Reformation, Migration und religiöse Pluralisierung: Politik und Praktiken religiöser Koexistenz/ Reformation, Migration and Religious Pluralism: Politics and Practices of Coexistence

Reformation, Migration und religiöse Pluralisierung: Politik und Praktiken religiöser Koexistenz/ Reformation, Migration and Religious Pluralism: Politics and Practices of Coexistence

Organisatoren
Historische Kommission Niedersachsen und Bremen; Projekt Freiheitsraum Reformation, Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg
Ort
Oldenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.05.2017 - 13.05.2017
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Von
Judith Steinig-Lange / Konstantin Möhring, Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg

Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert wurde Europa maßgeblich von Reformationsbewegungen und Prozessen der religiösen Pluralisierung geprägt, deren Auswirkungen das alltägliche Zusammenleben in vielen Regionen ebenso erschütterten und veränderten wie die zeitgenössischen politischen Gefüge auf internationaler Ebene. Migration war in diesem Kontext zugleich Impuls und Konsequenz. Angestoßen durch die gezielte Anwerbung von Fachkräften zogen Wirtschaftsmigranten quer durch Europa und stießen vielerorts Pluralisierungsprozesse an. Auch flohen viele vor den verheerenden Religionskriegen, die im 16. und 17. Jahrhundert viele Gegenden verwüsteten. Dazu kamen marginalisierte oder verfolgte religiöse Minderheiten wie Juden oder Mennoniten, die selbst in Friedenszeiten nur gegen Schutzgeld und Auflagen ein befristetes Aufnahmerecht in deutschen Territorien erhielten und so verstärkt begannen, ihre Zukunft im entstehenden Kolonialgefüge der Frühen Neuzeit zu suchen. Religiös motivierte Auswanderung betraf auch die sich im Zuge der Pluralisierungsbewegungen wandelnde Missionslandschaft.

Sowohl für diejenigen Menschen, denen Migration zum Alltag wurde, als auch für die, mit denen sie im Laufe ihrer Wanderungen, in der neuen oder temporären Heimat zusammenlebten, bedeutete die Konfrontation mit fremden Glaubenssystemen und Praktiken oftmals ein beständiges Herausfordern und Hinterfragen der eigenen Weltordnung. Fremde Kleidung, Rituale, Klänge, Lieder, Umgangsweisen wurden zur offenen Provokation und Erschütterung scheinbar allgemeingültiger Gewissheiten, sowohl im engen Raum frühneuzeitlicher europäischer Städte als auch in den wenig urbanisierten Räumen Südamerikas oder Asiens. Die resultierenden Irritations- und Reibungsmomente konnten ebenso zu Konflikten führen wie zu Umdeutungen und Anpassungen der eigenen Überzeugung oder Modifikation der eigenen Praktiken.

Die Jahrestagung der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, die vom 11.-13. Mai 2017 in Oldenburg stattfand, setzte sich mit dem komplexen Thema „Reformation, Migration und religiöse Pluralisierung: Politik und Praktiken religiöser Koexistenz” auseinander. In drei Sektionen wurde das Thema von internationalen Gästen sowohl in seinen globalen Bezügen als auch in seiner lokalen Verhaftung im Nordwesten Deutschlands vielseitig beleuchtet.

Die erste Sektion „Reformation, Pluralisierung und Praktiken religiöser Koexistenz“ nahm diese Themen für das Heilige Römische Reich mit einem regionalen Schwerpunkt auf die Nordwestregion in den Blick. Hier ging es vor allem um verschiedene Praktiken religiöser Koexistenz in religiös-konfessionell gemischten Regionen.

