTEN DICKHAUT (Stuttgart) eröffnet, in der sie beispielsweise die fünf Arten von Zauberei nach Hugo von St. Viktor und anthropomorphe Hexen- und Teufelsautomaten behandelte und schließlich den Status von Magie zur Renaissancezeit skizzierte.

ANDREAS KABLITZ (Köln) lieferte eine „Einführung in die Abgründe der Allegorie“. Seine Anmerkungen zur Mondreise in Ludovico Ariostos Orlando Furioso zeigten das Verhältnis zwischen Übernatürlichem und Allegorischem sowie den intertextuellen Dialog mit Dante. Er beleuchtete somit das kritische Potential dieser Texte, die selbst die göttliche Gerechtigkeit diskutieren, wie auch die Konkurrenz zwischen koexistierenden Deutungsmöglichkeiten. Die Magie erweist sich als eine alternative Methode für die Erschließung der Welt und ist aus christlicher Sicht genauso umstritten wie die damalige Wissenschaft.

In seinem Vortrag „Magie. Schönheit. Kunst – Tassos Armida“ untersuchte GERHARD REGN (München / Köln) die zentrale Zauberinfigur aus der Gerusalemme Liberata – Armida – und die Spannung zwischen natürlichen (ihrem schönen Körper) und übernatürlichen Mitteln (Magie). Ausgehend von den zwei Formen des Wunderbaren – dem aristotelischen und dem christlichen – stellte er die Frage der Glaubhaftigkeit des Wunderbaren und erforschte dessen metapoetische Markierungen. Die Zauberei wird als eine erlernbare Fertigkeit dargestellt, die sich im christlichen Kontext jedoch als Täuschung entpuppt.

IRENE HERZOG (Stuttgart), Mitarbeiterin im Projekt, behandelte die „magischen Gestalten in der christlichen Welt: über die Bedeutung von Magiern und ihre Lenkung der Dinge in Tassos Gerusalemme Liberata“. Ismen und Armida, beide Stellvertreter der magia daemoniaca, werden unterschiedlich konzipiert. Mit Bezug auf zeitgenössische dämonologische Schriften wie den Hexenhammer zeigte sie, dass über die heidnisch-magischen Figuren der hegemoniale Aspekt dämonischer Magie ebenso aufgezeigt wird, wie ihre betrügerisch-täuschende Facette und übermagisch-dämonische(s) Gestalten, damit Formen und Wirkweisen des Bösen im Epos diskutiert werden.

DAVID NELTING (Bochum) sprach über das „christliche Wunderbare als mimetische Aufgabe im Cinquecento“ und zeichnete dabei insbesondere die Versuche Torquato Tassos nach, eine nicht-mimetische Kunst religiös zu begründen. Denn das Wunderbare, so Tasso, ist wahrscheinlich, wenn es ein Wunder im christlichen Sinne darstellt. In der Diskussion war sich das Plenum einig, dass diese Position auch paradigmatisch für die gegenreformatorische Legitimation einer großen darstellerischen Stilbreite zum Zwecke der Schaffung größerer Evidenz steht.

CHRISTINE GÖTTLER von der Universität Bern beleuchtete den Tagungsgegenstand anschaulich aus kunsthistorischer Perspektive. Ihr Vortrag mit dem Titel „Magie und Alchemie bei Martin Delrio und Hendrick Goltzius“ führte vor, wie verrätselte Gemälde auf die zeitgenössischen Diskussionen zum Status der Alchemie inhaltlich Bezug nehmen und gleichzeitig selbst artifiziell-magische Praktiken auch in der Bildenden Kunst zu kopieren versuchen.

Auch die Frage textueller Encodierungsverfahren ist in der Frühen Neuzeit gerade vor dem Hintergrund der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern bekanntlich virulent. ANJA WOLKENHAUER (Tübingen) beleuchtete die Experimente um die Verschriftlichung ,reiner‘ bzw. transzendenter Kommunikation in ihrem Beitrag unter dem Titel „Machtvolle Sprachen: Überlegungen zum Zusammenhang adamitischer Rede und Renaissancehieroglyphik“ an den Beispielen der Hyperotomachia Poliphili (1499) und Thomas Morus’ Utopia (1516). Dabei verwies sie insbesondere darauf, dass die damals innovativen bi-medialen Druckerzeugnisse auf ekphrastische Texte zurückgehen. Die Bild-Text-Relation und ihre semiotische Problematisierung erwiesen sich dadurch einleuchtend als zentraler ideengeschichtlicher Topos der avisierten Epoche.