DAVID LUEBKE (Eugene, USA) eröffnete die Sektion mit seinem Vortrag „Regime religiöser Koexistenz am Beispiel Westfalens“. Am Beispiel des konfessionell heterogenen, aber offiziell katholischen Fürstbistums Münster fragte er danach, wie es Lutheranern, Calvinisten und Katholiken gelang, bis weit in das 17. Jahrhundert hinein friedlich in ihren jeweiligen Gemeinden zusammen zu leben. Die Voraussetzung dazu war die Herausbildung eines „bikonfessionellen Regimes“, das er als ein System von Gesetzen, territorialen Arrangements, Bräuchen und stillschweigenden Übereinkünften beschrieb. Wichtiger als die konfessionelle Zugehörigkeit, so Luebke, war die Bewahrung von Gemeinwohl und gemeindlichem Frieden im alltäglichen Zusammenleben, so dass in Konfliktsituationen das Miteinander der Konfessionen immer wieder neu ausgehandelt wurde mit dem Ziel friedlicher Koexistenz.

In ihrem Vortrag „Praktiken religiöser Koexistenz im Fürstbistum Osnabrück“ hinterfragte DAGMAR FREIST (Oldenburg) am Beispiel des Kirchspiel Ankum das tradierte Bild einer friedlichen religiösen Koexistenz im 17. und 18. Jahrhundert. Stattdessen zeigte sie anhand einer mikrohistorischen Analyse religiöser Praktiken, wie reibungsvoll äußerliche Anpassung an konfessionspolitische Vorgaben im Sinne eines alltäglichen Pragmatismus, und religiös-konfessionelle Selbstverortung waren. Religiöse Selbstverortung, so zeigte sie am Beispiel von Gravamina an den Landesherrn und Gerichtsverfahren, ging situativ aus spezifischen alltäglichen Konstellationen hervor und war geprägt von beidem, konfessioneller Bildung und Formung und der Adaption konfessioneller Unterscheidungsmerkmale an das Alltagshandeln und an alltägliche Herausforderungen. Die sich daraus ergebende Deutungsvielfalt des Religiös-Konfessionellen präzisierte sich letztlich erst, so zeigte sie am Beispiel der Konflikte um die Konfessionalisierung des öffentlichen Raums, in spezifischen religiösen Praktiken, in denen Umgangsweisen, Haltungen und Bedeutungszuschreibungen beobachtbar wurden.

Zum Abschluss des ersten Tages diskutierten ALEIDA ASSMANN (Konstanz), LUCIAN HÖLSCHER (Bochum / Münster), THIES GUNDLACH (Vizepräsident Kirchenamt der EDK), DAGMAR FREIST (Oldenburg) und der Moderator ACHATZ VON MÜLLER (Lüneburg / Basel) über das Spannungsfeld zwischen Geschichtswissenschaft und Gedächtniskultur in Bezug auf die Reformation und das aktuelle Jubiläumsjahr. In der Debatte wurde gesammelt, wie man von der Gegenwart aus auf die Reformation Bezug nimmt und nehmen kann. Es wurde diskutiert, ob und in welchem Kontext die Reformation als Beginn einer modernen Subjektivität gelesen werden kann und wie mit dem Mythos und der „Kultfigur“ Luther umzugehen sei. Ebenso kreiste die Argumentation um die Selbstverständnisse, Aufgaben und die Rolle der Geschichtswissenschaft in der Generierung, Fortschreibung und Dekonstruktion von Geschichtsbildern. Zur letzten Frage, was die Reformation für eine gewünschte zeitgenössische europäische Erinnerungskultur beitragen könne, war man sich einig: Luther allein könne nicht als europäisches Identifikationsangebot herhalten, dennoch sei die Reformation auf vielfältige Weise als europäisches Projekt zu begreifen.

Die zweite Sektion „Migration und religiöse Pluralisierung“ nahm die Folgen von und die Umgangsweisen mit Migration und religiöser Pluralisierung in den Blick. Während sich die ersten Beiträge der zweiten Sektion auf einzelne Migranten und ihren Einfluss auf theologische Fragen, auf die materielle Kultur oder die Entwicklung der Kirchenmusik bezogen, ging es im zweiten Teil dieser Sektion am Beispiel von (Exulanten)Städten um Umgangsweisen mit Migration und religiöser Pluralisierung. Der Fokus lag hier auf Nordeuropa.

ARND REITEMEIER (Göttingen) untersuchte in seinem Vortrag „Geistliche als Migranten in Norddeutschland“ vergleichend das Migrationsverhalten von drei Generationen lutherischer Geistlicher. Mithilfe von norddeutschen Predigerbiografien stellte Reitemeier heraus, dass in der ersten Generation die Geistlichen oft über weite Distanzen den Wirkungsort wechselten. Ursache dafür waren Sprachbarrieren, theologische Konflikte oder ihre Vermittlung an bestimmte Territorien oder Gemeinden von Wittenberg aus. In den folgenden Generationen, als einige Städte offiziell die protestantische Kirchenordnung angenommen hatten, bildeten die Geistlichen regional verhaftete Pfarrerdynastien und vernetzten sich mehr durch publizistische Teilnahme denn durch Reisen. Reitemeier zeigte, dass es sich oft um zielgerichtete und gelenkte Migration handelte, in der die Pfarrer sowohl als Arbeitsmigranten als auch als Agenten der sich theologisch immer weiter ausdifferenzierenden protestantischen Netzwerke auftraten.

Dass auch die musikalische Praxis Aufschluss über religiöse Pluralisierungsprozesse gibt, zeigte der nachfolgende Vortrag „Orgeln und Konfessionen: Impulse des 17. Jahrhunderts aus der Weser-Ems-Region“ von KONRAD KÜSTER (Freiburg). Die Entwicklung der ostfriesischen Orgellandschaft ab dem 15. Jahrhundert entfaltete Küster in ihren musikpolitischen, wirtschaftlichen, sozialen und theologischen Dimensionen. Küster zeigte so, dass die Lebenswirklichkeiten der Lutheraner und Calvinisten in Bezug auf Kirchenmusik vernetzter waren, als es die Konfessionen eigentlich hätten zulassen sollen. So wurden lutherische und auch calvinistische Standorte im 17. Jahrhundert zur Festigung des Psalmengesangs mit Orgeln ausgestattet, obwohl die Orgeln teils verboten waren. Küster machte so auch die über die Orgelpraxis entstehenden liturgischen Veränderungen als interkonfessionelle Übernahme- und Austauschprozesse sichtbar.

Eine andere Facette der örtlichen und konfessionellen Grenzüberschreitungen durch religiöse Musik und ihren Austausch in Nordeuropa, bearbeitete STEPHEN ROSE (London) unter dem Thema: „Crossing borders: the migration of sacred music in northern Europe, 1580-1720“. Mit den im 16.-18. Jahrhundert gebildeten Wahrnehmungen der Rollen, die Musik und die europäisch vernetzten Musiker als liminale Subjekte einnehmen, machte Rose die Zwiespältigkeit der Beziehung von Kirchenmusik und konfessioneller Prägung sichtbar: Einerseits wurden neue, konfessions- und ortsübergreifende Einflüsse in der Kirchenmusik als kulturelles Kapital der Städte gesehen. Andererseits wurden Textpassagen katholischer Kirchenmusik umgeschrieben oder zensiert, um in einem protestantischen Umfeld aufgeführt werden zu können. Rose schlussfolgerte, dass die musikalischen Akteure beim Auflösen und ebenso Verfestigen konfessioneller Begrenzungen beteiligt waren.