Dass es neben magischen Praktiken und ernstzunehmender Reflexion magischer Fragestellungen im 15. und 16. Jahrhundert auch Versuche gab, diese vor dem Hintergrund neuzeitlicher Wissenschaftskonzepte und realistischer Darstellungsweisen zu dekonstruieren, war Gegenstand des Vortrags „Magie-Kritik in der spanischen Literatur der Renaissance“ von JOACHIM KÜPPER (Berlin). Die Spanier, so Küpper, entwickelten besonders harsche Entlarvungsstrategien, weil auf der iberischen Halbinsel andererseits die religiöse Repression besonders stark war. Anhand der Celestina (1499/1502), des Lazarillo de Tormes (1552) – beides anonym publizierte Texte – und von Cervantes’ nie aufgeführtem El retablo de las maravillas (1615) legte der Vortrag dar, wie gerade in fiktionalen Texten magische Praktiken und religiöse Dogmen rhetorisch effektiv unterwandert werden.

Es oblag schließlich Kirsten Dickhaut und ihrem zweiten Projektmitarbeiter STEFAN BAYER (Stuttgart) in ihrem Abschlussbeitrag „Magische Gestalten und magisches Gestalten: Theater – Form – Konzept“, die Fäden zusammenzuführen und offenzulegen, wie die Magie in der Frühen Neuzeit theoretisiert (Della Porta), pragmatisiert und parodiert und verlacht wird. Letzteres lässt sich vor allem in den italienischen Renaissancekomödien beobachten, aber auch in der politischen Theorie eines Machiavelli, wenn dieser kriegerische Täuschungsmanöver mit Verfahren der Verwandlung gleichsetzt, die als Metamorphose zu den zentralen Konzepten der Magie gemäß der zeitgenössischen Dämonologie zählt.

Die anschließende Diskussion gab noch einmal Anlass für konzeptuelle und terminologische Fragen. Mögliche Parallelisierungen, aber auch Differenzierungen zwischen List und Zauber, Verführung und Verhexung, Lenkung und actio in distans werden Reflexionsgegenstände auf dem Feld bleiben, das Forschungsprojekt und Tagung in aller Deutlichkeit umrissen haben.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Eröffnung

SANDRA RICHTER (SRC-Text Studies, Universität Stuttgart)

KIRSTEN DICKHAUT (Fritz-Thyssen-Projekt „Magische(s) Gestalten“, Universität Stuttgart): Steuerungstechniken: Magisches Gestalten – Lenkung der Dinge

Diskussionsleitung: SVEN THORSTEN KILIAN (Universität Potsdam)

ANDREAS KABLITZ (Universität zu Köln): Magie und Mondreise: Ariosts Orlando Furioso

GERHARD REGN (Universität München / Universität zu Köln): Magie. Schönheit. Kunst – Tassos Armida

IRENE HERZOG (Fritz-Thyssen-Projekt „Magische(s) Gestalten“, Universität Stuttgart): Magische(s) Gestalten in der christlichen Welt: Über die Bedeutung von Magiern und ihre Lenkung der Dinge in Torquato Tassos Gerusalemme Liberata

Diskussionsleitung: ÉLODIE RIPOLL (Universität Stuttgart)

DAVID NELTING (Ruhr-Universität Bochum): Das christliche Wunderbare als mimetische Aufgabe im Cinquecento

CHRISTINE GÖTTLER (Universität Bern): Goldmachen / Bildermachen: Magie und Alchemie bei Martin Delrio (1551–1608) und Hendrick Goltzius (1558–1617)

ANJA WOLKENHAUER (Universität Tübingen): Machtvolle Sprachen: Überlegungen zum Zusammenhang adamitischer Rede und Renaissancehieroglyphik

JOACHIM KÜPPER (Freie Universität Berlin): Magie-Kritik in der spanischen Renaissance. Bemerkungen zur Celestina, dem Lazarillo de Tormes und Cervantes’ Retablo de las Maravillas

STEFAN BAYER / KIRSTEN DICKHAUT (Fritz-Thyssen-Projekt „Magische(s) Gestalten“, Universität Stuttgart): Magische Gestalten und magisches Gestalten: Theater – Form – Konzept


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