Von den regionalgeschichtlichen und an Einzelpersonen orientierten Forschungen vergrößerte der Vortrag „War, Migration and the Politics of Religious Pluralism“ von WAYNE TE BRAKE (New York) das Blickfeld hin zu den Dynamiken von Frieden und multireligiösem Zusammenleben nach verschiedenen Religionskriegen im frühneuzeitlichen Europa. Anhand der – oft mit einer ähnlichen Formel von Sicherheit, gegenseitiger Anerkennung und Vermittlung der Konfessionen formulierten – Sicherung religiöser Diversität in den Friedensverträgen, zeigte te Brake die enge Verbindung von Frieden und Multikonfessionalität. Trotz der von Herrschern vorangebrachten konfessionellen Einheitsbestrebungen war der religiöse Pluralisierungsprozess andauernd, durchdringend und allgegenwärtig. Te Brake sagte, dass die komplexen Bedingungen und Entwicklungen der religiösen Diversität in ihren Fragen nach Autorität und Widerstand als notwendig politisch gelten müssen.

In die landesgeschichtliche Forschung führte JUSTUS NIPPERDEY (Saarland) zurück. Sein Vortrag „Exulantenstädte als Inbegriff der Toleranz? Religiöse Koexistenz und Konflikt in Glückstadt und Friedrichstadt“ beschäftigte sich mit einer geplanten, das heißt fürstlich vorangebrachten, religiösen wie nationalen Pluralität in den beiden Exulantenstädten. Nipperdey vollzog nach, wie diese Pluralität bevölkerungspolitisch und städtebaulich hergestellt wurde und fragte danach, ob ein tolerantes Zusammenleben gelang. In seinem Vortrag stellte er heraus, dass diese offene Pluralität – zumindest in religiöser Hinsicht – als friedliches Zusammenleben gelang. Die Exulantenstädte stellten allerdings wirtschaftlich motivierte Solitäre dar, die nicht etwa als Vorbild einer religiösen Pluralität im Größeren dienen könnten.

Am Nachmittag erörterte ANTJE SANDER (Schlossmuseum Jever) die „Migration und Praktiken religiöser Koexistenz in der Herrlichkeit Gödens und der Herrschaft Jever“. Dabei unterstrich sie den wichtigen Beitrag, den die Landesherrscher zum Bestand und Ausbau der Multikonfessionalität durch ihre Toleranz und Duldung einer offenen Ausübung der verschiedenen religiösen Praktiken leisteten. Am Beispiel von Religionsflüchtlingen in Göden, die für den Hafenausbau angeworben wurden, zeigten sich die wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen, die bei der Multikonfessionalisierung der Region eine Rolle spielten. Sander folgerte, dass die Riten des religiösen Lebens oft nicht konfessionell-orthodox, sondern nach Landessitte ausgeübt wurden.

Abschließend brachte RAINGARD ESSERS (Groningen) Vortrag „(K)ein sicherer Hafen? – Migrantinnen in Emden“ die genderspezifischen Unterschiede der Migration am Beispiel der Stadt Emden zur Sprache. Die Lebensumstände in der Exulantenstadt könnten aufgrund der Quellenlage, so ihre Argumentation, meist nur für die Oberschicht und die männlichen Familienmitglieder nachvollzogen werden, da Migrantinnen selten namentlich Erwähnung fänden und die Biografien der Unterschicht oft nur über juristische Streitfälle zugänglich seien. Davon ausgehend argumentierte Esser, dass die Exilsituation vornehmlich Männern die Möglichkeit neuer Lebensentwürfe bot, während Frauen ohne das Netzwerk der Familie im Exil rechtlich ungeschützter waren.

Im Zentrum der dritten und letzten Sektion „Migration, Mission und globale Verflechtungen“ standen Fragen nach globalen religiösen Verflechtungsprozessen und Mission auf dem amerikanischen Kontinent und in Asien.

MARK HÄBERLEIN (Bamberg) eröffnete den Samstagmorgen mit seinem Vortrag „Protestantische Begegnungen: Lutherische Pastoren und religiöser Pluralismus in der atlantischen Welt des 18. Jahrhunderts“. Häberlein argumentierte, dass die Lutheraner im atlantischen Raum weniger erfolgreich in der Mission als etwa die Herrnhuter waren. Es gab generell eine große Konkurrenz unter den protestantischen Glaubensgemeinschaften in Amerika, da die Gemeinden zu Abwanderung und Spaltung neigten. Nichtsdestotrotz gab es Versuche lutherische Geistliche zu den amerikanischen Gemeinden zu entsenden. Am Beispiel der beiden Halleschen Pastoren J. F. Handschuh und P. Brunnholz zeigte Häberlein die Problematik, der sich lutherische Pfarrer in Amerika gegenübersahen. Anders als in Deutschland wurden die Pastoren nicht als Obrigkeiten, sondern als einfache Vertragspartner der Gemeinden gesehen und entsprechend behandelt. Diese Unsicherheit im Arbeitsverhältnis in Verbindung mit einem europäisch geprägten Verständnis der Lehre, dessen Strenge öfters Zwist in den Gemeinden hervorrief, brachte die Pastoren immer wieder in finanzielle und religiös-politische Bedrängnis. Vertieft wurde diese Kluft noch dadurch, dass die Pastoren meistens aus dem Norden Deutschlands stammten und nicht wie die große Mehrheit ihrer Gemeinden aus dem Süden. Laut Häberlein begegneten die lutherischen Pastoren diesem existenzgefährdenden Problem mit überkonfessionellen Netzwerken, die ihnen auch ein privates Sicherheitsnetz boten. Diese unterhielten sie mit ihren Amtsbrüdern, insbesondere reformierten Pastoren, deren europäisches Verständnis der religiösen Lehre dem ihrigen Verständnis näher war, als das religiöse Verständnis der amerikanischen Gemeinden.

JESSICA CRONSHAGEN (Oldenburg) untersuchte im nachfolgenden Vortrag mit dem Titel „Surinam-Zeist-Herrenhut-Pennsylvania: Zum Wechselspiel lokaler Praktiken und globaler Missionspolitik am Beispiel der Herrnhuter Surinammission im 18. Jahrhundert“ anhand von Briefen die Verflechtung von Politik und Religion bei den Herrnhuter Missionaren in Surinam. Sie zeigte, dass entgegen des Anspruchs der Herrnhuter, Politik nicht von der Missionsarbeit getrennt werden konnte. Die europäischen Missionare bewegten sich inmitten der Aushandlungs- und Machtprozesse zwischen verschiedenen kolonialen Akteuren wie der Kolonialregierung, den afroamerikanischen Maroons oder den indigenen Gruppen der Kariben und Arawak. Dass die Herrnhuter solch ein „doppeltes Spiel“ in der Politik der Kolonie nicht von ihrer Missionsarbeit abtrennen konnten, wies Cronshagen durch einzelne Episoden nach, in denen alle Akteure die Missionsarbeit für politische Ziele zu nutzen wussten. Dies führte – trotz anfangs eher mäßiger Missionserfolge – zu einer relativen Stabilität der Missionsorte Surinams. Ihrer Rolle als geschätzte Vermittler an der frontier blieben die Missionare bis in das 19. Jahrhundert hinein treu, wenn auch der sich verhärtende Rassismus seit dem späten 18. Jahrhundert die Berichterstattung aus dem Hinterland Surinams zunehmend prägte.

Die Sektion und die Konferenz schloss ANTJE FLÜCHTER (Bielefeld) mit ihrem Vortrag „Translating Christianity? Jesuiten in der Welt und die Pluralisierung des tridentinischen Katholizismus“. Im Kern ging es um die Übersetzung der katholischen Lehre durch Jesuiten zwecks Missionierung in Südindien und Kanada. Anhand der Beispiele zweier Missionare zeigte Flüchter, wie die Jesuiten einen pluralistischen Katholizismus förderten, in dem sie die christliche Lehre an den sozial-kulturellen Hintergrund der zu Missionierenden anzupassen suchten. Solch eine Kommunikation der religiösen Lehre bedurfte ebenso einer Rückübersetzung, wenn etwa die Polygamie eines Neubekehrten mit der katholischen Kirche in Europa besprochen und in passenden Konzepten vermittelt werden musste. Dass eine solche Missionsarbeit funktionierte und in Überresten immer noch in Südindien gefunden werden kann, lag laut Flüchter an der Position der Jesuiten als Vertreter einer Minderheitsreligion. Auf globaler Ebene hätte ein derartiger Pluralismus nicht funktionieren können.

Abschließend lässt sich hinsichtlich der Jahrestagung der Historischen Kommission konstatieren, dass sich bei der Reformation im Nordwesten Praktiken des Zusammenlebens, Migrationsbewe-gungen und religiöser Pluralismus bedingten und sich in einem stetigen Verhandlungsprozess be-fanden. Es zeigte sich eine Vielfalt der Umgangsweisen mit religiöser Pluralisierung und ihre so-wohl lokalen als auch globalen Verflechtungen. In den unterschiedlichen Zugangsweisen der Vor-träge kristallisierte sich die Komplexität der Reformation heraus, die weder in einer strikt territorial begrenzten Regionalgeschichte, noch in einer nur die Strukturen oder einzelne Personen in den Blick nehmenden Geschichtsschreibung zu fassen sein kann.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Henning Steinführer (Vorsitzender der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen)

Grußwort

Petra Averbeck (Bürgermeisterin der Stadt Oldenburg)

Einführung

Dagmar Freist (Universität Oldenburg)

Sektion I: Reformation, Pluralisierung und Praktiken religiöser Koexistenz

David Luebke (University of Oregon): Regime religiöser Koexistenz am Beispiel Westfalens

Dagmar Freist (Universität Oldenburg(: Praktiken religiöser Koexistenz im Fürstbistum Osnabrück

Podiumsdiskussion: Erinnerungskultur und Geschichtswissenschaft

Aleida Assmann (Universität Konstanz) / Lucian Hölscher (Universitäten Bochum / Münster) / Thies Gundlach (Vizepräsident Kirchenamt der EKD) / Dagmar Freist (Universität Oldenburg) / Achatz von Müller (Universitäten Lüneburg/Basel)

Sektion II: Migration und religiöse Pluralisierung

Arnd Reitemeier (Universität Göttingen): Geistliche als Migranten in Norddeutschland

Konrad Küster (Universität Freiburg): Orgeln und Konfessionen: Impulse des 17. Jahrhunderts aus der Weser-Ems-Region

Stephen Rose (University of London): Crossing borders: the migration of sacred music in northern Europe, 1580-1720

Wayne te Brake (State University of New York): War, Migration and the Politics of Religious Pluralism

Justus Nipperdey (Universität des Saarlandes): Exulantenstädte als Inbegriff der Toleranz? Religiöse Koexistenz und Konflikt in Glückstadt und Friedrichstadt

Antje Sander (Schlossmuseum Jever): Migration und Praktiken religiöser Koexistenz in der Herrlichkeit Gödens und der Herrschaft Jever

Raingard Esser (Universität Groningen): (K)ein sicherer Hafen? – Migrantinnen in Emden

Sektion III: Migration, Mission und globale Verflechtungen

Mark Häberlein (Universität Bamberg): Protestantische Begegnungen: Lutherische Pastoren und religiöser Pluralismus in der atlantischen Welt des 18. Jahrhunderts

Jessica Cronshagen (Universität Oldenburg): Surinam-Zeist-Herrnhut-Pennsylvania: Zum Wechselspiel lokaler Praktiken und globaler Missionspolitik am Beispiel der Herrnhuter Surinammission im 18. Jahrhundert

Antje Flüchter (Universität Bielefeld): Translating Christianity? Jesuiten in der Welt und die Pluralisierung des tridentinischen Katholizismus


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Englisch, Deutsch
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